TE Vwgh Erkenntnis 1998/11/26 96/20/0852

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Veröffentlicht am 26.11.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1 idF 1974/796;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des N Y in Wien, geboren am 15. April 1973, vertreten durch Dr. Klaus Griensteidl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Eßlinggasse 9, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. August 1996, Zl. 4.324.182/3-III/13/93, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 7. Oktober 1991 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 9. Oktober 1991 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien am 11. Oktober 1991 gab er nach Inhalt des darüber aufgenommenen Protokolls seine Fluchtgründe wie folgt an:

"Ich bin Kurde und unterstütze die Freiheitsorganisation PKK. Wir Kurden haben in der Türkei keine Rechte und werden verfolgt. In unserem Dorf gibt es einen Armeeposten, welcher ständig besetzt ist. Die Soldaten belästigen uns tagtäglich und benehmen sich wie die Soldaten einer Besatzungsarmee. Ständig werden dort Dorfbewohner geschlagen und gefoltert. Trotz der starken Militärpräsenz im Dorf unterstütze ich die PKK-Kämpfer und gebe ihnen Lebensmittel. Aus diesem Grund wurde ich zweimal festgenommen und von Soldaten geschlagen. Beide Male wurde ich nach kurzer Zeit wieder freigelassen. Die Soldaten nehmen uns alles weg, was wir haben und wir können uns nirgends darüber beschweren."

Gegen den seinen Asylantrag gemäß § 3 Asylgesetz 1991 abweisenden Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. März 1993 erhob der Beschwerdeführer Berufung.

In seiner Berufung brachte er zusammengefaßt vor, daß die Behörde erster Instanz zu Unrecht das Asylgesetz 1991 angewandt habe, weil gemäß § 25 Abs. 1 Asylgesetz 1991 auf Verfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens am 1. Juni 1992 in erster Instanz anhängig seien, weiterhin die Rechtslage nach dem Asylgesetz 1968 anzuwenden sei.

Im übrigen habe die Behörde erster Instanz auch seine Flüchtlingseigenschaft unrichtig beurteilt. Das Gebiet, in dem sein Heimatdorf liege, stehe unter Militärverwaltung und es werde das gesamte Dorf, insbesondere würden die jüngeren männlichen Kurden vom Militär terrorisiert. Es sei dort ein Leben in Freiheit und Menschenwürde nicht möglich; jeder Schritt werde vom Militär beobachtet und kontrolliert. In den nahegelegenen Bergen hätten sich kurdische Freiheitskämpfer versteckt, die von Zeit zu Zeit in die Dörfer gekommen seien, um Lebensmittel abzuholen. Der Beschwerdeführer habe diese mit Nahrungsmitteln unterstützt. Er habe diese Freiheitskämpfer nicht persönlich gekannt, er habe auch keiner politischen Organisation angehört und wisse auch nicht im Detail, welcher Organisation diese Freiheitskämpfer angehörten. Es könnten, wie die Behörde erster Instanz vermutet hätte, Leute der PKK gewesen sein. Er habe es für seine Pflicht gehalten, jede kurdische Organisation zu unterstützen. Er sei "offenbar vom Militär beobachtet" worden, oder "von jemandem verraten" worden, weshalb er zweimal verhaftet und in den "Polizeikotor unseres Dorfes gebracht" worden sei. Beide Male sei er eine Woche lang festgehalten und darüber befragt worden, ob er die in den Bergen versteckten Freiheitskämpfer kenne und deren Namen wisse. Da er "deren Namen tatsächlich nicht kannte und sohin auch nichts sagen konnte, wurde (er) geschlagen und mißhandelt, nach einer Woche bis zehn Tagen jedoch wieder freigelassen. Die Anhaltung erfolgte ohne daß irgendein Bescheid erlassen worden wäre oder ohne daß irgendein Verfahren gegen (ihn) eingeleitet worden wäre".

Dies sei auch mit anderen Kurden seines Dorfes geschehen, die der willkürlichen Verhaftung, Mißhandlung und in vielen Fällen auch Folterung ausgesetzt gewesen seien. Er habe daher rechnen müssen, bei der dritten Festnahme nicht nur geschlagen, sondern - so wie die anderen - auch ärgeren Folterungen ausgesetzt zu werden.

