TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/15 L524 2139566-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.04.2019
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Entscheidungsdatum

15.04.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L524 2139566-1/38E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.10.2016, Zl. 1075263607-150742611/BMI-BFA_BGLD_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.03.2019, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 26.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am 28.06.2015 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, er sei sunnitischer Moslem und Araber. Er habe von 1997 bis 2003 die Grundschule und von 2003 bis 2009 eine Allgemeinbildende Höhere Schule in Bagdad besucht. Zuletzt habe er als Dekorateur gearbeitet. Im Irak würden noch seine Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüder leben. Im April 2015 habe er von Bagdad aus mit einem Flugzeug den Irak verlassen. Den Reisepass habe er während der Reise verloren. Zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an: "Ich habe als irakischer Sunnit Angst vor den schiitischen Milizen. Mein Bruder und ich wurden von ihnen bedroht. Mein Bruder wurde entführt. Ich konnte fliehen. Das ist mein Grund."

2. Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 19.08.2016 gab der Beschwerdeführer an, dass er sich psychisch und physisch in der Lage fühle, die an ihn gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Er stehe nicht in ärztlicher Behandlung und nehme keine Medikamente. Er sei gesund. In der Erstbefragung habe er die Wahrheit gesagt und er halte die dortigen Angaben aufrecht. Er habe sich von November 2013 bis Mai 2015 in Istanbul aufgehalten und dort in einer Tischlerfabrik gearbeitet. Seine Eltern und eine Schwester würden in Bagdad, XXXX , leben. Ein Bruder und eine weitere Schwester würden in Bagdad, XXXX , leben. Der Beschwerdeführer habe von 1997 bis 2003 die Grundschule und von 2003 bis 2009 die AHS in Bagdad besucht. Von 2010 bis 2013 habe er bei seinem Vater und selbständig als Elektriker in Bagdad gearbeitet. Der Beschwerdeführer habe ab 2006 bis 2013 mit seinen Eltern in XXXX in Bagdad gelebt. Danach sei er zehn Tage in Arbil in einem Hotel gewesen und im November 2013 mit dem Bus in die Türkei gereist, wo er bis Mai 2015 geblieben sei. Seit zwei Jahren würden mehrere Tanten mit ihren Familien in Arbil und Seulymaniah leben. Sie würden in einer Putzerei oder als Friseure arbeiten.

Zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an: "Ich verließ den Irak, weil wir vertrieben wurden. Mein Bruder wurde ermordet. Ich fühlte mich fremd in meiner eigenen Heimat. Ich bekam auch einen Drohbrief. Die Leute, die meinen Bruder ermordeten, erblickte ich in Istanbul. Dies waren die Gründe, weshalb ich den Irak verließ."

Über weitere Befragung gab der Beschwerdeführer an, dass die Familie des Beschwerdeführers 2006 das schiitische Viertel XXXX verlassen habe, weil sie von der Al Mahdi Miliz vertrieben worden sei, und in das sunnitische Viertel XXXX gezogen sei. Die Familie habe Drohbriefe bekommen und im Mai 2009 sei der Bruder des Beschwerdeführers umgebracht worden. Der Beschwerdeführer und sein Bruder seien auf dem Weg zum Haus in XXXX gewesen, weil sie gehört hätten, dass das Haus bombardiert worden sei. Auf ihr Auto sei geschossen und sein Bruder sei getroffen worden. Er sei noch an der Unfallstelle verstorben. Der Beschwerdeführer habe nur einen kleinen Kratzer an der Hand gehabt. Den Drohbrief habe der Beschwerdeführer am 25.07.2012 bekommen. Er habe ihn zu Hause im Garten gefunden. Diesen Drohbrief habe er verloren. In diesem sei gestanden, dass sie den Bruder des Beschwerdeführers umgebracht hätten und der Beschwerdeführer mit ihnen gegen den IS kämpfen solle, ansonsten würde seine Familie umgebracht werden. Der heute vorgelegte Drohbrief sei der zweite Drohbrief gewesen, den sie beim zerstörten Haus in XXXX gefunden hätten. In diesem sei gestanden, dass die Familie das Haus verlassen müsse und dies die letzte Warnung sei. Beide Briefe seien von der Al Mahdi Miliz gewesen. Den zweiten Drohbrief habe der Vater etwa einen Monat nach dem Tod des Bruders gefunden. Beide Drohbriefe hätten aus fünf Zetteln bestanden und seien innerhalb eines Monats gekommen. Etwa einen oder zwei Monate nach dem Tod des Bruders sei eine unechte Handgranate in den Vorgarten der Familie geworfen worden, um sie zu erschrecken.

3. Mit Bescheid des BFA vom 24.10.2016, Zl. 1075263607-150742611/BMI-BFA_BGLD_RD, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft gemacht habe. Es sei auch davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohe. Eine Interessenabwägung ergebe, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Der Beschwerde war ein handschriftlich verfasstes Schreiben des Beschwerdeführers in arabischer Sprache beigefügt, in dem er seinen Fluchtgrund schilderte.

5. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde am 28.03.2019 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an der nur der Beschwerdeführer als Partei teilnahm. Die belangte Behörde entsandte keinen Vertreter, beantragte jedoch die Abweisung der Beschwerde. Dem Beschwerdeführer wurde die Gelegenheit eingeräumt, sein Fluchtvorbringen zu schildern. Dem Beschwerdeführer wurden Berichte zur Lage im Irak zur Kenntnis gebracht. Hierzu gab der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitischer Moslem. Der Beschwerdeführer lebte von seiner Geburt bis zur Ausreise aus dem Irak in Bagdad. Der Beschwerdeführer hat neun Jahre die Schule besucht und bei seinem Vater als Elektriker gearbeitet.

Die Eltern und zumindest ein Bruder leben noch in Bagdad. Die Familie besitzt dort ein Eigentumshaus. Der Beschwerdeführer hat zwei Schwestern, die verheiratet sind und in Bagdad leben. Im Irak leben auch mehrere Tanten des Beschwerdeführers mit ihren Familien. Eine Tante lebt in der Provinz al-Anbar. Der Beschwerdeführer hat auch Freunde in Bagdad.

Der Beschwerdeführer verließ im September 2013 legal den Irak und reiste in die Türkei, wo er bis ca. Mai 2015 blieb und als Tischler arbeitete. Danach reiste er schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 26.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund, wonach er von schiitischen Milizen bedroht und auf ihn geschossen worden sei, weil er Sunnit sei, wird der Entscheidung mangels Glaubhaftigkeit nicht zugrunde gelegt.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er besuchte von April bis November 2018 "Brückenmodule" zur Vorbereitung auf den Pflichtschulabschlusslehrgang. Mit diesem Lehrgang begann der Beschwerdeführer im Jänner 2019. Der Beschwerdeführer hat österreichische Freunde und geht ins Fitnessstudio und betätigt sich in einem Kulturverein. Der Beschwerdeführer verfügt auch über Empfehlungsschreiben.

Der Beschwerdeführer leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, Depressionen, Konzentrationsstörungen und Schlafproblemen. Er nimmt laut eigenen Angaben bei Bedarf ca. zwei bis drei Mal pro Woche ein Beruhigungsmittel.

Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Er ist nicht erwerbstätig. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage vom 08.04.2019, wonach er in einem Friseurstudio geringfügig beschäftigt würde. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Zur Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen:

Im Juni 2014 startete der sog. Islamische Staat Irak (IS) oder Da'esh, einen erfolgreichen Angriff auf Mossul, die zweitgrößte Stadt des Irak. Der IS übernahm daraufhin die Kontrolle über andere Gebiete des Irak, einschließlich großer Teile der Provinzen Anbar, Salah al-Din, Diyala und Kirkuk. Im Dezember 2017 erklärte Premierminister Haider al-Abadi den endgültigen Sieg über den IS, nachdem die irakischen Streitkräfte die letzten Gebiete, die noch immer an der Grenze zu Syrien unter ihrer Kontrolle standen, zurückerobert hatten. ISIL führt weiterhin kleine Angriffe vorwiegend auf Regierungstruppen und Sicherheitspersonal an Straßenkontrollpunkten aus.

