Entscheidungsdatum
14.06.2019Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13Spruch
W126 2154979-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Sabine FILZWIESER-HAT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.04.2017, Zl. 1066413700/150435760, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 28.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
In der Erstbefragung am 30.04.2015 gab der Beschwerdeführer an, am XXXX in XXXX , Nangarhar, Afghanistan, geboren worden zu sein und Pashtune zu sein. Zu seinem Fluchtgrund befragt erklärte er, sein ältester Bruder (im Folgenden: M) habe als Richter für den Staat gearbeitet und sei von den Taliban getötet worden. Danach hätten die Taliban seinem Vater einen Drohbrief geschickt, in dem sie gefordert hätten, dass der Beschwerdeführer an ihrer Seite kämpfen solle. Sein Vater habe diese Anweisung ignoriert und sei entführt worden. Die Dorfbewohner hätten erzählt, dass er getötet worden sei. Aus Angst um sein Leben habe seine Mutter entschieden, dass er ausreisen solle.
In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 21.06.2016 führte der Beschwerdeführer an, an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden und deswegen in medikamentöser Behandlung zu sein. Diese gesundheitlichen Probleme hätten bereits während seines Aufenthalts in Afghanistan begonnen. Er bestätigte jedoch psychisch und physisch in der Lage zu sein, Angaben zu seinem Asylverfahren zu machen. Zu seiner Familie habe er keinen Kontakt mehr. Das letzte Mal habe er vor fünf Monaten Kontakt mit seiner Mutter gehabt, da ein Bekannter, dessen Nummer er gehabt habe, zu ihr gegangen sei. Zu seiner Familie befragt, gab er außerdem an, dass er zwei Brüder und zwei Schwestern habe. Sein Vater und sein ältester Bruder M seien von den Taliban getötet worden. Der andere Bruder (im Folgenden: J) arbeite in Jalalabad als Automechaniker. Seine Schwestern seien nicht verheiratet und würden sich vermutlich bei der Mutter aufhalten. Sein Cousin mütterlicherseits halte sich in Wien auf, aber er habe keinen Kontakt zu ihm.
Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der Beschwerdeführer an, dass M als Richter in Jalalabad gearbeitet habe und täglich ins Heimatdorf gependelt sei, da er dort gelebt habe. Bei seiner Tätigkeit habe er viele Taliban verurteilt. Als M getötet worden sei, sei der Beschwerdeführer nicht dabei gewesen, aber er habe gehört, dass M, als er im Nachbardorf einkaufen gewesen sei, von den Taliban mitgenommen und getötet worden sei. M sei ungefähr 28 Jahre alt gewesen und seit ungefähr sieben oder acht Jahren als Richter tätig gewesen. Eine Woche später hätten sie die Leiche von der Regierung bekommen. Der Beschwerdeführer sei ungefähr 13 oder 14 Jahre alt gewesen als M getötet worden sei. Sein Vater wäre sechs Monate nach dem Tod des M ebenfalls getötet worden, da er nicht damit einverstanden gewesen sei, dass der Beschwerdeführer und J von den Taliban rekrutiert werden sollten. Der Vater sei vermisst gewesen und dann hätten sie gehört, dass er von den Taliban getötet worden sei. Als die Taliban seinen Vater mitgenommen hätten, sei er nicht zuhause gewesen, sondern bei seinem Onkel. Die Taliban hätten seine Mutter und seine Schwestern geschlagen. Die Frage, welche Ausbildung M gehabt habe, könne er nicht beantworten, ebenso wenig könne er sagen, wie lange er die Schule besucht habe. Auf die Frage, weshalb M zur Schule gegangen sei, aber er selbst und sein Bruder J nicht, antwortete er, dass M vielleicht Glück gehabt habe. Zu seiner Zeit seien die Taliban dort gewesen und hätten nicht gewollt, dass man in eine normale Schule gehe. Sein anderer Bruder J sei nicht geflohen, da die Taliban nicht wissen würden, dass er noch einen anderen Bruder habe, da dieser im Alter von 12 Jahren alleine nach Jalalabad gezogen sei und nur sehr selten nach Hause komme. Er sei aber alle ein bis zwei Monate ins Heimatdorf gekommen, um