Die zweimalige Verhaftung in der Dauer von acht bzw. zehn Tagen ohne gesetzliche Grundlage, ohne Einleitung eines Verfahrens und ohne Erlassung eines Bescheides sowie die versuchte Erpressung von Geständnissen durch Schläge und Mißhandlungen stellten zweifellos einen derart intensiven Eingriff in seine körperliche Integrität dar, daß er Grund habe, aus Angst vor neuerlicher Verfolgung nicht in seinen Heimatstaat zurückzukehren.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde - allerdings nunmehr unter Anwendung des Asylgesetzes 1968 - die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und stellte fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968) sei. Begründend führte die belangte Behörde zunächst aus, daß die Behörde erster Instanz zu Unrecht das Asylgesetz 1991 angewandt habe. Der Verwaltungsgerichtshof vertrete in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt, daß das Asylgesetz 1968 auf jene Fälle weiterhin anzuwenden sei, die am 1. Juni 1992 noch bei einer Sicherheitsdirektion anhängig gewesen seien. Allerdings habe sich die Behörde erster Instanz ausschließlich mit der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z 1 Asylgesetz 1991 auseinandergesetzt, weshalb der Beschwerdeführer durch die Entscheidung der Behörde erster Instanz nicht in seinen Rechten verletzt sei, weil dieser Flüchtligsbegriff deckungsgleich mit dem der Genfer Flüchtlingskonvention sei.

Nach Darstellung des Flüchtlingsbegriffes nach dem Asylgesetz 1968 führte die belangte Behörde weiters aus, daß eine wohlbegründete Flucht vor asylrelevanter Verfolgung erst dann vorliege, wenn die Zustände im Heimatland auch aus objektiver Sicht dergestalt seien, das ein weiterer Verbleib des Asylwerbers in seinem Heimatland aus den in der Konvention genannten Gründen unerträglich geworden sei. Der Beschwerdeführer habe aber im Verwaltungsverfahren keine Umstände glaubhaft gemacht, die objektiv die Annahme rechtfertigen könnten, er befinde sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatstaates und sei deshalb nicht gewillt, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen. Soweit der Beschwerdeführer die allgemeine Situation der kurdischen Volksgruppe sowie die aufgrund des Ausnahmezustandes im Gebiet seines Heimatdorfes sich ergebenden Beeinträchtigungen ins Treffen führe, sei ihm entgegenzuhalten, daß er damit die Gewährung von Asyl nicht rechtfertigen könne; Voraussetzung dafür sei nämlich, daß er selbst eine "illegitim motivierte Verfolgung zu befürchten habe, die speziell und intentional gegen" seine Person gerichtet sei. Da Asylwerber erfahrungsgemäß bei der ersten niederschriftlichen Einvernahme jene Angaben machten, die der Wahrheit am nächsten kämen, müsse dem zu den Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme in Widerspruch stehenden und gesteigerten Berufungsvorbringen die Glaubwürdigkeit versagt bleiben.

Der Beschwerdeführer sei wegen der Unterstützung der verbotenen Arbeiterpartei PKK zweimal angehalten und kurze Zeit später wieder freigelassen worden. Derartige Maßnahmen stellten zwar einen Eingriff in die körperliche Integrität dar, damit jedoch ein solcher Eingriff eine entsprechende Verfolgungsqualität erlange, bedürfe es einer gewissen Intensität. Diese sei dann gegeben, wenn durch den Eingriff ein menschenwürdiges Leben im Heimatstaat unmöglich gemacht oder in unzumutbarer Weise derart erschwert werde, daß der Asylwerber sich dieser Situation nur durch die Ausreise habe entziehen können. Die allgemeine Situation, in der sich die kurdische Bevölkerung in der Türkei befinde, genüge für sich allein nicht für die Gewährung des Asyls.

Die vom Beschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme angegebene zweimalige Festnahme sowie die dabei angeblich stattgefundenen Mißhandlungen seien aufgrund ihrer geringen Eingriffsintensität - was auch für die angebliche Nichtausstellung eines Reisepasses gelte - kein ernsthafter Nachteil im Sinn des "Verfolgungsbegriffes des Asylgesetzes 1991". Es handle sich dabei "um verhältnismäßig geringe vorübergehende Beeinträchtigungen im Zuge der verschärften hoheitlichen Durchdringung eines Gebietes, das sich in Aufruhr befindet, die keine Zwangslage zu begründen vermögen, welcher Sie sich nur durch die Ausreise hätten entziehen können. Dies ergibt sich insbesondere auch daraus, daß Ihnen in der Folge aus diesen Vorfällen keine weiteren Nachteile erwuchsen".

