TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/15 L504 2206027-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.04.2019
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Entscheidungsdatum

15.04.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L504 2206027-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch Verein ZEIGE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52 Abs. 2 Z 2 u. Abs 9, 46 FPG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz von Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides zu lauten hat:

"Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt".

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte am 17.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Aus dem unbestritten gebliebenen Verfahrensgang des angefochtenen Bescheides ergibt sich Folgendes:

"[...]

Sie sind spätestens eigenen Angaben zufolge am 16.08.2017 schlepperunterstützt und unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet eingereist.

-

Am 17.08.2017 stellten Sie einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei Sie angaben den Namen XXXX zu führen, am XXXX in XXXX , Türkei geboren worden und türkischer Staatsangehöriger zu sein. Sie haben angegeben, dass Sie der Volksgruppe der Kurden angehören und Moslem zu sein.

-

Anlässlich der niederschriftlichen Befragung vor Beamten des öffentlichen Sicherheitsdienstes der LPD XXXX am 17.08.2017 gaben Sie befragt zu den Gründen für Ihre Asylantragstellung Folgendes an:

"Ich war 2016 zum Militärdienst eingerückt. Ich wurde dort mehrmals misshandelt, getreten und mit Messer attackiert von den Militäroffizieren. Nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 wurden alle nicht Erdogan Sympathisanten überall in der Türkei festgenommen, gefoltert und inhaftiert. Ich wurde verhaftet ohne jeglichen Grund und von der Polizei misshandelt. Ich wurde eine Nacht durchgefoltert. Nach dieser Nacht wurde ich entlassen und daraufhin beschloss ich sofort das Land zu verlassen. Ich habe meinen Reisepass einem Schlepper gegeben, ihm etwas bezahlt (ca. € 2.000,-), damit mir dieser ein Visum besorgt. Der Schlepper nahm Pass und Geld und ich sah ihn dann nie wieder und bekam nichts zurück. Ich habe hiermit alle meine Gründe und die dazugehörenden Ereignisse angegeben, warum ich nach Österreich gereist bin! Ich habe keine weiteren Gründe einer Asylantragstellung."

-

Nach Zulassung des Verfahrens wurden Sie am 14.11.2017 von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes im Beisein eines Dolmetschers der Sprache Türkisch und Ihrer Vertrauensperson niederschriftlich einvernommen, wobei Sie die folgenden, entscheidungswesentlichen Angaben machten:

(...)

LA: Sie werden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie im Fall von Verständigungsschwierigkeiten jederzeit rückfragen können. Ich möchte sicher sein können, das alles, was Sie gesagt haben, auch so gemeint wurde. Wenn Bedarf besteht, machen wir eine Pause.

VP: Ich habe verstanden.

LA: Wie verstehen Sie den anwesenden Dolmetscher?

VP: Sehr gut.

LA: Welche Sprachen sprechen Sie?

VP: Meine Muttersprache ist Türkisch. Weiters spreche ich etwas Kurdisch, außerdem spreche ich etwas Deutsch. Ich besuche derzeit einen Deutschkurs.

Anmerkung: Partei legt Zertifikat über Deutschkurs vor.

LA: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sind Sie in ärztlicher Behandlung, nehmen Sie irgendwelche Medikamente?

VP: Ich bin derzeit in psychologischer Behandlung und nehme derzeit Medikamente.

Anmerkung: Partei nimmt Quetialan XR 50 mg, Mirtazapin 30 mg und Bromazepam 3 mg und Pregablanin 100 mg. Partei legt Befund von Facharzt für Psychiatrie vor. Mein nächster Termin ist am 04.06.2018.

LA: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der Einvernahme zu folgen?

VP: Ja. Aufgrund der Medikamente habe ich Schwierigkeiten bei der Artikulation.

LA: Liegen Befangenheitsgründe oder sonstigen Einwände gegen die anwesenden Personen vor?

VP: Ich habe keine Einwände.

LA: Werden Sie im gegenständlichen Verfahren rechtlich vertreten oder besteht für jemand eine Zustellvollmacht?

VP: Nein.

LA: Stimmen Ihre Angaben die Sie bei der Erstbefragung gemacht haben?

VP: Ja, sämtlich Angaben sind korrekt. Die Erstbefragung wurde mir nicht rückübersetzt. Der Dolmetscher hat nicht gut türkisch gesprochen.

LA: Können Sie identitätsbezeugende Dokumente oder sonstige Beweismittel in Vorlage bringen?

Ja kann ich, ich habe alles mit:

Dokumente aus der Türkei:

-

Original türkischer Führerschein ausgestellt am XXXX in XXXX /

XXXX mit der Nr. XXXX

-

Original Türkischer Nüfus mit der Nr. XXXX

Ich hatte 2014 einen Reisepass erhalten. Den Pass hat mir der Schlepper abgenommen

Dokumente aus Österreich:

-

Arztbrief Facharzt für Psychiatrie und Neurologie plus Terminvereinbarung

-

Zertifikat Deutsch A1 XXXX Integration ab dem ersten Tag.

