TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/2 L507 2148787-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.04.2019
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Entscheidungsdatum

02.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L507 2148787-1/20E

L507 2148791-1/11E

L507 2148786-1/10E

L507 2148788-1/10E

L507 2172572-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerden des 1) XXXX , geb. XXXX , der 2) XXXX , geb. XXXX , des 3) XXXX , geb. XXXX , des 4) XXXX , geb. XXXX , und der

5) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Irak, alle vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.01.2017 und 06.09.2017, Zlen. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.04.2018, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 3 AsylG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige arabischer Abstammung und moslemisch schiitschen Glaubens. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern des volljährigen Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viert- und Fünftbeschwerdeführer.

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin stellten am 03.11.2015 nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet für sich und ihre damals minderjährigen Kinder (Dritt- und Viertbeschwerdeführer) Anträge auf internationalen Schutz. Für die in Österreich geborene Fünftbeschwerdeführerin wurde am 09.08.2017 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Hiezu wurden die Erst- bis Drittbeschwerdeführer am 03.01.2016 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt, wobei der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen vorbrachte, dass er von einer radikal schiitischen Miliz namens Asa'ib Ahl Al Haq bedroht worden sei. Der Erstbeschwerdeführer habe bei einer Erdölfirma gearbeitet. Damit eine Person die Erdölförderanlagen betreten habe dürfen, hätte diese die Unterschrift des Erstbeschwerdeführers benötigt. Die Miliz habe vom Erstbeschwerdeführer eine solche Genehmigung für das Betreten der Erdölförderanlagen verlangt. Der Erstbeschwerdeführer habe sich aber geweigert, eine solche Genehmigung auszustellen, woraufhin ihm von der Miliz Geld dafür angeboten worden sei. Der Erstbeschwerdeführer habe sich aber weiterhin geweigert, eine solche Genehmigung auszustellen, zumal er von der Regierung verhaftet worden wäre, wenn er eine solche Genehmigung ausgestellt hätte. Die Miliz habe dem Erstbeschwerdeführer sodann gedroht, seine Kinder umzubringen. Die Miliz habe auch gedroht den Sohn des Erstbeschwerdeführers bzw. den Drittbeschwerdeführer zu rekrutieren.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte vor, dass ihr Ehegatte von der Miliz Asa'ib Ahl Al Haq bedroht worden sei. Sie hätten gedroht den Erstbeschwerdeführer und die Familie umzubringen. Sie hätten auch einen Sohn der Zweitbeschwerdeführerin bzw. den Drittbeschwerdeführer rekrutieren wollen.

Der Drittbeschwerdeführer gab an, dass eine schiitische Miliz namens Asa'ib Ahl Al Haq die Absicht gehabt habe, ihn zu rekrutieren. Er habe sich geweigert, dieser Miliz beizutreten, weil er niemanden töten wolle. Außerdem sei sein Vater von der Miliz bedroht worden.