Am 25. September 2017 hat die kurdische Regionalregierung (KRG) ein unverbindliches Referendum über die Unabhängigkeit der kurdischen Region im Irak sowie über umstrittene Gebiete, die unter Kontrolle der KRG stehen, abgehalten. Das Referendum wurde für verfassungswidrig erklärt.

Bei den nationalen Wahlen im Mai 2018 gewann keine Partei die Mehrheit, obwohl die meisten Stimmen und Sitze an die Partei des schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr gingen, ein ehemaliger Anti-US-Milizenführer.

Genaue, aktuelle offizielle demographische Daten sind nicht verfügbar. Die letzte Volkszählung wurde 1987 durchgeführt. Das US-Außenministerium schätzt die Bevölkerung im Irak auf rund 39 Millionen. Araber (75 Prozent) und Kurden (15 Prozent) bilden die beiden wichtigsten ethnischen Gruppen. Andere Ethnien sind Turkmenen, Assyrer, Yazidis, Shabak, Beduinen, Roma und Palästinenser.

97 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Schiiten machen 55 bis 60 Prozent der Bevölkerung aus und umfassen Araber, Shabak und Faili-Kurden. Der Rest der Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Sunniten, einschließlich der sunnitischen Araber, die schätzungsweise 24 Prozent der Gesamtbevölkerung des Irak ausmachen. Die meisten Kurden sind auch Sunniten und machen etwa 15 Prozent der nationalen Bevölkerung aus.

Die schiitischen Gemeinden leben in den meisten Gebieten des Irak, konzentrieren sich jedoch im Süden und Osten. Die Mehrheit der Bevölkerung von Bagdad sind Schiiten, insbesondere Vororte wie Sadr City, Abu Dashir und XXXX . Sunniten leben hauptsächlich im Westen, Norden und im Zentralirak. Die Anzahl der in Bagdad als gemischt betrachteten Gebiete nimmt ab. In einigen Bezirken Bagdads gibt es immer noch bedeutende sunnitische Gemeinden, darunter Abu Ghraib. Die Bezirke A'adamia, Rusafa, Za'farania, Dora und Rasheed haben kleinere Gebiete sunnitischer Gemeinschaften. Gemischte sunnitische-schiitische Gemeinden leben in den Bezirken Rusafa und Karada, kleinere gemischte Gemeinden auch in den Bezirken Doura, Rasheed, Karkh, Mansour und Kadhimiya.

Der Konflikt mit dem IS hat die Wirtschaft des Irak erheblich geschwächt. Die irakische Wirtschaft ist weiterhin stark vom Öl abhängig, und ihr wirtschaftliches Vermögen hängt eng mit den globalen Ölpreisen zusammen. Die Weltbank prognostiziert, dass sich die Wirtschaft durch den Wiederaufbau nach Konflikten und die Verbesserung der Sicherheitslage erholen wird.

Die Verfassung garantiert das Recht auf Gesundheitsfürsorge und es gibt ein staatliches Gesundheitswesen und Behandlungsmöglichkeiten sind vom Staat bereitzustellen. Der Irak verfügt über öffentliche und private Krankenhäuser. Die medizinische Grundversorgung erfolgt sowohl in privaten als auch in öffentlichen Kliniken.

Der öffentliche Sektor ist bei weitem der größte Arbeitgeber, und der private Sektor ist unterentwickelt. Während die Regierung den größten Teil ihrer Einnahmen aus Ölexporten erwirtschaftet, beschäftigt die Ölindustrie nur wenige Mitarbeiter. Die Regierung beschäftigt schätzungsweise 40 Prozent der irakischen Arbeitskräfte. Im UNDP-Bericht 2016 wurde eine Arbeitslosenquote von 16,9 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit auf 35,1 Prozent geschätzt.

Die irakische Verfassung garantiert grundlegende Menschenrechte einschließlich Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit, Privatsphäre und Unabhängigkeit der Justiz. Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Nationalität, der Herkunft, der Hautfarbe, der Religion, der Meinung, des wirtschaftlichen oder sozialen Status.

Mehrere Faktoren beeinflussen die Sicherheitslage im Irak, einschließlich der Aktionen verbliebener IS-Kämpfer und anderer bewaffneter Gruppen (einschließlich der staatlich sanktionierten Popular Mobilization Forces) und historische Spannungen innerhalb der Schiiten und innerhalb der Sunniten. In der Region Kurdistan wird die Sicherheitslage durch Spannungen zwischen der Bundesregierung und der KRG, Spannungen zwischen verschiedenen kurdischen politischen Blöcken und Maßnahmen der Türkei und des Irans beeinflusst. Die verbleibenden IS- und andere extremistische Kämpfer sowie der zunehmende Einfluss der PMF sind die akutesten Probleme, die die gegenwärtige Sicherheitslage im gesamten Irak beeinflussen.

Der IS wird wahrscheinlich weiterhin wahllos gegen irakische Zivilisten vorgehen. Am 15. Januar 2018 griff der IS beispielsweise einen Markt im Zentrum von Bagdad an, wobei mindestens 38 Menschen getötet und 105 verletzt wurden. In der irakischen Region Kirkuk wurden 25 Menschen im Vorfeld der nationalen Wahlen vom IS getötet. Der IS behauptet, seit Dezember 2017 58 Angriffe in der Region durchgeführt zu haben. In der Region Kurdistan tötete der IS im Juni 2018 12 Mitglieder einer Familie.

Zu den zahlreichen schiitischen bewaffneten Gruppen im Irak gehören Saraya Al-Salam (SAS, auch Friedensbrigaden genannt, die zum Teil aus ehemaligen Mahdi-Armeekämpfern bestehen), Asaib Ahl al-Haq (AAH), Kataib Hizbullah (KH) und das Badr Corps. SAS und das Badr Corps sind die militärischen Waffen der politischen Bewegungen Sadrist und Badr.

Ethnische Minderheiten haben im Irak eine politische Vertretung und nehmen am öffentlichen Leben teil. Die Verfassung erkennt sowohl Arabisch als auch Kurdisch als Amtssprachen an und verankert das Recht des Einzelnen, seine Kinder in Minderheitensprachen wie turkmenisch, syrisch und armenisch zu erziehen.

Personen sind aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit einem geringen Risiko einer offiziellen Diskriminierung ausgesetzt. Es besteht möglicherweise ein mäßiges Risiko gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt zu sein, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ihre ethnische Zugehörigkeit in der Minderheit ist.

Die Verfassung macht den Islam zur offiziellen Religion des Staates. Es garantiert die Glaubens- und Religionsfreiheit für alle Personen, einschließlich Christen, Yazidis und Sabäer-Mandäer. Als Mehrheitsbevölkerung im Irak mit einer dominierenden Rolle in der Regierung sieht sich Schiiten kaum oder gar nicht offiziell diskriminiert.

Die Schiiten haben traditionell im ganzen Irak gelebt. Durch die starke Zunahme sektiererischer Gewalt seit 2003 haben einige Schiiten sunnitische Gebiete verlassen. Der Aufstieg von IS im Jahr 2014 führte dazu, dass viele Turkmenen und Shabak in andere Gebiete umsiedelten. Die Gewalt gegen Schiiten hat sich im Jahr 2018 nach der Niederlage des IS verringert. Es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen schiitischen Milizen, die häufiger in schiitischen Gebieten wie Bagdad und dem Südirak auftreten. Schiiten sind keiner offiziellen Diskriminierung ausgesetzt. Sie sind auch keiner gesellschaftlichen Diskriminierung ausgesetzt, obwohl sie bei bedeutenden schiitischen Festen und Pilgerfahrten einem mäßigen Gewaltrisiko ausgesetzt sind.

