Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §37 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, in der Beschwerdesache der SO in Wien, geboren am 9. März 1970, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 16. April 1996, Zl. St 140/96, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes und Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 FrG,
Spruch
1. den Beschluß gefaßt:
Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen das über die Beschwerdeführerin verhängte Aufenthaltsverbot richtet, als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.
2. zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung zum Gegenstand hat, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.010,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien, gemäß § 18 Abs. 1 sowie den §§ 19, 20 und 21 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Weiters stellte die belangte Behörde gemäß § 54 Abs. 1 FrG fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, daß die Beschwerdeführerin in der Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei; ihre Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien sei somit zulässig (Spruchpunkt II.).
Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe angegeben, daß sie am 18. Februar 1996 ihre Heimat per Autobus verlassen hätte und über den Grenzübergang Subotica nach Ungarn eingereist wäre. Am 19. Februar 1996 wäre sie dann "illegal" an einem ihr unbekannten Grenzübergang nach Österreich eingereist. Ihre Heimat hätte sie verlassen, weil sie seit ca. eineinhalb Jahren von der Polizei verfolgt worden wäre. Die Polizei wäre zu ihr nach Hause gekommen und hätte sie geschlagen und bei den Haaren gezogen, um so den Aufenthaltsort ihres Bruders zu erfahren. Ihre Brüder wären in der Demokratischen Partei des Kosovo organisiert gewesen. Am 22. Februar 1996 hätte sie sich bei der Polizei zu melden gehabt.
Der Asylantrag der Beschwerdeführerin sei abgewiesen worden.
Der Beschwerdeführerin müsse zur Last gelegt werden, daß sie ohne Reisepaß und Sichtvermerk und unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist sei und sich hier nicht legal aufhalte, weiters habe sie sich bei ihrer Reisebewegung der Hilfe eines Schleppers bedient. Das Aufenthaltsverbot sei daher dringend erforderlich.
Den Ausspruch gemäß § 54 Abs. 1 FrG begründete die belangte Behörde - nachdem sie die Berücksichtigung der Ergebnisse des Asylverfahrens als nicht unzulässig, vielmehr als naheliegend angesehen hatte - wie folgt: "Selbst wenn man von der Richtigkeit Ihrer Angaben bezüglich des Vorgehens der Polizeibeamten ausgeht (zumal es durch keinerlei Beweise dokumentiert ist), ist festzustellen, daß derartiges Handeln als Übergriff einzelner Organe zu qualifizieren ist. Vorladungen zu Ämtern und Behörden sind auch in Staaten westlicher Prägung vorgesehen. Der Hinweis auf die allgemeine politische Lage der Kosovo-Albaner genügt keinesfalls, um eine konkrete, Sie betreffende Gefährdung glaubhaft zu machen. Auch ist zu erwähnen, daß Sie offensichtlich (Gegenteiliges wird von Ihnen nicht behauptet) legal aus Ihrem Heimatstaat ausreisen durften und keinerlei Schwierigkeiten seitens der Grenzkontrollorgane hatten (Ausreise in einem Autobus) ... Der Bescheid der Erstbehörde war demnach zu bestätigen."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten unter Verzicht
auf die Erstattung einer Gegenschrift vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zum Aufenthaltsverbot:
Mit dem - am 1. Jänner 1998 in Kraft getretenen - Fremdengesetz 1997, BGBl. I Nr. 75, wurden die gesetzlichen Voraussetzungen zur Verhängung eines Aufenthaltsverbotes unterschiedlich zu jenen des Fremdengesetzes aus 1992 geregelt.
§ 114 Abs. 4 und 7 des Fremdengesetzes 1997 lautet:
"(4) Aufenthaltsverbote, die beim Verwaltungsgerichtshof oder beim Verfassungsgerichtshof angefochten sind, treten mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes außer Kraft, sofern der angefochtene Bescheid nicht offensichtlich auch in den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes eine Grundlage fände.
...
(7) In den Fällen der Abs. 4 und 5 ist die Beschwerde als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers einzustellen; mit dem Beschluß über die Gegenstandslosigkeit der Beschwerde tritt in diesen Fällen auch der Bescheid erster Instanz außer Kraft. Solchen Aufenthaltsverboten oder Ausweisungen darf für Entscheidungen, die nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes getroffen werden sollen, keine nachteilige Wirkung zukommen."
Die Voraussetzungen für die Erklärung der Beschwerde als gegenstandslos und die Einstellung des Verfahrens im Sinn der eben genannten Bestimmung sind im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen erfüllt:
§ 36 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 lautet:
"§ 36. (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt
1.
die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
2.
anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft."
Damit wurde der Behörde - anders als nach § 18 Abs. 1 FrG - Ermessen eingeräumt.