die Familie zu sehen. Danach befragt, woher die Taliban gewusst hätten, dass sie alle eine Familie seien, meinte er, dass die Taliban Spione hätten und viel über die Leute wissen worden. Auch würden viele Leute im Dorf für die Taliban arbeiten. Er persönlich habe noch keinen Kontakt mit den Taliban gehabt, aber habe von den anderen Dorfbewohnern gehört, dass die Taliban in der Nacht ins Dorf kommen würden. Zwischen der Ermordung seines Bruders und seines Vaters seien ungefähr sechs Monate gelegen. Das habe ihm seine Mutter gesagt. Befragt, ob die Morde im Winter oder im Sommer stattgefunden hätten, meinte er, dass er das nicht genau wisse, aber es bei der Ermordung seines Bruders nicht so kalt und nicht so heiß gewesen sei und bei der seines Vaters sei es sehr heiß gewesen. Er sei drei Tage nach den Morden an seinen Familienmitgliedern ausgereist. Sein Onkel habe die Ausreise organisiert. Er und seine Familie hätten sich fünf Monate lang in einem Haus in Jalalabad versteckt. Sie seien am Tag, nachdem sie vom Tod seines Vaters erfahren hätten, mit einem Taxi nach Jalalabad gefahren. Sein Onkel habe ihnen gesagt, dass der Vater getötet worden sei, aber er wisse nicht, wie der Onkel davon erfahren habe. Da es in Jalalabad auch nicht sicher gewesen sei, habe er Afghanistan verlassen. Seine Mutter habe entschieden, dass sie mit den Schwestern wieder in das Dorf zurückgehe. Als er vor fünf Monaten mit ihr gesprochen habe, habe sie gesagt, dass sie wieder in ihrem Haus leben würden. Auf die Frage, ob er sich an die Polizei gewandt habe, erwiderte er, dass er es nicht getan habe und er auch nicht wisse, wie das gehe. Seine Mutter habe das vermutlich nicht gemacht, da sie Angst gehabt habe, dass es noch gefährlicher werde. Auf die Frage, welches Interesse die Taliban an ihm hätten, entgegnete er, dass sie sich rächen wollen würden, da sein Bruder viele Taliban verurteilt habe. Sein Vater sei alt gewesen, aber sie hätten einen jungen Mann mitnehmen wollen. Die Taliban seien in ganz Afghanistan stark und würden ihn suchen. Er selbst und sein Bruder J hätten keinen persönlichen Kontakt mit ihnen gehabt. J würde in Frieden leben.
2. Mit angefochtenem Bescheid vom 03.04.2017 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) zurück, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt II.) zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 03.04.2018.
Das Fluchtvorbringen wurde als nicht glaubhaft angesehen. Die geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung wurde in Zweifel gezogen und in eventu festgehalten, dass, selbst bei Vorliegen, eine solche in Afghanistan behandelbar wäre. Eine Rückkehr in seine Heimatprovinz wurde aufgrund der aktuellen Lage als nicht zumutbar erachtet. Er sei zudem minderjährig und habe keine familiären Anknüpfungspunkte außerhalb seiner Heimatprovinz. Daher könne er bei seiner Rückkehr in eine die Existenz bedrohende Lage geraten. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei ihm daher mangels innerstaatlicher Relokationsalternative nicht zumutbar.
Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 03.04.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater zur Seite gestellt.
3. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
4. Am 15.06.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und sein (Rechts-)Vertreter teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm (entschuldigt) nicht an der Verhandlung teil.
Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung zusammengefasst an, dass er gesund und nicht mehr in psychologischer Behandlung sei. Er bestätigte seine Angaben im bisherigen Verfahren, aber stellte klar, dass die Taliban sehr wohl gewusst hätten, dass er noch einen anderen Bruder habe, aber sie hätten nicht gewusst, wo sich J aufhalte. Seit er sein Heimatdorf verlassen habe, habe er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, aber er vermute, dass seine Kernfamilie noch dort lebe.