Nach der Absetzung von Saddam Hussein und der (von Sunniten dominierten) Ba'ath-Partei aus der Regierung fühlten sich viele Sunniten ausgegrenzt. Sunniten, einschließlich IDPs, berichten weiterhin, dass sie von PMF-Gruppen belästigt und beschuldigt werden, den IS zu unterstützen sowie körperlich verletzt werden. Sunniten berichten ein ähnliches Verhalten, wenn auch in geringerem Maße von der ISF in manchen Gebieten. Das US-Außenministerium und internationale Menschenrechtsgruppen berichten von regierungsnahen Streitkräften, die sunnitische Männer anzugreifen versuchen, die von IS-kontrollierten Gebieten fliehen und verhindern, dass Sunniten die von der Regierung kontrollierten Gebiete verlassen. Außerhalb der vom IS kontrollierten Gebiete wurden Sunniten in der Form belästigt und diskriminiert, dass sie bei Kontrollpunkten in aufdringlicher Weise kontrolliert wurden und Dienste minderer Qualität in sunnitischen Gebieten bereitgestellt werden. Sunniten sind außerhalb von Gebieten, die kürzlich vom IS kontrolliert wurden, aufgrund ihrer Religion einem geringen Risiko gesellschaftlicher Gewalt ausgesetzt. In Gebieten, in denen sie eine Minderheit sind, sind Sunniten einem moderaten Risiko von Diskriminierung durch die Behörden und der Gesellschaft ausgesetzt. Das Risiko der Diskriminierung variiert je nach lokalem Einfluss und Verbindungen.

Die ISF ist für die Sicherheit im Irak verantwortlich und umfasst die irakische Armee, die Bundespolizei und die Provinzpolizei. Die Armee berichtet dem Verteidigungsminister und die Polizei dem Innenminister. Der Premierminister ist Oberbefehlshaber. Der Terrorismusbekämpfungsdienst ist ebenso wie die PMF direkt dem Premierminister unterstellt.

Bei der Einreise in den Irak über die internationalen Flughäfen, einschließlich der Region Kurdistan, werden Personen, die illegal ausgereist sind, nicht festgenommen. Es werden jene Iraker bei der Rückkehr festgenommen, die eine Straftat begangen haben und gegen die ein Haftbefehl erlassen worden war.

Um den Irak zu verlassen, sind gültige Dokumente (in der Regel ein Pass) und eine entsprechende Genehmigung (z. B. ein Visum) für die Einreise in das vorgesehene Ziel erforderlich. Eine illegale Ausreise aus dem Irak ist rechtswidrig, jedoch sind keine Strafverfahren gegen Einzelpersonen wegen illegaler Ausreise bekannt.

Iraker, die einen irakischen Pass verloren haben oder nicht haben, können mit einem laissez passer in den Irak einreisen. Die Einreise mit einem laissez passer-Dokument ist üblich und Personen, die damit einreisen werden weder gefragt, wie sie den Irak verlassen haben, noch werden sie gefragt, warum sie keine anderen Dokumente haben. Dem britischen Innenministerium zufolge können Grenzbeamte am Flughafen Bagdad ein Schreiben ausstellen, um die Verbringung an den Herkunftsort oder die Umsiedlung einer Person im Irak zu erleichtern. (Australian Government - Department of Foreign Affais and Trade, Country Information Report Iraq, 09.10.2018)

Im Irak ging die Zahl der Sicherheitsvorfälle (zB Schießereien, IED's, Angriffe auf Checkpoints, Entführungen, Selbstmordattentate, Autobomben) von Jänner bis Dezember 2018 um etwa 60% zurück. Zu Beginn des Jahres waren es 224 Vorfälle. Im März gab es einen Anstieg der Vorfälle, die sich vor allem in Anbar, Diyala, Kirkuk und Salahaddin ereigneten. Im April sanken sie auf 139. Von Juni bis Oktober gab es Schwankungen. Das begann in Diyala und Kirkuk, danach in Ninewa und schließlich in Anbar, Bagdad, Kirkuk und Ninewa. Während der letzten beiden Monate des Jahres gab es die geringsten Vorfälle, die jemals im Land verzeichnet wurden, seit dem Rückzug des sog. Islamischen Staates.

Im Jänner 2018 gab es insgesamt 13 "Mass Casualty Bombings", davon 7 Selbstmordattentate (ein Attentat in Bagdad) und 6 Autobomben. Im Verlauf des Jahres bewegten sich diese Vorfälle zwischen 1 und 8. Im Mai ereignete sich ein Selbstmordattentat in Bagdad. Weitere Vorfälle ereigneten sich in Ramadi, Kirkuk, Tikrit, Fallujah und Mossul.

In Anbar gab es 2018 durchschnittlich 12 Vorfälle pro Monat. Die meisten Attacken gab es im März. Die Gewalt nahm dann ab und erreichte nach einer Steigerung im September und Oktobermit 17 bzw. 16 Attacken ihren Tiefststand im November mit 6 Attacken. Es gab sehr wenige Konfrontationen mit den Sicherheitskräften oder Angriffe auf Checkpoints. Es gab insgesamt 10 Selbstmordattentate und Autobomben in der ganzen Provinz, das ist die dritthöchste Rate im Irak.

In Babil gab es im Jänner 2018 den Höchststand der Vorfälle, nämlich

10. Im restlichen Jahr bewegte sich die Anzahl er Vorfälle zwischen 1 und 5, nur im Juni gab es 8. Fast alle Angriffe erfolgten im Nordosten, entlang der Grenze zu Anbar.

Auch Bagdad, das früher ein Hauptangriffsziel war, entwickelte sich zu einem Nebenschauplatz. Im Jänner gab es 71 Vorfälle. Diese Zahl sank kontinuierlich und lag bei 13 Vorfällen im Juni. Danach erfolgte wieder ein Anstieg und es gab im September 47 Vorfälle. Seither kam es wieder zu einem Rückgang und 13 Vorfällen im November 2018. Bei fast allen Angriffen handelte es sich um kleinere Vorfälle wie Schießereien und IED's. Die meisten Vorfälle ereigneten sich auch in Städten im äußern Norden.

In Diyala gab es rund 30 Vorfälle pro Monat, nur im März und Juni lag die Zahl bei 54 bzw. 51. Es gab Schießereien mit den Sicherheitskräften und Übergriffe auf Kontrollpunkte.

In Kirkuk gab es im März, Juni und Oktober die meisten Angriffe. Im November und Dezember sank die Zahl auf 18 bzw. 16 Angriffe. Im Vergleich dazu lag der Durchschnitt bei 36 Angriffen pro Monat. Ähnlich wie in Diyala gab es ein konstantes Muster von Schießereien mit Sicherheitskräften, Angriffe auf Checkpoints und Mukhtars und Entführungen.

In der Provinz Ninewa gab es durchschnittlich 20 Vorfälle pro Monat. Im Februar und März sowie im Juli und August gab es einen Anstieg der Angriffe. Im Juni sank die Anzahl auf nur 9. Vor allem in der ersten Jahreshälfte gab es regelmäßig Schießereien mit den Sicherheitskräften.

