Entscheidungsdatum
07.05.2019Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Spruch
W154 2170514-2/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.05.2019, Zahl:
1092830710/190373385, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe:
A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs 2 und § 22 Abs 10 AsylG 2005 iVm § 22 BFA-Verfahrensgesetz rechtmäßig.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
Der Fremde (in Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 8.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund brachte er vor, dass er ab seinem siebten Lebensjahr im Iran gelebt habe. Er wäre von den iranischen Behörden entweder nach Afghanistan abgeschoben oder in den Krieg nach Syrien geschickt worden. Zudem könne der BF nicht zurück nach Afghanistan, weil er zum christlichen Glauben übergetreten sei.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Antrag des BF mit Bescheid vom 28.8.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw. subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte unter einem fest, dass eine Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei.
Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 16.2.2018 als unbegründet ab. Weiters sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
Das BVwG stellte im Wesentlichen fest, dass der BF in einer evangelischen Kirche getauft worden sei, regelmäßig die Kirche besuche und Einladungen zu Kaffeetreffen der Kirchengemeinschaft wahrnehme. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass der christliche Glaube wesentlicher Bestandteil der Identität des BF geworden sei und er seinem damaligen Interesse für den christlichen Glauben im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen würde.
In der Beschwerde habe der BF ausgeführt, dass er "nicht sehr gläubig" sei, "aber immer wieder die Kirche der Zeugen Jehovas" besuche. Auffallend sei sein "ständiger Richtungs- und Kirchenwechsel". Beispielsweise habe er als Begründung für den damaligen Besuch der Life Church in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG angegeben, dass ihm die Kirche gut gefalle, weil die Menschen "viel netter und lieber" gewesen seien. Der BF habe lediglich beschrieben, dass er sich in der Gemeinschaft dieser Menschen wohl und respektiert fühle. Mit diesen Ausführungen habe der BF jedoch keine innere Glaubenshaltung dargelegt. Eine innere Konversion des BF zum Christentum habe somit nicht festgestellt werden können.
Hinsichtlich der Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes führte das BVwG aus, dass dem BF - einem erwachsenen, gesunden Mann mit Schulbildung und langjähriger beruflicher Erfahrung, der die Landessprache beherrsche - die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul offenstehe.
Die gegen die Entscheidung des BVwG erhobene Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 7.5.2018, Ra 2018/20/0186, zurückgewiesen.
Die Behandlung der gegen die Entscheidung des BVwG erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 27.6.2018, E 1287/2018, abgelehnt.
Am 11.4.2019 stellte der BF den zweiten, verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Am selben Tag fand eine niederschriftliche Erstbefragung des BF vor der Landespolizeidirektion Niederösterreich, Polizeiinspektion Schwechat, statt, im Rahmen derer der BF im Wesentlichen angab, in Afghanistan niemanden mehr zu haben und dort aufgrund seines Religionswechsels wahrscheinlich getötet zu werden. Er habe von einer, namentlich näher genannten Person, die abgeschoben worden sei und nun in Kabul lebe, einen Anruf erhalten, wonach er von dieser im Falle einer Abschiebung aufgrund des Religionswechsels getötet werden würde.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 2.5.2019 brachte der BF im Wesentlichen vor, dass seine im Erstverfahren geltend gemachten Gründe weiterhin bestehen würden. Zusätzlich sei es während seines Aufenthaltes in Frankreich zu einer telefonischen Bedrohung durch einen anderen afghanischen Staatsangehörigen, der ins Heimatland abgeschoben worden sei, gekommen; dieser habe ihm telefonisch angedroht, ihn aufgrund seines Religionswechsels zu töten. Danach habe es, etwa drei Wochen später, einen weiteren Anruf von jener Person gegeben, der BF habe damals aber nicht mehr abgehoben. Seither habe er nichts mehr von jener Person gehört. Zusätzlich machte der BF geltend, nunmehr psychische Probleme zu haben und diesbezüglich auch in ärztlicher Behandlung zu stehen und Medikamente einzunehmen. Diese hätten in Frankreich begonnen, dort sei er aber niemals in ärztlicher Behandlung gestanden.