LA: Geben Sie Ihren vollständigen Namen, Geburtstag und Geburtsort an!

VP: Mein Name lautet XXXX ; geb. bin ich am XXXX im Ort XXXX , Türkei.

LA: Nennen Sie bitte Ihre Staatsangehörigkeit!

VP: Ich bin türkischer Staatsangehöriger.

LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

VP: Kurde.

LA: Welche Religion haben Sie?

VP: Moslem, Sunnit.

LA: Bitte geben Sie alle Wohnanschriften in der Türkei in chronologischer Reihenfolge von Ihrer Geburt bis zu Ihrer Flucht an!

VP: Geboren bin ich im Dorf XXXX , Türkei.

Nach drei Monaten sind meine Eltern nach Gaziantep umgezogen wo wir bis zu meinem 10. Lebensjahr gewohnt haben. Zwischen 10. und 11. LJ haben wir in der Stadt Mersin gewohnt. Danach habe ich wieder in XXXX gelebt. Im August 2015 bis August 2016 habe ich den Wehrdienst abgeleistet.

LA: Nennen Sie mir bitte die Namen, das Alter und den Aufenthaltsort Ihrer nächsten Familienangehörigen. Was machen Ihre Eltern beruflich?

Vater: XXXX , 50 Jahre, er lebt in XXXX , mein Vater ist LKW Fahrer international tätig.

Mutter: XXXX , 54 Jahre, sie lebt in XXXX , sie ist Hausfrau

Brüder:

XXXX - 27 Jahre, lebt in XXXX , er ist LKW Fahrer nur in der Türkei

XXXX - 21 Jahre, lebt in XXXX , er hat seinen Militärdienst geleistet und ist derzeit arbeitslos

Sie leben alle in der Türkei

LA: Sind Sie oder Ihre Familienmitglieder im Besitz von Häusern? Haben Sie Grundbesitz?

VP: Meine Eltern haben ein Haus, das gehört ihnen. Sonst hat niemand Häuser oder Besitz

LA: Haben Sie noch weitere Verwandte in der Türkei?

VP: Großmütter väterlicherseits und mütterlicherseits leben noch, die Großväter leben nicht mehr. Zwei Onkel väterlicherseits leben in der Türkei, drei Onkel väterlicherseits leben in Österreich. Meine zwei Tanten väterlicherseits leben in der Türkei. Ein Onkel und zwei Tanten mütterlicherseits leben ebenfalls in der Türkei.

LA: Haben Sie Verwandte in Österreich oder einem anderen Mitgliedsstaat der EU?

VP: Ja, ich habe zwei Brüder

XXXX - 33 Jahre,

XXXX - 30 Jahre (AW lebt bei XXXX ). Die beiden Brüder arbeiten in einem Restaurant. Ich habe noch drei Cousinen und einen Cousin in Österreich.

LA: Wie ist Ihr Familienstand?

VP: Ledig.

LA: Haben Sie Kinder?

VP: Nein.

LA: Führen Sie in Österreich eine Beziehung oder Lebensgemeinschaft?

VP: Nein.

LA: Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Familie in der Türkei? Wenn ja, wie häufig?

VP: Ja, ich habe einmal wöchentlich Kontakt zu meiner Familie.

LA: Welche Schulbildung haben Sie?

VP: Ich habe fünf Jahre die Volksschule und drei Jahre die Hauptschule besucht.

LA: Haben Sie einen Beruf erlernt?

VP: Ich habe als Schweißer gearbeitet.

LA: Wie würden Sie die finanzielle Situation Ihrer Familie beschreiben?

VP: Die finanzielle Situation ist gut.

LA: Wie hoch waren die Kosten für Ihre Flucht?

VP: 5.000 Euro.

LA: Woher hatten Sie das Geld für Ihre Flucht?

VP: Ich habe selbst Geld angespart und einen Teil habe ich von meinem Bruder XXXX erhalten

LA: Wann haben Sie den Entschluss gefasst, die Türkei zu verlassen?

VP: Ich habe unmittelbar nach dem Putsch in der Türkei die Entscheidung gefasst die Türkei zu verlassen.

LA: Wann konkret haben Sie die Türkei verlassen? War die Ausreise legal oder illegal?

VP: Ausgereist bin ich am 12.08.2017, die Ausreise war illegal. Ich habe die Türkei mit einem LKW verlassen

LA: Wann sind Sie in Österreich angekommen?

VP: Ich bin am 16.08.2017 in Österreich angekommen.

Anmerkung: Zeitpunkt der Antragstellung: 17.08.2017

LA: Nennen Sie mir die Stationen Ihres Fluchtweges!

VP: Ich war auf der Ladefläche versteckt, ich weiß nicht, über welche Länder ich nach Österreich gekommen bin.

LA: Hatten Sie bei Ihrer Flucht ein Zielland?

VP: Mein Ziel war von Anfang an Österreich.

LA: Waren Sie nach Ihrer Ausreise am 12.08.2017 noch einmal in der Türkei?

VP: Nein.

LA: Haben Sie seit Ihrer Ankunft hier in Österreich das Land jemals verlassen?