Die belangte Behörde führte weiters aus:

"In Ihrem Fall deutet nichts darauf hin, daß Sie bei einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat aus Konventionsgründen und von staatlicher Seite Beeinträchtigungen von derartiger Intensität des Eingriffes ausgesetzt sein könnten, daß diese die Qualifikation als 'Verfolgung' im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention rechtfertigen könnten."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt vor, die belangte Behörde habe zu Unrecht sein Berufungsvorbringen nicht berücksichtigt. Die Behörde erster Instanz habe es unter Mißachtung des Amtswegigkeitsgrundsatzes und ihrer Anleitungspflicht verabsäumt, durch gezielte Fragestellungen die für die Entscheidung wesentlichen Sachverhaltselemente zu ergründen. In Unkenntnis der österreichischen Gesetzeslage sei es dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen, die entscheidungsrelevanten Sachverhaltselemente präzise zu erläutern, zumal sich die Behörde mit den geltend gemachten Angaben stets zufrieden gezeigt habe.

Die belangte Behörde habe zwar zunächst ausgeführt, daß sie ihre Entscheidung auf das Asylgesetz 1968 stütze, in weiterer Folge jedoch hinsichtlich der angewendeten "Kriterien" sowie auf Seite 4 des Bescheides auch durch ausdrückliche Erwähnung des Asylgesetzes 1991 auf dieses abgestellt. Ohne sich näher mit der Menschenrechtssituation der kurdischen Volksgruppe in der Türkei auseinanderzusetzen, werde offenbar als notorische Tatsache angenommen, daß keine schwerwiegenden Verstöße gegen die Menschenrechte gegenüber Angehörigen der kurdischen Volksgruppe durch das türkische Regime vorkämen. Dies gehe allerdings an den tatsächlichen Verhältnissen völlig vorbei. Bei richtiger Würdigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde vor dem Hintergrund der Menschenrechtssituation in der Türkei die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers als gegeben feststellen müssen.

Vorauszuschicken ist, daß am 1. Juni 1992 das gegenständliche Verfahren noch in erster Instanz anhängig war. Der Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien wurde (erst) nach diesem Zeitpunkt erlassen. Dies bedeutet, daß aufgrund der Übergangsbesimmungen des § 25 Abs. 1 und 2 des Asylgesetzes 1991 das gegenständliche Verfahren nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen war (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831). Die belangte Behörde hat daher richtig ausgeführt, daß im vorliegendem Beschwerdefall das Verwaltungsverfahren gemäß § 25 Abs. 1 erster Satz Asylgesetz 1991 nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen ist. Aufgrund dieser Ausführungen im Bescheid der belangten Behörde und der Formulierung des Spruches des bekämpften Bescheides ist auch ungeachtet der mißverständlichen Formulierung auf der Seite 4 dieses Bescheides (Bezugnahme auf den "Verfolgungsbegriff des Asylgesetzes 1991") unzweifelhaft davon auszugehen, daß ein Bescheid nach dem Asylgesetz 1968 vorliegt. Demgemäß fällt diese Beschwerdesache auch nicht unter § 44 Abs. 2 Asylgesetz 1997.

Selbst wenn die belangte Behörde in ihrem Bescheid nach dem Asylgesetz 1968 überdies - aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht - materielle Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 herangezogen hätte, würde dies noch nicht zwangsläufig eine zu seiner Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides bedeuten, setzt doch eine solche eine damit verbundene Verletzung des Beschwerdeführers in seinen Rechten voraus. Diese ist bei Abstellen auf die Kriterien des Flüchtlingsbegriffes des § 1 Z 1 Asylgesetz 1991 noch nicht gegeben, weil der Flüchtlingsbegriff des § 1 Z 1 Asylgesetz 1991 von jenem des § 1 Asylgesetz (1968) nicht abweicht, sondern mit dem des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention, soweit es sich um dessen Z 2 (idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974) handelt, vollinhaltlich übereinstimmt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/0025 für viele).