Mit mündlich verkündetem Bescheid hob die belangte Behörde am 2.5.2019 den faktischen Abschiebeschutz des BF auf. Zum aktuellen Vorbringen der Konversion sei anzumerken, dass dieses bereits im Vorverfahren ausreichend gewürdigt und vom Bundesverwaltungsgericht als unglaubwürdig befunden worden sei (die dagegen erhobene Revision sei in der Folge vom Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen und die Behandlung der Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof abgelehnt worden). Die Schilderung des neuen Vorbringens sei vage und unpräzise, die Ausführungen hinsichtlich der stattgefundenen telefonischen Bedrohung durch die genannte Person seien sehr oberflächlich und wenig detailreich geblieben. Das Vorbringen sei daher nicht glaubhaft, weshalb sich der maßgebliche Sachverhalt nicht geändert habe und der Antrag voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werde.
Mit Schriftsatz vom 3.5.2019, eingelangt beim BVwG am selben Tag, erstattete der BF durch seine Rechtsvertretung eine Stellungnahme zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes. Dabei wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im Erstverfahren eine Rückkehr des BF in seine Heimatsprovinz nicht möglich sei, ihm jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen stünde. Laut den UNHCR- Richtlinien zur Beurteilung internationaler Schutzbedürftigkeit von AsylwerberInnen aus Afghanistan vom 30.8.2018 stehe eine solche innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul dem BF nicht mehr offen. Obwohl darauf bereits in einer Stellungnahme im Zuge der Einvernahme vor Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes hingewiesen worden sei, habe sich die Behörde damit nicht auseinandergesetzt. Aus dem Bescheid gehe nicht hervor, wohin der BF überhaupt abgeschoben werden solle, da sowohl eine Abschiebung in die Heimatprovinz noch nach Kabul möglich sei. Zudem habe sich der psychische Zustand des BF massiv verschlechtert, was sich aus dem vorgelegten Befund ergebe.
In Bezug auf die Konversion meint die Beschwerde, dass der BF nunmehr das Problem habe, dass seine nach außen sichtbare Konversion (der BF habe sich offiziell taufen lassen) in Afghanistan bekannt worden sei und dem BF aus diesem Grund Verfolgung aus religiösen Gründen drohe. Es sei unzureichend, wenn die Behörde darauf verweise, der neue Grund würde sich auf seine Konversion beziehen, die schon im Vorverfahren als unglaubwürdig befunden worden sei, da lediglich die innere Konversion für unglaubwürdig befunden worden sei, die nach außen sichtbare Taufe sei hingegen durch ein Taufzertifikat belegt worden.
Mangels Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 12a AsylG erscheine die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes weder zulässig noch gerechtfertigt, da einerseits der Antrag nicht wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei und insbesondere die ernsthafte Gefahr einer Verletzung von Art. 2,3 und 8 EMRK bestehe, auch da sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert habe, Kabul nicht mehr als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe und sich der psychische Zustand des BF massiv verschlechtert habe.
Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt von Amts wegen am 2.5.2019, hg eingelangt am 6.5.2019, dem Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes vorgelegt.
Beweise wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und in den Verwaltungs- und Gerichtsakt des Vorverfahrens zur hg AZ W269 2170514-1 sowie in das Länderinformationsblatt (LIB) der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 26.03.2019 und die UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Der folgende Sachverhalt steht fest:
1.1. Der BF führt den im Spruch angeführten Namen und ist am XXXX in Afghanistan in der Provinz Maidan Wardak im Distrikt Behsud in einem Dorf namens XXXX geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara.
Der BF ist im Alter von ca. sieben Jahren mit seiner Familie in den Iran gezogen, wo sich die Familie in der Provinz Maschhad ansiedelte.
Der BF ging im Iran nicht zur Schule, genoss aber Hausunterricht. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er spricht weiters Farsi und ein wenig Deutsch und kann auf Farsi lesen und schreiben. Der Beschwerdeführer arbeitete im Iran im Baubereich als Fliesenleger, womit er seinen Unterhalt weitgehend selbst finanzierte.
Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.
Der BF leidet unter Schlafstörungen und gelegentlichen Merkschwierigkeiten. Er leidet unter keiner lebensbedrohlichen Erkrankung und ist arbeitsfähig.
1.2. Der BF stellte am 8.10.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund brachte er vor, dass er ab seinem siebten Lebensjahr im Iran gelebt habe. Er wäre von den iranischen Behörden entweder nach Afghanistan abgeschoben oder in den Krieg nach Syrien geschickt worden. Zudem könne er nicht zurück nach Afghanistan, weil er zum christlichen Glauben übergetreten sei.
Das BFA wies den Antrag des BF mit Bescheid vom 28.8.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw. subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte unter einem fest, dass eine Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig ist.
Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 16.2.2018 als unbegründet ab.