VP: Nein.

LA: Haben Sie in einem weiteren Land um Asyl angesucht?

VP: Nein.

LA: Weiterhin alles verständlich? Den anwesenden Dolmetscher verstehen Sie gut?

VP: Ja, es passt alles, ich verstehe den Dolmetscher gut.

FLUCHTGRUND

LA: Bitte nennen Sie Ihre Fluchtgründe? Warum haben Sie Ihr Herkunftsland verlassen und haben in Österreich einen Asylantrag gestellt?

VP: Ich bin Kurde und als Kurden wurden wir in der Türkei unterdrückt. Ich habe die Bezirksjugendorganisation von der kurdischen Partei HDP regelmäßig besucht. Die Leute die diese Parteiorganisation besuchen werden von den Sicherheitsbehörden beobachtet. Ich habe diesen Verein regelmäßig besucht, es gab dort Reden, denen ich zugehört habe. Der Verein hat auch Demonstrationen organisiert, denen ich beigewohnt habe. Im Jahr 2015 hat die HDP eine Demonstration in der Stadt XXXX organisiert gegen die Verhaftung der kurdischen Politiker. Die Polizei hat die Demonstranten angegriffen sie wurden verprügelt, viele wurden festgenommen und in Gewahrsam genommen. Ich wurde in die Polizeistation XXXX gebracht. Bei dieser Festnahme wurde ich drei Stunden lang von der Polizei geschlagen und auf ärgste beschimpft und diskriminiert. Sie beschuldigten uns als Terroristen, und sagten dass ihnen das Land gehört und sie uns vernichten werden. Danach wurde meine Aussage aufgenommen und anschließend wurde ich freigelassen. Bei der Freilassung sagte mir die Polizei, dass ich nicht mehr an einer Demonstration teilnehmen darf, ansonsten werde ich für lange Zeit inhaftiert werden. Danach war ich beim Militärdienst. Am 15.07.2016 gab es den Militärputsch. Ich war zu dieser Zeit Soldat in Istanbul. Ich war im Militärstützpunkt XXXX stationiert.

Partei legt Bestätigung über das Verlassen des Militärstützpunktes vor. Er hat am 17.07.2016 den Militärstützpunkt verlassen und in Urlaub gegangen, am 05.08.2016 ist der Militärdienst offiziell abgeleistet gewesen.

Weiter im Fluchtvorbringen:

Am 15.07.2016 haben wir den Befehl erhalten, dass wir eine Militärübung durchführen müssen. Wir mussten bereit sein, manche Soldaten mussten bereits mit den Panzern auf die Straße. Von unserem Militärstützpunkt ist eine Gruppe vorgegangen und sie haben die XXXX zwischen XXXX und XXXX ( XXXX ) besetzt.

Ca. zwei Stunden nach der Sperrung der Brücke haben wir den Befehl erhalten, den Stützpunkt zu verlassen, der Ausgang des Stützpunktes war von Zivilisten besetzt. Diese haben uns daran gehindert, rauszufahren. Wir blieben im Stützpunkt. Die Bevölkerung wollte in den Stützpunkt reinkommen, wir haben den Befehl erhalten, die Zivilisten nicht in den Stützpunkt zu lassen. Das Volk hat die Tür kaputt geschlagen und ist reingekommen. Die Bevölkerung hat uns angegriffen. Sie haben uns stundenlang verprügelt, wir waren machtlos, ich hatte Angst um mein Leben, ich hatte Angst, dass sie uns töten würden. Ich denke, das war schon vorher programmiert, dass die Leute gegen uns aufgehetzt wurden. Die Polizei hat sehr lange gebraucht um uns zu helfen. Das war sicher absichtlich, nach einer Zeit ist die Polizei gekommen. Die Polizei ist gekommen und hat uns alle mit Plastikhandschellen verhaftet. Die Polizei hat uns menschenunwürdig behandelt. Sie haben uns bis auf unsere Unterhose ausgezogen und auf den Boden gelegt. Als wir am Boden lagen, mit Plastikhandschellen gefesselt, wurden wir von den Polizisten beschimpft und mit den Füßen getreten. Ich möchte daran erinnern, dass ich nicht wusste, um was es ging, ich habe nur einen Befehl erhalten, und ich wusste nicht genau was passiert ist. Wir lagen in diesem Zustand zwei bis drei Stunden am Boden. Unsere Offiziere wurden von der Polizei festgenommen und mitgenommen. Die Polizisten haben uns in diesem Zustand zwei Tage lang festgehalten und uns nichts zu essen und trinken gegeben. Drei Freunde von uns, die auf der Brücke waren, wurden gelyncht. Ein Offizier wurde getötet, als ihm die Bevölkerung den Schädel zertrümmerte.

Partei zeigt Video, wo sein Voroffizier auf der Brücke getötet lag.

