TE Vwgh Erkenntnis 1998/11/26 95/20/0481

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Veröffentlicht am 26.11.1998
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1968 §1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des am 7. April 1961 geborenen RH (verehelichter Z) in Wien, vertreten durch Dr. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in 8600 Bruck an der Mur, Kolomann Wallisch -Platz 8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. Juni 1995, Zl. 4.335.961/9-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, reiste am 28. März 1992 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 7. April 1992 die Gewährung von Asyl. Am 10. April 1992 wurde er von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich niederschriftlich befragt. Anläßlich dieser Befragung gab der Beschwerdeführer folgendes an:

"Ich bin Angehöriger der Beharireligion, welche in Bangladesch eine Minderheit darstellt. Die moslemische Bevölkerungsmehrheit lehnt die Behari ab weil sie wollen, daß wir nach Pakistan gehen. Seit dem Putsch in Bangladesch, als die damalige Iatoi-Partei 1990, welche noch für die Behari war, (zu ergänzen: die Macht verlor) nehmen die Übergriffe auf uns von Seiten des mosl Bevölkerungsmehrheit drastisch zu. Ich hatte Angst um mein Leben, weil unter der momentanen Regierung der B.N.P. kein öffentlicher behördlicher Schutz vor solchen Übergriffen besteht. Dies war der ausschlaggebende Grund, weshalb ich beschloß mein Heimatland zu verlassen und in Österreich um Asyl anzusuchen. Von Seiten der öffentlichen Behörden in meiner Heimat wurde ich nicht verfolgt.

Ich nehme zur Kenntnis, daß meine Angaben bez Fluchtgrund und Fluchtweg via österr Vertretungsbehörde in meinem Heimatland aber auch in einem Drittland überprüft werden können. Ich erkläre mich damit einverstanden."

Mit (Formular-)Bescheid vom 1. Juni 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126 (im folgenden: Asylgesetz 1968), sei. Eine Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründen erfolgte in diesem Bescheid nicht.

Gegen diesen ihm am 5. Juni 1992 zugestellten Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung, in der er vorbrachte, er sei in Dhaka, Bangladesh, geboren und an einer näher angegebenen Adresse (in Untermiete) wohnhaft, sein Vater sei von Bihar (einem Bundesland Indiens) nach Ostpakistan (dem jetzigen Bangladesch) übersiedelt worden und die Familie halte sich in Bangladesch als "Bihari-Flüchtlinge" auf. Sinngemäß machte der Beschwerdeführer in der Berufung geltend, nach der Unabhängigkeit von Bangladesch hätte die dortige Regierung gehofft, die Bihari-Flüchtlinge nach Pakistan schicken zu können; die pakistanische Regierung habe dies aber nicht akzeptiert. 1986 sei die "Jatio Party" gegründet worden und er sei ein Mitglied dieser Partei gewesen. Nach dem Zusammenbruch der von dieser Partei unterstützten Regierung sei der Parteichef ins Gefängnis gebracht und auch das Leben des Beschwerdeführers bedroht worden. Vor seinem Haus sei schon "bombardiert" worden und man habe ihm gedroht, damit er Bangladesch verlasse.

Mit Schreiben vom 16. Juni 1993 legte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark dem Bundesminister für Inneres eine weitere Berufungseingabe des Beschwerdeführers vor. Aus diesem Schreiben des Beschwerdeführers geht hervor, daß sein jüngerer Bruder am 6. Juli 1992 - aus nicht näher angegebenen Gründen - getötet worden sei. Der Beschwerdeführer brachte vor, keiner seiner Familienangehörigen sei sicher und er befürchte, das nächste Ziel dieser Gruppe von Attentätern zu sein. Diesem Schriftsatz legte er einen Zeitungsartikel, verfaßt in bengalischen Schriftzeichen, bei.