Die gegen die Entscheidung des BVwG erhobene Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 7.5.2018, Ra 2018/20/0186, zurückgewiesen.
Die Behandlung der gegen die Entscheidung des BVwG erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 27.6.2018, E 1287/2018, abgelehnt.
1.3. Am 11.4.2019 stellte der BF einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde er am 11.4.2019 und 2.5.2019 einvernommen. Der BF führte dabei begründend aus, dass seine im Vorverfahren genannten Gründe zum einen nach wie vor aufrecht sind. Er war sieben Jahre alt, als er Afghanistan verlassen hat. Er hat dort auch Feinde. Aufgrund seiner Konversion kann er nicht nach Afghanistan zurückgehen. Afghanistan ist nicht sicher. Zum anderen hat er einen privaten Feind. Aufgrund des Religionswechsels wird er seitens jenes Mannes, der bereits nach Afghanistan abgeschoben worden ist, bedroht. Seit er seine negative Asylentscheidung bekommen hat, lehnen ihn auch seine Familienangehörigen wegen seines Religionswechsels ab.
1.4. Die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat des BF hat sich gegenüber den im rechtskräftig negativ abgeschlossenen Vorverfahren getroffenen Feststellungen insofern geändert, als dass die Stadt Kabul nicht mehr als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht.
1.5. Zur Lage in Herat (LIB Kapitel 3.13.):
Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat- Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).
In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).
Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).
Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).
Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).
Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).
Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen in Herat:
In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vgl. AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat:
Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;
vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;
vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban- Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017).
Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018).
ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).
1.6. Zur Lage in Balkh im Allgemeinen und Mazar-e-Sharif im Besonderen (LIB Kapitel 3.5.):
Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).
Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).
Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:
Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).
Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).
Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).
Allgemeine Information zur Sicherheitslage:
Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).
Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).
In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).
Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen in Balkh:
Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).
Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh:
Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).
Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zum Verfahrensgang und zu den persönlichen Daten des BF gründen sich auf den unbedenklichen Verwaltungsakt bzw. dem hg Akt zum Erstverfahren, AZ W269 2170514-1.
2.2. Die Feststellungen, wonach hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Fremden gegenüber den im rechtskräftig negativ abgeschlossenen Vorverfahren getroffenen Feststellungen nur in Hinblick auf den Entfall von Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative Änderungen eingetreten sind, beruhen auf einen Vergleich zwischen dem, dem hg Erkenntnis zur AZ W269 2170514-1 zu Grunde liegenden Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 21.12.2017, und den, dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichten aktuelleren Datums (UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 und aktuelles Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 26.03.2019). Die diesen Berichten zugrundeliegenden Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
2.3. Die Feststellungen zur Lage in Mazar-e-Sharif und Herat beruht auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 26.03.2019.
2.4. Die Feststellungen zur Integration des BF gründen auf dem hg Erkenntnis vom 09.04.2018 zum Erstverfahren, AZ W220 2107755-1.
2.5. Die Feststellungen zu Integration, Familienstand und Gesundheitszustand des BF gründen auf seiner Einvernahme vor der belangten Behörde vom 2.5.2019.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1 Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtsgrundlagen lauten wie folgt:
Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 leg cit die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 dieser Bestimmung findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
§ 12 Abs 1 AsylG 2005 ("Faktischer Abschiebeschutz") lautet:
"Ein Fremder, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, kann, außer in den Fällen des § 12a, bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder nach einer Einstellung bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 24 Abs. 2 nicht mehr zulässig ist, weder zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden (faktischer Abschiebeschutz); § 32 bleibt unberührt. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet ist zulässig. Ein auf Grund anderer Bundesgesetze bestehendes Aufenthaltsrecht bleibt unberührt. § 16 Abs. 4 BFA-VG gilt."
Der mit "Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen" überschriebene § 12a AsylG 2005 lautet (auszugsweise):
"(1) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn
1.-4. [...]
(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn
1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,
2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und
3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(3) - (6) [...]"
§ 22 BFA-VG, der die Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes regelt, lautet:
"(1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.
(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.
(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."
3.2 Zur Anwendbarkeit des § 12a Abs 2 AsylG 2005
Die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 ist den Fällen des Abs 1 leg cit subsidiär, in welchen Fremden dieser Schutz schon ex lege nicht zukommt. Hier liegt kein Fall des Abs 1 leg cit vor, weil der erste Asylantrag des BF in der Sache entschieden wurde.