Die Videos wurden absichtlich gedreht. Das gezeigte Video wurde von den Personen gedreht, die den Offizier getötet haben. Das war alles organisiert. Nachdem sie die Videos gedreht haben, haben sie uns diese gezeigt und uns gesagt, dass sie das gleiche mit uns machen werden. Ich hätte am 17.07.2016 entlassen werden sollen, die Polizei hat uns fünf Tage festgehalten. Ich wurde erst eine Woche später aus dem Militärdienst entlassen. Am 23.07.2016 wurde ich aus dem Militärdienst entlassen. Ich war traumatisiert, ich ging zu einem Psychiater. Ich hatte Angst um mein Leben, ich wusste nicht, was mit mir passieren wird. Ich habe gesehen, wie sie Freunden den Kopf zertrümmert haben, ich hatte Angst, dass mir dasselbe passieren würde. Ich habe mich in der Türkei nicht mehr sicher gefühlt.

LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

VP: Nein.

LA: Wann haben Sie den Militärdienst angetreten?

VP: Am 05.08.2015.

LA: Welchen Rang hatten Sie beim Militär?

VP: Ich war einfacher Soldat.

LA: Haben Sie den Militärdienst abgeschlossen? Wenn ja, wann?

VP: Ich habe den Militärdienst vollständig abgeleistet.

Partei legt Bestätigung über den abgeleisteten Wehrdienst vor.

LA: Wissen Sie noch, was Sie bei der Erstbefragung bei Ihrem Fluchtvorbringen angegeben haben?

VP: Ja, ich weiß noch was ich gesagt habe, ich habe vom Militärputsch berichtet. Ich hatte beim Militärdienst auch einen Offizier, mit dem ich Probleme hatte. Er beschimpfte und diskriminierte alle. Der Offizier hat mich geschlagen und ich habe mich verteidigt. Ich habe eine Strafe bekommen und ich musste drei Tage in einen Raum ohne Licht und Fenster. Ich möchte nochmal darauf hinweisen, dass der Dolmetscher nicht gut türkisch konnte.

LA: Wie erklären Sie sich die Differenzen über die Anhaltungszeit bei der Polizei? In der EB haben Sie angegeben, eine Nacht festgehalten worden zu sein, jetzt haben Sie fünf Tage angegeben.

VP: Das kann nicht stimmen, der Dolmetscher konnte nicht türkisch. Das kann einfach nicht stimmen, das habe ich nie gesagt.

LA: Erzählen Sie mir bitte so detailliert wie möglich, von dem Angriff der Zivilisten auf den Militärstützpunkt!

VP: Wir waren ca. 10 m von der Tür entfernt in einer Reihe aufgestellt mit Schutzschildern. Die Bevölkerung hat uns mit Steinen beworfen und beschimpft. Es war der 15.07.2016, zwischen 23.30. und 24 Uhr. Es waren große Metalltüren, sie wollten sie öffnen, das ging aber nicht, weil sie sehr massiv war. Sie haben dann mit einem LKW die Türen eingefahren und haben uns angegriffen. Unser Befehl war, dem Angriff standzuhalten und die Leute nicht reinzulassen. Aber irgendwann waren es zu viele Leute und wir konnten sie nicht mehr abwehren. Ich bin dann zu Boden gestürzt und sie haben uns dann den Rest gegeben. Sie haben uns dann die ganze Zeit verprügelt bis die Polizei kam.

LA: Wie lange waren Sie insgesamt inhaftiert?

VP: Ich war 7 Tage lang in Gewahrsam. Nochmals zur Klärung. Der Vorfall ereignete sich am 15.07.2016. Die Polizei übernahm die Kontrolle über das Militär. Wir wurden im Militärstützpunkt angehalten, dort bis auf die Unterhose ausgezogen und beschimpft und misshandelt. Am 23.07.2016 wurde ich um 6 Uhr entlassen.

LA: Wie viele Personen wurden dort insgesamt angehalten?

VP: In meiner Gruppe waren es mit mir 12 Personen. Es waren auch andere Teams angehalten. Wir wurden auf dem Militärstützpunkt festgehalten. Nachdem die Polizei die Kontrolle übernommen hatte wurden wir in der Gruppe von 12 Personen festgehalten. Wir durften nichts ohne Polizei unternehmen. Wenn wir auf das WC mussten, wurden wir von einem Polizisten begleitet. Wir durften nichts eigenständig machen.

LA: Was wurde Ihnen konkret vorgeworfen?

VP: Wir wurden als Verräter bezeichnet

LA: Sie haben angegeben, dass Sie auch gefoltert wurden, was können Sie dazu sagen?

VP: Ich wurde verprügelt. Wir wurden mit Schlagstöcken, Fäusten und Füßen und auch Ledergürtel geschlagen.

LA: Welche Verletzungen hatten Sie nach den Folterungen?

VP: Es sind keine bleibenden Narben zurückgeblieben

LA: Waren Sie nach der Anhaltung durch die Polizei in ärztlicher Behandlung oder in einem Krankenhaus?

VP: Ich war in meiner Heimatstadt XXXX in psychologischer Behandlung. Ich war psychisch traumatisiert, das war für mich die größte Verletzung. Diese psychischen Misshandlungen habe ich verdrängt.