Der Bundesminister für Inneres wies die Berufung mit Bescheid vom 7. Februar 1997 ab. Der Verwaltungsgerichtshof hob diesen Bescheid mit Erkenntnis vom 20. Dezember 1994, Zl. 94/20/0652, infolge verfehlter Anwendung des Asylgesetzes 1991 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. Juni 1995 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Die belangte Behörde legte darin den Flüchtlingsbegriff des Asylgesetzes bzw. der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, dar und brachte ihren Standpunkt zum Ausdruck, der Beschwerdeführer habe im gesamten Verwaltungsverfahren keine Umstände glaubhaft gemacht, die objektiv die Annahme rechtfertigen könnten, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde und nicht gewillt sei, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen. Als Verfolgung gelte nur zielgerichtetes Handeln des Heimatstaates, das sich direkt gegen den Einzelnen wende. Der Beschwerdeführer habe nur allgemein geschildert, daß die Minderheit der Bihari in Bangladesch Übergriffen seitens der moslemischen Bevölkerungsmehrheit ausgesetzt gewesen sei. Daß er selbst solchen Übergriffen ausgesetzt gewesen wäre, habe er nicht dargetan. Die bloße subjektive Angst, derartige Beeinträchtigungen gewärtigen zu müssen, könne die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht rechtfertigen. Doch selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, könnte darin noch keine Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention gegen die Person des Beschwerdeführers gesehen werden, da es sich hiebei um keine dem Staat bzw. seinen Organen zurechenbare Verfolgungshandlung handle. Der Beschwerdeführer habe bei seiner niederschriftlichen Befragung ausdrücklich angegeben, seitens der öffentlichen Behörden seines Heimatlandes nicht verfolgt worden zu sein. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, daß er sich aus objektiver, wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde. Dem Berufungsvorbringen, worin er Anschläge auf sein Leben behaupte, habe die Glaubwürdigkeit versagt werden müssen, da er dies im erstinstanzlichen Verfahren mit keinem Wort erwähnt habe. Erfahrungsgemäß machten Asylwerber gerade bei der ersten Befragung spontan jene Angaben, die der Wahrheit am nächsten kämen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst ist festzuhalten, daß infolge der im angefochtenen Bescheid erfolgten Anwendung des Asylgesetzes 1968 der angefochtene Bescheid nicht gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76, außer Kraft getreten und nicht gemäß dem 3. Absatz dieser Bestimmung vorzugehen ist.

Gemäß § 1 des Asylgesetzes 1968 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 (im folgenden FlKonv), unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv vorliegt. Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv ist Flüchtling, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Zentraler Aspekt des in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv enthaltenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt dann vor, wenn der Eingriff in die zu schützende Sphäre geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in den Aufenthaltsstaat zu begründen.

Der Beschwerdeführer legt weder in seinem Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren noch in der Berufung (unterstellte man dem Berufungsvorbringen Glaubwürdigkeit und sieht man vorerst von der noch zu erläuternden Ergänzung der Berufung ab) konkrete Anhaltspunkte dafür dar, daß ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein ungerechtfertigter Eingriff erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre drohte. So nennt der Beschwerdeführer bei seiner Ersteinvernahme am 14. April 1992 ohne nähere Angaben die Gefahr von "Übergriffen auf uns von Seiten der moslemischen Bevölkerungsmehrheit". In seiner Berufung bringt er - ohne dies weiter zu konkretisieren - vor, "sein Leben werde bedroht, damit er Bangladesch verlasse" und "vor seinem Haus sei schon bombardiert worden". Er erstattet jedoch keine näheren Angaben über die Urheber oder den Zeitpunkt dieses "Bombardierens" und legt auch nicht dar, daß dieses "Bombardieren" vor dem "Haus des Beschwerdeführers" - der Beschwerdeführer bewohnt nach seinen eigenen Angaben in der Berufung in diesem Haus eine kleine untervermietete Wohnung - gezielt gegen seine Person gerichtet war. Darüberhinaus stellt der Beschwerdeführer keinen Zusammenhang zwischen diesem Vorfall und dem Zeitpunkt seiner Ausreise aus Bangladesch dar. Mit diesen wiedergegebenen, allgemein gehaltenen Behauptungen gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, glaubhaft zu machen, daß eine gegen ihn gerichtete konkrete Verfolgung aus asylrelevanten Gründen wahrscheinlich sei.