Für die Viert- und Fünftbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

2. Am 14.12.2016 wurden der Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte der Erstbeschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund zusammengefasst vor, dass er Sicherheitsbeauftragter für Erdölfelder gewesen sei und im August 2015 eine "Gruppe" zu ihm gekommen sei, die eine Einfahrtsgenehmigung bzw. Sicherheitsgenehmigung von ihm gewollt habe. Der Erstbeschwerdeführer habe nach deren Ausweisen und offiziellen Dokumenten gefragt. Diese hätten aber kein Recht gehabt, die Erdölfelder zu betreten, zumal sie über keine Arbeitsverträge verfügt und dort auch keine Arbeit zu verrichten gehabt hätten. Die "Gruppe" sei mehrmals beim Erstbeschwerdeführer gewesen. Sie hätten ihm für seine Hilfe auch ihre Hilfe angeboten und versucht den Erstbeschwerdeführer auf indirekte Art zu bestechen. Der Erstbeschwerdeführer habe dies abgelehnt. Daraufhin hätten sie sich als Angehörige einer anderen Firma ausgegeben. Der Erstbeschwerdeführer habe bis zum 23.09.2015 noch einmal abgelehnt und habe an diesem Tag seine Arbeitsstätte gegen 15:00 Uhr verlassen. Ein Chauffeur habe ihn nach Hause gebracht. Als der Erstbeschwerdeführer ausgestiegen sei, sei ein Pick-up stehen geblieben und seien zwei Personen ausgestiegen. Sie hätten dem Erstbeschwerdeführer eine Waffe an den Rücken gehalten und ihm gesagt, dass er mitgehen solle, bevor etwas Schlimmes passiere. Sie seien mit dem Erstbeschwerdeführer in eine Wüstengegend gefahren, wo ein zweites Auto gewesen sei. Sie hätten zum Erstbeschwerdeführer unter anderem gesagt, dass sie eine unterschriebene und abgestempelte Einfahrtsgenehmigung bzw. Sicherheitsgenehmigung haben wollen. Dann hätten sie gesagt, dass sie von der Asa'ib Ahl Al Haq seien und hätten eine Schaufensterpuppe aus dem Auto geholt, diese verbrannt und dem Erstbeschwerdeführer weiter gedroht. Der Erstbeschwerdeführer habe die Leute dann davon überzeugt, dass er irgendetwas Offizielles oder eine Anfrage brauche, weil er sonst nichts machen könne. Damit habe er Zeit gewinnen wollen. Nachdem der Erstbeschwerdeführer nach Hause gebracht worden sei, habe er sich mit einem Freund vom irakischen Geheimdienst getroffen und ihm alles erzählt. Dieser habe dem Erstbeschwerdeführer von einer Anzeige gegen diese Personen abgeraten, zumal diese Personen die staatlichen Stellen unterwandert hätten. Der Erstbeschwerdeführer sei daraufhin ratlos gewesen und habe nicht gewusst, was er tun solle. Am 21.10.2015 sei der Sohn (Drittbeschwerdeführer) des Erstbeschwerdeführers gekommen und verängstigt gewesen. Der Sohn habe dem Erstbeschwerdeführer erzählt, dass er angesprochen worden sei. Sie hätten gesagt, dass der Sohn des Erstbeschwerdeführers ein ausgezeichneter Junge und ehrenvoller Mensch sei; sie selbst seien die Asa'ib Ahl Al Haq und er solle sich ihnen anschließen. Zudem hätten sie dem Sohn des Erstbeschwerdeführers eine wichtige Position, eine Waffe, ein Haus, ein Auto und Eigentum versprochen. Der Sohn des Erstbeschwerdeführers habe aber nicht geantwortet und sei still und verängstigt gewesen. Sie hätten von seinem Sohn verlangt, dass er drei Tage später wieder zum selben Ort kommen, seine Sachen mitnehmen solle und er niemanden etwas darüber erzählen dürfe. Der Erstbeschwerdeführer habe daraufhin keine Lösung mehr gefunden, weil sie ihn selbst und seinen Sohn bei ihm zu Hause erreicht oder gefunden hätten. Aus diesen Gründen habe der Erstbeschwerdeführer mit seiner Ehefrau und den Kindern das Land bzw. den Irak verlassen.

Der Drittbeschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor, dass Milizen von ihm gewollt hätten, dass er sich ihnen anschließe. Am 01.10.2015 sei er bei einem Freund gewesen. Er sei gegen 20:00 Uhr aus dem Haus gegangen und von einem Mann angesprochen worden. Zwei weitere Männer seien in einem Pick-up gesessen. Dieser Mann habe den Drittbeschwerdeführer in den höchsten Tönen gelobt und erklärt, dass er von der Asa'ib Ahl Al Haq sei und der Drittbeschwerdeführer sich ihnen anschließen solle. Der Mann habe auch gesagt, der Drittbeschwerdeführer solle zustimmen, zumal er wisse, was einer Person passiere, die das Angebot der Asa'ib Ahl Al Haq ablehne. Der Drittbeschwerdeführer habe aber stillgehalten. Er hätte drei Tage danach zur gleichen Zeit am gleichen Ort mit seinen Sachen erscheinen sollen. Ein Auto hätte am Ende der Straße auf ihn gewartet. Der Drittbeschwerdeführer sei still geblieben, nach Hause gegangen und habe alles seinem Vater erzählt. Danach hätten sie die Sachen vorbereitet und seien zum Haus des Onkels des Drittbeschwerdeführers gegangen. Danach seien sie von einer Provinz in die andere gezogen, bis sie den Irak verlassen hätten.