Gemäß § 1 des Asylgesetzes 1968, BGBl. Nr. 126, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 (im folgenden: FlKonv), unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv vorliegt. Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv ist Flüchtling, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Die belangte Behörde hat die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers nicht darauf gestützt, daß ihm außerhalb des Gebietes um sein Heimatdorf in der Türkei eine inländische Fluchtalternative offen gestanden, er somit jedenfalls außerhalb der durch die bürgerkriegsähnlichen Kämpfe zwischen der PKK und dem türkischen Militär und des dadurch bedingten Ausnahmezustandes charakterisierten Lebensbedingungen in seiner Heimatregion vor asylrelevanter Verfolgung sicher gewesen wäre. Demgemäß ist (lediglich) zu beurteilen, ob dem Beschwerdeführer in der Region seines Heimatdorfes aus Gründen der Konvention in einem asylrelevanten Ausmaß Verfolgung drohte.

Die belangte Behörde legte das Vorbringen des Beschwerdeführers im Verfahren erster Instanz ihrer rechtlichen Beurteilung zugrunde und gelangte zur Ansicht, daß wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der FlKonv mangels ausreichender Intensität der von ihm geschilderten Maßnahmen der Behörden daraus nicht ableitbar sei. Dem zu diesen Angaben "im Widerspruch stehenden und gesteigerten Berufungsvorbringen" müsse "angesichts der Tatsache, daß Asylwerber erfahrungsgemäß bei der niederschriftlichen Einvernahme jene Angaben machen, die der Wahrheit am nächsten kommen, die Glaubwürdigkeit versagt bleiben".

Dazu ist folgendes festzuhalten: Unter einer asylrelevanten Verfolgung ist ein ( drohender ) ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt dann vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Eine Furcht vor Verfolgung kann nur dann wohlbegründet sein, wenn die Situation eines Asylwerbers - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall eines Nachfluchtgrundes - vor seiner Flucht so gestaltet ist, daß die Wahrscheinlichkeit konkret gegen ihn gerichteter staatlicher Verfolgungshandlungen erheblicher Intensität gegeben ist.