Zu seinem Fluchtgrund erzählte er, dass vor ungefähr vier Jahren zuerst sein Bruder und kurz darauf sein Vater getötet worden seien. Sein Bruder M sei Richter in Jalalabad gewesen, habe für die afghanische Regierung gearbeitet und sei jeden Tag mit dem Auto in die Arbeit gefahren. Als er eines Tages am Heimweg gewesen sei, habe er einkaufen gehen wollen. Dabei sei er samt seinem Auto entführt worden. Erst eine Woche später hätten sie erfahren, dass er getötet worden sei. Er sei von den Taliban erschossen worden. Das hätten die Leute am Bazar gesehen und ihnen erzählt. Der Grund für die Ermordung sei, dass die Taliban gegen die Regierung seien und eine eigene Regierung haben wollen würden. Sein Bruder sei 28 Jahre alt gewesen, als er umgekommen sei. Der Beschwerdeführer gehe davon aus, dass sein Bruder bereits vorher bedroht worden sei, da er immer große Angst gehabt habe und sich versteckt habe. Er habe aber nicht darüber gesprochen. Außerdem sei er selbst damals selbst noch klein gewesen und sein Vater habe mit ihnen nicht über alles gesprochen. Nach dem Tod seines Bruders hätten die Taliban verlangt, dass er und J sich ihnen anschließen sollten. Daher sei ihr Haus von den Taliban angegriffen worden. Er und J seien nicht zuhause gewesen. J arbeite als LKW-Mechaniker in Jalalabad und sei nur selten nach Hause gekommen. Als der Beschwerdeführer nach Hause gekommen sei, hätten alle geweint. Sein Vater sei von den Taliban mitgenommen und erschossen worden, da M nicht aufgehört habe für die Regierung zu arbeiten und auch er und J sich nicht den Taliban angeschlossen hätten. Seit Vater sei ungefähr ein Monat nach seinem Bruder getötet worden. Sein Vater sei von Beruf Landwirt gewesen. Die Familie wäre nach dem Tod des Vaters nach Jalalabad gegangen und hätte sich dort versteckt. Zu seinem Bruder J habe er in dieser Zeit schon keinen Kontakt mehr gehabt, da dieser Angst gehabt habe und verschwunden sei. Die Taliban hätten ihn auch in Kabul gefunden. Sie hätten ein Interesse an ihm und seinem Bruder, da sie jüngere Leute in ihre Armee als Kämpfer haben wollen würden. Er selbst habe in Afghanistan keine Taliban gesehen. Welche Ausbildung sein Bruder M gehabt habe, wisse er nicht, er sei aber sicher zur Schule gegangen. Er und J seien nicht in die Schule gegangen. Sein Vater habe teilweise den Koran lesen können und seine Mutter habe weder lesen noch schreiben können. Er selbst könne teilweise Pashtu lesen, da er es in der Moschee gelernt habe. Wie lange sein Bruder als Richter tätig gewesen sei, wisse er nicht und er wisse auch nicht, bei welchem Gericht er tätig gewesen sei.
Der Rechtsvertreter machte eine Verfolgung durch die Taliban wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie und unterstellter der Einstellung der Taliban widersprechender politischer und religiöser Gesinnung geltend.
5. Am 23.05.2016 langte die Information über eine Verhaftungsmeldung beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Pashtunen und sunnitischer Muslim. Seine Muttersprache ist Pashtu und er spricht auch Dari.
Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund, ledig und hat keine Kinder.
Er stammt aus XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Nangarhar. Die Kernfamilie des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in der Provinz Nangarhar. Einer seiner Brüder lebt und arbeitet in Jalalabad.
Der Beschwerdeführer hat drei Jahre lang eine Koranschule besucht, kann etwas Pashtu lesen und hat zuletzt als Landarbeiter gearbeitet.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner Asylantragstellung am 28.04.2015 in Österreich.
1.2. Zum Fluchtgrund des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keinen gegen seine Person gerichteten Bedrohungen oder Übergriffen durch die Taliban ausgesetzt. Im Falle einer Rückkehr drohen ihm als Person in Afghanistan weder Probleme mit den Taliban noch droht ihm sonst eine Verfolgung. Es bestehen keine Feindschaften des Beschwerdeführers oder seiner Familie in Afghanistan.
1.3. Zur maßgeblichen Lage in Afghanistan im konkreten Fall:
Kontrolle von Distrikten und Regionen
Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.01.2017).
Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.01.2017).
Rebellengruppen
Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).
Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).
Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).
Taliban und ihre Offensive
Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).
Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).
Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).
Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:
The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).
Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).
Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.06.2017; vgl. auch:
BBC 07.05.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.06.2017).
Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.06.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.05.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).
Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).
Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:
sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 06.06.2017).
Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).
Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):
Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).
Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).
Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).
Rechtsschutz/Justizwesen
Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia (islamisches Gesetz), Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vgl. auch: USIDP o.D. und WP 31.5.2015). Fast 80% der Dispute werden außerhalb des formellen Justizsystems gelöst - üblicherweise durch Schuras, Jirgas, Mullahs und andere in der Gemeinschaft verankerte Akteure (USIP o.D.; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).