3. Am 28.12.2016 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin erneut vor dem BFA einvernommen. Dabei wurde der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen zu seiner Tätigkeit im XXXX befragt. Der Erstbeschwerdeführer erklärte zusammengefasst, dass er für das Sicherheitspersonal der Erdölfelder im Süden des Irak direkt verantwortlich gewesen sei. Es seien ihm direkt 400 Personen und indirekt 600 Personen unterstellt gewesen. Der Erstbeschwerdeführer habe Genehmigungen für das Betreten des Erdölfeldes, für Personen, Fahrzeuge, Waffen für die Sicherheitsunternehmen, welche dort tätig gewesen seien und für verschiedene Güter (meistens chemische Güter für die Erdölproduktion sowie explosives Material) ausgestellt. Hinsichtlich der chemischen Materialen und des explosiven Materials habe es Anfragen gegeben, die der Erstbeschwerdeführer bearbeitet habe. Der Erstbeschwerdeführer sei auch für die Bewilligung von Erdölbohrtürmen zuständig gewesen und habe es für solche Bewilligungen immer einer schriftlichen Genehmigung vom XXXX oder vom Unternehmen Naft Alganub (Erdöl des Südens, englisch SOC) bedurft. Dieses Unternehmen sei direkt dem XXXX unterstellt. Im Weiteren erklärte der Erstbeschwerdeführer welche Unterlagen für eine Genehmigung benötigt worden seien und dass er offiziell von 08:00 bis 15:00 Uhr gearbeitet habe. Manchmal sei er bis 17:00 oder 12:00 Uhr geblieben und manchmal habe er auch in der Arbeit übernachtet. Im Weiteren legte der Erstbeschwerdeführer die Tätigkeit seines Chauffeurs dar. Wann genau die verdächtige Gruppe ihn das erste Mal in der Arbeit aufgesucht habe, könne der Erstbeschwerdeführer nicht sagen. Er habe nicht wissen können, wer verdächtig sei und wer nicht. Im Irak würden alle gleich ausschauen und gleich angezogen sein. Es gebe keine äußeren Merkmale, die einen verdächtig machen würden oder nicht. Am Anfang seien zwei Personen ohne offizielle Papiere bzw. ohne offizielle Ansuchen zum Erstbeschwerdeführer gekommen. Später seien zwei bis drei andere Personen gekommen. Ein weiteres Mal seien eine Person und dann wieder zwei gekommen. Das sei normal. Erst als sie dem Erstbeschwerdeführer ihre "Hilfe" angeboten hätten, wenn er die Genehmigung erteile, habe er Verdacht geschöpft. Einerseits habe er vermutet, dass es Arbeiter seien, welche nur arbeiten wollen und andererseits, dass die Personen vom Büro für Ethik und Korruption, welches hin und wieder Angestellte überprüfe, kommen würden um zu prüfen, ob er bestechlich sei. Insgesamt sei er neun- oder zehnmal von diesen Personen aufgesucht worden. Beim neunten oder zehnten Besuch sei dem Erstbeschwerdeführer Geld angeboten worden und habe er gesagt, dass er sie melden würde, sollten sich noch einmal kommen. Weiters tätigte der Erstbeschwerdeführer Angaben zum 23.09.2015 und zur Ausstellung der Genehmigungen sowie zur Ausreise aus dem Irak mit Hilfe von Freunden. Nach Bagdad, wo der Erstbeschwerdeführer ein Haus besitze, sei er nicht gegangen, weil er dort bereits im Jahr 2006 vertrieben worden sei. Der Erstbeschwerdeführer habe damals für ein Unternehmen gearbeitet, welches einen Vertrag mit einem amerikanischen Unternehmen gehabt habe. Der Erstbeschwerdeführer habe direkten Kontakt zu den Amerikanern gehabt und sei deshalb als Spitzel betrachtet worden. Damals sei der Erstbeschwerdeführer von der Mahdi Armee bedroht worden.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte zum Ausreisegrund zusammengefasst vor, dass ihr Ehegatte bedroht worden sei und die Milizen ihren Sohn (den Drittbeschwerdeführer) einziehen bzw. rekrutieren hätte wollen. Ihr Ehegatte sei am 23.09.2015 bedroht worden, sie habe jedoch nichts davon gewusst. Am 01.10.2015 sei der ältere Sohn zu ihr gekommen. Er sei verängstigt und erschrocken gewesen und habe gesagt, dass der Erstbeschwerdeführer mit ihr reden wolle. Der Erstbeschwerdeführer habe zur Zweitbeschwerdeführerin gesagt, dass sie die Sachen vorbereiten und die wichtigsten Sachen mitnehmen solle, weil sie weg müssten. Der Erstbeschwerdeführer habe von dem Rekrutierungsversuch der Milizen erzählt, woraufhin die Zweitbeschwerdeführerin gemeint habe, dass er zur Polizei gehen könne. Daraufhin habe der Erstbeschwerdeführer gesagt, dass auch er vor einiger Zeit von dieser Gruppe bedroht worden sei und sie nicht wisse, wie gefährlich die Situation sei. Sie seien dann nachts zum Bruder der Zweitbeschwerdeführerin gefahren und hätten sich in weiterer Folge in Mysan, Kut, Kerbala und Najaf aufgehalten, ehe sie am 19.10.2015 den Irak verlasse hätten. Im Weiteren schilderte die Zweitbeschwerdeführerin die Wahrnehmungen am und nach dem 23.09.2015, als ihr Ehegatte von schiitischen Milizen mitgenommen worden sei sowie jene am 01.10.2015, als der Sohn der Zweitbeschwerdeführerin von Personen der Asa'ib Ahl Al Haq angesprochen worden sei. Die Zweitbeschwerdeführerin führte auch aus, dass ihr Ehegatte im Jahr 2005 in Bagdad bei einem irakischen Unternehmen gearbeitet habe, welches mit einem amerikanischen Unternehmen kooperiert habe. Die Al Mahdi Armee habe den Erstbeschwerdeführer damals als Verräter und Spitzel angesehen und sei ein Arbeitskollege des Erstbeschwerdeführers getötet worden, weshalb sie aus Bagdad weggezogen seien.