Anmerkung: Partei legt ärztliche Befunde aus der Türkei vor. Es handelt sich um einen Ausdruck aus einer Apotheke. Depressive Störung, verschrieben wurde Fluoxitin und Risperidon. Der Befund stammt vom Jahr 2012, 2013 und der zweite stammt aus dem Jahr 2014

Das zweite Mal Paroxetin verschrieben wegen Depressionen (Internationaler Code F 41.1 generalisierte Angststörung F32. Depressive Episode, F34 anhaltende affektive Störung F38 rezidivierende affektive Störung.

Befunde nach dem Vorfall gibt es nicht. Ich kann von meiner Mutter die aktuellsten Befunde aus der Türkei nachreichen lassen. Ich werde versuchen, die Befunde nachzureichen.

Anmerkung: der Partei wird eine Frist von drei Wochen zur Nachreichung der Befunde aus der Türkei gewährt. (Frist bis 14.06.2018)

LA: Sie waren bereits vor dem Vorfall in psychologischer Betreuung?

VP: Ja das stimmt. Durch die Unterdrückung des türkischen Staates habe ich die Angstzustände bekommen. Mein Onkel väterlicherseits wurde von der Polizei getötet, er hieß XXXX , seitdem habe ich große Angst vor der Polizei. Mein Onkel war ebenfalls politisch aktiv als Kurde und bei einer politischen Kundgebung wurde er von der Polizei durch einen Schuss getötet. Das ist schon sehr lange her, aber ich kann das in Erfahrung bringen.

LA: Wird Ihre Familie derzeit in irgendeiner Weise bedroht?

VP: Es gibt eine starke Unterdrückung. Es gibt bald die Wahl in der Türkei, auch in unserem Heimatort sind politische Veranstaltungen. Sie sagen alle, wenn man die AKP nicht wählt, wird die Grüne Karte (Gesundheitskarte ähnlich unserer E-Card) ungültig gesetzt und einem jegliche Rechte genommen.

LA: Besteht gegen Sie derzeit ein aktueller Haftbefehl?

VP: Ich weiß es nicht.

LA: Warum haben Sie sich in Österreich nicht sofort in psychologische Therapie begeben?

VP: Ich hatte meine Medikamente aus der Türkei mit, als sie aufgebraucht waren, habe ich einen Arzt aufgesucht.

LA: Wurden Sie in der Zeit zwischen dem Putsch und Ihrer Flucht noch irgendwann persönlich bedroht?

VP: Weil ich ein beteiligter an dem Putsch war wurde ich sowohl von der Polizei als auch von der Gendarmerie aus XXXX besucht. Sie sagten, dass ich die Ortschaft nicht verlassen darf, nicht arbeiten darf und sie können mich jederzeit, wenn sie wollen, festnehmen. Zweimal hat die Polizei aus XXXX mich abgeholt und zu ihrer Polizeistation gebracht. Sie haben mich einvernommen, mich als Verräter bezeichnet, weil ich an dem Putsch beteiligt war. Ich habe dies bestritten, ich habe gesagt, dass ich einfacher Soldat war und ich den Befehl ausführen musste, bei Befehlsverweigerung hätte ich ebenfalls Probleme bekommen. Ich wurde zwei Stunden festgehalten, es gab oft Hausbesuche von der Polizei bei mir zu Hause. Sie kamen zu uns nach Hause und sagten "hey Verräter, bist du noch da". Sie haben mir permanent Angst eingejagt.

LA: Was würde passieren, wenn Sie jetzt in die Türkei zurückkehren müssten?

VP: Die Polizei wird mich festnehmen und inhaftieren. Ich habe keine Lebenssicherheit.

LA: Hatten Sie jemals Probleme mit den Behörden Ihres Herkunftsstaates?

VP: Nein.

LA: Waren Sie jemals in Haft? Wurden Sie jemals festgenommen oder strafrechtlich verurteilt? Abgesehen von Ihrer Anhaltung!

VP: Nein.

LA: Haben Sie jemals an Demonstrationen teilgenommen? Sowohl Türkei als auch Österreich!

VP: Nein.

LA: Wurden Sie jemals wegen Ihrer Religion persönlich bedroht?

VP: Nein.

LA: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder einer Organisation?

VP: Ich bin Mitglied in einem kurdischen Verein.

Mitgliedsbestätigung wird nachgereicht. Es handelt sich hierbei um einen politischen Verein.

LA: Wie sieht Ihr Tagesablauf hier in Österreich aus?

VP: Ich stehe auf, frühstücke, ich besuche einen Deutschkurs. Danach versuche ich das gelernte zu vertiefen und meine Deutschkenntnisse zu erweitern. Ich gehe spazieren, versuche die Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Ich versuche über das Internet mehr über Österreich zu erfahren um das System besser kennenzulernen und mich besser zu integrieren. Ich besuche meine Brüder und Neffen und Nichten. Mit den Kindern gehen wir in den Park.

LA: Haben Sie in Österreich bereits Freundschaften geschlossen?

VP: Ich habe ein paar Freunde mit denen ich die Freizeit verbringe.

LA: Wie würden Sie sich Ihre Zukunft hier in Österreich vorstellen?

