TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/28 W274 2183853-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.05.2019
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Entscheidungsdatum

28.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W274 2183853-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Mag. Karl LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , iranischer Staatsbürger, XXXX , vertreten durch ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration und globalen Erfahrungsaustausch, Ottakringer Straße 54/4/2, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, vom 15.12.2017, Zahl: 1096038408/151831833 nach öffentlicher mündlicher Verhandlung, zu Recht:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der Beschwerdeführer (BF), stellte am 23.10.2015 bei der Landespolizeidirektion Wien einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der am 22.11.2015 durch die Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug der Landespolizeidirektion Wien erfolgten Erstbefragung gab er an, Sunnit zu sein. Der schiitische Staat Iran unterdrücke (gemeint) die Sunniten. Aus diesem Grund habe er den Iran verlassen. Er sei Soldat in der Armee gewesen. Beim Einsatz sei das Fahrzeug, mit dem er gefahren sei, umgekippt. Dabei seien zwei schiitische Soldaten gestorben. Er sei verhaftet worden und gegen Kaution freigelassen worden. Aus diesen Gründen sei er im Iran unter Druck gewesen und verfolgt worden.

Am 30.10.2017 erfolgte eine Vernehmung durch das BFA, RD Wien, Außenstelle Wien. Im Wesentlichen gab der BF an, im Rahmen seines Wehrdienstes als Fahrer eingesetzt worden zu sein. Er sei von der Fahrbahn abgekommen, wobei zwei Insassen verstorben und die anderen verletzt worden seien. Er sei als Einziger unverletzt geblieben. Nach diesem Vorfall habe man ihm Absicht vorgeworfen. Sie hätten herausgefunden, dass er ein Baluchi und Sunnit sei und somit absichtlich Schiiten umgebracht habe. Er sei ca. eineinhalb Monate inhaftiert und gefoltert worden. Die Familie habe ihn auf Kaution frei bekommen. Er habe immer wieder versucht, "sie" von seiner Unschuld zu überzeugen. Er habe auch zwei Mitglieder der Revolutionsgarde am Hals, die beim Vorfall verletzt worden seien. Sie hätten von ihm Schmerzensgeld gefordert. Nachdem er die Hoffnung verloren habe, dass sich das Problem lösen lasse, habe er sich zur Flucht entschlossen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sowie hinsichtlich des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.), sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß § 57 Asylgesetz nicht erteilt werde, erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG und stellte fest, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Iran zulässig sei (Spruchpunkt III.) und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.). Im Wesentlichen ging es davon aus, dass der BF keine Verfolgung glaubhaft gemacht habe und mangels wesentlicher integrativer Bindungen zu Österreich kein Bleiberecht im Sinne des § 57 Asylgesetz bzw. Artikel 8 EMRK bestehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem primären Antrag, dem BF Asyl zu gewähren, in eventu subsidiären Schutz bzw. einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen.

Mit Schreiben vom 27.12.2018 legte der BF weitere Urkunden vor.

Am 09.01.2019 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der der BF vernommen und weitere Urkunden vorgelegt wurden.

Die Beschwerde ist im Ergebnis nicht berechtigt:

Festgestellt wird:

Die relevante Lage im Iran stellt sich dar wie folgt:

Politische Lage:

In den Machtstrukturen der islamischen Republik Iran finden sich sowohl republikanische als auch autoritäre Elemente. Höchste politische Instanz und "Oberster Führer der islamischen Revolution" ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution", Ayatollah Seyed Ali Khamene'i. Er verfügt über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Staatsoberhaupt. Sein Titel ist "Revolutionsführer". Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung, dem Expertenrat, auf unbefristete Zeit bestimmt. An der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident Hassan Rohani, der 2013 erstmals und im Mai 2017 wiedergewählt wurde. Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Majlis, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das europäischen Parlamenten vergleichbare legislative Kompetenzen hat und Regierungsmitgliedern das Vertrauen entziehen kann. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar und April 2016 statt. Der oberste Führer ist wesentlich mächtiger als der Präsident. Ihm unterstehen unter anderem die Revolutionsgarden (Pasdaran) und die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden paramilitärischen Basij-Milizen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen, Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, wie dem Klerus. Reformorientierte Regimekritiker sind starken Repressionen ausgesetzt und unterstützen im Wesentlichen den im politischen Zentrum angesiedelten Präsidenten Rohani. Mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle) hat der Wächterrat, dem darüber hinaus auch die Genehmigung von Kandidaten bei Wahlen obliegt. Die 35 Mitglieder des Schlichtungsrates werden vom Revolutionsführer aus der Regierung, dem Wächterrat, dem Militär und seinen persönlichen Vertrauten ernannt. Er hat eine Vermittlungsaufgabe im Streitfall zwischen den verschiedenen Institutionen der Regierung. Höchstes Prinzip der islamischen Republik ist die Systemstabilität. Parteien nach westlichem Verständnis gibt es nicht. Bei Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen werden Personen gewählt. Bei den letzten Parlamentswahlen wurden zahlreiche Kandidaten vom Wächterrat von der Teilnahme ausgeschlossen. Derzeit sind im Parlament 17 weibliche Abgeordnete vertreten. Das Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zugelassen. Die Mitte Juli 2015 in Wien erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm führten zu einer Veränderung der Beziehungen zwischen Iran und der internationalen Gemeinschaft. Die Sanktionen wurden aufgehoben bzw. ausgesetzt. Seither gibt es einen intensiven Besuchs-und Delegationsaustausch und zahlreiche neue Wirtschaftsverträge. Die Reformer und Moderaten konnten in den Parlamentswahlen im Jahr 2016 starke Zugewinne erreichen. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohani wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen "unislamisches" oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Allerdings wurde 2016 eine Bürgerrechtscharta verabschiedet, die die Freiheiten beschreibt, die ein iranischer Bürger haben soll. Unsicherheiten ergeben sich aus der Entscheidung des amerikanischen Präsidenten, dass sich die USA aus dem internationalen Atomabkommen zurückziehen werde.

Sicherheitslage:

Insgesamt ist die allgemeine Lage ruhig, wobei latente Spannungen im Land bestehen. Im Zusammenhang mit insbesondere religiösen Lokalfeiertagen und Gedenktagen kommt es immer wieder zu Kundgebungen. Dabei kam es in verschiedenen iranischen Städten verschiedentlich zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten, die Todesopfer und Verletzte forderten, wie zuletzt im Dezember 2017 und Jänner 2018. In Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Im Juni 2017 kam es in Teheran zu Anschlägen auf das Parlamentsgebäude und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini, die Todesopfer und Verletzte forderten.

In der Südöstlichen Provinz Sistan-Belutschistan kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen.