Zu prüfen ist daher, ob die Voraussetzungen für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 vorliegen:
3.2.1 Zum Vorliegen einer aufrechten Rückkehrentscheidung (Z1)
Das Vorliegen einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, einer Ausweisung gemäß § 66 FPG oder eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG ist notwendiges Tatbestandselement des § 12a Abs 2 AsylG 2005. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.2.2018, Zahl: W269 2170514-1/11E, wurde gegen den BF rechtskräftig eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG getroffen.
3.2.2 Zum Vorliegen einer entschiedenen Sache (Z2)
Eine weitere Voraussetzung für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes ist, dass "der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist". Es ist also eine Prognose darüber zu treffen, ob der Antrag voraussichtlich (insbesondere wegen entschiedener Sache) zurückzuweisen sein wird (§ 12a Abs 2 Z 2 AsylG 2005).
Nach der Rechtsprechung zu § 68 Abs 1 AVG liegen verschiedene "Sachen" im Sinne des vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (siehe zB VwGH 17.09.2008 2008/23/0684). Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl jüngst VwGH 18.12.2018 Ra 2018/18/0516).
Der BF brachte vor, dass sich seine Mutter seit Bekanntwerden des Religionswechsels von ihm abgewendet hätte sowie ein namentlich genannter "privater Feind", der mittlerweile nach Kabul abgeschoben worden sei, seit der letzten Entscheidung von seinem Religionswechsel erfahren hätte und ihn deshalb bedroht habe. Beiden Vorbringen fehlt ein glaubhafter Kern: Was die Mutter des BF anbelangt kann ihrerseits keine ernsthafte Bedrohung ausgehen, weil sich diese nach wie vor im Iran befindet, bezüglich des "privaten Feindes" konnte der BF in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 2.05.2019 dazu befragt keine plausiblen Angaben zur telefonischen Erreichbarkeit dieses Mannes machen, im Übrigen steht er seit längerem ohnehin mit dieser Person in keinem Kontakt mehr, wie der BF explizit ausgeführt hat.
Insoweit er auf die bisherigen Fluchtgründe verweist ist ihm entgegen zu halten, dass diese Fluchtgründe bereits rechtskräftig als nicht glaubhaft erkannt worden sind, was einer neuerlichen Entscheidung in dieser Sache entgegensteht.
Hinsichtlich der individuellen Fluchtgründe des BF hat sich somit keine entscheidungsrelevante Änderung des Sachverhalts ergeben.
Die Lage im Herkunftsstaat des BF hat sich seit der rechtskräftigen Entscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz zwar insoweit geändert, als dass Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative nicht mehr zur Verfügung steht. Die Änderung ist aber nicht entscheidungswesentlich, weil dem BF Mazar-e-Sharif und Herat als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehen: Er ist männlich, mit 23 Jahre Jahren jung, leidet unter keiner lebensbedrohlichen Erkrankung, seine Schlafstörungen und Probleme mit der Merkfähigkeit sind auch in Afghanistan medikamentös in den Griff zu bekommen und er ist arbeitsfähig. Er gehört als Hazara zu keiner verfolgten Volksgruppe und er spricht eine der Landessprachen. Er hat eine fünfjährige Grundschulausbildung und Berufserfahrung als Fliesenleger und ist mit den Gebräuchen Afghanistans vertraut. Die beiden Städte sind über den Luftweg von Kabul aus sicher erreichbar. Selbst wenn er - wie der BF vorbringt - keine Familie mehr in Afghanistan hat, würde ihm auf Grund seiner individuellen Situation vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in den - vergleichsweise sicheren und wirtschaftlich stabilen - Städten Mazar-e-Sharif und Herat bei einer Rückkehr dorthin kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Er liefe nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw existenzbedrohende Situation zu geraten. Nach einer Eingewöhnungsphase, die er mit Rückkehrhilfe überbrücken könnte, wäre es ihm möglich ein Leben zu führen, das mit dem Leben vergleichbar ist, das seine Landsleute dort üblicherweise führen. Es liegen somit keine exzeptionellen Umstände vor, die dem BF eine Ansiedlung in Mazar-e-Sharif oder Herat verwehren oder unzumutbar machen würden.
Auch hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des BF hat sich der Sachverhalt nicht entscheidungsrelevant verändert. Der BF ist nach wie vor ledig und hat keine Kinder, in einer Gesamtabwägung ist nach wie vor davon auszugehen ist, dass die Gründe für die Beendigung des Aufenthalts des Fremden im Bundesgebiet den Gründen für seinen Verbleib überwiegen:
So ändert sich die Beurteilung hinsichtlich eines etwaigen Eingriffs in das Familienleben des BF nicht, weil dieser auch in der Zwischenzeit kein geschütztes Familienleben begründet hat.
