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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §295 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie die Hofräte Dr. Karger, Dr. Graf, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde des K K in I, vertreten durch Dr. Karl Mathias Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franziskanerplatz 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol, Berufungssenat I, vom 10. September 1993, 30.835-3/93, betreffend Einkommensteuer für die Jahre 1979, 1980 und 1984, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von 12.920 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Abgabenbehörde ging in den Streitjahren davon aus, der Beschwerdeführer sei Gesellschafter einer GesBR gewesen, die eine von den Gesellschaftern erfundene und beim Österreichischen Patentamt angemeldete Filtriereinrichtung kommerziell verwertet habe. Auf Grund der Ergebnisse einer abgabenbehördlichen Prüfung erließ das Finanzamt gegenüber der GesBR ua Bescheide betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung für die Streitjahre. Im darauffolgenden Berufungsverfahren war strittig, ob überhaupt eine GesBR bzw eine Mitunternehmerschaft vorgelegen sei. Die belangte Behörde gelangte zur Ansicht, es habe eine Mitunternehmerschaft bestanden, an der der Beschwerdeführer als Gesellschafter beteiligt gewesen sei. Über die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 29. Juni 1993, 30.237-3/93, betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Streitjahre erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom heutigen Tag, 93/14/0168, abweislich entschieden. Hinsichtlich des dem Verfahren betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften zugrundeliegenden Sachverhaltes, der auch im Beschwerdefall relevant ist, wird auf die Ausführungen im eben erwähnten Erkenntnis verwiesen.
Der Beschwerdeführer erklärte in den Streitjahren weder Einkünfte aus der Mitunternehmerschaft noch Einkünfte aus der Verwertung des Patentes.
Auf Grund der zunächst vom Finanzamt gegenüber des GesBR ausgefertigten, jedoch ins Leere gegangenen Bescheide vom 27. Juni 1991 betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Streitjahre änderte das für die Erhebung der Einkommensteuer zuständige Finanzamt am 22. August 1991 die Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre gemäß § 295 Abs 1 BAO ab.
Gegen die (abgeänderten) Bescheide erhob der Beschwerdeführer am 20. September 1991 mit der Begründung Berufung, das Recht, Einkommensteuer für die Streitjahre festzusetzen, sei bereits verjährt. Überdies seien die Grundlagenbescheide nicht in Rechtskraft erwachsen.
In einer abweisenden Berufungsvorentscheidung vom 18. Oktober 1991 hielt das Finanzamt dem Beschwerdeführer vor, er habe in den Streitjahren weder Einkünfte aus der Mitunternehmerschaft noch Einkünfte aus der Verwertung des Patentes erklärt. Der Beschwerdeführer habe somit Abgaben hinterzogen, weswegen die Verjährungsfrist zehn Jahre betrage. Diese Frist beginne mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem die letzte nach außen erkennbare Amtshandlung zur Geltendmachung des Abgabenanspruches von der Abgabenbehörde gesetzt worden sei. Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre seien am 20. Februar 1981, am 5. Juni 1981 und am 26. August 1987 erlassen worden, weswegen das Recht, Einkommensteuer vorzuschreiben, nicht verjährt sei. Abgeleitete Bescheide seien ungeachtet der Frage, ob die Grundlagenbescheide in Rechtskraft erwachsen seien, abzuändern.
Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz vom 20. November 1991 nahm der Beschwerdeführer zu den Ausführungen in der Berufungsvorentscheidung nicht Stellung.
Am 25. bzw 26. Jänner 1993 erließ das Finanzamt gegenüber der GesBR inhaltlich gleichlautende Bescheide wie am 27. Juni 1991 betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Streitjahre.