Die Mitgliedschaft in verboten politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Hierzu gibt es weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden. Militante separatistische Gruppen sind unter anderem die kurdisch-marxistische Komalah-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPIK), die aus Belutschistan stammende Jundallah und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit der PKK zusammenarbeitet. Wenig wahrscheinlich ist eine Anklage aufgrund politischer Aktivität auf niedrigem Niveau (Verteilen von Flyern). Andauernde politische Aktivitäten können aber in einer Anklage enden.

Rechtsschutz/Justizwesen:

Nach der iranischen Verfassung müssen alle Gesetze sowie die Verfassung selbst auf islamischen Grundsätzen beruhen. Das in der Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Gerichtsbarkeit. Dieser ist laut Art. 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der der Gerichte ist in der Verfassung zwar festgeschrieben, unterliegt aber Begrenzungen. Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, nehmen in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung. Fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten können bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeite beeinflusst und gesteuert werden. Das Justizwesen ist nicht frei von Korruption. Ca. ein Drittel der Richter ist bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. Es gibt eine unabhängige Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association), wobei die Anwälte der IBA staatlichem Druck und einschüchterungsmaßnahmen ausgesetzt sind. Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Verfahren erfüllen internationale Standards der Fairness nicht. Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die unter Anwendung von Folter gemacht wurden, werden als Beweis verwendet. Immer wieder wird das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft verletzt. In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann aber gemäß der Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden. Im Bereich der Strafjustiz existieren die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Es gibt auch Sondergerichte für die Geistlichkeit. Die Revolutionsgerichte sind zuständig für Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneten Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen sowie Feindschaft zu Gott; Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen; Beleidigungen des Gründers der islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers, Spionage für fremde Mächte, Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel; Bestechung und Korruption. Gerichtsverfahren, vor allem jene vor Revolutionsgerichten, finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind sehr kurz. Körperstrafen sowie die Todesstrafe existieren nach wie vor. Das Scharia-Strafrecht umfasst Strafen wie Auspeitschung, Verstümmelung, Steinigung sowie die Todesstrafe. Nach wie vor ist die Steinigung als Bestrafung für Ehebruch vorgesehen, auch wenn der Richter auf eine andere Form der Hinrichtung ausweichen kann. Immer wieder kommen willkürliche Verhaftungen vor, ohne dass ein Strafverfahren anhängig ist. Häufiger Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung.

Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Nach westlichem Beispiel sind Strafen oft unverhältnismäßig hoch. Es ist von mehr als 1000 "politischen Gefangenen" auszugehen. Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichen Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter nicht beachtet. Zeugen können durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen werden. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse. Insbesondere wird Isolationshaft genutzt.

Sicherheitsbehörden:

Hiezu zählen das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums und die Revolutionsgarden. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Sie sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten, die den strikten Moralkodex nicht befolgen, involviert. Der Auftrag der Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e) ist formell der Schutz der islamischen Revolution. Sie haben im Lauf der Zeit die Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staat entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eigene Gefängnisse, eigene Geheimdienste sowie enge Verbindungen zum Revolutionsführer. Das Ministerium für Information ist ein Geheimdienst und umfasst den Inlands- Auslandgeheimdienst sowie den technischen Aufklärungsdienst an den eigenen Universitäten. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen nicht als solcher auf sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitsdienste und der Justiz. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Missbräuche der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient und sind von religiösen Ansichten und Korruption getrieben. Sie geht rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber wenig eifrig, die Bürge vor kriminellen Aktivitäten zu schützen. Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jeder Zeit gerechnet werden. Man geht davon aus, dass mehre Millionen Basijis im Iran tätig sind. Bereits auffallendes Hören von insbesondere westlicher Musik, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen kann den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. deren Sympathisanten hervorrufen. Es kann dann zu willkürlichen Verhaftungen oder Verprügeln kommen. Zur Verhaftung kommt es immer wieder auch, wenn junge Menschen gemischtgeschlechtliche Partys feiern oder sich nicht an die Bekleidungsvorschriften halten. Manchmal kann bei Frauen schon ein zu kurzer Mantel oder das Hervortreten von Haaren unter dem Kopftuch, bei Männern zu enganliegende Jeans, das Tragen von Goldschmuck oder ein außergewöhnlicher Haarschnitt für eine Verhaftung reichen.

Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden. Sie verfügen über Land- See und Luftstreitkräfte und kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal. Sie werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Sie sind ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv. Nicht bekannt ist, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist, jeden zu überwachen. Es besteht aber eine Atmosphäre, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen.

Folter und unmenschliche Behandlung:

Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Verschiedenen Berichten zufolge schließen Verhörmethoden und Haftbedingungen in einzelnen Fällen seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung nicht aus. Dazu kommt es vorrangig in nichtregistrierten Gefängnissen, aber auch aus "offiziellen" Gefängnissen wird von derartigen Praktiken berichtet, insbesondere dem berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, der unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht. Die Justizbehörden verhängten und vollstreckten auch 2017 weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkamen. In einigen Fällen wurden die Strafen öffentlich vollstreckt. Zahlreiche Personen, unter ihnen auch Minderjährige, erhielten Strafen von bis zu 100 Peitschenhieben. Sie wurden wegen Diebstahls oder tätlichen Angriffen verurteilt, aber auch z.B. außerehelichen Beziehungen, Anwesenheit bei Feiern, an denen sowohl Männer als auch Frauen teilnehmen, Essen in der Öffentlichkeit während des Fastenmonats Ramadan oder Teilnahme an friedlichen Protestkundgebungen. Gerichte verhängten in zahlreichen Fällen Amputationsstrafen, die vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurden. Die Behörden vollstreckten auch erniedrigende Strafen. Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen. Im Mai 2016 wurden mehr als 30 Studenten wegen Teilnahme an einer Party mit Alkohol und Tanz zu je 99 Peitschenhieben verurteilt. Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Es gibt Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden sowie Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten an der Decke, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser sowie Verweigerung medizinischer Behandlung.