Die Beschwerdeführerin hatte in dem zur Erlassung des von ihr angefochtenen Aufenthaltsverbotes führenden Verfahren keine Möglichkeit, erst im Rahmen der nunmehrigen Ermessensentscheidung gemäß § 36 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 relevante, gegen dessen Erlassung sprechende Umstände aufzuzeigen. Insbesondere enthält der angefochtene Bescheid keine Begründungselemente, die eine Überprüfung im Hinblick auf die nunmehr gebotene Ermessensübung ermöglichen würden.
Es liegt auch kein Fall vor, in welchem das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eindeutig und daher eine gesonderte Begründung der Ermessensentscheidung entbehrlich wäre (vgl. die in § 38 Abs. 1 Z. 3 sowie § 35 Abs. 3 Z. 1 und 2 Fremdengesetz 1997 genannten Fälle und zum Ganzen den hg. Beschluß vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490). Somit kann nicht gesagt werden, daß der angefochtene Bescheid in seinem Ausspruch über die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 114 Abs. 4 des Fremdengesetzes 1997 "offensichtlich auch in den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes eine Grundlage fände", weshalb er in diesem Umfang gemäß § 114 Abs. 4 des Fremdengesetzes 1997 mit 1. Jänner 1998 außer Kraft getreten ist.
Somit war die Beschwerde insoweit gemäß § 114 Abs. 7 iVm Abs. 4 und § 115 des Fremdengesetzes 1997 als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren einzustellen.
Hingewiesen wird darauf, daß mit dem vorliegenden Beschluß gemäß § 114 Abs. 7 erster Satz, zweiter Halbsatz, des Fremdengesetzes 1997 auch der Bescheid der Behörde erster Instanz außer Kraft tritt.
Zur Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung:
Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 1998, Zl. 95/21/0229) vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen.
Im Asylverfahren gab die Beschwerdeführerin an, sie hätte ihre Heimat verlassen, weil sie seit ca. eineinhalb Jahren von der Polizei verfolgt werde. Zu dieser Zeit wäre ihr Bruder nach Deutschland geflüchtet und anstatt ihres Bruder wäre sie von der Polizei befragt worden. "Sie kamen zu mir nach Hause, schlugen mich und zogen mich bei den Haaren und befragten mich über den Aufenthaltsort meines Bruders. Sie kamen zu jeder Tages- und Nachtzeit." Die Brüder der Beschwerdeführerin wären aktiv in der Demokratischen Partei des Kosovo organisiert gewesen. In ihrem gemäß § 54 Abs. 1 FrG gestellten Antrag gab die Beschwerdeführerin zusätzlich an, sie könne nicht mehr nach Hause, weil sie von der serbischen Polizei für den 22. Februar 1996 (somit für einen drei Tage nach ihrer Flucht gelegenen Termin) vorgeladen gewesen wäre.
Die belangte Behörde merkte zwar an, daß dieses Vorbringen durch keinerlei Beweise dokumentiert sei, ging bei ihrer rechtlichen Beurteilung jedoch von der Richtigkeit dieser Angaben aus. Eine der Beschwerdeführerin drohende Verfolgung verneinte sie lediglich mit der Begründung, daß derartiges Handeln als Übergriff einzelner Organe zu qualifizieren sei und Vorladungen zu Ämtern und Behörden auch in Staaten westlicher Prägung vorgesehen seien.
Mit dieser Begründung verkannte sie jedoch die Rechtslage. Aufgrund dessen, daß die Beschwerdeführerin als Angehörige von politisch tätigen Personen über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren wiederholt von Polizeibeamten aufgesucht, nach dem Aufenthaltsort ihrer Brüder befragt und dabei mißhandelt worden war, liegt zweifellos eine von staatlichen Stellen ausgehende Gefährdung/Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 bzw. Abs. 2 FrG vor. Diese Maßnahmen können wegen ihrer Dauer und Intensität nicht als bloße - nicht dem Staat zurechenbare - Übergriffe einzelner Organwalter gewertet werden. Wenn es auch im Sinn der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig ist, die Ergebnisse des Asylverfahrens im Feststellungsverfahren nach § 54 FrG zu berücksichtigen, so vermag der entsprechende Hinweis der belangten Behörde den angefochtenen Bescheid deshalb nicht zu stützen, weil das Bundesasylamt primär einen Ausschließungsgrund gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 zur Abweisung des Asylantrages herangezogen hat, indem es wie folgt formuliert hat:
"Sollten Sie jedoch entgegen der hierortigen Ansicht Flüchtling im Sinne der Begriffsbestimmung des Asylgesetzes 1991 sein, so liegt in ihrem Fall der Ausschließungsgrund gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 vor, da Sie über Ungarn, also einen Drittstaat, illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist sind."
Da die belangte Behörde ihren Bescheid im Umfang des Abspruchs über den Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastete, war der angefochtene Bescheid diesbezüglich gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 27. November 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996210493.X00Im RIS seit
20.11.2000