Entscheidungsdatum
27.06.2019Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
I414 2212475-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Vorsitzender und die Richterin MMag. Alexandra JUNKER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Elisabeth RIEDER als Beisitzerin über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX (SMS) vom XXXX, betreffend den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung", in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Am 04.06.2018 beantragte Frau XXXX, geb. am XXXX (in der Folge als Beschwerdeführerin bezeichnet) die Ausstellung eines Behindertenpasses und die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung".
Die Beschwerdeführerin war bereits zuvor in Besitz eines befristeten Behindertenpasses und wurde mit der Erstellung eines medizinischen Sachverständigengutachtens Dr. F. vom Sozialministeriumservice (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet) beauftragt.
In einem Gutachten vom 12.07.2018 stellte Dr. E. einen Grad der Behinderung von 50% fest. Nach übermitteltem Parteiengehör und Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen stellte der weitere Sachverständige Dr. V. im Gutachten vom 27.11.2018 und nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin einen Gesamtgrad der Behinderung von 70% fest.
Es wurden folgende Leiden angegeben:
"1. Diabetes mellitus, Diabetes mellitus mit häufigen Ketoacidosen und schweren häufigen Hypoglycämien oder ausgeprägten Spätkomplikationen
Insulinpflichtige Diabetes mellitus mit instabiler Stoffwechsellage. Stark schwankende Blutzuckerwerte mit unbefriedigender Gesamtdarstellung des HbA1c. Aktuell 8,4 %. Trotz Sensormessung des Blutzuckers immer wieder starke Schwankungen. diabetische Polyneuropathie mit leichter Ataxie.
2. Wirbelsäule, Wirbelsäule - Funktionseinschränkungen geringen Grades
chronische Rückenschmerzen mit zwar dauerhaften aber nur geringen Beschwerden.
3. Endokrine Störung, Endokrine Störungen leichten Grades
Z.n. Hyperthyreose Mb. Basedow mit derzeit guter Stoffwechsellage ohne Substitutionstherapie"
Zur Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gab Dr. V. an, dass diese zumutbar sei. Trotz bestehender Polyneuropathie sei das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke und ein sicherer Transport gut möglich. Es liege auch keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor.
Der Beschwerdeführerin wurde ein Behindertenpass ausgestellt, die Vornahme der Zusatzeintragung wurde hingegen mit Bescheid vom 28.11.2018 abgewiesen. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen.
Dagegen wurde rechtzeitig und zulässig Beschwerde erhoben. Die Beschwerdeführerin moniert insbesondere, dass sie im Falle einer akut auftretenden Hypo- oder Hyperglykämie eine kurze Wegstrecke von 300-400 Meter nicht zurücklegen könne. Das Auto sei für sie ein "Zuckerlager" und eine Ruhestation, bis sich der Zuckerhaushalt normalisiert habe. Außerdem sei ihr zuvor schon einmal die Zusatzeintragung gewährt worden, es habe sich nichts verbessert. Sie müsse auch für ihren Beruf öfters große Gegenstände transportieren und würde sie ihr großer Kombi ohne diesen Eintrag in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten bringen.
Vom erkennender Gericht wurde ein Ergänzungsgutachten eingeholt. Am 16.04.2019 langte ein solches von Dr. E. ein und beantwortete er die gestellten Fragen sehr ausführlich wie folgt:
"[...] Ad 1.
Fragestellung: kann die Beschwerdeführerin eine kurze Wegstrecke (ca. 300-400 m) aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe (allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe) zurücklegen?
Beantwortung: die Patientin ist in der Lage eine kurze Wegstrecke 300-400 m aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zurückzulegen.