Allgemeine Menschenrechtslage:

Zu den größten menschenrechtlichen Problemen gehören die hohe Anzahl an Exekutionen, Folter, harsche und lebensbedrohliche Haftbedingungen, willkürliche Verhaftungen, politische Gefangene, widerrechtliche Einmischung in die Privatsphäre, schwerwiegende Einschränkungen der Meinungs-, Presse-, Internet-, Versammlungs-, Vereinigungs-und Religionsfreiheit sowie betreffend Frauen und LGBTI. Die Behörden inhaftierten zahlreiche Personen, die friedlich Kritik geäußert hatten. Die Gerichtsverfahren waren in aller Regel unfair. Die Behörden billigten, dass Menschen wegen ihres Geschlechts, ihres Glaubens, ihrer politischen Überzeugung, ethnischen Zugehörigkeit, sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität oder einer Behinderung in starkem Maße diskriminiert und Opfer von Gewalt wurden. Hunderte Menschen wurden hingerichtet, einige in der Öffentlichkeit. Im März 2017 verlängerte der UN-Menschenrechtsrat das Mandat der UN-Sonderberichterstatterin über die Menschenrechtssituation in Iran. Die iranische Regierung verweigerte sowohl der Sonderberichterstatterin als auch anderen UN-Experten weiterhin die Einreise. Bei der Wahl zur zweiten Amtszeit Rohanis wurden hunderte Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihres Glaubens, ihrer politischen Überzeugung durch den Wächterrat von der Kandidatur ausgeschlossen. Personen, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein sollen, wurden zu Ministern ernannt. Wie 2013 versprach Rohani auch im Wahlkampf 2017, die Bürgerrechte und die Meinungsfreiheit zu stärken.

Todesstrafe:

Über Hinrichtungen wird nicht offiziell informiert. Es ist davon auszugehen, dass Iran auch 2016 das Land mit der weltweit höchsten Hinrichtungszahl im Verhältnis zur Bevölkerung war. Amnesty International berichtet, dass in Iran 2017 mindestens 507 Personen hingerichtet wurden, das wäre ein Rückgang um 11% im Vergleich zum Vorjahr. Mindestens 31 öffentliche Hinrichtungen fanden statt. 2017 sollen mindestens 5 Personen hingerichtet worden sein, die zum damaligen Zeitpunkt jünger als 18 Jahre waren. Todesurteile im Zusammenhang mit Drogen und Kriminalität sind derzeit vorerst ausgesetzt. Es befinden sich noch Personen beiderlei Geschlechts auf der "Steinigungsliste". Seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar.

Wehrdienst:

Die Länge des verpflichtenden Wehrdienstes ist von den individuellen Verhältnissen abhängig und beträgt 18 bis 24 Monate. Aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen können Wehrpflichtige ausgemustert werden. Ein Freikauf vom Wehrdienst ist möglich: 2.500 Euro für Schulabgänger ohne Matura, 5.000 Euro für Maturanten. Studenten können, wenn sie im Ausland studieren möchten, unter Hinterlegung einer Kaution, gestaffelt nach Bachelor, Master oder Promotion (7.500, 10.000 bzw. 12.500 Euro) freigestellt werden. Die Wehrdienstzeit wird bei verheirateten Iranern pro Kind um drei Monate verkürzt und bei Freikauf von der Wehrpflicht ein Nachlass i. H.v. 5% bzw. weiteren 5% pro Kind gewährt. Religionsführer Khamenei hat die Jahrgänge bis einschließlich 1975, die bislang keinen Wehrdienst geleistet hatten, freigestellt (AA 2.3.2018). Die Zustände beim iranischen Militär sind in der Regel wesentlich härter als in europäischen Streitkräften (berichtet wird regelmäßig über unzureichende Verpflegung, unzureichende Ausrüstung, drakonische Strafen etc.) (ÖB Teheran 9.2017).

Religionsfreiheit:

Von den etwa 82 Millionen Menschen im Iran gehören etwa 99% dem Islam an. Etwa 90% sind Schiiten, 9% Sunniten und der Rest Christen, Juden, Zoroastrier, Bahá'í, Sufis, Shl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppen. Der Islam schiitischer Prägung ist Staatsreligion. Die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten "Buchreligionen" (Christen, Juden, Zoroastrier) dürfen ihren Glauben relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe-und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als "mohareb" (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Ihre Vertreter unterliegen Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, armenische und assyrische Christen) werden diskriminiert, nicht anerkannte nicht-schiitische Gruppen (Bahá'í, konvertierte evangelikale Christen, Sufi, Atheisten) in unterschiedlichem Grad verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg diskriminiert. Anerkannte religiöse Minderheiten sind in ihrer Glaubensausübung nur geringen Einschränkungen unterworfen (religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt, christliche Gottesdienste in Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind verboten). Es bestehen bestimmte Minderheitenrechte, wie Vertreter im Parlament sowie das Recht auf Alkoholkonsum bei religiösen Riten und im Privatbereich. Das Recht, eine Religion zu wechseln, wird verletzt. Personen, die zum Christentum übergetreten waren, erhielten hohe Gefängnisstrafen (10 bis 15 Jahren). Es gab weiterhin Razzien in Hauskirchen. Personen, die sich zum Atheismus bekannten, konnten jederzeit willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und misshandelt werden. Sie liefen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden. Unter besonderer Beobachtung stehen hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden. Muslimische Konvertiten und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt. 2016 sollen 198 Gefangene wegen "Feindschaft gegen Gott", 31 wegen "Beleidigung des Islam" und 12 wegen "Korruption auf Erden" inhaftiert gewesen sein.

Apostasie (Abtrünnigkeit vom Islam) ist verboten und mit langen Haftstrafen bis zur Todesstrafe bedroht. Im iranischen Strafgesetzbuch ist der Tatbestand zwar nicht definiert, die Verfassung sieht aber vor, dass die Gerichte in Abwesenheit einer definitiven Regelung entsprechend der islamischen Jurisprudenz zu entscheiden haben. Dabei folgen die Richter im Regelfall einer sehr strengen Auslegung auf Basis der Ansicht von konservativen Geistlichen wie Staatsgründer Ayatollah Khomenei, der für die Abkehr vom Islam die Todesstrafe verlangte. Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel "moharebeh" ("Waffenaufnahme gegen Gott"), Verdorbenheit auf Erden, oder "Handlungen gegen die nationale Sicherheit". Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Christliche Konvertiten werden normalerweise nicht wegen Apostasie bestraft, sondern solche Fälle als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit angesehen und vor den Revolutionsgerichten verhandelt.