In Salah al-Din stieg im März und im Juni die Zahl der Angriffe auf 35 und 36, sank danach aber stetig ab und erreichte im Dezember nur mehr 8 Angriffe. Ebenso gab es im ersten Halbjahr mehr Schießereien und Entführungen im Vergleich zum zweiten. (Joel Wing, Musings on Iraq, 15.01.2019)

Nach einer Zusammenstellung von ACCORD auf Basis von ACLED (Armed Conflict Location & Event Data Project) gehen im Berichtszeitraum September 2016 bis September 2018 die Konfliktvorfälle mit Todesopfern kontinuierlich zurück. In diesem Zeitraum ereigneten sich die meisten Vorfälle mit Todesopfern in Salah ad-Din, gefolgt von Diyala, At-Tamim (Kirkuk) und Al-Anbar. Die meisten Todesopfer gab es in Salah ad-Din und Al-Anbar, gefolgt von At-Tamim (Kirkuk) und Diyala. In Al-Anbar wurden 80 Vorfälle mit 308 Toten erfasst, in Al-Basrah 84 Vorfälle mit 42 Toten. In At-Ta'mim (Kirkuk) gab es 115 Vorfälle mit 251 Toten, in Baghdad wurden 58 Vorfälle mit 38 Toten erfasst. In Diyala wurden 136 Vorfälle mit 220 Toten, in Ninawa 65 Vorfälle mit 184 Toten und in Sala ad-Din 114 Vorfälle mit 308 Toten verzeichnet. (ACCORD Irak, 3. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), aktualisierte 2. Version vom 20.12. 2018)

In Bagdad herrscht Aufbruchsstimmung. Nach Jahren des Kriegs gegen den IS atmet die Stadt sichtlich durch. Die Jugend genießt es, dass das Nachtleben wieder an Fahrt gewinnt. Die Wasserpfeifencafés sind jeden Abend gefüllt. In einigen Stadtteilen gibt es sogar wieder Bars, die Alkohol ausschenken und in denen man Rockkonzerten lauschen und tanzen kann. "Wir hatten jahrelang keine Möglichkeit auszugehen, jetzt wollen wir unser Leben genießen!", erzählt mir ein junger Mann in einem der Cafés in der Omar-Bin-Yasir-Straße. Er und seine Freunde haben jüngst eine Jugendorganisation gegründet, die "Vereinigung der freien Jugend des Irak". Mit dieser wollen sie sich auch aktiv dafür einsetzen, dass man jene Freiheit leben kann, die man leben will. "Bagdad muss wieder ein Ort werden, in dem wir uns wohl fühlen, in dem auch junge Frauen frei leben können und in dem die Religiösen nicht mehr das ganze Leben bestimmen."

Die Stadt hat vieles zu bieten und mittlerweile sieht man auch wieder Frauen in der Nacht auf der Straße, viele davon ohne Kopftuch. Einige zeigen sich sogar in den Cafés. Wer Bescheid weiß findet sogar versteckte Schwulenclubs. Ständig bedroht von gewaltsamen Übergriffen durch bigotte Milizen, versuchen diese nicht aufzufallen. Es gibt sie aber wieder. Auch für Kulturinteressierte hat Bagdad durchaus etwas zu bieten. Im Gegensatz zu den irakischen Kleinstädten ist Bagdad eine wirkliche Weltstadt mit einem kulturellen Angebot, mit Kinos, Theatern und einer ganzen Straße, die für ihre Buchläden bekannt ist. Die nach dem klassischen arabischen Dichter Abu at-Tayyib al-Mutanabbi benannte Mutanabbi-Staße, die 2007 noch Tatort eines blutigen Anschlags wurde, ist wieder in vollem Betrieb. An Freitagen finden hier Gedichtrezitationen unter freiem Himmel statt, ansonsten werden Bücher aller Art verkauft. Von klassischer arabischer Lyrik über moderne Romane bis zu religiöser Literatur ist hier alles zu finden. (derstandard.at, Abtanzen in Bagdad: Irak zwischen Aufbruch und Angst, 12.11.2018)

Die Zahl der Binnenvertriebenen (IDP's) wird seit April 2014 aufgezeichnet, jene der Rückkehrer seit April 2015. Seit Juni 2017 sinkt die Zahl der IDPs kontinuierlich. Zum 28.02.2019 wurden 1,7 Millionen IDPs (290.830 Familien), verteilt auf 18 Gouvernements und 104 Distrikte identifiziert. Die Zahl der Rückkehrer steigt seit April 2015 kontinuierlich an. Die Zahl der Rückkehrer betrug zum 28.02.2019 4,2 Millionen (701.997 Familien) in 8 Gouvernements und 38 Distrikten. Im Zeitraum Januar und Februar 2019 gab es 46.662 Rückkehrer. Die meisten kehrten nach Ninewa (27.150 Personen), Salah al-Din (11.214) und Kirkuk (3.744) zurück. Die Zahl der IDPs geht in allen Gouvernements, ausgenommen Erbil und Najaf, zurück. Im Januar und Februar 2019 wurde ein Rückgang von 57,852 IDPs verzeichnet, davon die meisten in Ninewa (-29.358, -5%), Salah al-Din (-9.168, -7%) und Anbar (-6.822, -13%).

Nahezu alle Familien (95%, 4.008.840 Personen) kehrten an ihren vor der Vertreibung gewöhnlichen Wohnsitz zurück, der sich in einem guten Zustand befand. Zwei Prozent (72.378) leben in anderen privaten Einrichtungen (gemietete Häuser, Hotels, Gastfamilien). Drei Prozent der Rückkehrer (130.64) leben in kritischen Unterkünften (informelle Siedlungen, religiöse Gebäude, Schulen, unfertige, aufgegebene oder zerstörte Gebäude). Von den zuletzt Genannten leben 85 Prozent in drei Gouvernements: 41% sind in Ninewa (53.784), 24 % in Salah al-Din (30.864) und 20 % in Diyala (25.878). (Displacement Tracking Matrix, Round 108, Februar 2019)

Die Sicherheitslage in Bagdad hat sich deutlich verbessert. Die Zeiten, in denen die Hauptstadt Bagdad regelmäßig von Terroranschlägen erschüttert wurde, sind vorbei. Im Dezember 2018 ordnete der neue Ministerpräsident Adil Abd al-Mahdi an, die mit Betonmauern geschützte Hochsicherheitszone im Zentrum der Stadt für einige Stunden am Tag zu öffnen. Seit 2003 war das Gebiet, in dem Ministerien und die US-Botschaft liegen, für normale Iraker praktisch unzugänglich. Die Mauern, die dort über viele Jahre hochgezogen wurden, werden langsam abgebaut. Deutschland hatte den Kampf gegen den IS im Irak vor allem mit der Ausbildung kurdischer Peschmerga-Kämpfer und Waffenlieferungen unterstützt. Im Camp Tadschi nahe Bagdad bildet die deutsche Bundeswehr irakische Soldaten aus. Die deutsche Bundesregierung setzt jetzt verstärkt auf zivile Hilfe.

Deutschland ist nach den USA das Land, das den Irak in den vergangenen vier Jahren am stärksten mit Hilfsgeldern für Entwicklung, Stabilisierung und Wiederaufbau unterstützt hat. Mehr als 1,5 Milliarden Euro wurden dafür bereitgestellt. Die Bundesregierung hofft darauf, dass ein stabiler Irak die Nahost-Region insgesamt beruhigen kann. (Irak ruft Flüchtlinge zur Rückkehr aus Deutschland auf, welt.de 17.12.2018)

Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) geht in ihrem 2018 veröffentlichten Mental Health Atlas (Berichtszeitraum: 2017) auf die im Irak verfügbaren Ressourcen zur Behandlung psychischer Erkrankungen ein. Im Irak befinden sich 610 Einrichtungen für die ambulante Behandlung psychiatrischer Patienten, davon sind 34 innerhalb eines Krankenhauses verortet und 575 gemeindebasierte ("community-based") Einrichtungen. Stationäre Behandlung von psychiatrischen Patienten ist in zwei psychiatrischen Kliniken sowie auf 22 Stationen allgemeiner Krankenhäuser verfügbar. Die Betreuung und Behandlung von Personen mit schwerwiegenden psychischen Störungen (Psychose, bipolare Störung, Depression) ist in den staatlichen Krankenkassen oder Erstattungssystemen nicht enthalten.