VP: Ich könnte als Schweißer arbeiten, ich möchte keine Unterstützung vom Staat haben.

LA: Konnten Sie sich bei dieser Einvernahme konzentrieren? Haben Sie den anwesenden Dolmetscher einwandfrei verstanden?

VP: Ja, ich habe ihn gut verstanden und ich konnte mich konzentrieren.

LA: Ihnen wird nun die Möglichkeit eingeräumt, in das vom BFA zur Beurteilung Ihres Falles herangezogene Länderinformationsblatt zu Ihrem Heimatland samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden von Behörde von EU-Ländern aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im Einzelnen auch eingesehen werden können.

VP: Ich möchte das Länderinformationsblatt erhalten und ich möchte eine Frist für die Stellungnahme von drei Wochen: 14.06.2018

LA: Ich beende jetzt die Befragung! Möchten Sie noch irgendetwas angeben?

VP: Nein. Ich möchte meinen Führerschein zurückhaben.

LA: Es kann sein, dass Sie zu weiteren Fragen oder bei Ungereimtheiten erneut einen Ladungstermin erhalten. Ist dies für Sie in Ordnung?

VP: Das ist kein Problem.

LA: Frage an die Vertrauensperson: Möchten Sie noch etwas angeben?

VP: Nein. Der Dolmetscher hat sehr gut übersetzt.

(...)

-

Mit Verfahrensanordnung vom heutigen Tag wurde Ihnen ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

Anm. Rechtschreibfehler wurden nachträglich ausgebessert.

[...]"

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt.

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen.

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei.

Gemäß § 55 Abs. 1a FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ebenso ergebe sich aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Abschiebungshindernisse lägen demnach nicht vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen und wurde daher eine Rückkehrentscheidung verfügt.

Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Die Widersprüche in den Einvernahmen in Bezug auf die Zeit der Anhaltung würden zum einen aus den schlechten Sprachkenntnissen des Dolmetschers resultieren und zum anderen sei dies dem emotionalen Zustand der bP geschuldet gewesen. Wenn eine der Regierung nahestehende Zeitschrift über die Ereignisse und die Anzahl der verhafteten Personen in der Putschnacht vom 15. auf den 16.07.2016 berichtet, ist damit nicht gesagt, dass diese Angaben richtig seien. Hinsichtlich der Anhaltungen komme es auf die Betrachtungsweise an. Kumuliert betrachtet sei daraus keine gezielte Verfolgung abzuleiten. Einzeln betrachtet könne durchaus der Eindruck entstehen, dass es sich dabei um planmäßige Anhaltungen gehandelt hat. Das Verharren der bP in seiner Wohngegend könne nicht gegen ihn ausgelegt werden, zumal er dort auf Grund der vielen bekannten Kurden den bestmöglichen Schutz vor weiteren Übergriffen der Behörde gehabt hätte und sich dort verstecken hätte können.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde, Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

Das Bundesamt traf auf Grund des Ermittlungsverfahrens folgende Feststellungen denen sich das BVwG anschließt:

"Zu Ihrer Person:

Ihre Identität steht aufgrund der Vorlage eines original türkischen Nüfus fest. Sie sind türkischer Staatsangehöriger, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und Moslem der sunnitischen Glaubensgemeinschaft.

Es konnte festgestellt werden, dass Sie am XXXX in XXXX in der Türkei geboren wurden.

Es steht fest, dass Sie weiters in Gaziantep, Mersin und XXXX lebten.

Sie haben fünf Jahre Volksschule und drei Jahre Hauptschule besucht. Sie haben in der Türkei als Schweißer gearbeitet.

Es konnte festgestellt werden, dass Ihre Muttersprache türkisch ist, außerdem beherrschen Sie verhandlungssicher die kurdische Sprache und sprechen Deutsch auf A1 Niveau.

Ihre Eltern und zwei Ihrer Brüder sind in XXXX , Türkei aufhältig. Zudem haben Sie neben Großeltern auch noch eine große Anzahl an Verwandten in der Türkei.

Sie haben zwei Brüder und drei Onkel väterlicherseits in Österreich.

Die finanzielle Lage Ihrer Familie sei Ihren Angaben zufolge gut gewesen, Ihre Familie konnte sich versorgen und lebte nicht am Existenzminimum. Ihr Vater und einer Ihrer Brüder gehen einer Beschäftigung nach. Ihren Angaben zufolge ist Ihre Familie im Besitz eines Hauses.

Sie sind ledig und haben keine Kinder.

Sie sind körperlich gesund, haben jedoch bei der asylrechtlichen Einvernahme einen Kurzbefund von einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie vorgelegt. Laut diesem Befund leiden Sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung und an einer Depression. Diese psychischen Probleme werden medikamentös laut vorgelegtem Kurzbericht behandelt.

Im Zuge der Einvernahme konnte jedoch festgestellt werden, dass Sie bereits in der Türkei jahrelang an Depressionen gelitten haben, diese sind bereits in der Türkei mit Medikamenten behandelt worden.