Sunniten

Sunniten sehen sich vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt und werden vor dem Gesetz benachteiligt. So nehmen gerade in den letzten Jahren die Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten zu (GIZ 3.2018c). Sunniten berichten, dass sie keine Moscheen in großen Städten bauen dürfen und Probleme hätten, Regierungsjobs zu bekommen (FH 1.2018). Im Oktober 2015 befanden sich mindestens 33 sunnitische Männer - überwiegend Kurden - im Todestrakt, nachdem sie wegen "moharebeh" ("Waffenaufnahme gegen Gott") verurteilt worden waren. Rund 150 Sunniten sind derzeit aufgrund ihres Glaubens bzw. damit verbundener Anklagen inhaftiert. Im August 2016 wurden rund 22 Sunniten u.a. wegen Gotteslästerung hingerichtet. Am 25. April 2017 wurden etwa 20 Personen während ihres morgendlichen Gebets verhaftet und an einen unbekannten Ort überführt. Personen, die vom schiitischen zum sunnitischen Glauben übertreten und dies öffentlich kundtun, werden zunehmend verfolgt und in manchen Fällen ebenfalls wegen Gotteslästerung hingerichtet (ÖB Teheran 9.2017). In den letzten Jahren wurden Sunniten wiederholt daran gehindert, ihre eigenen Eid-Gebete abzuhalten. Diskriminiert werden Sunniten auch fallweise bei der Arbeitssuche (ÖB Teheran 9.2017, vgl. AI 22.2.2018).

Sunniten werden mitunter sowohl aufgrund ihrer religiösen wie auch ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert, da viele kurdischer oder arabischer Volkszugehörigkeit sind. In den sunnitischen Siedlungsgebieten im Westen und Südosten Irans ist die Religionsausübung jedoch ohne Einschränkungen möglich (AA 2.3.2018). Bei der Ausgrenzung von Sunniten spielt oft weniger die islamische Konfession als die ethnische Zugehörigkeit eine Rolle. Die meisten Sunniten in Iran sind Kurden, Turkmenen, Araber oder Belutschen, die in den Randprovinzen des Landes leben. Dort gibt es starke Autonomiebewegungen, gegen die die Zentralregierung in Teheran vorgeht. Angehörige der ethnischen Minderheiten haben deshalb auch schlechteren Zugang zu Wasser, Wohnraum, Arbeit oder Bildung. Sunnitentum, ethnische Zugehörigkeit und Autonomiebestrebungen vermischen sich in der staatlichen Wahrnehmung. Im Jahr 2015 wurde persischsprachigen Medien zufolge erstmals ein Sunnit zum Botschafter des Iran ernannt.

Ethnische Minderheiten:

Iran gehört mit etwa 80 Millionen Einwohnern zu den 20 bevölkerungsreichsten Ländern der Erde. Das Bevölkerungswachstum beträgt etwa 1,3%. Dabei ist die iranische Gesellschaft weit heterogener als die offizielle Staatsdoktrin glauben machen will. Nur etwa 51% der Iraner sind Perser. Dazu kommt die Volksgruppe der Aseris mit 24% der Gesamtbevölkerung, etwa 8% Gilakis und Mazanderanis, 7% Kurden, 3% Araber und je etwa 2% Turkmenen, Luren und Belutschen. Die diesbezüglich genannten Zahlen variieren teils beträchtlich. Zudem leben viele Flüchtlinge im Land, von denen die afghanischen mit etwa zwei Millionen weiterhin die größte Gruppe stellen, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist Iran im Moment das viertgrößte Aufnahmeland für Flüchtlinge weltweit. Die ethnischen Minderheiten des Iran leben eher in den Grenzregionen des Landes zu seinen Nachbarn, die Kurden etwa im Nordwesten, die Araber in der Region um den Persischen Golf. Dennoch sind Entwicklungen wie etwa im Irak oder Afghanistan in Iran nicht zu erwarten. Abseits eines gern gepflegten Patriotismus zur eigenen Ethnie sind separatistische Bewegungen ethnischer Minderheiten kein vielen Nachbarstaaten vergleichbares Problem. Sie beschränken sich auf einige Gruppierungen in Belutschistan und Kurdistan, wobei gerade hier die Regierung immer wieder gern selbst Separatismus unterstellt, um diesem mit Gewalt zuvorzukommen (GIZ 3.2018c).

Es sind keine Rechtsverletzungen gegen Mitglieder ethnischer Minderheiten aus rein ethnischen Gesichtspunkten bekannt. Von Diskriminierungen im Alltag (rechtlich, wirtschaftlich und/oder kulturell, z.B. Zugang zu Wohnraum, Wasser und Bildung) wurde jedoch betreffend u.a. Angehöriger der arabischen Gemeinschaft der Ahwazi, Aseri, Belutschen, Kurden und Turkmenen berichtet. Der Gebrauch ihrer jeweiligen Muttersprache in Behörden und Schulen ist weiterhin verboten, trotz entsprechender Zusagen von Präsident Rohani während seines Wahlkampfes im Jahr 2013. Menschen, die sich für Minderheitenrechte einsetzten, wurden bedroht, festgenommen und bestraft (ÖB Teheran 9.2017).

Der Vielvölkerstaat Iran verfolgt gegenüber ethnischen Minderheiten grundsätzlich eine auf Ausgleich bedachte Politik, v.a. die Aseri sind in Staat und Wirtschaft sehr gut integriert (AA 2.3.2018). Die Infrastruktur von Regionen, wo Minderheiten wohnen, sind allerdings zum Teil stark vernachlässigt (BMI 2015). In der Provinz Sistan und Belutschistan berichteten viele Dorfbewohner, dass es ihnen an Wasser, Elektrizität, Schulen und Gesundheitseinrichtungen mangele. In der verarmten Provinz sind die Analphabetenquote bei Mädchen und die Kindersterblichkeit sehr hoch. Angehörigen ethnischer Minderheiten, die die Verletzung ihrer Rechte kritisieren, drohen willkürliche Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen, grob unfaire Gerichtsverfahren, Gefängnisstrafen und die Todesstrafe. Geheimdienste und Sicherheitsorgane beschuldigten Aktivisten, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzten, sie würden "separatistische Strömungen" unterstützen, die Irans territoriale Integrität bedrohten (AI 22.2.2018).

Belutschen

Die rund 1,5 Mio. sunnitischen Belutschen leben ebenfalls in stark unterentwickelten Gebieten. Die Arbeitschancen und das Recht zur politischen Partizipation (v.a. passives Wahlrecht) sind für Belutschen beschränkt. Journalisten und Menschenrechtsaktivisten, die sich für die Belutschen einsetzten, waren in der Vergangenheit mit willkürlichen Festnahmen, körperlichem Missbrauch und unfairen Gerichtsverfahren konfrontiert. 2015 und 2016 gab es immer wieder Berichte über Zusammenstöße von Sicherheitskräften und Bewohnern der Grenzgebiete in Belutschistan, bei welchen es zu gesetzwidrigen Schüssen auf unbewaffnete Zivilisten, vermeintliche Schmuggler oder Drogenkuriere gekommen sein soll (ÖB Teheran 9.2017). Die Belutschen gehören zu den ärmsten Minderheiten und leben in einer von Gewalt und Drogenschmuggelkriminalität geplagten Provinz im Grenzgebiet zu Pakistan. Hinweise auf staatliche Repressionen beruhend auf ihrer ethnischen Zugehörigkeit liegen jedoch nicht vor (AA 2.3.2018). Die Regierung schränkte kulturelle und politische Aktivitäten der Belutschen ein (HRW 18.1.2018).