Eine Anfragebeantwortung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) vom Jänner 2018 an die Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (ZIRF) des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) befasst sich unter anderem mit der medizinischen Versorgung bei psychischen Erkrankungen in Bagdad. Es gibt ein Krankenhaus, in welchem eine Behandlung erfolgen kann: AlRashad mental hospital, Baghdad - AlSadr city. Zudem gibt es auch private Kliniken: Dr. Qasim AlAboodi in AlHarthiya - AlKindi St, Dr. Mahdi AlTa'an in AlMagrib St. Antidepressiva und Antipsychotika sind grundsätzlich verfügbar.

Die Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF), Première Urgence Internationale und SEED bieten eigenen Angaben zufolge psychologische Betreuung allen voran für Binnenvertriebene und Rückkehrer im Irak und der Autonomen Region Kurdistan an. (Accord Anfragebeantwortung, Behandlungsmöglichkeiten bei psychischen Erkrankungen, 12.02.2019).

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seiner Herkunft, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zu seiner illegalen Einreise sowie zu seiner Antragstellung zur Erlangung internationalen Schutzes ergeben sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren und den Verwaltungsakten. Die Feststellung über die Tätigkeit als Tischler ergibt sich aus seinen diesbezüglichen Angaben vor dem BFA und in der Beschwerde, wonach er in der Türkei als Tischler gearbeitet habe.

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers und zum Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung ergeben sich aus einem eingeholten Strafregisterauszug und einem GVS-Auszug, jeweils vom 15.04.2019.

Die Feststellungen zum Besuch von "Brückenmodulen" zur Vorbereitung auf den Pflichtschulabschlusslehrgang, dem Besuch dieses Lehrgangs seit Jänner 2019, dem Besuch eines Fitnessstudios und den Empfehlungsschreiben ergeben sich aus den entsprechenden vom Beschwerdeführer vorgelegten Bestätigungen.

Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung, Depressionen, Konzentrationsstörungen und Schlafproblemen leidet, ergibt sich aus einer ärztlichen Bestätigung vom 25.03.2019. Die Feststellung, dass er ein Beruhigungsmittel bei Bedarf einnimmt, ergibt sich aus seinen eigenen Angaben. Eine Bestätigung hierfür legte er nicht vor.

Dem Beschwerdeführer ist es im Laufe des Verfahrens nicht gelungen, zu seiner Schulbildung, seiner beruflichen Tätigkeit und seinen Wohnorten im Irak gleichbleibende Angaben zu machen, weshalb ihm keine persönliche Glaubwürdigkeit zukommt:

Zunächst wird darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer in der Erstbefragung, die einen Tag nach seiner Antragstellung auf internationalen Schutz erfolgte, angab, dass er seinen Reisepass während der Reise verloren habe (AS 7). Dagegen gab der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA an, dass er den Reisepass nicht verloren habe, sondern nur seine türkischen Unterlagen, sein Geld, sein Handy, Schulzeugnisse sowie fünf Drohbriefe (AS 143). Der Beschwerdeführer legte seinen Reisepass dem BFA vor und behauptete, dass er die falsche Protokollierung in der Erstbefragung vor ca. sechs Monaten bemerkt habe. Dem widerspricht aber die eingangs der Einvernahme vor dem BFA getätigte Aussage des Beschwerdeführers, wonach er in der Erstbefragung die Wahrheit gesagt habe und diese Angaben aufrecht halte (AS 139). Würde die Behauptung des Beschwerdeführers, dass er vor ca. sechs Monaten die falsche Protokollierung der Erstbefragung bemerkt habe, stimmen, so hätte er auf die zu Beginn der Einvernahme vor dem BFA gestellte Frage, ob er bei der Erstbefragung die Wahrheit gesagt habe und diese Angaben aufrecht halte, dies angeben müssen. Da er dies nicht getan hat, ist die spätere Behauptung, er hätte vor ca. sechs Monaten die falsche Protokollierung bemerkt, nicht glaubhaft. Zudem hätte der Beschwerdeführer im Rahmen seiner ihm zukommenden Mitwirkungspflicht dem BFA die falsche Protokollierung unverzüglich mitteilen müssen, als sie ihm bekannt wurde. Auch aus diesem Grund ist nicht glaubhaft, dass tatsächlich eine falsche Protokollierung vorliegt. Wesentlich wahrscheinlicher ist, dass der Beschwerdeführer bloß deshalb behauptet, es sei falsch protokolliert worden, weil er in der Einvernahme vor dem BFA schließlich seinen Reisepass vorgelegt hat und der darin ersichtliche Ausreisestempel nicht mit seinen Behauptungen in der Erstbefragung zur Ausreise übereinstimmt.

Vor dem BFA gab der Beschwerdeführer an, dass er im November 2013 von Arbil aus mit dem Reisebus den Irak verlassen habe (AS 141). Dies stimmt mit seinen in der Erstbefragung gemachten Angaben, dass er im April 2015 mit einem Flugzeug von Bagdad aus den Irak verlassen habe, nicht überein (AS 5). Dem Beschwerdeführer wurden seine Angaben der Erstbefragung auch vorgehalten, worauf er erklärte, dass er dies nicht gesagt hätte. Dem widerspricht aber der eindeutige Wortlaut des Protokolls der Erstbefragung, welche auch vom Beschwerdeführer unterschrieben wurde. Nach dem weiteren Vorhalt von widersprüchlichen Angaben behauptete der Beschwerdeführer nun, dass er sich vor ca. sechs Monaten die Erstbefragung habe rückübersetzen lassen und dabei die falsche Protokollierung bemerkt habe. Auf die Entgegnung, dass ihm die Erstbefragung sogleich rückübersetzt worden sei, brachte der Beschwerdeführer eine neue Erklärung vor, nämlich, dass ihm die Erstbefragung nicht übersetzt worden wäre (AS 143). Aus dem Protokoll der Erstbefragung geht jedoch hervor, dass ihm dieses rückübersetzt wurde und es überdies zu keinen Verständigungsproblemen gekommen ist (AS 11). Vom Bundesverwaltungsgericht wird daher davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer mit seinen unzutreffenden Behauptungen bloß versucht, seine Angaben in der Einvernahme an die unzweifelhaften Eintragungen im von ihm vorgelegten Reisepass anzupassen.

Auch zu seinen Familienangehörigen machte der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren widersprüchliche Angaben. Auch aus diesem Grund ist der Beschwerdeführer persönlich nicht glaubwürdig. Vor dem BFA gab der Beschwerdeführer an, dass sich seit zwei Jahren "mehrere Tanten mit ihren Familien" in Arbil und Seuleymaniah aufhalten würden. Diese würden als Friseure oder in einer Putzerei arbeiten (AS 141). Demgegenüber behauptete der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung, dass er nur eine Tante mütterlicherseits habe (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls). Auf die Frage, wie viele Tanten und Onkel er insgesamt habe, behauptete er: "nur eine Tante mütterlicherseits". Auf den Vorhalt seiner dazu gänzlich widersprüchlichen Angaben vor dem BFA meinte der Beschwerdeführer:

"Ich war nicht konzentriert. Ich habe dem Dolmetscher nicht richtig zugehört, ich war nicht präsent, nicht wirklich anwesend. Ich habe die Mutter der Dame hier [gemeint: die in der mündlichen Verhandlung anwesende Bekannte des Beschwerdeführers] zur Unterstützung gehabt, aber ich durfte diese nicht dabeihaben." (Seite 12 des Verhandlungsprotokolls). Dieser lapidare Erklärungsversuch überzeugt nicht. Dass der Beschwerdeführer nicht konzentriert gewesen sei und dem Dolmetscher nicht richtig zugehört habe, ergibt sich aus dem Protokoll nicht, da er die an ihn gestellten Fragen offenkundig verstanden hat und auch entsprechende Antworten gegeben hat. Seine Begründung vermag daher die widersprüchlichen Angaben nicht zu erklären. Die Frage nach Familienangehörigen erfordert keine außerordentliche Konzentration. Es müsste dem Beschwerdeführer selbst im Falle von Unkonzentriertheit problemlos möglich sein, richtige Angaben zu seiner Familie zu machen. Der Beschwerdeführer wirkte in der mündlichen Verhandlung bemüht, den wahren Sachverhalt zu verschleiern, um sich eine bessere Position im Verfahren zu verschaffen. Es erfolgte daher auch die Feststellung, dass der Beschwerdeführer mehrere Tanten im Irak hat.