Traditionelle Rechtsprechungsmechanismen bleiben für viele Menschen, insbesondere in den ländlichen Gebieten, weiterhin der bevorzugte Rechtsweg (USDOS 13.4.2016, vgl. auch: FH 27.1.2016). Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 13.4.2016). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (FH 27.1.2016).
Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan weitverbreitet akzeptiert ist, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.). Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 13.4.2016).
Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Leistungsfähigkeit um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu beherrschen. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben erhöht sich weiterhin (USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2014 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit mit 1.300 beziffert (SZ 29.9.2014; vgl. auch: CRS 8.11.2016), davon waren rund 200 Richterinnen (CRS 8.11.2016). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin als erste Frau zur Richterin des Supreme Courts ernannt (RFE/RL 30.6.2016). Die Zahl registrierter Anwälte/innen hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt (WP 31.5.2015). Der Zugang zu Gesetzestexten wird besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar (USDOS 13.4.2016).
Ein Mangel an qualifiziertem Justizpersonal behindert die Gerichte (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016). Manche Amtsträger/innen in Gemeinden und Provinzen verfügen über eine eingeschränkte Ausbildung und gründen ihre Entscheidungen daher auf ihrem persönlichen Verständnis der Scharia, ohne jeglichen Bezug zum kodifizierten Recht, Stammeskodex oder traditionellen Bräuchen (USDOS 13.4.2016).
Innerhalb des Gerichtswesens ist Korruption weiterhin vorhanden (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffneten Gruppen (FH 27.1.2016), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 13.4.2016). Afghanische Gerichte sind durch öffentliche Meinung und politische Führer leicht beeinflussbar (WP 31.5.2015). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das Strafrechtszentrum für Anti-Korruption, um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (Reuters 12.11.2016).
Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 9.2016).
Nangarhar
Die Provinz Nangarhar liegt im Osten von Afghanistan. Im Norden grenzt sie an die Provinzen Kunar und Laghman, im Westen an die Hauptstadt Kabul und die Provinz Logar und den Gebirgszug Spinghar im Süden (Pajhwok o.D.g). Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 Kilometer von Kabul entfernt (Xinhua 10.2.2017). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.545.448 geschätzt (CSO 2016)
Spinghar im Süden (Pajhwok o.D.g). Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 Kilometer von Kabul entfernt (Xinhua 10.2.2017). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.545.448 geschätzt (CSO 2016).
Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz Nangarhar
1.901 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).
Seit dem Auftreten des Islamischen Staates in der bergreichen Provinz Nangarhar kommt es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräfte und IS-Aufständischen (Xinhua 18.2.2017; vgl. auch: Xinhua 10.2.2017). Die Aktivitäten des Islamischen Staates in der Provinz sind auf einige Gebiete in Nangarhar beschränkt (Tolonews 19.2.2017). Berichten zufolge sind dies insbesondere die Distrikte Achin, Kot, Haska Mina, sowie andere abgelegene Distrikte in Nangarhar (Khaama Press 22.1.2017).
In der Provinz werden regelmäßig Luftangriffe gegen den Islamischen Staat durchgeführt (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: Khaama Press 21.2.2017; Khaama Press 14.2.2017; ICT 7.2.2017; Global Times 28.1.2017; Khaama Press 29.12.2016). Auch werden regelmäßig militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: Khaama Press 16.2.2017; Khaama Press 14.2.2017; Xinhua 10.2.2017; Xinhua 14.1.2017; Pajhwok 26.7.2016); getötet wurden dabei hochrangige Führer des IS (Khaama Press 16.2.2017; Xinhua 10.2.2017; vgl. auch:
Shanghai Daily 4.2.2017), aber auch Anführer der Taliban (Khaama Press 29.12.2017). In manchen Teilen der Provinz hat sich die Sicherheitslage aufgrund von militärischen Operationen verbessert (Pajhwok 19.9.2016). Einem hochrangigen Beamten zufolge, werden die afghanischen Sicherheitskräfte weiterhin Druck auf Sympathisanten des IS in Ostafghanistan ausüben, um zu verhindern, dass diese sich in den Distrikten Nangarhars oder anderen Provinzen ausweiten (Khaama Press 24.1.2017).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zu seiner Herkunft ergeben sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren.
Das Datum der Einreise nach Österreich sowie das Datum der Asylantragstellung basiert auf dem Inhalt des Verwaltungsaktes.