Im Zuge des gegenständlichen Asylverfahrens hat es sich nicht ergeben, dass Sie an "schweren bzw. lebensbedrohlichen Krankheiten" laborieren. Diesbezügliche Beweismittel (ärztliche Befunde/Gutachten etc.) haben Sie in Vorlage gebracht.

Eine durchgeführte EKIS/Strafregisteranfrage hat ergeben, dass Sie in Österreich nicht strafgerichtlich verurteilt wurden.

Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

Es ist Ihnen vor dem BFA nicht gelungen asylrelevante Fluchtgründe glaubhaft zu machen! Auf Grund dessen konnte nicht festgestellt werden, dass Sie die Türkei aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung - nämlich Verfolgung seitens der Taliban bzw. der Regierung - verlassen haben und wird diesbezüglich auf die Beweiswürdigung verwiesen!

Zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Sie sind in der Türkei geboren und haben den Großteil Ihres Lebens in der Türkei verbracht. Ihre Familie ist nach wie vor in XXXX , Türkei aufhältig. Weiters haben Sie eine Unzahl an Verwandten in der Türkei.

Sie haben insgesamt acht Jahre die Schule besucht. Danach haben Sie als Schweißer gearbeitet. Ihren Wehrdienst haben Sie bereits vollständig abgeleistet.

Sie sind in einem arbeitsfähigen Alter und haben bis zu Ihrer Flucht für Ihren Lebensunterhalt gesorgt und Ihre Familie unterstützt. Sie sprechen die Landessprache und zudem sind Sie mit der türkischen Kultur und den traditionellen Gepflogenheiten vertraut. Es ist Ihnen zuzumuten, sich mit Hilfe der eigenen Arbeitsleistung und der Unterstützung von Angehörigen, den Lebensunterhalt in der Türkei zu sichern.

Hinderungsgründe - etwa wegen schwerwiegender Krankheit - haben sich im gegenständlichen Verfahren nicht ergeben.

Eine Rückkehr in Ihre Heimat Türkei ist Ihnen möglich und auch zumutbar. Mit der Aufhebung des Notstands, am 19. Juli 2018, sind die damit verbundenen Einschränkungen und Sonderregelungen im Grundsatz entfallen.

Festgestellt wird, dass im Entscheidungszeitpunkt Ihre Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in die Türkei keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für Sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen könnte.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Fest steht, dass Sie in der Türkei weiterhin über Familienangehörige verfügen.

Sowohl Ihre Eltern, als auch zwei Ihrer Brüder leben weiterhin in Ihrem Heimatland.

Sie sind ledig und haben keine Kinder.

Weiters steht fest, dass zwei Ihrer Brüder und drei Onkel väterlicherseits in Österreich leben.

Zu Ihren Brüdern und Onkeln besteht jedoch kein besonderes Naheverhältnis oder ein Abhängigkeitsverhältnis. Sie leben mit einem Ihrer Brüder in einem gemeinsamen Haushalt.

Sie führen in Österreich weder ein Familienleben noch eine Lebensgemeinschaft. Sie gehören in Österreich keinem Verein bzw. keiner sonstigen Organisation an. Ihre Deutschkenntnisse sind auf A1 Niveau. Weitere Integrationsmaßnahmen konnten aufgrund fehlender Dokumente nicht nachgewiesen werden.

Ihr soziales Netzwerk besteht aus Freunden unterschiedlicher Nationalitäten. Diese Beziehungen können Sie über soziale Netzwerke auch in Zukunft aufrechterhalten.

Gegenwärtig sind Sie nur aufgrund der Asylantragstellung vorübergehend zum Aufenthalt berechtigt, einen anderen Aufenthaltstitel haben Sie nicht.

Zur Lage in Ihrem Herkunftsland: [...]"

Das Bundesamt traf im angefochtenen Bescheid Feststellungen zum Herkunftsstaat Türkei auf Basis des der Partei zu Gehör gebrachten Länderinformationsblattes der Staatendokumentation. Die bP äußerte sich dazu im Verfahren vor dem Bundesamt nicht. Im Wesentlichen ergibt sich für diesen Fall zusammengefasst daraus Folgendes:

Mehr als 15 Millionen türkische BürgerInnen, so wird geschätzt, haben einen kurdischen Hintergrund und sprechen einen der kurdischen Dialekte. Wenngleich es zu Diskriminierungen kommen kann, ergibt sich auf Grund der Berichtslage nicht, dass Kurden mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in der Türkei einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wären.

Die Versorgungslage ist in der Türkei grds. gesichert und ist Kurden - so wie der übrigen Bevölkerung - auch eine Teilnahme am Erwerbsleben und Inanspruchnahme medizinischer Leistungen möglich.

Die Sicherheit ist für die Bevölkerung im Allgemeinen gewährleistet und die staatlichen Schutzmechanismen hinreichend funktionsfähig. Es kann nicht festgestellt werden, dass in der Türkei aktuell eine Lage herrschen würde, wonach diese für eine Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde."