Es kann der belangten Behörde grundsätzlich nicht entgegengetreten werden, wenn sie aus den Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme in erster Instanz ableitete, daß die von ihm behauptete Verfolgung durch die türkischen Behörden nicht das Maß an Intensität erreichten, dessen es bedürfte, um den weiteren Verbleib im Heimatland als unerträglich erscheinen zu lassen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1996, Zl. 95/20/0147). Dabei behauptete der Beschwerdeführer lediglich, daß er wegen Unterstützung der "PKK-Kämpfer mit Lebensmitteln zweimal festgenommen und "kurze Zeit" danach jeweils wieder entlassen worden sei. Er sei "von Soldaten geschlagen" worden. Allerdings ist nicht ersichtlich, warum es sich bei den geschilderten Maßnahmen nicht um "speziell und intentional gegen" den Beschwerdeführer gerichtete gehandelt und der Beschwerdeführer deshalb nicht "selbst illegitim motivierte Verfolgung zu befürchten" habe. Die belangte Behörde begründet nicht weiter, warum die Berufungsausführungen zu den Angaben in erster Instanz als "im Widerspruch" stehend und in einem solchen Maß als "gesteigert" anzusehen seien, daß sie deshalb als unglaubwürdig zu qualifizieren wären. Der Beschwerdeführer erklärte in erster Instanz lediglich, daß er "nach kurzer Zeit" wieder entlassen worden sei. Wenn der Beschwerdeführer in seiner Berufungsschrift ausführte, die Dauer seiner Anhaltungen betrugen "sieben bis zehn Tage", so kann angesichts der mit der vorerwähnten Zeitangabe verbundenen erheblichen Unschärfe seiner Aussage nicht ohne weiteres geschlossen werden, es handle sich bei der nunmehr konkreten Zeitangabe von sieben bis zehn Tagen um ein "gesteigertes Berufungsvorbringen" das den Beschwerdeführer schon deshalb als unglaubwürdig zu qualifizieren gestatte. Der Beschwerdeführer hat bereits in erster Instanz geschildert, daß sich die türkischen Soldaten "wie die Soldaten einer Besatzungsarmee" verhielten und in seinem Heimatdorf ständig "Dorfbewohner geschlagen und gefoltert" würden. Die Berufungsausführungen, daß "Kurden seines Dorfes der willkürlichen Verhaftung, Mißhandlung und in vielen Fällen auch Folterung ausgesetzt "gewesen seien und der Beschwerdeführer rechnen habe müssen, bei der dritten Festnahme nicht nur geschlagen, sondern auch - wie andere - ärgeren Folterungen ausgesetzt zu werden, stellen demnach lediglich eine Präzisierung des Vorbringens des Beschwerdeführers in erster Instanz dar. Da die Annahme einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung nicht voraussetzt, daß der Asylwerber vor seiner Ausreise eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung in einem ausreichenden Maß an Intensität bereits erlitten haben muß, ist zu beurteilen, ob aufgrund der vom Beschwerdeführer geschilderten Situation er vor seiner Ausreise im Falle des Verbleibens in seiner Heimatregion eine solche hätte befürchten müssen. Grundsätzlich vermag weder die vom Beschwerdeführer wiedergegebene schwierige Situation der kurdischen Bevölkerung aufgrund der bürgerkriegsähnlichen Zustände in den erwähnten Unruhegebieten noch die von ihm hervorgehobenen allgemeinen Benachteiligungen für die kurdische Bevölkerung in der Türkei die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu begründen (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 5. Juni 1996, Zl. 96/20/0323, und vom 10. September 1998, Zl. 96/20/0881). Von den Beschwerdeführer lediglich allgemein treffenden Auswirkungen des Ausnahmezustandes in seinem Heimatdorf, wo das türkische Militär gegen die PKK kämpfe und wo sich die türkischen Soldaten "wie die Soldaten einer Besatzungsarmee" verhielten, könnte allerdings dann nicht gesprochen werden, wenn dem Beschwerdeführer selbst eine - wenn auch von den türkischen Behörden nur unterstellte - politisch-oppositionelle Gesinnung vorgeworfen worden wäre, weil er konkret die PKK-Leute unterstützt habe, und er deshalb mit weiteren Festnahmen und Folterungen, deren Intensität von der belangten Behörde zu erfragen gewesen wäre, zu rechnen gehabt hätte. Um dies verläßlich beurteilen zu können, reicht die von der belangten Behörde unter Verletzung der ihr obliegenden amtswegigen Ermittlungspflicht mangelhaft festgestellte Sachverhaltsgrundlage nicht aus. Dem Akteninhalt kann nicht entnommen werden, wann die vom Beschwerdeführer angegebenen Festnahmen vor seiner Ausreise aus der Türkei stattgefunden haben, weshalb nicht beurteilt werden kann, ob die Anhaltungen für das weitere Leben des Beschwerdeführers als ohne wesentliche Konsequenzen angesehen werden können. Die belangte Behörde hat sich auch nicht konkret damit auseinandergesetzt, ob dem Beschwerdeführer der konkrete Vorwurf der Unterstützung der PKK-Angehörigen gemacht wurde, obwohl Anhaltspunkte dafür in seinem Vorbringen vorhanden sind. Der Beschwerdeführer erklärte in erster Instanz, daß er wegen der Unterstützung der "PKK-Kämpfer" mit Lebensmitteln festgenommen und geschlagen worden sei, wobei er dazu ergänzend in der Berufung ausführte, er sei "offenbar vom Militär beobachtet" oder "von jemanden verraten" worden. Er sei auch während seiner Anhaltung befragt worden, ob er "die in den Bergen versteckten Freiheitskämpfer kenne und deren Namen" wisse.

Die Behörde ist zwar nicht gehalten, dem Asylwerber Unterweisungen darüber zu erteilen, wie er sein Vorbringen auszuführen hat, damit seinem Antrag allenfalls stattgegeben werden kann (vgl. dazu etwa für viele das hg. Erkenntnis vom 23. März 1994, Zl. 93/01/1186). Liegen aber konkrete Anhaltspunkte für asylrelevante Umstände - wie im gegebenen Fall - vor, so obliegt es den Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Dieser aus § 37 iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung ist die belangte Behörde nicht nachgekommen.

Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 26. November 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996200852.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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