4. Die Anträge auf internationalen Schutz der Erst- bis Viertbeschwerdeführer wurden mit Bescheiden des BFA vom 26.01.2017 und hinsichtlich die Fünftbeschwerdeführerin mit Bescheid vom 06.09.2017, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde den Beschwerdeführern der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und wurden gemäß § 8 Abs. 4 AsylG befristete Aufenthaltsberechtigungen mit Gültigkeit bis zum 26.01.2018 erteilt.

Beweiswürdigend wurde hinsichtlich der Gründe für das Verlassen des Irak vom BFA festgehalten, dass dem Vorbringen der Erst- bis Drittbeschwerdeführer aufgrund mehrere Widersprüche die Glaubwürdigkeit abzuerkennen sei. Infolge der derzeit im Irak vorherrschenden schlechten allgemeinen Sicherheitslage seien den Beschwerdeführern jedoch der Status von subsidiär Schutzberechtigten und gleichzeitig befristete Aufenthaltsberechtigungen zu erteilen gewesen.

7. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 27.01.2017 betreffend die Erst- bis Viertbeschwerdeführer und vom 07.09.2017 betreffend die Fünftbeschwerdeführerin wurden den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

4. Die bekämpften Bescheide wurden den Erst- bis Viertbeschwerdeführern am 31.01.2017 und der Vertretung der Fünftbeschwerdeführerin am 13.09.2017 ordnungsgemäß zugestellt, wogegen am 23.02.2017 hinsichtlich die Erst- bis Viertbeschwerdeführer bzw. am 29.09.2017 hinsichtlich die Fünftbeschwerdeführerin fristgerecht Beschwerden erhoben wurden.

Darin wurde zunächst moniert, dass die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen unvollständig seien und das BFA die zitierten Berichte auch nur unvollständig ausgewertet habe. Dies treffe vor allem die Berichte zu den im Irak tätigen schiitischen Milizen. Länderfeststellungen dürften aber nicht nur allgemein gehalten sein (VfGH 02.05.2011, U 1005/10). Die Beschwerdeführer seien auch ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen und hätten von sich aus Zeitungsartikel und Länderberichte vorgelegt, was von der Organwalterin des BFA aber nicht akzeptiert worden sei. Den Länderberichten sei zu entnehmen, dass die Sicherheitslage im Irak weiterhin als höchst instabil zu qualifizieren sei und wurden diesbezüglich auszugweise Berichte von Accord und der Stiftung Wissenschaft und Politik (Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit) zitiert. Zudem seien den Beschwerdeführern die Widersprüche nicht im Rahmen der Einvernahme oder eines späteren schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht worden, was einen schwerwiegenden Verfahrensmangel darstelle. Im Weiteren wurde - wie näher dargelegt - versucht, die vom BFA dargelegten Widersprüche aufzuklären. Nach allgemeinen Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung wurde noch festgehalten, dass es sich im gegenständlichen Fall um eine von Milizen ausgehende Verfolgung handle und der irakische Staat nicht in der Lage sei, die Beschwerdeführer vor Verfolgung durch die Miliz zu schützen.

5. Mit Schreiben vom 20.04.2018 wurden seitens der Vertretung der Beschwerdeführer mehrere Fotos sowie Lageaufnahmen vorgelegt. Hinsichtlich der Aktivitäten der Asa'ib Ahl Al Haq wurde eine Accord-Anfragebeantwortung vom 20.02.2017 vorgelegt.