Begründung: es besteht ein seit 2010 bekannter, erstmals im Rahmen einer Schwangerschaft aufgetretener Diabetes mellitus. 2012 wurde ein Diabetes mellitus Typ 1 diagnostiziert. Seither ist die Patientin insulinpflichtig, anfangs mit einer Insulinpumpe versorgt, aktuell wird eine Basis-Bolustherapie durchgeführt. Die Patientin ist mit einem Glukosesensor versorgt. Bereits im Jahr 2015 wurde sie von mir erstmals begutachtet. Damals berichtete sie über wiederkehrende Schwindelzustände bei Unterzuckerungen bis 40 mg Prozent. Sie habe dann Angst, dass sie mit den Kindern stürze, eine Bewusstlosigkeit ist auch damals noch nicht aufgetreten. Sie beklagte aber, dass sie sich gelegentlich hinsetzen müsse und nicht mehr weitergehen könne bis der Traubenzucker wirke. Bereits damals wurden keine Kriterien für die "Unzumutbarkeit zu Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" festgestellt. Im Jahr 2018 wurde die Patientin von mir erneut begutachtet und es konnten wiederum keine Kriterien für eine Unzumutbarkeit festgestellt. Diese Einschätzung erfolgte aufgrund fehlender Sturzereignisse die entweder in einem klinischen Bericht oder im neurologischen Untersuchungsbericht, ausgestellt von Dr. S. Z., Facharzt für Innere Medizin in Lustenau, erwähnt wurden. Dr. W. erwähnt in seinem neurologischen Arztbrief einen Diabetes mit Komplikationen mit rezidivierenden Hypoglykämien der schwer einstellbar sei und deswegen eine engmaschige internistische Behandlung weiterhin erforderlich mache. Die neurologische Untersuchung ergab eine diabetische Polyneuropathie mit nächtlich betonten Missempfindungen der Füße und Beine, auch tagsüber Gefühlstörungen der Füße. Zudem besteht eine leichte sensible Ataxie. Im November 2018 wurde die Patientin erneut begutachtet, diesmal durch Dr. A. V., Facharzt für Innere Medizin. Er stellt zwar einen höheren Grad der Behinderung des Diabetes mellitus mit häufigen Ketoazidosen und schweren Hypoglykämien fest, kommt aber zum Schluss, dass die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel trotz einer bestehenden Polyneuropathie zumutbar ist und das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke und ein sicherer Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel gut möglich ist.
In einem Arztbrief der Diabetesambulanz des Landeskrankenhauses Feldkirch vom August 2018 werden keine Hypo- oder Hyperglykämien erwähnt. Die Patientin verwendet einen Freestyle-Libre zur kontinuierlichen Glukoseaufzeichnung. Die durchschnittlichen Zuckerwerte lagen bei ca. 200 mg/dl und damit deutlich über dem Zielbereich. Der letzte HbA1c vom 25.7.2018 ist mit 8 % angegeben.
Weiters wird eine anhaltende diabetische beinbetonte Polyneuropathie festgestellt durch Dr. W., Facharzt für Neurologie in Bludenz, erwähnt.
Einspruch der Beschwerdeführerin: "da ich im Falle einer auftretenden Hypo- oder Hyperglykämie keinen Weg (teilweise keine 10 m schon gar keine 300-400 m um danach an einer Bushaltestelle zu stehen) zurücklegen kann und ich das Auto als "Zuckerlager" und auch als Ruhestation brauche bis sich der Zuckerhaushalt normalisiert hat".
Dazu ist festzuhalten, dass sich Hypoglykämien aber auf jeden Fall Hyperglykämien nicht im Sinne eines Kollapses zeigen. Beide Störungen des Zuckerhaushaltes kündigen sich mit vorausgehenden Symptomen an, die ein Diabetiker üblicherweise erkennt oder erkennen sollte und sofortige geeignete Maßnahmen ergreifen kann um diese zu beseitigen. Dies gilt vor allem im Sinne von Hypoglykämien. Unterzuckerungen (Hypoglykämien), die in einer Bewusstlosigkeit resultieren, werden üblicherweise von Notarztsystemen therapiert, führen häufig zu stationären Aufnahmen. Dies wird weder von der Patientin erwähnt noch finden sich Arztbriefe zu solchen Ereignissen. Hyperglykämien führen allenfalls zu einem hypoglykämischen Koma oder einer ausgeprägten Ketoazidose, die sich nicht in akuten Kollapszuständen zeigen.
In diesem Zusammenhang müsste natürlich auch die Frage gestellt werden, ob die Patientin überhaupt ein Fahrzeug lenken darf, wenn sie wiederholt Hypoglykämien mit Bewusstlosigkeit oder kollapsartigen Zuständen hat.
Das Fahrzeug als Zuckerlager oder als Ruhestation ist kein stichhaltiges Argument, da sich die notwendige Zuckerrotation zur Behebung einer Unterzuckerung ohne Probleme in einer Handtasche oder Manteltasche transportieren lässt.
[...]
Ad 2.
Fragestellung: kann die Beschwerdeführerin eine kurze Wegstrecke ca. 300-400 m ohne Unterbrechungen zurücklegen?