Grundversorgung:

Die Grundversorgung ist in Iran gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Der Mindestlohn liegt bei ca. 9,3 Mio. IRR im Monat (ca. 200 Euro). Das durchschnittliche Monatseinkommen pro Kopf liegt bei ca. 400 Euro. Die Arbeitslosenrate in Iran betrug im Juni 2016 nach offiziellen Statistiken 10,7% mit Tendenz nach oben. Inoffiziellen Zahlen zufolge ist diese fast doppelt so hoch. Ausgebildete Arbeitskräfte finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Die iranische Wirtschaft ist weitestgehend zentralisiert und steht fast komplett unter staatlicher Kontrolle. Ein wichtiger bzw. zentraler Faktor der iranischen Wirtschaft sind die halbstaatlichen religiösen Stiftungen, die Bonyads. Viele dieser Stiftungen sind heute international agierende Großkonzerne. Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Es gibt auch einen Kindergeldanspruch. Weiters gibt es Ansprüche auf Arbeitslosengeld in Höhe von 70-80% des Gehaltes. Weiters erhalten die gering verdienenden Teile der iranischen Bevölkerung zur Sicherung der Grundversorgung monatlich eine "Yarane" von ca. 11€. Es besteht kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung.

Medizinische Versorgung:

98% aller Iraner haben Zugang zu ärztlicher Versorgung, wobei die Qualität schwankend ist. Sie ist in Teheran und in den großen Städten ausreichend bis gut. In vielen Landesteilen ist sie nicht vergleichbar mit europäischen Standards. Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität. Die Medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, ca. 3.000 ländlichen Gesundheitszentren und 730 städtischen öffentlichen Krankenhäusern in jeder größeren Stadt. Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen durchschnittlich 55% der Gesundheitsausgaben in bar bezahlt werden. In zahlreichen Apotheken sind die meisten auch in Europa gebräuchlichen Medikamente zu kaufen und nicht sehr teuer.

Scheidungsrecht:

Der Ehemann hat das Recht zur Scheidung, ohne dass er den Scheidungsantrag begründen muss. Ebenso kann er nach einer widerrufbaren Scheidung die Ehe innerhalb von drei Monaten wieder aufnehmen. Eine Frau kann bei Geisteskrankheit und Impotenz des Ehemanns (Art. 1122, 1125 ZGB), wegen einer unerträglichen Härte im Falle der Fortführung der Ehe z.B. bei stark unislamischer Lebensführung des Ehemanns oder bei Verletzung der Unterhaltspflicht (Art. 1130 ZGB) die Scheidung beantragen. Zusätzlich zu diesen gesetzlich geregelten Fällen werden in standardisierten, notariell beurkundeten Eheverträgen oft weitere Scheidungsgründe vereinbart (z.B. für die Frau gefährliche Erkrankung, Drogenkonsum, weitere nicht abgestimmte Heirat des Ehemanns). Das Vorliegen der Scheidungsbedingungen nachzuweisen ist für die Frau sehr schwierig. Im Streitfall kann sich ein solcher Rechtsstreit über mehrere Jahre hinziehen. Die Frau hat jedoch in den meisten Fällen die Möglichkeit, dem Mann gegen die Scheidung die Morgengabe zu schenken, wobei es sich häufig um große Summen handelt. Lässt sich der Mann scheiden, muss er diese der Frau auszahlen. Die Zahl der Scheidungen im ersten Quartal des iranischen Jahres 1394 (21.3.-20.6. 2015) ist gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 17,5 % gestiegen. Einen besonders hohen Anteil stellen einvernehmliche Scheidungen dar (AA 9.12.2015).

Rückkehr:

Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Für die Rückkehr nach Iran braucht man eine offizielle Erlaubnis des iranischen Staates. Die Rückkehr wird mit den Behörden von Fall zu Fall verhandelt. Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußern und dann nach Iran zurückkehren, können von Repressionen bedroht sein (auszugsweise und zusammengefasst wiedergegebenes Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran, Gesamtaktualisierung am 03.07.2018, unter Bezugnahme auf die dort genannten Quellen).

Der BF wurde am XXXX in der Provinz Sistan und Belutschistan geboren. Er gehört der in dieser Provinz verbreiteten ethnischen Minderheit der Belutschen an. Er war seit einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt mit der am XXXX geborenen XXXX verheiratet. Der Ehe entstammte die am XXXX (oder XXXX ) geborene XXXX . Der BF lebte mit seiner geschwisterreichen Familie zunächst in der Stadt Iranshahr. Er leistete von 2006 bis 2009 den Militärdienst in Sistan und Belutschistan.

Am 02.02.2007 war der BF Fahrer eines Toyota-Hilux, der als Militärpatrouille eingesetzt war und neben dem Fahrer sechs weitere Soldaten transportierte. Auf Grund nicht näher feststellbarer Umstände kam es zu einem Unfall, bei dem zwei Soldaten ( XXXX und XXXX ) verstarben und der Fahrzeugkommandant XXXX schwer verletzt wurde. Das Fahrzeug, Waffen und Munition wurden beschädigt. Nicht festgestellt werden konnte, ob weitere Mitfahrer verletzt wurden. Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, dass als weitere Mitfahrer XXXX und XXXX im Fahrzeug waren. Der BF war zunächst jedenfalls von 11.3.2007 bis 13.3.2007 in Haft, dass er darüber hinaus einen weiteren Monat in Iranshahr im Polizeigefängnis war, konnte nicht festgestellt werden.