Die Feststellungen zu seiner persönlichen Situation gehen aus den während des gesamten Verfahrens gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers hervor. Es besteht kein Grund an der Richtigkeit dieser Schilderungen zu zweifeln. Der Beschwerdeführer gab zudem in der Verhandlung selbst an gesund zu sein und nicht mehr in psychologischer Behandlung zu sein. Unterlagen, welche gegenteiligen Schluss zulassen würden, wurden (auch nach der Verhandlung) nicht vorgelegt.
2.2. Es ist dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine konkrete, ihm in Afghanistan drohende Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen. Seine Aussagen wiesen wiederholt Widersprüche, Unstimmigkeiten und Implausibilitäten auf. Beispielsweise und besonders augenfällig zeigt sich dies bei den Angaben zum nicht unwesentlichen zeitlichen Abstand zwischen den Morden seines Bruders und seines Vaters. In seiner Einvernahme vor dem BFA behauptete der Beschwerdeführer, dass zwischen den Morden sechs Monate gelegen sind, was ihm seine Mutter gesagt haben soll, wogegen er in der mündlichen Verhandlung von einem Monat sprach bzw. davon, dass beide ungefähr zur selben Zeit umgebracht worden sein sollen. Auch ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer in der gesamten Verhandlung und auch auf die Frage, woher er erfahren hat, dass die Taliban seinen Bruder erschossen haben, mit keinem Wort mehr die Regierung erwähnt hat, von der die Familie laut der Einvernahme beim BFA die Leiche des Bruders eine Woche nach seinem Tod erhalten haben soll. Diese Diskrepanzen sind auch vor dem Hintergrund seines jugendlichen Alters zu diesem Zeitpunkt und seiner mangelnden Schulbildung nicht plausibel erklärbar. Dafür, dass seine im behördlichen Verfahren angeführten psychischen Probleme ursächlich sein könnten, haben sich keine Hinweise ergeben und wurde dies auch nicht geltend gemacht, zumal der Beschwerdeführer in der Verhandlung, in welcher er auch nicht in der Lage war substantiierte und nachvollziehbare Aussagen zu seinem Bruder und seinem Fluchtvorbringen zu tätigen, erklärte gesund zu sein und nicht (mehr) in Behandlung zu sein. Insgesamt ergibt sich aus dem Protokoll der Einvernahme vor dem BFA und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht der Eindruck, dass der Beschwerdeführer kaum von sich aus ein zusammenhängendes Fluchtvorbringen erzählt hat, sondern lediglich auf Nachfragen geantwortet hat, dabei aber auf viele Fragen keine Antworten geben konnte bzw. bereits Gesagtes lediglich wiederholte. Dass er zum Beispiel auf die Frage nach der Ausbildung seines Bruders nicht einmal ansatzweise Auskunft geben konnte, erscheint nicht plausibel, zumal in seiner Familie sämtliche Familienmitglieder keine oder kaum Schulbildung genossen haben und daher anzunehmen ist, dass die Ausbildung und Arbeit seines Bruders eine Besonderheit innerhalb der Familie darstellte und einen bleibenden Eindruck beim Beschwerdeführer hinterlassen hat; es wäre daher zu erwarten, dass er mehr Einzelheiten über seinen Bruder weiß, noch dazu wo sich sein Fluchtvorbringen auf die Tätigkeit seines Bruders stützt. Hinzu kommt in dem Zusammenhang, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nicht sagen konnte, bei welchem Gericht M tätig gewesen ist und wie lange er diese Tätigkeit ausgeübt hat, wogegen er in der Einvernahme vor dem BFA noch erklärte, dass sein Bruder acht Jahre lang Richter gewesen ist; warum ihm dies in der Verhandlung nicht mehr erinnerlich war, ist nicht ersichtlich. Auch vermochte er keine Angaben dazu zu machen, ob sein Bruder M bereits vor seiner Entführung Bedrohungen ausgesetzt gewesen ist. Er begründete seine mangelnden Kenntnisse mit seinem damaligen jugendlichen Alter, was insgesamt jedoch nicht überzeugte.
Generell vermochte der Beschwerdeführer die behauptete Bedrohungssituation nicht konkret und nachvollziehbar darzulegen und zum Beispiel überzeugend zu vermitteln, welche Zielsetzung die Taliban genau verfolgten und warum gerade er für sie von solchem Interesse sein soll. Insbesondere erscheint dies vor dem Hintergrund seiner Aussage vor dem BFA, wonach sein Bruder J weiterhin ohne größere Probleme in Afghanistan lebt, und dem von ihm mehrmals bestätigten Umstand, dass er selbst nie Kontakt zu den Taliban gehabt hat, nicht plausibel.