Auch hinsichtlich seines Schulbesuchs und seiner beruflichen Tätigkeit im Irak äußerte sich der Beschwerdeführer in den einzelnen Einvernahmen widersprüchlich. In der Erstbefragung brachte er vor, von 1997 bis 2003 die Grundschule und von 2003 bis 2009 eine AHS in Bagdad besucht zu haben (AS 1). Auch vor dem BFA machte er noch diese Angaben (AS 103). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptete er jedoch, dass er nur sechs Jahre die Volksschule besucht und den Schulbesuch 2006 beendet habe. Danach habe er keine weiteren Schulen mehr besucht (Seite 5 des Verhandlungsprotokolls). Zu seiner beruflichen Tätigkeit gab der in der Erstbefragung an, dass er zuletzt Dekorateur gewesen sei (AS 3). Dagegen gab er vor dem BFA an, dass er von 2010 bis 2013 bei seinem Vater und selbständig als Elektriker gearbeitet habe (AS 103) bzw. bis zu seiner Ausreise als Elektriker gearbeitet habe (AS 141). In seiner Beschwerde bringt der Beschwerdeführer wiederum vor, "im Bereich der Innenausstattung" gearbeitet zu haben (AS 313). In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer, er habe von 2004 bis 2005 seinem Bruder, der Innendekorateur gewesen als geholfen. Er sei eine Hilfskraft gewesen. Ab dem Jahr 2006 bis zu seiner Ausreise aus dem Irak habe er nicht mehr gearbeitet (Seite 5 des Verhandlungsprotokolls). Auf den Vorhalt seiner Angaben vor dem BFA meinte er, sein Vater sei Elektriker gewesen und er hätte ihm "nur ab und zu" geholfen (Seite 6 des Verhandlungsprotokolls). Auch diese eklatant widersprüchlichen Angaben zum Schulbesuch und zur beruflichen Tätigkeit, die der Beschwerdeführer im Verfahren mehrfach abänderte, lassen den Beschwerdeführer persönlich unglaubwürdig wirken. Wenn der Beschwerdeführer schon zum Schulbesuch und zur beruflichen Tätigkeit keine gleichbleibenden Angaben im Verfahren macht, entstehen zudem erheblich Zweifel, dass sein fluchtkausales Vorbringen den Tatsachen entspricht.

Der Beschwerdeführer behauptet vor dem Bundesverwaltungsgericht einerseits, er hätte von 2006 bis zur Ausreise aus dem Irak nicht arbeiten können, weil er von einem Ort zum anderen gependelt sei, um sich zu schützen, räumt andererseits - auf Vorhalt - aber dann doch ein, seinem Vater als Elektriker geholfen zu haben (Seiten 5 und 6 des Verhandlungsprotokolls). Dieses Aussageverhalten des Beschwerdeführers, eigene Angaben auf Vorhalt zu relativieren, verdeutlicht die Bereitschaft des Beschwerdeführers Falschaussagen zu machen und spricht gegen eine Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers. Es erfolgte daher die Feststellung, dass der Beschwerdeführer als Elektriker bei seinem Vater gearbeitet hat. Hinsichtlich des Schulbesuchs erfolgte auch die Feststellung, dass der Beschwerdeführer die Schule neun Jahre besucht hat, da er dies übereinstimmend in der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA angab. Erst in der mündlichen Verhandlung behauptete er nämlich, den Schulbesuch 2006 beendet und ab diesem Jahr bis zur Ausreise 2013 nicht gearbeitet zu haben. Letzteres stellte sich jedoch - wie oben aufgezeigt - als falsch heraus, weshalb davon ausgegangen wird, dass auch die Behauptung, sechs Jahre die Schule besucht und 2006 beendet zu haben, nicht den Tatsachen entspricht.

Der Beschwerdeführer behauptete auch, dass sein Vater nur "nebenbei" als Elektriker gearbeitet habe, das aber nicht sein Hauptberuf gewesen sei. Auf die Frage nach dem Hauptberuf des Vaters, weicht der Beschwerdeführer jedoch aus und schildert eine behauptete Tätigkeit seines Vaters zur Zeit Saddam Husseins. Die Frage, welchen Hauptberuf der Vater neben seiner in den Jahren vor der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Irak ausgeübten Tätigkeit als Elektriker gehabt habe, beantwortete der Beschwerdeführer nicht (Seite 6 des Verhandlungsprotokolls). Zudem behauptete der Beschwerdeführer, dass sein Vater die Aufträge damals von Saddam Hussein bekommen habe (Seite 6 des Verhandlungsprotokolls), während er in der handschriftlichen Beilage zu seiner Beschwerde ausführte, dass sein Vater für den Bruder von Saddam Hussein gearbeitet hätte (OZ 5). Diese widersprüchlichen Angaben und das ausweichende Aussageverhalten des Beschwerdeführers sprechen ebenso gegen eine Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers.

Ebenso widersprüchlich und daher gegen eine persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sprechend, waren seine Angaben zu seinen Wohnorten im Irak: In der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, dass er in XXXX in Bagdad gelebt habe (AS 5). In der Einvernahme vor dem BFA gab er an, dass er bis 2006 in XXXX in Bagdad gelebt habe, danach bis zum November 2013 in XXXX in Bagdad. Anschließend habe er sich zehn Tage in Arbil aufgehalten und sei von November 2013 bis Mai 2015 in der Türkei gewesen (AS 141 und 147). In seiner Beschwerde macht der Beschwerdeführer andere Angaben als in der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA. Hier bringt er nun vor, dass er zunächst in XXXX gelebt habe. Am 20.01.2010 sei die Familie in den Bezirk XXXX in Bagdad (in der Einvernahme als XXXX bezeichnet) gezogen. Im Jahr 2011 sei die Familie in die Provinz al-Anbar gezogen und nach etwa zwei bis drei Monaten nach XXXX zurückgekehrt. Von April 2013 bis 09.09.2013 habe er bei seiner Tante in Seulymaniah gewohnt und danach den Irak verlassen (AS 313 und 315). Wiederum andere Angaben machte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Hier behauptete er, dass er bis 2006 in XXXX gelebt habe, von 2006 bis 2010 in XXXX , im Jahr 2011 sei die Familie in al-Anbar gewesen und danach bis zum Jahr 2013 wieder in XXXX . Bei seiner Tante in Seulymaniah sei er nur "kurze Zeit" gewesen (Seiten 6 und 11 des Verhandlungsprotokolls). In der handschriftlichen Beilage zu seiner Beschwerde findet sich auch die Behauptung des Beschwerdeführers, dass die Familie auch innerhalb von XXXX umgezogen sei und zwar in das Haus der Großeltern (OZ 5). Diesen Umstand erwähnte der Beschwerdeführer weder vor dem BFA noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Da der Beschwerdeführer zu seinen im Irak lebenden Tanten, seinem Schulbesuch und seiner beruflichen Tätigkeit völlig widersprüchliche und zu seiner beruflichen Tätigkeit zudem falsche Angaben machte, ist es auch nicht glaubhaft, dass er nicht wisse, wo sich derzeit seine Eltern und Geschwister aufhalten würden. Es wird davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer damit bloß versucht, sich eine bessere Position im Verfahren zu verschaffen und eine Abschiebung in den Irak zu verhindern. Auf Grund der bloßen Behauptung, nicht zu wissen, wo seine Familienangehörigen leben würden, kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass diese nicht mehr im Irak leben würden. Es erfolgte daher die Feststellung, dass die Eltern, ein Bruder und die Schwestern des Beschwerdeführers nach wie vor in Bagdad leben. Laut den Angaben des Beschwerdeführers ist die Familie noch im Besitz ihres Hauses in XXXX in Bagdad. Den in der Erstbefragung gemachten Angaben zu seinem Wohnort in Bagdad wird mehr Glauben geschenkt, als den im weiteren Verlauf des Verfahrens getätigten Äußerungen, da der Beschwerdeführer diese noch unbefangen tätigte. Die Feststellung, dass die Familie über ein Eigentumshaus in Bagdad verfügt, ergibt sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (Seite 12 des Verhandlungsprotokolls).