In weiterer Folge kam es zu einer Gerichtsverhandlung vor dem Militärgericht Nummer 1 des Bundeslandes Sistan Belutschistan, Zweigstelle 1. Im Urteil vom 15.12.2008 heißt es auszugsweise:

"Personaldaten des Beschuldigten: Soldat XXXX ... Inhaftiert von

11.03.2007 bis 13.03.2007 in Iranshahr. Gegenstand der Beschuldigung: Unachtsamkeit beim Fahren, welche Todesfälle von zwei Soldaten mit dem Namen XXXX und XXXX und einen schwer verletzten Soldaten mit dem Namen XXXX zu Folge hatte. Weiters hat es Sachbeschädigungen der staatlichen Gegenstände, wie das Hawilux-Auto

und Waffen und Munition gegeben ... Ablauf: Gemäß dem Akteninhalt

und Anklageschrift des Militärgerichts von Zahidan vom 02.02.2007 war der erwähnte Soldat mit dem Auto mit Kennzeichen 76177 und mit sechs weiteren Soldaten unterwegs. Durch Unachtsamkeit des Lenkers ist das Auto von der Straße abgekommen und hat sich überschlagen ... Der Beschuldigte und die Eltern der umgekommenen Soldaten waren bei Gericht anwesend. Das Gericht hat nach Anhörung der Klagenden und des Beschuldigten folgendes Urteil ausgesprochen: Gemäß dem Bericht der Einheit, der Anzeigen der Eltern der Umgekommenen und der Verletzten, dem Bericht des Amtsarztes, dem Bericht des Begutachters, des Expertenrates und des ausführlichen Geständnisses des Beschuldigten und seiner wirkungslosen Verteidigung hat das Gericht die Anklage gegen den Beschuldigten zutreffend erkannt:

Strafmaß: Der Beschuldigte wird gemäß §§ 83 und 84 des Strafgesetzes von Streitkräfte und nach §§ 82, 297, 302, 367, 418, 428, 432, 442, 495, 714 und 715 des islamischen Strafgesetzes und unter Einhaltung der §§ 47, 46, 22, 25 und 35 der letzten Gesetze und unter Einbringung der Milderungsaspekte wie als jugendliche, Reue und die Unachtsamkeit während der Fahrt, welche zwei Todesfälle und einen Schwerverletzten zur Folge hatte, und zusätzlich zum Aufkommen von Kosten der Schäden zu sechs Monaten Haft verurteilt. Auf Grund des speziellen Zustandes und der Unbescholtenheit des Verurteilten wird die Strafe auf Bewährung für die Dauer von drei Jahren umgewandelt. Der Beschuldigte wird zur Zahlung im Fall der Umgekommenen XXXX und XXXX an den Eltern der Umgekommenen zweimal Blutgeld für einen ganzen islamischen Mann und für den Verletzten XXXX wegen der Fraktur des Beines 4,5 von 1 und 1/2 Blutgeld eines ganzen Menschen (8%) und dem Fraktur des linken Armes 4,5 von 1 und 1/2 Blutgeld eines ganzen Menschen (8%) und wegen der Invalidität der linken Seite des Oberkörpers das ganze Blutgeld eines ganzen Menschen und infolge der chirurgischen Eingriffe entstandenen Schäden zwei Prozent von Blutgeld eines ganzen Menschen verurteilt. Das Urteil wurde mündlich verkündet und gegen dieses Urteil kann innerhalb von 20 Tagen Berufung eingebracht werden "(AS 131 bis 142).

Der BF erhob kein Rechtsmittel gegen dieses Urteil.

Nicht festgestellt werden konnte, dass der BF im Zusammenhang mit dem Unfall von staatlichen Organen gefoltert wurde, ebensowenig dass er bis 2011 in diesem Zusammenhang immer wieder behördlich geladen wurde.

Der BF versuchte bereits, etwa 2007 den Iran Richtung Türkei zu verlassen, scheiterte aber beim Grenzübertritt. Über Anraten seiner Familie kehrte er nach wenigen Tagen zurück nach Hause.

Nicht festgestellt werden konnte, dass der BF in weiterer Folge bis ins Jahr 2017 von Verfolgungshandlungen des XXXX und XXXX betroffen war. Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, dass es sich bei diesen um zwei weitere Mitfahrer bei dem verunfallten Fahrzeug handelte, dass diese beim Unfall erhebliche Verletzungen erlitten und auf Grund dessen Geld zur Kompensation vom BF forderten bzw. diesen unter Druck setzten. Insbesondere konnte auch nicht festgestellt werden, dass diese Personen, die Mitglied der Basiji gewesen seien, im Sommer 2015 zur Wohnung des BF in Mershar (einem Viertel von Zahedan), gekommen wären, dort in Abwesenheit des BF ein Messer in die Tür stachen und daneben schrieben, dass sie ihn gefunden hätten. Nicht festgestellt werden konnte auch, dass dies der Ausreisegrund des BF aus dem Iran gewesen wäre.

Der BF, der wie die meisten Belutschen geborener Sunnit ist, verließ zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Herbst 2015 den Iran und reiste schlepperunterstützt ohne gültige Reisedokumente im Oktober 2015 nach Österreich ein. Er war in weiterer Folge mit seinen Eltern, Geschwistern und seiner Frau telefonisch und über WhatsApp jedenfalls bis Oktober 2017 in Kontakt. Mit seiner Frau telefonierte er zunächst und bis in den Oktober 2017 fast täglich. Nicht festgestellt werden konnte, dass der BF zu einem späteren Zeitpunkt von seiner Familie bzw jener seiner geschiedenen Frau bedroht wurde. Die Ehe wurde zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt Ende 2017 aus nicht näher feststellbaren Gründen über Veranlassung der vormaligen Ehefrau des BF im Iran geschieden. Der BF erhielt mit Bearbeitungsdatum 04.12.2017 ein Mitteilungsschreiben mit dem Hinweis, dass ihm im Anhang die endgültige Entscheidung elektronisch übermittelt werde. Der BF setzte keine Bemühungen, die angekündigte gerichtliche Entscheidung über seine Scheidung selbst zu erhalten. Nicht festgestellt werden konnte, dass im Zusammenhang mit seiner Scheidung den iranischen Behörden (insbesondere durch Vorzeigen von Videos des BF von seiner Teilnahme am Tanzkurs durch seine ehemalige Ehefrau gegenüber dem Gericht) bekannt geworden wäre, dass der BF vom islamischen Glauben abgefallen wäre.

Der BF ist in Österreich unbescholten und seit August 2016 in der CARITAS-Asylunterkunft, XXXX . Er bewohnt dort mit einem weiteren Asylwerber ein Zweibettzimmer. Er ist in Grundversorgung. Er nahm an mehreren Integrationsmaßnahmen teil, so an Start-Wien-Charta-Workshops (AS 105 bis 115) und bestand am 16.04.2018 das Zertifikat Deutsch-B1 des ÖSD ausreichend. Er ist in der Lage und willens, sich auch vor Gericht seiner Deutschkenntnisse zu bedienen (persönlicher Eindruck des Richters in der Verhandlung). Er nahm im Zeitraum vom 19.09.2017 bis aktuell am Projekt "Tanz die Toleranz", einem Integrationsprojekt der CARITAS, bei dem Menschen jeglicher Herkunft gemeinsam unter der Leitung von professionellen Künstlern tanzen, mit außerordentlichem Engagement teil (Beilage 4). Seit September 2018 ist er mit etwa 40 Stunden im Monat ehrenamtlich und freiwillig für die CARITAS in der Einrichtung Brunnenpassage insbesondere mit technischen Hilfeleistungen tätig. Der BF hat den Beruf des Schweißers gelernt und in Iran einige Jahre ausgeübt. Am 27.11.2018 bestätigt die islamische Glaubensgemeinschaft Österreich, dass der BF kein Mitglied dieser Glaubensgemeinschaft ist (Beilage ./1). Der BF beschaffte diese Austrittserklärung und legte sie vor, weil er einen Hass gegen den Islam entwickelt hatte, da seinen Aussagen im Iran keine Beachtung geschenkt worden sei. Nicht festgestellt werden konnte, dass der BF innerhalb der letzten neun oder zehn Monate in Österreich zum Atheisten geworden wäre. Der Bf hat eine Bekanntschaft zu einer Frau in Österreich, ohne in Lebensgemeinschaft zu leben. Darüber hinaus hat er österreichische Bekannte, die ihn schätzen und anerkennen (Beilagen ./A, ./C bis ./E).