Beantwortung: die Patientin ist trotz ihrer diabetischen Spätfolgen einer Polyneuropathie in der Lage, eine kurze Wegstrecke ohne Unterbrechungen zurückzulegen. In keinem der vorliegenden Berichte der Diabetesambulanz des Landeskrankenhauses XXXX oder XXXX werden Gründe genannt, die das Zurücklegen einer Wegstrecke von 300-400 m nicht zulassen würden.
Ad 3:
Fragestellung: ist ein sicherer Transport im öffentlichen Verkehrsmittel möglich?
Beantwortung: ein sicherer Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist möglich, da die Patientin bei Symptomen einer allfälligen Hypoglykämie jederzeit eine Ration Traubenzucker bei sich haben muss und entsprechend einnehmen kann.
Ad 4:
Fragestellung: erschwert die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung des öffentlichen Verkehrsmittels in hohem Maß?
Beantwortung: die Patientin hat keine erforderlichen Behelfe, die die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels in hohem Maße erschweren würde.
Ad 5:
Fragestellung: wirkt sich die dauernde Gesundheitsschädigung/die dauernden Gesundheitsschädigungen auf die Möglichkeit des Ein-und Aussteigens (zu überwindende Niveauunterschiede) und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel (u.a. beim Stehen oder bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt) unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen? Beantwortung: die vorliegenden Gesundheitsschädigungen beeinträchtigen weder die Möglichkeit des Ein-und Aussteigens oder die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel.
Ad 6:
Fragestellung: bestehen bei der Beschwerdeführerin erhebliche Einschränkungen der Funktion der unteren Extremitäten?
Beantwortung: die Patientin leidet zwar an einer diabetischen Polyneuropathie mit Gefühlstörungen und leichter Ataxie. Diese Einschränkungen sind jedoch nicht derartig schwer, dass eine Wegstrecke von 300-400 m nicht bewältigt werden könnte oder das sichere Ein-Aussteigen und der Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht möglich wären.
Ad 7:
Fragestellung: bestehen bei der Beschwerdeführerin erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit?
Beantwortung: bei der Beschwerdeführerin bestehen keine Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit, dass die Zurücklegung einer Wegstrecke von 300-400 m oder das sichere Ein-/Aussteigen oder der Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel unmöglich wären.
Ad8:
Fragestellung: bestehen beim Beschwerdeführer erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten bzw. Funktionen?
Beantwortung: bei der Patientin bestehen keine Einschränkungen psychische, neurologische oder intellektuelle Fähigkeiten bzw. Funktionen die das Zurücklegung einer Wegstrecke von 300-400 m oder das sichere Ein-Aussteigen oder der Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel verunmöglichen würden [...]".
Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien im Rahmen eines Parteiengehörs vom 16.04.2019 zur Kenntnis gebracht. Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme wurde bis dato nicht Gebrauch gemacht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zunächst wird der unter Pkt. I. dargestellte Verfahrensgang als Sachverhalt festgestellt.
Die Beschwerdeführerin leidet unter insulinpflichtigem Diabetes mellitus mit instabiler Stoffwechsellage, einer Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule leichten Grades und an einer endokrinen Störung.
Der Beschwerdeführerin sind das Ein- und Aussteigen in das bzw. aus dem Transportmittel sowie der sichere Transport im Verkehrsmittel möglich. Des Weiteren kann sie auch eine kurze Wegstrecke (300-400m) aus eigener Kraft und ohne Unterbrechung zurücklegen.
Bei der Beschwerdeführerin bestehen keine erheblichen Einschränkungen der psychischen, neurologischen oder intellektuellen Fähigkeiten oder Funktionen. Sie ist weder hochgradig sehbehindert, noch blind oder taubblind. Bei der Beschwerdeführerin besteht auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems.
2. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt und Angaben zur Person und zum Pass ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und sind unstrittig.
Die festgestellten Funktionseinschränkungen ergeben sich aus dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. V. vom 27.11.2018 und dem vom erkennenden Gericht ergänzend eingeholten Gutachten von Dr. E. Das Bundesverwaltungsgericht kann nichts finden, was die Schlüssigkeit, Nachvollziehbarkeit und Vollständigkeit dieser Gutachten oder die Person der Sachverständigen in Frage stellen würde. Es geht daher davon aus, dass es diese Gutachten seinen Feststellungen ohne Bedenken zu Grunde legen kann.