Dem Beschwerdeführer ist es auch nicht gelungen, seinen Fluchtgrund in der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem BFA und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gleichbleibend zu schildern, weshalb ihm eine Glaubhaftmachung seines Fluchtvorbringens nicht gelungen ist:

In der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, dass er Angst vor den schiitischen Milizen habe. Sein Bruder und er seien von ihnen bedroht worden und sein Bruder sei auch entführt worden. Der Beschwerdeführer habe flüchten können (AS 9). In der nachfolgenden Einvernahme vor dem BFA und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht brachte der Beschwerdeführer eine Entführung des Bruders nicht mehr vor, sondern behauptete vielmehr, dass sein Bruder bei einer Schießerei auf das Auto des Bruders, in dem auch der Beschwerdeführer gesessen sei, getötet worden sei. Dass der Beschwerdeführer nicht schon in der Erstbefragung von der Tötung des Bruders gesprochen hat, ist nicht nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass sich gemäß § 19 Abs. 1 AsylG die Erstbefragung nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, allerdings ist eine generelle Aufnahme der antragsbegründenden Fluchtgründe auch im Rahmen der Befragung nach § 19 Abs. 1 AsylG möglich. Zweck der Bestimmung, bei Befragungen durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht auf die näheren Fluchtgründe einzugehen, ist, dass gerade Flüchtlinge Schwierigkeiten haben könnten, sich hierzu gegenüber einem uniformierten Staatsorgan - vor dem sie möglicherweise erst vor kurzem aus ihrem Herkunftsstaat geflohen sind - zu verbreitern (vgl. Erläuterungen zur RV, 952 Blg NR XXII. GP). Dass dies hier der Fall ist, ist jedoch nicht erkennbar. Der Beschwerdeführer hat in der folgenden Einvernahme vor dem BFA nämlich keine Verfolgung seitens staatlicher Organe geltend gemacht. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer in der Erstbefragung die angebliche Tötung des Bruders nicht erwähnt hat. Es entsteht dadurch der Eindruck, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht den Tatsachen entspricht. Dieser Eindruck wird auch dadurch verstärkt, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage war, die in der Einvernahme vor dem BFA geschilderte Bedrohung im weiteren Verfahren widerspruchsfrei zu schildern und führt letztlich dazu, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, seinen vorgebrachten Fluchtgrund glaubhaft zu machen.

Zudem behauptete der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA, er hätte in der Erstbefragung nicht gesagt, dass sein Bruder entführt worden sei (AS 151). Dies widerspricht dem eindeutigen Wortlaut des Protokolls der Erstbefragung. Mit den unzutreffenden und lapidaren Behauptungen, etwas nicht gesagt zu haben, gelingt es dem Beschwerdeführer aber nicht, Zweifel an der Richtigkeit des Protokolls aufkommen zu lassen.

Auffallend an der Schilderung seines Fluchtgrundes in der Einvernahme vor dem BFA ist, dass sich diese in nur wenigen Sätzen erschöpfte. Der Beschwerdeführer gab ihm Rahmen der freien Erzählung nur das Folgende an: "Ich verließ den Irak, weil wir vertrieben wurden. Mein Bruder wurde ermordet. Ich fühlte mich fremd in meiner eigenen Heimat. Ich bekam auch einen Drohbrief. Die Leute, die meinen Bruder ermordeten, erblickte ich in Istanbul. Dies waren die Gründe, weshalb ich den Irak verließ." (AS 145). Um ein konkretes Vorbringen vom Beschwerdeführer zu erhalten, waren zahlreiche Nachfragen nötig. Die daraufhin erfolgten Angaben des Beschwerdeführers waren jedoch widersprüchlich. So bringt er einerseits vor, dass sein Bruder 2009 gestorben sei und einen Monat nach dessen Tod der zweite Drohbrief gekommen sei. Andererseits behauptet er, dass der zweite Drohbrief im Jahr 2012 gefunden worden sei (AS 147 und 149). Auf den Vorhalt seiner widersprüchlichen Angaben meinte er nur, dass er durcheinander sei und sich mit den Daten nicht auskenne (AS 151). Dass er sich in einer psychisch angeschlagenen Verfassung befände, brachte er mit keinem einzigen Wort vor. In der Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor, dass er gelegentlich ein Beruhigungsmittel einnehme und dieses "vermutlich" Auswirkungen auf seine Konzentration habe und es daher sehr viele Ungereimtheiten bei der Einvernahme vor dem BFA gegeben habe (AS 315). Dieser Behauptung widersprechen jedoch die Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor dem BFA. Dort wurde er gefragt, ob er derzeit in ärztlich Behandlung sei, ob er Medikamente nehme und an einer Krankheit leide. Der Beschwerdeführer verneinte diese Fragen und gab an "ich bin gesund" (AS 139). Einen Monat nach der Einvernahme vor dem BFA wurde ein Bericht des Psychosozialen Dienstes Burgenland vorgelegt, aus der sich zum Zeitpunkt 09.09.2015 eine leichte depressive Störung mit Schlafstörung ergibt. Dem Beschwerdeführer wurde zu diesem Zeitpunkt das Medikament Seroquel zur Einnahme am Abend verschrieben. Mit diesem zum Zeitpunkt der Einvernahme vor dem BFA am 19.08.2016 beinahe ein Jahr alten Bericht kann daher eine schlechte psychische Verfassung des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Einvernahme vor dem BFA am 19.08.2016 nicht dargetan werden. Der vorgelegte Bericht und die Behauptung in der Beschwerde vermögen die widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor dem BFA nicht zu erklären, zumal auch der Beschwerdeführer in der Einvernahme selbst vorbrachte, dass er gesund ist und keine Medikamente nimmt. Zudem liefert gemäß § 15 AVG, soweit nicht Einwendungen erhoben wurden, eine gemäß § 14 AVG aufgenommene Niederschrift über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis, wobei der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges zulässig bleibt. Fallbezogen sind Einwendungen des Beschwerdeführers weder aktenkundig, noch wird behauptet, der Beschwerdeführer hätte Einwendungen im Sinn des § 14 Abs. 3 AVG erhoben. Der Beschwerdeführer zeigt mit seinem Vorbringen keine konkreten Gründe zur Entkräftung der Beweiskraft der Niederschrift auf (vgl. VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0381).