Der Beschwerdeführer erstattete allerdings eine weitere Eingabe im Berufungsverfahren vom 2. Juni 1993 (bestehend aus einem Schriftsatz samt beigelegtem Zeitungsartikel in bengalischen Schriftzeichen), welche von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark an den Bundesminister für Inneres übermittelt wurde, und auf welche die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid mit keinem Wort eingeht. Der Beschwerdeführer bringt in dieser Eingabe vor, sein jüngerer Bruder sei am 2. Juli 1992 ermordet worden; die Attentäter seien nicht verfolgt worden und es wäre auch sonst nichts in dieser Angelegenheit getan worden, um die Schuldigen zu finden. Kein Mitglied seiner Familie sei dort (gemeint offenbar: in Dhaka) sicher und er ersehe aus diesen Umständen, daß gerade er das nächste Ziel einer ähnlichen Gruppe von Attentätern sein werde ("I apprehend, that specially I have been made the next target by the similar group of assasins"). Es sei ihm nicht möglich, den Zeitungsartikel, der in bengalischen Schriftzeichen verfaßt sei, zu übersetzen und ersuche die Behörde um dessen Übersetzung.

Die belangte Behörde ließ den beigelegten Zeitungsartikel aber weder übersetzen noch ging sie sonst in irgendeiner Weise auf den Inhalt des Zeitungsartikels und des Schriftsatzes selbst ein. Insbesondere wurde das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers auch nicht als unglaubwürdig beurteilt. Ginge aber aus dem Zeitungsartikel tatsächlich hervor, daß gerade der Beschwerdeführer - wie er in diesem Schreiben behauptet - das nächste Ziel einer Gruppe von Attentätern wäre, so läge eine dem Beschwerdeführer als Angehörigem der Volksgruppe der Biharis unmittelbar drohende Verfolgung aus asylrelevanten Gründen vor.

Dabei fiele auch nicht ins Gewicht, daß die Verfolgungshandlungen nicht von staatlicher Seite selbst gesetzt worden wären, weil der Beschwerdeführer bereits bei seiner Ersteinvernahme vorgebracht hatte, daß kein behördlicher Schutz vor solchen Übergriffen anderer Teile der Bevölkerung gegen seine Volksgruppe bestehe. In der Beschwerde führt er diesbezüglich erläuternd aus, die genannten Übergriffe geschähen mit Duldung und Billigung staatlicher Behörden, welche diese den Gegnern der Biharis durch die Beistellung von Transportmitteln und Einräumung der Zugänge zu Flüchtlingslagern erst ermöglichten. Ist der Staat aber nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Übergriffe anderer Bevölkerungsteile auf die Volksgruppe der Biharis zu verhindern, ist auch eine nicht unmittelbar dem Staat zurechenbare Verfolgung von Asylrelevanz.

Es ist daher nicht auszuschließen, daß sich nach Kenntnis und Würdigung des Inhaltes des Zeitungsartikels ergeben hätte, daß sich der Beschwerdeführer als Mitglied der Volksgruppe der Biharis aus wohlbegründeter Furcht verfolgt zu werden außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Diesfalls wäre aber eine für den Beschwerdeführer günstige Entscheidung nicht auszuschließen.

Die belangte Behörde hat daher den entscheidungswesentlichen Sachverhalt nicht ausreichend erhoben und hat sich insbesondere mit dem Vorbringen im Berufungsverfahren nicht ausreichend befaßt, weshalb sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich im Rahmen des geltend gemachten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 26. November 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1995200481.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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