Was das Privatleben des BF seit Beendigung des letzten Verfahrens betrifft, muss darauf hingewiesen werden, dass der BF kurz nach dessen Beendigung nach Frankreich ausgereist ist und erst im April 2019 nach Österreich rücküberstellt wurde, wodurch er auch diesbezüglich keine Verfestigung in Österreich erlangen konnte. Der nunmehrige Aufenthalt des BF in Österreich ist daher nicht stärker zu seinen Gunsten zu werten, als sein knapp zweieinhalbjähriger Aufenthalt zum Zeitpunkt der hg Entscheidung im ersten Asylverfahren.
Stärker wiegen jedoch die Gründe, die gegen seinen Verbleib im Bundesgebiet sprechen:
So hat er seinen Aufenthalt auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt. Der BF hat keine verwandtschaftlichen oder entsprechend zu beurteilende Beziehungen in Österreich oder in der EU.
Der Beschwerdeführer verfügt bestenfalls über geringfügige Kenntnisse in der deutschen Sprache, sodass seine sprachliche Integration grundsätzlich, aber nicht fortgeschritten ausgebildet ist.
Der Beschwerdeführer hat kein Einkommen und ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Zugleich hat der Beschwerdeführer stärkere Bindungen an seinen Herkunftsstaat: Er spricht eine Landessprache als Muttersprache und wurde darüber hinaus in seinem afghanischen Familienverband sozialisiert. Es deutet nichts darauf hin, dass es ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft zu integrieren und sich eine Existenzgrundlage zu schaffen, sodass die zu erwartende Rückkehrsituation nicht zu einem Überwiegen seiner Interessen am Verbleib in Österreich führt. Die Situation, in der sich der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befinden wird, unterscheidet sich hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit, der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von den Verhältnissen in Österreich, sodass die erschwerten Bedingungen zu Gunsten seines Interesses gewichtet werden, wobei dem aber aufgrund der Erwägungen zur Möglichkeit des Fußfassens nach anfänglichen Schwierigkeiten (siehe oben) kein großes Gewicht zukommt.
Die Verfahrensdauer seiner Asylverfahren ist insgesamt angemessen, ein Organisationsverschulden bzw. überlange Verzögerungen sind dabei nicht auszumachen.
Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet aufgrund der insgesamt nur mäßig ausgeprägten Integration eher geringes Gewicht haben und das öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, schwerer wiegt als sein Interesse am Verbleib. Der durch die Ausweisung des Beschwerdeführers allenfalls verursachte Eingriff in sein Recht auf Privat- oder Familienleben ist somit gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.
Folglich steht dem zweiten Antrag auf internationalen Schutz die Rechtskraft des über den ersten Antrag absprechenden Bescheides entgegen.
3.2.3 Prüfung auf Verletzung von Rechten nach der EMRK (Z3)
Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutz ist zulässig, wenn die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung für den Asylwerber keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeutet und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringt (§ 12a Abs 2 Z 3 AsylG 2005).
Bereits im ersten Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht rechtskräftig ausgesprochen, dass der BF bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keiner derartigen Gefahr und Bedrohung ausgesetzt sei.
Auch im gegenständlichen Verfahren konnte keine Feststellungen getroffen werden, die gegen die Abschiebung des BF in seinen Heimatstaat Afghanistan sprächen:
3.2.3.1 Eingriff in die Rechte nach Art 2 und 3 EMRK
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063 mwN). Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl etwa VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479, und 23.09.2009, 2007/01/0515, mwN).
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).
Es obliegt dabei grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158, mit Verweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61.204/09, mwH).
Es wurden im vorliegenden Fall keine Umstände festgestellt, die dem BF ein "reales Risiko" einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw der Todesstrafe droht (siehe Punkt 3.2.2.).
3.2.3.2 Eingriff in die Rechte nach Art 8 EMRK
Auf Grund der unter 3.2.2. vorgenommenen Interessensabwägung stellt eine Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat keinen unzulässigen Eingriff in sein Privat- und Familienleben dar.
3.3. Die Abschiebung des BF nach Afghanistan stellt daher keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK dar bzw ist ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Art 8 EMRK gerechtfertigt. Es besteht für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
aufrechte Rückkehrentscheidung, faktischer Abschiebeschutz -European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W154.2170514.2.00Zuletzt aktualisiert am
21.08.2019