In der am 2. September 1993 abgehaltenen mündlichen Verhandlung stellte der Beschwerdeführer zunächst außer Streit, die Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre seien ungeachtet noch nicht eingetretener Rechtskraft der gegenüber der GesBR erlassenen Bescheide betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Streitjahre abzuändern. Der Beschwerdeführer bestritt, Abgaben hinterzogen zu haben. Er habe das von der I-AG erhaltene Darlehen von 72.000 SFR in seiner Vermögensteuererklärung zum 1. Jänner 1986 (beim Finanzamt eingelangt am 2. September 1986) ausgewiesen. Von hinterzogenen Abgaben könne daher keine Rede sein, weswegen die Verjährungsfrist nur fünf Jahre betrage. Das Recht, Einkommensteuer für die Jahre 1979 und 1980 vorzuschreiben, sei daher verjährt. Denn für diese Jahre seien von der Abgabenbehörde die letzten nach außen erkennbaren Amtshandlungen (Bescheide betreffend Einkommensteuer) im Jahr 1981 gesetzt worden. Die gemäß § 295 Abs 1 BAO abgeänderten Bescheide seien jedoch erst am 22. August 1991 ergangen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung mit der Begründung ab, die prozessuale Bindung abgeleiteter Bescheide an Grundlagenbescheide komme nur dann zum Tragen, wenn die Grundlagenbescheide rechtswirksam erlassen worden seien. Die aus § 192 BAO abgeleitete Bindungswirkung an die Bescheide vom 27. Juni 1991 betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Streitjahre sei demnach infolge Unwirksamkeit dieser Bescheide nicht gegeben. Das Finanzamt habe jedoch am 25. bzw 26. Jänner 1993 inhaltlich gleichlautende Bescheide wie am 27. Juni 1991 betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Streitjahre erlassen, die allen an der Mitunternehmerschaft beteiligten Gesellschaftern rechtswirksam zugestellt worden seien. Grundlagenbescheide müßten keineswegs vor den abgeleiteten Bescheiden erlassen werden. Es sei daher nicht rechtswidrig, wenn die gegenüber dem Beschwerdeführer erlassenen Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre vor der (rechtswirksamen) Erlassung der Bescheide betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Streitjahre gegenüber der GesBR erlassen worden seien. Der Berufungseinwand, die Bescheide betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Streitjahre seien nicht in Rechtskraft erwachsen, gehe im Hinblick auf § 192 BAO ins Leere. Bei einer allfälligen Änderung der Bescheide betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften sei gemäß § 295 Abs 1 BAO ohnehin eine Folgeänderung hinsichtlich der abgeleiteten Bescheide geboten. Lägen einem Bescheid Entscheidungen zugrunde, die in einem Feststellungsbescheid getroffen worden seien, so könne der Bescheid nach § 252 Abs 1 BAO nicht mit der Begründung angefochten werden, die im Feststellungsbescheid getroffenen Entscheidungen seien unzutreffend. Die Entscheidung, wonach dem Beschwerdeführer Einkünfte aus Gewerbebetrieb in den Streitjahren zugeflossen seien, sei bereits in den den Bescheiden betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre zugrundeliegenden Bescheiden betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Streitjahre getroffen worden. Die Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre könnten somit nicht mit der Begründung bekämpft werden, dem Beschwerdeführer seien in den Streitjahren weder Einkünfte aus einer Mitunternehmerschaft noch Einkünfte aus der Verwertung des Patentes zugeflossen. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Einrede der Verjährung stellte die belangte Behörde zunächst fest, das Recht, Einkommensteuer für das Jahr 1984 vorzuschreiben, sei mangels Ablaufes der fünfjährigen Frist nicht verjährt. Ob das Recht, Einkommensteuer für die Jahre 1979 und 1980 vorzuschreiben, verjährt sei, hänge von der Lösung der Frage ab, ob der Beschwerdeführer die Einkommensteuer für diese Jahre infolge Nichterklärung der Einkünfte aus der Mitunternehmerschaft bzw aus der Verwertung des Patentes hinterzogen habe. Bei Bejahung dieser Frage betrage die Verjährungsfrist zehn Jahre. Die Beurteilung, ob Einkommensteuer hinterzogen worden sei, habe im Abgabenverfahren zu erfolgen, ohne daß es eines förmlichen Strafverfahrens bedürfe. Der Beschwerdeführer sei seiner Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht nicht nachgekommen. Vielmehr habe er versucht, alle mit der Verwertung des Patentes im Zusammenhang stehenden Umstände zu verschleiern. Daran vermöchten auch die Ausführungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, er habe das von der I-AG erhaltene Darlehen von 72.000 SFR in seiner Vermögensteuererklärung zum 1. Jänner 1986 ausgewiesen, nichts zu ändern. Wie im Zug der bei der GesBR durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung auf Grund des Gesamtbildes der Verhältnisse zu Recht festgestellt worden sei, habe es sich bei dem Betrag von 72.000 SFR keineswegs um ein Darlehen, sondern um Vorauszahlungen für zu erwartende Lizenzgebühren, somit um Erlöse gehandelt. Der Umstand, daß die 72.000 SFR vom Beschwerdeführer in seiner Vermögensteuererklärung zum 1. Jänner 1986 ausgewiesen worden seien, könne sich nur auf die Schuldform auswirken. Der Beschwerdeführer habe das zweite "Darlehen" der I-AG, von dem auf ihn 24.000 SFR entfallen wären, nicht in seiner Vermögensteuererklärung ausgewiesen. Es sei auch eigenartig, daß Darlehen, die der "Erfindergruppe" gewährt worden seien, nach Überweisung auf das Bankkonto auf Grund eines Gewinnverteilungsschlüssels an die Gesellschafter weiter überwiesen worden seien. Aus dem Gesamtbild der Verhältnisse ergebe sich daher, daß der Beschwerdeführer hinsichtlich der 72.000 SFR und der 24.000 SFR zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe. Hinsichtlich der in den Jahren 1979 und 1980 von der F-GmbH auf das Bankkonto überwiesenen 140.000 S und 70.000 S bestehe kein Zweifel, daß diese Beträge zu 40 % dem Beschwerdeführer zugeflossen seien. Der Beschwerdeführer habe hinsichtlich dieser Beträge auch niemals das Vorliegen von Darlehen behauptet. Hinsichtlich der dem Beschwerdeführer in den Jahren 1979 und 1980 zugeflossenen Einnahmen von 56.000 S und 28.000 S habe der Beschwerdeführer mit direktem Vorsatz gehandelt. Da der Beschwerdeführer somit den Tatbestand des § 33 Abs 1FinStrG verwirklicht habe, sei iSd § 207 Abs 2 zweiter Satz BAO das Recht, Einkommensteuer für die Jahre 1979 und 1980 vorzuschreiben, nicht verjährt.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer behauptet, die am 22. August 1991 erlassenen (abgeänderten) Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre beruhten auf nichtigen Bescheiden betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Streitjahre und seien daher ebenso nichtig wie die Grundlagenbescheide. Selbst dann, wenn in der Folge inhaltlich gleichlautende Grundlagenbescheide erlassen würden, könnte die Nichtigkeit abgeleiteter Bescheide nicht mehr (nachträglich) saniert werden. Vielmehr hätte das Finanzamt unter vorheriger Aufhebung der am 22. August 1991 erlassenen (abgeänderten) Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre nach dem
25. bzw 26. Jänner 1993 neuerlich (abgeänderte) Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre erlassen müssen. Die Nichtigkeit der erstinstanzlichen Bescheide schlage auf den angefochtenen Bescheid durch, weswegen dieser aufzuheben sei.
Mit diesen Ausführungen ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht. Das Finanzamt hat am 22. August 1991 die Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre gemäß § 295 Abs 1 BAO abgeändert. Eine derartige Abänderung ist jedoch nur zulässig, wenn die Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre von Feststellungsbescheiden abzuleiten sind. Unbestritten ist, daß die vom Finanzamt gegenüber der GesBR ausgefertigten Bescheide vom 27. Juni 1991 betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Streitjahre ins Leere gegangen sind. Damit haben jedoch am 22. August 1991 taugliche Feststellungsbescheide gefehlt, um so die bereits in den Vorjahren erlassenen Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre gemäß § 295 Abs 1 BAO abzuändern. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß am 25. bzw 26. Jänner 1993 gegenüber der GesBR inhaltlich gleichlautende Bescheide betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Streitjahre wie am 27. Juni 1991 erlassen worden sind. Denn mit den Bescheiden vom
25. bzw 26. Jänner 1993 wird die unzulässige Abänderung der Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre vom 22. August 1991 nicht saniert.
Da sich die Abänderung der Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre vom 22. August 1991 als unzulässig erweist, hätte die belangte Behörde diese Bescheide im Rechtsmittelverfahren aufheben müssen. In Verkennung der Rechtslage hat sie diese Bescheide jedoch bestätigt.
Unvorgreiflich der Frage der Verjährung wird das Finanzamt gemäß § 295 Abs 1 BAO abgeänderte Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre zu erlassen haben.
Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid ohne auf das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der Durchführung einer Verhandlung konnte aus den in § 39 Abs 2 Z 6 VwGG dargestellten Gründen abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr 416/1994.
Wien, am 24. November 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1993140203.X00Im RIS seit
20.11.2000