Beweiswürdigung:

Die Geburtsdaten des BF, seiner geschiedenen Frau und der Tochter sind urkundlich belegt, letztere undeutlich lesbar. Gleiches gilt für die Feststellungen zur Integration, zum ehrenamtlichen Engagement, sowie zu den Deutschkenntnissen, die auch im Rahmen der Verhandlung unter Beweis gestellt wurden.

Weil der behauptete Verfolgungsgrund auf einen Unfall im Jahr 2007 zurückgeht, der BF aber erst 2015 ausreiste, war wesentlicher Gegenstand des Beweisverfahrens die Frage, inwieweit der genannte Unfall über acht weitere Jahre solche Wirkungen nach sich ziehen konnte, dass sie den BF gerade im Jahr 2015 - auch angesichts seiner Ehe mit einer sehr jungen Frau und seines etwa einjährigen Kindes - zur Ausreise hätten bewegen können.

Im Rahmen der Erstbefragung gab der BF an, als sunnitischer Belutsche vom schiitischen Staat Iran unterdrückt worden zu sein und brachte auch den Druck, der nach dem Unfall auf ihn ausgeübt worden sein soll, in Zusammenhang mit dem Tod schiitischer Soldaten. Vor dem BFA gab der BF an, dass weitere Soldaten - Mitglieder der Revolutionsgarden - bei dem Unfall verletzt worden sein sollen und von ihm Schmerzensgeld wollten. Konkrete Angaben, worin der Druck dieser Soldaten ihm gegenüber bestehe, machte der BF nicht. Er gab an, die ersten 4,5 Jahre nach dem Vorfall seien nicht so schlimm gewesen. Der Druck habe aber zugenommen. Er sei das letzte Mal vor ca. sieben Jahren verhört worden und habe danach immer wieder Ladungen bekommen, sei aber nicht hingegangen. Er habe dann die Stadt gewechselt und von 2013 bis 2015 in Zahedan gelebt. Zwei Soldaten hätten ihn aber dort gefunden, sodass er wieder zu seiner Familie gezogen sei. Vor Gericht gab er ausdrücklich befragt, warum er gerade 2015 ausgereist sei, an, alle Personen hätten bereits Schmerzengeld erhalten, außer zwei Basiji. Deren Familie hätten ihn immer wieder aufgesucht und gemeint, dass er ihre Söhne vorsätzlich getötet habe. Er sei daher nach Zahedan gezogen. Über näheren Vorhalt bezog sich der BF sodann auf zwei Personen, die im Urteil des Militärgerichts (AS 139ff) nicht als getötet bzw. schwer verletzt aufscheinen. Es seien zwei weitere Mitfahrer, die im Urteil nicht als verletzt genannt seien, verletzt worden. Als einziges konkretes Ereignis einer Bedrohung schilderte der BF nach mehrmaligen Vorhalten, dass er in einem nicht näher genannten Zeitpunkt im Sommer 2015 ein Messer samt Text an der Tür vorgefunden habe, dass man ihn gefunden habe. Er brachte dies in Zusammenhang mit XXXX und XXXX . Befragt, welche Verletzungen diese erlitten hätten, gar er zunächst an, an der Schulter, am Rücken und die Beine. Über weitere Befragung gab er an, einer von ihnen habe einen Bruch am Schulterblatt gehabt. Einer habe behauptet, dass er aufgrund von einem Schlag nicht gehen könne. In weiterer Folge gab der BF an, dass es sich auch bei den beiden Genannten um Belutschen handle.

Dem Erscheinungsbild des in Kopie samt Übersetzung vorliegenden Urteils vom 15.12.2008 nach wurde der Fall grundsätzlich rechtsstaatlich abgehandelt. Es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass allfällige schwere Verletzungen weiterer als Mitfahrer genannter Personen in dem knapp zwei Jahre nach dem Vorfall ergangenen Urteil nicht genannt worden wären. Der BF war bei seinen diesbezüglichen Angaben der Verletzungen der Genannten vage und unbestimmt ("ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen soll"). Widersprüchlich ist es, wenn der BF bei Gericht gab, Familien hätten ihn aufgesucht und vorgehalten, dass er ihre Söhne vorsätzlich getötet habe, wobei er in weiterer Folge in diesem Zusammenhang eben nicht auf die Familien der Getöteten, sondern angeblich weiterer verletzter Mitfahrer abstellte. Bei Schilderung des Fluchtgrundes vor dem BFA brachte der BF die Verfolgung in Zusammenhang mit seiner Ethnie der Belutschen und seiner Religion dem Islam sunnitischer Richtung ("ich hätte absichtlich Schiiten umgebracht"). Vor Gericht räumte der BF letztlich betreffend die behauptetermaßen für die Ausreise 2015 verantwortliche Verfolgung ein, die beiden genannten Personen seien wie er Belutschen.

Schließlich konnte der BF auch nicht nachvollziehbar darstellen, worin über Jahre hindurch ein derartiger Druck gelegen sein soll, wenn in einem Zeitraum von acht Jahren (ab dem Unfall Anfang 2007) lediglich ein Vorfall geschildert wird, an dem der BF an einem neuen Aufenthaltsort gesucht worden wäre, aber ohnehin nicht angetroffen wurde. Unvereinbar ist es auch, wenn der BF angibt, nachdem er die Nachricht von den Basiji in Mershar an der Tür gefunden habe, habe er sich entschieden auszureisen und habe seine Familie zurückgelassen (Protokoll Seite 9), während er vor dem BFA angab, zwei Soldaten, die Geld von ihm wollten, hätten ihn gefunden, er sei dann wieder zurück zu seiner Familie gezogen (Protokoll BFA S 10).