6. Am 26.04.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache der Beschwerdeführer eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. Den Erst- bis Drittbeschwerdeführern wurde in der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit gegeben, neuerlich ihre Ausreisemotivation darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand vorliegender Länderdokumentationsunterlagen erörtert.

7. Am 22.08.2018 erging seitens des Bundesverwaltungsgerichtes ein Erhebungsersuchen an den Sachverständigen Ing. Mag. Karl Mahringer und langte das Rechercheergebnis vom 30.09.2018 am 02.10.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Mit Schreiben vom 08.02.2019 erstattete die Vertretung der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zum Rechercheergebnis vom 30.09.2018 sowie zum aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zum Irak. Weiters wurden eine Verwaltungsanordnung sowie eine vom Erstbeschwerdeführer unterfertigte Zutrittsgenehmigung samt diesbezüglicher Übersetzungen vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehöriger des Irak, moslemisch schiitischen Glaubens und Angehörige der arabischen Volksgruppe. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben im Jahr 1999 im Irak geheiratet und entstammend dieser Ehe drei gemeinsame Kinder (Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer).

Die Erst- bis Viertbeschwerdeführer wurden in Bagdad geboren und lebten dort bis Ende 2005. Danach übersiedelten sie nach Basra, wo sie bis 01.10.2015 lebten. Im Oktober 2015 haben die Erst- bis Viertbeschwerdeführer den Irak verlassen.

Der Erstbeschwerdeführer besuchte im Irak zwölf Jahre lang die Schule und schloss diese mit Matura ab. Anschließend studierte er vier Jahre lang Englisch. Nach verschiedenen selbstständigen Tätigkeiten hat der Erstbeschwerdeführer in Bagdad von Anfang 2005 bis Ende 2005 bei einer amerikanischen Firma gearbeitet, ehe er in Basra als Dolmetscher tätig war. Im Jahr 2008 hat der Erstbeschwerdeführer eine Anstellung beim irakischen Staat erhalten und war bis 2012 in den Bereichen Verwaltung (Immobilienabteilung) und Sicherheit (Personen- und Fahrzeugkontrolle) tätig. Von 2012 bis Oktober 2015 war der Erstbeschwerdeführer bei einem Unternehmen des irakischen XXXX in der Sicherheitsabteilung als Observant tätig. Im Rahmen dessen war er für die Überwachung der Sicherheitsabläufe, für die Kontrolle an den Eingangstoren (Ausweise), für die Überprüfung von Fahrzeugen sowie für administrative Arbeiten zuständig. Der Erstbeschwerdeführer führte diese Tätigkeiten nach den Vorgaben seiner Vorgesetzten aus, war aber nicht für die Ausstellung von Ausweisen zuständig.

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in Bagdad geboren und lebte dort bis zu ihrem Umzug nach Basra im Jahr 2005. Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte im Irak zwölf Jahr lang die Schule und schloss diese mit Matura ab. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung als Hebamme und war danach ca. drei Jahre lang in einem Krankenhaus als Hebamme tätig. Ab 2003 hat die Zweitbeschwerdeführerin von zu Hause aus als Hebamme gearbeitet.

Die Dritt- und Viertbeschwerdeführer waren vor ihrer Ausreise aus dem Irak Schüler.

Die Erst- bis Viertbeschwerdeführer reisten im November 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und halten sich seither ununterbrochen hier auf. Die Fünftbeschwerdeführerin wurde am XXXX 2017 in Österreich geboren.

Nicht feststellbar war, dass die Erst- bis Viertbeschwerdeführer vor der Ausreise aus dem Irak einer individuellen asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt waren oder die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt wären.

1.2. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

Politische Lage

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.2.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazat) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).

Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018). Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018; vgl. IRIS 11.5.2018).

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.2.2018).

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 9.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker,

https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 19.10.2018

-BBC - British Broadcasting Corporation (9.12.2017): Iraq declares war with Islamic State is over, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-42291985, Zugriff 18.10.2018

-BBC - British Broadcasting Corporation (3.10.2018): New Iraq President Barham Saleh names Adel Abdul Mahdi as PM, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-45722528, Zugriff 18.10.2018

-CIA - Central Intelligence Agency (17.10.2018): The World Factbook - Iraq,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 19.10.2018

-DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 18.10.2018

-Fanack (27.9.2018): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 17.10.2018

-The Guardian (3.10.2018): Iraqi president names Adel Abdul-Mahdi as next prime minister,

https://www.theguardian.com/world/2018/oct/03/iraqi-president-names-adel-abdul-mahdi-as-next-prime-minister, Zugriff 18.10.2018