Auch ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Taliban überhaupt noch ein Interesse daran haben sollen, den Beschwerdeführer (und seinen Bruder J) zu entführen bzw. zu töten, obwohl sie die Person, die sie eigentlich an ihrer Tätigkeit hindern wollten, nämlich den Bruder M, sowie seinen Vater bereits ermordet haben, und dies auch noch nach fünf Jahren. Des Weiteren ist aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine besondere Motivation der Taliban für die Zwangsrekrutierung gerade dieser beiden jungen Männer ersichtlich.
Gesamthaft betrachtet war der Beschwerdeführer daher nicht in der Lage eine konkrete individuelle Verfolgung gegen ihn glaubhaft zu schildern. Er vermochte ein derartiges Interesse der Taliban an seiner Person, dass sie ihn noch Jahre nach seiner Ausreise in ganz Afghanistan suchen und verfolgen würden, und damit eine aktuelle landesweite Bedrohungslage nicht glaubhaft zu machen und kann eine solche auch auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden.
2.3. Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan stützen sich auf das dem Parteiengehör unterworfene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 30.01.2018, und beruhen auf einer Vielzahl von jeweils angeführten verschiedenen, voneinander unabhängigen Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen. In ihrer Kernaussage bieten diese Dokumentationen ein stimmiges und einheitliches Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche und besteht daher für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der darin getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen (asylrechtlich relevanten) Situation nicht wesentlich geändert haben. So hat sich insbesondere auch seit der Verhandlung auf Basis der aktuellen Quellenlage, vor allem der Gesamtaktualisierung des Länderinformationsblatts vom 29.06.2018, mit den aktualisierten Kurzinformationen zuletzt von März und Juni 2019, die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers nicht wesentlich verändert beziehungsweise nicht in einer Weise verändert, die für den Beschwerdeführer asylrechtlich von Relevanz wäre.
Insofern bietet das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan eine ausreichende Entscheidungsgrundlage im gegenständlichen Fall und brauchen weitere Berichte nicht herangezogen werden beziehungsweise braucht auf die weiteren in die Verhandlung einbezogenen Länderberichte nicht näher eingegangen zu werden, zumal sie mit dem Länderinformationsblatt im Wesentlichen in Einklang stehen. Die Ausführungen und Einwände des Beschwerdeführers und seines Vertreters zur Gefährdungslage des Beschwerdeführers waren gegenständlich nicht geeignet, den zu Grunde gelegten Länderfeststellungen und Quellen substantiiert entgegenzutreten und diese nachhaltig zu erschüttern.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren" (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.06.2010, U 613/10).
Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 06.11.2009, 2008/19/0012; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.02.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.03.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551; 29.06.2006, 2002/20/0167).
Eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat hingegen nur dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059; 18.11.2015, Ra 2014/18/0162; 19.04.2016, Ra 2015/20/0302, je mwN).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) - , kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit aufgrund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191).
Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn den Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
3.2. Ausgehend von diesen rechtlichen Voraussetzungen ergibt sich im Lichte des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhalts, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist. Insbesondere konnte vom Beschwerdeführer eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen nicht glaubhaft gemacht und auch sonst vom erkennenden Gericht nicht festgestellt werden.
Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt wurde, vermochte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft darzulegen, dass er von den Taliban aktuell verfolgt wird und wurde sein Fluchtvorbringen als nicht glaubhaft angesehen. Eine - vom Flüchtlingsbegriff der GFK geforderte - wohlbegründete Furcht vor Verfolgung in Bezug auf das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Fluchtvorbringen war daher schon deshalb zu verneinen, weil nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung asylrelevanter Intensität droht.
Eine allgemeine systematische Verfolgung durch die Taliban beziehungsweise eine allgemeine systematische "Zwangsrekrutierung durch terroristische Gruppen" kann auf Basis der Quellenlage nicht angenommen werden und hat der Beschwerdeführer diese Behauptung nicht näher konkretisiert und eine individuelle maßgeblich wahrscheinliche Gefährdung im individuellen Fall auch nicht konkret und plausibel vorgebracht.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war sohin abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Die Frage der Asylrelevanz im Sinne des § 3 AsylG erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen. Bei derartigen Gefahrenprognosen handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (vgl. VwGH 17.11.2017, Ra 2017/20/0404; VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0039).
Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Glaubwürdigkeit, individuelle Verfolgungsgefahr, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W126.2154979.1.00Zuletzt aktualisiert am
21.08.2019