Der BF behauptete zwar, in diesem Zusammenhang gefoltert worden zu sein, machte dazu aber auch auf Nachfrage keinerlei konkrete Angaben, wann und durch wen ("nach dem Vorfall und vor dem Urteil, von der Regierung aus"). Einmal meinte er, das Gericht sei bis 2009 für alles zuständi gewesen, dann meinte er, zuletzt sei er 2011 von der Regierung geladen worden. Weiters gab er an, er habe damals noch das Gerichtsverfahren wegen dem beschädigten Auto "am Hals" gehabt und sei zusätzlich von diesen zwei Personen unter Druck gesetzt worden. Zuvor hatte er angegeben, "diese Personen" hätten sich erst nach dem Gerichtsverfahren gemeldet.

Insgesamt ist es dem BF daher nicht gelungen, auch angesichts des durchaus schwerwiegenden objektiven Vorfalls 2007 über acht Jahre gehende und sich steigernde Bedrohungen durch staatliche Organe selbst bzw zwei konkrete, dem Staat nahestehende Personen nachvollziehbar zu machen. Es wäre schon denkbar, dass angesichts bestimmter Umstände "leerausgehende" allenfalls weitere Verletzte versuchten, Ansprüche gegenüber dem BF geltend zu machen. Angesichts der vielen Widersprüche und mangelnden Aufklärung trotz Nachfrage blieben die behaupteten, über den Inhalt des vorgelegten Urteils hinausgehenden Umstände aber unglaubhaft. Auch die gerade unter Vorhalt geschilderte Bedrohungsintensität (Messer sowie Nachricht an der Tür), wobei der BF nicht anwesend war, ist nicht angetan, eine sofortige Abreise angesichts der jungen Familie nachvollziehbar zu begründen, wobei der BF ja in den ersten zwei Jahren in Österreich nahezu täglich Kontakt mit seiner Frau gehabt haben will, sodass auf eine intakte familiäre Beziehung zu schließen wäre.

Die Negativfeststellung zur Behauptung, die iranischen Behörden hätten bei der Scheidung von seiner Schwiegermutter Videos des BF vom Tanzkurs, auf denen er beim Tanz mit anderen Frauen zu sehen sei, damit er als Ungläubiger gelte, gezeigt bekommen, beruht einerseits darauf, dass er hiezu zwar eine behördliche Mittelung über den möglichen elektronischen Abruf einer Gerichtsentscheidung über die Scheidung vorlegte, letztlich aber ohne taugliche Argumente offenbar keinerlei Bemühungen setzte, um dieses Schreiben zu erlangen. Die Behauptung, sein Wissen über die Scheidung von seinem Bruder Ali, der dabei gewesen sei, bzw von seinen Verwandten zu haben, ist für entsprechende Feststellungen zu vage.

Erst am Schluss der Verhandlung erfolgte über Befragung durch den Rechtsvertreter des BF die Behauptung eines vor 9 bis 10 Monaten erfolgten Abfalls vom islamischen Glauben, der BF sei Atheist. Diese Aussage erfolgte ohne jeglichen Kontext zum bisherigen Verfahren. Die Bestätigung, kein Mitglied der islamischen Glaubensgemeinschaft zu sein, erfolgte offenbar nach Anberaumung der ehelichen Verhandlung. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass der BF aufgrund des schwerwiegenden Vorfalls beim Militär und der daraus resultierenden behördlichen Konsequenzen keine positive Sicht auf iranische Institutionen hat. Befragt danach, weshalb er angesichts seiner vorigen Angaben, sunnitischer Moslem zu sein, seit 10 bis 11 Monaten Atheist sein soll, gab er an, im Zusammenhang mit dem Tanzkurs habe er erkannt, dass seine Denkweisen mit den islamischen Vorschriften nicht harmonisierten, weshalb er sich seit ungefähr zehn oder elf Monaten als Atheist sehe. Dieser Umstand ist keineswegs ausreichend, angesichts des Umstandes, dass sich der BF zuvor gerade als Sunnit verfolgt sah, eine relevante innere Abkehr vom islamischen Glauben sunnitischer Richtung glaubhaft zu machen.

Zum Zeitpunkt der Befragung vor dem BFA im Oktober 2017 schildert der BF enge telefonische bzw Whats-s App-Kontakte mit seiner Familie und seiner Frau, dies immerhin noch 2 Jahre nach seiner Ausreise. Die Behauptung in der Verhandlung, zu diesem Zeitpunkt sei er sowohl von seiner Familie als auch jener seiner Frau "bedroht" worden, machte der BF durch keinerlei Beispiel bzw Darstellung von Motiven oder zeitliche Abfolge nachvollziehbar, sodass auch hiezu Negativfeststellungen zu erfolgen hatten.

Aufgrund der insbesondere in der Verhandlung erfolgten erweiterten Beweisgrundlage erübrigt sich ein Eingehen auf die Beweiswürdigung der belangten Behörde.

Rechtlich folgt:

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Gemäß Abs 2 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Heimatstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Gemäß Abs 3 ist der Antrag abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht oder ein Asylauschlussgrund gesetzt wurde.

Gemäß § 2 Abs 1 Z 11 und 12 ist Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art 9 Statusrichtlinie, Verfolgungsgrund ein in Art 10 Statusrichtlinie genannter Grund.

Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach Art 9 der Statusrichtlinie (2011/95/EU) muss eine Verfolgungshandlung iSd Genfer Flüchtlingskonvention aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt oder in einer Kulminierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist.

Unter anderem können als Verfolgung folgende Handlungen gelten:

? Anwendung physischer oder psychischer, einschließlich sexueller Gewalt,

? gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder diskriminierend angewandt werden,

? unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,

? Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,

? Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich des Art 12 Abs 2 fallen und

? Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Der BF behauptet, im Zusammenhang mit seiner Zugehörigkeit zur Ethnie der Belutschen und der religiösen Zughörigkeit zu den Sunniten (nach den Feststellungen sind diese Umstände in Sistan Belutschistan in der Regel überdeckend und relevant für die dort latenten Spannungen) eine Schlechtbehandlung vor Gericht nach der Verursachung eines Unfalls und Verfolgung iZm diesen Umständen. Da die Konventionsgründe teilweise durchaus überdeckend sind, ist damit in erster Linie eine Verfolgung aus den Konventionsgründen der Rasse, der Nationalität und der Religion angesprochen.

Nach den Feststellungen (Länderinformationen Iran) sind zwar objektive Verhältnisse in Sistan Belutschistan gegeben, die eine Verfolgung als sunnitischer Belutsche nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen lassen, aufgrund der Feststellungen ist in concreto die behauptete Verfolgung aber nicht glaubhaft. Obzwar der BF in der Erstbefragung

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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