-ICG - International Crisis Group (9.5.2018): Iraq's Pre-election Optimism Includes a New Partnership with Saudi Arabia, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/iraqs-pre-election-optimism-includes-new-partnership-saudi-arabia, Zugriff 18.10.2018

-KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 17.10.2018

-LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018):

The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 18.10.2018

-Reuters (15.9.2018): Iraq parliament elects Sunni lawmaker al-Halbousi as speaker, breaking deadlock, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics/iraq-parliament-elects-sunni-lawmaker-al-halbousi-as-speaker-breaking-deadlock-idUSKCN1LV0BH, Zugriff 18.10.2018

-RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 18.10.2018

-Der Standard (13.5.2018): Wahlen im Irak: Al-Abadi laut Kreisen in Führung,

https://derstandard.at/2000079629773/Irakische-Parlamentswahl-ohne-groessere-Zder, Zugriff 2.11.2018

-Der Standard (3.10.2018): Neue alte Gesichter für Iraks Topjobs, https://derstandard.at/2000088607743/Neue-alte-Gesichter-fuer-Iraks-Topjobs, Zugriff 19.10.2018

-TA - Tagesanzeiger (12.5.2018): Im Bann des Misstrauens, https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/im-bann-des-misstrauens/story/29434606, Zugriff 18.10.2018

-UNSC - United Nations Security Council (17.1.2018): Report of the Secretary-General pursuant to resolution 2367 (2017), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N1800449.pdf, Zugriff 19.10.2018

-WZ - Wiener Zeitung (12.5.2018): Erste Wahl im Irak nach Sieg gegen IS stößt auf wenig Interesse,

https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/964399_Erste-Wahl-im-Irak-nach-Sieg-gegen-IS-stoesst-auf-wenig-Interesse.html, Zugriff 23.10.2018

Protestbewegung

Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Quellen:

-Al Jazeera (22.7.2018): Iraq protests: What you should know, https://www.aljazeera.com/indepth/features/iraq-protests-180717074846746.html, Zugriff 23.10.2018

-Al Jazeera (3.8.2018): Protests in Iraq dwindle after weeks of anger,

https://www.aljazeera.com/news/2018/08/protests-iraq-dwindle-weeks-anger-180803192747710.html, Zugriff 24.10.2018

-Carnegie - Carnegie Middle East Center (19.9.2018): The Basra Exception, http://carnegie-mec.org/diwan/77284?lang=en, Zugriff 23.10.2018

-CNN - Central News Network (17.7.2018): Protests spread, turn deadly in Iraq: At least 8 are dead, dozens hurt, https://edition.cnn.com/2018/07/16/world/iraq-protests-violent/index.html, Zugriff 23.10.2018

-The Daily Star (19.7.2018): In Iraq, old grievances fuel deadly protests,

https://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2018/Jul-19/457085-in-iraq-old-grievances-fuel-deadly-protests.ashx, Zugriff 23.10.2018

-DW - Deutsche Welle (15.7.2018): Protests spread from oil-rich Basra across southern Iraq,

https://www.dw.com/en/protests-spread-from-oil-rich-basra-across-southern-iraq/a-44678926, Zugriff 23.10.2018

-HRW - Human Rights Watch (24.7.2018): Iraq: Security Forces Fire on Protesters,

https://www.hrw.org/news/2018/07/24/iraq-security-forces-fire-protesters, Zugriff 24.10.2018

-ICG - International Crisis Group (31.7.2018): How to cope with Iraq's summer brushfire,

https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/b61-how-cope-iraqs-summer-brushfire, Zugriff 23.10.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (14.7.2018): Protests In Iraq Greatly Escalate And Spread Throughout South, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/protests-in-iraq-greatly-escalate-and.html, Zugriff 24.10.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (17.7.2018): Iraq Government Starts Crackdown On Protests,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/iraq-government-starts-crackdown-on.html, Zugriff 24.10.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (21.7.2018): 2 Killed As Protests Hit 10 Provinces In Iraq,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/2-killed-as-protests-hit-10-provinces.html, Zugriff 24.10.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (25.7.2018): Silencing Protests In Iraq,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/silencing-protests-in-iraq.html, Zugriff 24.10.2018

-Kurier (15.7.2018): Proteste im Irak eskalieren weiter: Mehrere Tote,

https://kurier.at/politik/ausland/proteste-im-irak-eskalieren-weiter-mehrere-tote/400066748, Zugriff 24.10.2018