Die Beschwerdeführerin ist den in den Gutachten getroffenen Feststellungen auch nicht substantiiert entgegengetreten. Die im Rahmen der Beschwerde ins Spiel gebrachten akuten Anfälle von Hypo- bzw. Hyperglykämie lassen sich in den vorgelegten Arztbriefen nicht nachvollziehen. Der Gutachter Dr. E. hat sich mit dem Beschwerdevorbringen ausführlich auseinander gesetzt und konnte nachvollziehbar aufzeigen, dass keinerlei Sturzereignisse dokumentiert sind und sich eine Hyperglykämie nicht - wie die Beschwerdeführerin vorbringt - im Sinne eines Kollapses äußert. Auch eine Hypoglykämie zeichnet sich nach Angaben des Sachverständigen frühzeitig ab und können sofort geeignete Maßnahmen getroffen werden. Die Beschwerdeführerin ist zwar auf Behelfe, nämlich eine Zuckerration für einen Notfall, angewiesen, doch kann diese ohne Probleme in einer Tasche mitgeführt werden und erschwert die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht.
Auch die weiteren Fragen nach möglichen Beeinträchtigungen, die ein Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- bzw. Aussteigen oder den sicheren Transport verunmöglichen würden, wurden vom Sachverständigen ausführlich und verständlich beantworten.
Im Ergebnis ergibt sich ein eindeutiges und widerspruchfreies Gutachten und wurde die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel schlüssig bejaht. Daran ändert auch das weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin nichts, wonach ihr schon zu einem früheren Zeitpunkt die Zusatzeintragung gewährt wurde. Die medizinischen Sachverständigen haben sich mit dem aktuellen Gesundheitszustand auseinander gesetzt und aufgezeigt, weshalb keine der Funktionsbeeinträchtigungen eine Zusatzeintragung bedingt.
Auch der Einwand, dass die Nichtgewährung der Zusatzeintragung die Beschwerdeführerin mit ihrem großen Kombi in finanzielle Schwierigkeiten bringen würde, kann bei der Beurteilung der körperlichen Voraussetzungen keine Berücksichtigung finden. Dazu sei ausgeführt, dass ihr trotz Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel die Verwendung ihres PKWs weiterhin unbenommen möglich ist.
Die Beschwerdeführerin ist daher den im Auftrag der belangten Behörde und dem ergänzend eingeholten Gutachten nicht bzw. letztlich mangels Abgabe einer Stellungnahme nicht mehr entgegengetreten und erweisen sich diese aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes auch als schlüssig, plausibel und nachvollziehbar.
Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:
Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße - und zu begründende - Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH). Gemäß Abs. 3 leg.cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde sowie aus den eingeholten Gutachten. Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zum ergänzend eingeholten Sachverständigengutachten wurde nicht Gebrauch gemacht. Der Sachverhalt gilt für den erkennenden Senat somit als erwiesen und unbestritten. Dies lässt - gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass eine mündliche Verhandlung nicht beantragt wurde - die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Nach § 7 Abs 1 BVwGG bestehen Senate aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.
§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl 1990/283 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:
"(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen."
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten wie folgt:
"ABSCHNITT VI
BEHINDERTENPASS
§ 40 (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
§ 42 (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(2) Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu."
§ 1 Abs 4 Z 3 und Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 263/2016, lautet wie folgt:
"Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen."
3.2.1. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. ua. VwGH vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186, oder vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128).
Nach den Ausführungen der Gutachter Dr. E. und auch Dr. V. wirken sich die dauernden Gesundheitsschädigungen nicht maßgebend auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens sowie auf das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke aus. Der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht eingeschränkt. Insbesondere wird Augenmerk darauf gelegt, dass eine Akutsituation leicht zu vermeiden ist und das Mitführen einer Zuckerration problemlos möglich ist. Konkret konnten keine derartigen Szenarien objektiviert werden.
Eine Einschränkung des Immunsystems, die ein Benützen von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zulässt, besteht nicht.
Das Ermittlungsverfahren hat des Weiteren ergeben, dass die Beschwerdeführerin weder blind noch hochgradig sehbehindert oder taubblind ist. Auch ist sie nicht in ihren psychischen, neurologischen oder intellektuellen Funktionen erheblich eingeschränkt.
Ebenso wurde im Gutachten ausgeführt, dass erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit nicht vorliegen und kann deshalb von einer dauernden Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausgegangen werden. Insgesamt ist daher festzuhalten, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung" im Behindertenpass nicht vorliegen, weshalb die Beschwerde abzuweisen war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:I414.2212475.1.00Zuletzt aktualisiert am
22.08.2019