Während der Beschwerdeführer vor dem BFA von sich aus nur wenige Angaben zu seinem Fluchtgrund machte und im Wesentlichen alles erst erfragt werden musste, gestaltete sich sein Aussageverhalten vor dem Bundesverwaltungsgericht gänzlich anders. Hier wurde er aufgefordert zu schildern, weshalb er 2013 den Irak verlassen habe. Dennoch schilderte der Beschwerdeführer nicht seinen Fluchtgrund, sondern machte weitschweifige Angaben zur Lage im Irak im Jahr 2006, was jedoch mit seiner Ausreise nichts zu tun hat (Seiten 7 und 8 des Verhandlungsprotokolls). Zudem zeigte sich in der mündlichen Verhandlung, dass der Beschwerdeführer konkreten Fragen auswich und Antworten gab, die mit der Frage nicht einmal ansatzweise etwas zu tun hatten. Der anlässlich der mündlichen Verhandlung gewonnene persönliche Eindruck des Beschwerdeführers lässt angesichts seines Aussageverhaltens keine Glaubwürdigkeit hinsichtlich seines Fluchtvorbringens aufkommen.

Der Beschwerdeführer behauptete vor dem BFA, dass er wegen der Drohbriefe aus dem Irak ausgereist sei. Ein Zusammenhang zur Ausreise ist aber nicht plausibel nachvollziehbar, weil der Beschwerdeführer die Drohbriefe im Juli 2012 erhalten habe, er aber erst im September 2013 aus dem Irak ausgereist ist (AS 151). Die Befragung gestaltete sich wie folgt:

F: Gab es noch Vorfälle Ihre Person betreffend nach dem Erhalt der Drohbriefe im Jahre 2012?

A: Nein.

F: Warum verließen Sie erst ein Jahr später im November 2013 Bagdad?

A: Wegen dieser Drohbriefe.

F: Warum hielten Sie sich dann noch ein Jahr zu Hause auf?

A: Nicht ein Jahr.

F: Sogar mehr als ein Jahr. Warum verließen Sie nicht bereits im Jahre 2012 den Irak?

A: Ich hatte keinen Reisepass und kein Geld.

F: Der Reisepass wurde Ihnen aber bereits im April 2013 ausgestellt und hielten Sie sich dennoch noch ein halbes Jahr in Bagdad auf!

A: Ich war bei meiner Tante und war es für mich auch sehr schwer meinen Vater und meine Mutter zu verlassen.

Anhand dieses Auszugs aus dem Einvernahmeprotokoll ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer nicht plausibel erklären konnte, inwiefern zwischen dem Erhalt der Drohbriefe und der Ausreise aus dem Irak ein Zusammenhang bestehen soll. Es ist daher nicht glaubhaft, dass seine Ausreise mit dem behaupteten Erhalt der Drohbriefe in Zusammenhang

Wenn der Erhalt zweier Drohbriefe derart angsteinflößend ist, dass der Beschwerdeführer beschließt, den Irak zu verlassen, kann nicht nachvollzogen werden, dass er trotz der Bedrohung weiterhin für eineinhalb Jahre im Irak bleibt, sich erst neun Monate nach Erhalt der Drohbriefe einen Reisepass ausstellen lässt und nachdem er den Reisepass hat, weitere fünf Monate im Irak verbringt und erst danach ausreist. Diese zeitlichen Abläufe lassen es nicht als wahrscheinlich ansehen, dass die behauptete Bedrohung tatsächlich passiert ist. Zudem ist in diesem Zusammenhang auch beachtlich, dass sich der Beschwerdeführer trotz der Bedrohung überhaupt einen Reisepass hat ausstellen lassen, um den Irak zu verlassen und nicht sofort ohne Reisepass den Irak verlassen hat. Dies deshalb, da der Beschwerdeführer nach der Ausreise aus dem Irak und obwohl zu diesem Zeitpunkt keine Bedrohung mehr bestanden hat, illegal über viele Länder quer durch Europa gereist ist. Hier sah er offenbar keine Notwendigkeit mehr, legal unter Nachweis seiner Identität mehrere Grenzen europäischer Länder zu überqueren.

Erst in der Beschwerde begründete der Beschwerdeführer, warum er trotz Erhalts der Drohbriefe im Juli 2012 erst im September 2013 aus dem Irak ausgereist ist. Hier behauptet er nun, dass er in der Zwischenzeit, bis der Reisepass ausgestellt worden sei, auf der Flucht gewesen sei. Als ihm der Reisepass ausgestellt worden sei, sei er bei seiner Tante in Suleymaniah gewesen. Er habe gewartet, bis seine Familie von Bekannten und Verwandten Geld ausgeliehen habe, um ihm eine Ausreise zu finanzieren. Er sei ca. sechs Monate, von ca. April 2013 bis 09.09.2013 in Suleymaniah gewesen (AS 315). Selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass die Ausstellung eines Reisepasses längere Zeit in Anspruch nehmen sollte, kann dieses in der Beschwerde erstattete Vorbringen mit den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme dennoch nicht in Einklang gebracht werden, da der Beschwerdeführer dort behauptete, nur zehn Tage in Arbil in einem Hotel gewesen zu sein und sogar ausdrücklich vorbrachte, er hätte damals niemanden im Nordirak gehabt. Seine Tanten hätten, bevor sie nach Arbil und Suleymaniah gezogen seien, in Bagdad und al-Anbar gelebt (AS 141). Demnach hätte er zum Zeitpunkt, als er noch im Irak gewesen sei, keine Verwandten in Suleymaniah gehabt. Das Vorbringen in der Beschwerde, er wäre sechs Monate bei seiner Tante in Suleymaniah gewesen, lässt sich damit nicht in Einklang bringen. Darüber hinaus hätte der Beschwerdeführer, wäre er tatsächlich wie in der Beschwerde behauptet, auf der Flucht gewesen, dies schon vor dem BFA angeben können müssen. Das erstmals in der Beschwerde erstattete Vorbringen, er sei auf der Flucht gewesen, wirkte vielmehr konstruiert, um seine unplausiblen Angaben in der Einvernahme glaubhaft erscheinen zu lassen.

Zur Ermordung seines Bruders machte der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens widersprüchliche Angaben, weshalb es nicht glaubhaft ist, dass der Bruder tatsächlich ermordet wurde. In der Einvernahme vor dem BFA behauptete er, dass sein Bruder an einem Donnerstag im Mai 2009 ermordet worden sei. Das genaue Datum wisse er nicht (AS 147). In der Beschwerde und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer an, dass der Bruder am 27.11.2009 gestorben sei (AS 313 und Seite 8 des Verhandlungsprotokolls). Zum Tag des Vorfalls machte der Beschwerdeführer auch unterschiedliche Angaben. In der Beschwerde führte der Beschwerdeführer aus, dass sich der Vorfall am 27.11.2009 ereignet habe (AS 313), hingegen behauptete er vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Vorfall sei zwei oder drei Tage vor dem 27.11.2009 gewesen (Seiten 8 und 9 des Verhandlungsprotokolls). Es ist daher nicht glaubhaft, dass sich der Vorfall und die Ermordung des Bruders tatsächlich ereignet haben.

Vor dem BFA gab der Beschwerdeführer an, dass er selbst bei dem Vorfall nicht verletzt worden sei. Er habe nur einen kleinen Kratzer auf der Hand gehabt (AS 147). Nach dem Anschlag auf seinen Bruder habe der Beschwerdeführer zwei Monate im Spital geschlafen, da er wegen des Vorfalls Schlafstörungen gehabt habe (AS 153). In der handschriftlichen Beilage zur Beschwerde führt der Beschwerdeführer aus, dass er drei Monate im Spital gewesen sei, brachte jedoch nicht vor, weshalb er im Spital gewesen sei (OZ 5). In der mündlichen Verhandlung behauptete der Beschwerdeführer, er sei zwei Monate im Krankenhaus gewesen und meinte, er wisse nicht, warum er dort gewesen sei (Seite 9 des Verhandlungsprotoko

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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