-NPR - National Public Radio (27.9.2018): Months Of Protests Roil Iraq's Oil Capital Basra,

https://www.npr.org/2018/09/27/651508389/months-of-protests-roil-iraqs-oil-capital-basra?t=1539869569857&t=1540298050551, Zugriff 23.10.2018

-Die Presse (15.7.2018): Massive Proteste breiten sich im Süden des Irak aus,

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5464674/Massive-Proteste-breiten-sich-im-Sueden-des-Irak-aus, Zugriff 24.10.2018

-Vox (8.9.2018): The violent protests in Iraq, explained, https://www.vox.com/world/2018/9/7/17831526/iraq-protests-basra-burning-government-buildings-iran-consulate-water, Zugriff 24.10.2018

-WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=994916&em_loc=69&em_ref=/nachrichten/welt/weltpolitik/&em_ivw=RedCont/Politik/Ausland&em_absatz_bold=0, Zugriff 2.11.2018

Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 19.7.2018

-CRS - Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf, Zugriff 29.10.2018

-MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 30.10.2018

Sicherheitslage im Nord- und Zentralirak

In den Provinzen Ninewa und Salah al-Din muss weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinz Anbar und die Provinz Ta'mim (Kirkuk), sowie auch für die Provinz Diyala. Hinzu kommen aktuelle Spannungen zwischen irakischen Streitkräften und kurdischen Peshmerga (AA 1.11.2018).

Mit dem Zuwachs und Gewinn an Stärke von lokalen und sub-staatlichen Kräften, haben diese auch zunehmend Verantwortung für die Sicherheit, politische Steuerung und kritische Dienstleistungen übernommen. Infolgedessen ist der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des IS, auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle. Die Fragmentierung der Macht und die große Anzahl an mobilisierten Kräften mit widersprüchlichen Loyalitäten und Programmen stellt eine erhebliche Herausforderung für die allgemeinen Stabilität dar (GPPI 3.2018).

Der Zentralirak ist derzeit der wichtigste Stützpunkt für den IS. Die Gewalt dort nahm im Sommer 2018 zu, ist aber inzwischen wieder gesunken. In der Provinz Diyala beispielsweise fiel die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle von durchschnittlich 1,7 Vorfällen pro Tag im Juni 2018 auf 1,1 Vorfälle im Oktober 2018. Auch in der Provinz Salah al-Din kam es im Juni 2018 zu durchschnittlich 1,4 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Tag, im Oktober jedoch nur noch zu 0,5. Die Provinz Kirkuk verzeichnete im Oktober 2018 einen Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit durchschnittlich 1,5 Vorfällen pro Tag, die höchste Zahl seit Juni 2018. Die Anzahl der Vorfälle selbst ist jedoch nicht so maßgeblich wie die Art der Vorfälle und die Schauplätze an denen sie ausgeübt werden. Der IS ist in allen ländlichen Gebieten der Provinz Diyala, in Süd-Kirkuk, Nord- und Zentral-Salah-al-Din tätig. Es gibt regelmäßige Angriffe auf Städte; Zivilisten und Beamte werden entführt; Steuern werden erhoben und Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen ausgeübt, die sich weigern zu zahlen; es kommt auch regelmäßige zu Schießereien. Es gibt immer mehr Berichte über IS-Mitglieder, die sich tagsüber im Freien bewegen und das Ausmaß ihrer Kontrolle zeigen. Die Regierung hat in vielen dieser Gegenden wenig Präsenz und die anhaltenden Sicherheitseinsätze sind ineffektiv, da die Kämpfer ausweichen, wenn die Einsätze im Gang sind, und zurückkehren, wenn sie wieder beendet sind. Der IS verfügt derzeit über eine nach außen hin expandierende Kontrolle in diesen Gebieten (Joel Wing 2.11.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/iraksicherheit/202738, Zugriff 1.11.2018

-GPPI - Global Public Policy Institute (3.2018): Iraq after ISIL:

Sub-State Actors, Local Forces, and the Micro-Politics of Control, http://www.gppi.net/fileadmin/user_upload/media/pub/2018/Gaston_Derzsi-Horvath_Iraq_After_ISIL.pdf, Zugriff 5.11.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (2.11.2018): October 2018: Islamic State Expanding Operations In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/11/october-2018-islamic-state-expanding.html, Zugriff 5.11.2018

Sicherheitslage im Süden des Irak

Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018).

In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen (AA 1.11.2018).

Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, zu Verletzten und Toten (CEDOCA 28.2.2018). Dies war auch im Juli und September 2018 der Fall, als Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei getötet wurden (Al Jazeera 16.7.2018; vgl. Joel Wing 5.9.2018, AI 7.9.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/iraksicherheit/202738, Zugriff 1.11.2018

-AI - Amnesty International (7.9.2018): Iraq: Effective Investigations needed into deaths of protesters in Basra, https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE1490552018ENGLISH.PDF, Zugriff 2.11.2018

-Al Jazeera (16.7.2018): Death toll rises in southern Iraq protests, https://www.aljazeera.com/news/2018/07/death-toll-rises-southern-iraq-protests-180716181812482.html, Zugriff 2.11.2018

-CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides (28.2.2018): IRAK: Situation sécuritaire dans le sud de l'Irak, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak_situation_securitaire_dans_le_sud_de_lirak_20180228.pdf, Zugriff 1.11.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (5.9.2018): Basra Explodes In Rage and Riots Over Water Crisis,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/09/basra-explodes-in-rage-and-riots-over.html, Zugriff 2.11.2018

-Landinfo - The Norwegian COI Centre (31.5.2018): Irak:

Sikkerhetssituasjonen i Sør-Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434620/1226_1528700530_irak-temanotat-sikkerhetssituasjonen-i-syarirak-hrn-31052018.pdf, Zugriff 1.11.2018

Rechtsschutz und Justizwesen

Die Bundesjustiz besteht aus dem Obersten Justizrat (Higher Judicial Council, HJC), dem Bundesgerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission und anderen Bundesgerichten, die durch das Gesetz geregelt werden. Das reguläre Strafjustizsystem besteht aus Ermittlungsgerichten, Gerichten der ersten Instanz, Berufungsgerichten, dem Kassationsgerichtshof und der Staatsanwaltschaft (LIFOS 8.5.2014). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.2.2018).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.2.2018). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein. Darüber hinaus schwächen die Sicherheitslage und die politische Geschichte des Landes die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 20.4.2018). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.2.2018).

Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 16.1.2018).

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.2.2018). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft (FH 16.1.2018). Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.2.2018).

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Die Integritätskommission untersucht routinemäßig Richter wegen Korruptionsvorwürfen, aber einige Untersuchungen sind Berichten zufolge politisch motiviert. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente sowie der Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 20.4.2018). Nicht nur Polizei Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).

Die Verfassung gibt allen Bürgern das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess. Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen. Obwohl Ermittlungs-, Prozess- und Berufungsrichter im Allgemeinen versuchen, das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen, ist der unzureichende Zugang der Angeklagten zu Verteidigern ein schwerwiegender Mangel im Verfahren. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 20.4.2018).

2017 endeten viele Schnellverfahren gegen Terrorverdächtige mit Todesurteilen. Zwischen Juli und August 2017 erließen die irakischen Behörden auch Haftbefehle gegen mindestens 15 Rechtsanwälte, die mutmaßliche IS-Mitglieder verteidigt hatten. Den Anwälten wurde vorgeworfen, sie stünden mit dem IS in Verbindung (AI 22.2.2018).

Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 16.7.2018

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425073.html, Zugriff 13.7.2018

-FH - Freedom House (16.1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq, Zugriff 25.7.2018

-LIFOS (8.5.2014): Iraq: Rule of Law in the Security and Legal System, https://landinfo.no/asset/2872/1/2872_1.pdf, Zugriff 13.7.2018

-Stanford - Stanford Law School (2013): Constitutional Law of Iraq, https://law.stanford.edu/wp-content/uploads/2018/04/ILEI-Constitutional-Law-2013.pdf, Zugriff 12.7.2018

-USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 13.7.2018

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 20.4.2018).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Sie sind noch

nicht befähigt, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.2.2018).

Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums. Nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen findet Missbrauch vor allem während der Verhöre inhaftierter Personen im Rahmen der Untersuchungshaft statt. Probleme innerhalb der Provinzpolizei des Landes, einschließlich Korruption, bleiben weiterhin bestehen. Armee und Bundespolizei rekrutieren und entsenden bundesweit Soldaten und Polizisten. Dies führt zu Beschwerden lokaler Gemeinden bezüglich Diskriminierung aufgrund ethno-konfessioneller Unterschiede durch Mitglieder von Armee und Polizei. Die Sicherheitskräfte unternehmen nur begrenzte Anstrengungen, um gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 31.10.2018

-USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

Volksmobilisierungseinheiten (PMF)

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" (al-hashd al-sha'bi, engl.:

popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 20.4.2018). Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mosul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.2.2018).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.2.2018). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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