2. Beweiswürdigung

Einleitend ist anzuführen, dass die im Verfahren aufgenommenen Niederschriften mit den Aussagen der bP vollen Beweis iSd § 15 AVG über den Verlauf und Gegenstand der Amtshandlung bilden und mit diesem Inhalt als zentrales Beweismittel der Beweiswürdigung unterzogen werden können.

Die bP trat den Gegenbeweis der Unrichtigkeit des darin bezeugten Vorganges nicht an.

Das Bundesamt würdigte die Ermittlungsergebnisse folgendermaßen:

"[...]

Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Person:

Ihre Identität konnte aufgrund der Vorlage Ihres original türkischen Nüfus zweifelsfrei festgestellt werden.

Die Feststellungen zu Ihrer Herkunft, Ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, zu Ihrem familiären Umfeld sowie Ihrer Schulbildung und Ihrer Berufserfahrung beruhen auf Ihren diesbezüglichen Angaben im Zuge Ihrer Erstbefragung und Ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA.

Ebenso war die Feststellung hinsichtlich Ihres Gesundheitszustandes, durch Ihre eigenen entsprechenden Angaben vorzunehmen und den von Ihnen vorgelegten ärztlichen Befunden. Sie sind in Österreich erst seit kurzem, seit 17.05.2017, in psychologisch-psychiatrischer Behandlung. Laut Arztbrief leiden Sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung, Depression und einem Angstsyndrom. Diese lässt sich nach Anfragebeantwortung der Staatendokumentation auch in der Türkei behandeln, sämtliche vom Psychiater verordnete Medikamente sind laut Anfragebeantwortung in der Türkei erhältlich. Medikamente mit dem Wirkstoff Pregabalin, sowie den alternativen Wirkstoffen Carbomazepin und Topiramat sind verfügbar. Der Wirkstoff Qualtepin sowie die Alternativen Olanzapin und Risperidon sind ebenfalls erhältlich. Der Wirkstoff Bromazepam ist nicht verfügbar, jedoch die alternativen Wirkstoffe Alprazolam und Chlordiazepoxid.

Die Feststellungen zu Ihrer Schulbildung, Ihrer Berufserfahrung als Schweißer sowie Ihren Sprachkenntnissen entsprechen Ihren im Verfahren gemachten Angaben. Ihren eigenen Angaben nach haben Sie insgesamt acht Jahre die Schule besucht. Ihre Muttersprache ist Türkisch, Sie sprechen auch Kurdisch und Deutsch auf A1 Niveau.

Ihre Eltern und zwei Ihrer Brüder leben nach wie vor in der Türkei. Zudem haben Sie noch Großeltern und Onkel und Tanten in der Türkei.

Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass Sie nach wie vor aufgrund Ihrer schulischen und beruflichen Laufbahn soziale Anknüpfungspunkte in der Türkei besitzen.

Die finanzielle Lage Ihrer Familie beschreiben Sie als gut. Ihr Vater und einer Ihrer Brüder ist erwerbstätig, Ihre Eltern sind in XXXX im Besitz eines Hauses.

Die Feststellung dazu, dass Sie nicht straffällig geworden sind ergibt sich aus der im Akt befindlichen EKIS Anfrage.

Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

Gerade im Asylverfahren ist das Vorbringen des Antragstellers oft das einzige Beweismittel, welches von der Partei der Behörde zur Verfügung gestellt wird. Die niederschriftlichen Angaben der Partei stellen daher im überwiegenden Teil des Verfahrens die wesentliche Entscheidungsgrundlage dar. Im Asylverfahren liegt oft ein geradezu sachtypischer Beweisnotstand vor, weshalb das Vorbringen auf die Glaubhaftigkeit und die Person des Asylwerbers selbst auf die Glaubwürdigkeit zu prüfen sind.

Ein Vorbringen wird dann glaubhaft sein, von es nachfolgende Grunderfordernisse erfüllt:

1. Das Vorbringen des Asylwerbers ist genügend substantiiert. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.

2. Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

3. Das Vorbringen muss plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist u. a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegung mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erschienen.

4. Der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet und verspätet erstatte oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

Ihr beim BFA vorgelegtes Vorbringen entspricht jedoch nicht diesen genannten Anforderungen, zumal sich Ihr Vorbringen lediglich auf bloß allgemein gehaltene, vage und unkonkrete Behauptungen beschränkt.

Zunächst gaben Sie während Ihrer Erstbefragung am 17.08.2017 Folgendes an:

"Ich war 2016 zum Militärdienst eingerückt. Ich wurde dort mehrmals misshandelt, getreten und mit Messer attackiert von den Militäroffizieren. Nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 wurden alle nicht Erdogan Sympathisanten überall in der Türkei festgenommen, gefoltert und inhaftiert. Ich wurde verhaftet ohne jeglichen Grund und von der Polizei misshandelt. Ich wurde eine Nacht durchgefoltert. Nach dieser Nacht wurde ich entlassen und daraufhin beschloss ich sofort das Land zu verlassen. Ich habe meinen Reisepass einem Schlepper gegeben, ihm etwas bezahlt (ca. € 2.000,-), damit mir dieser ein Visum besorgt. Der Schlepper nahm Pass und Geld und ich sah ihn dann nie wieder und bekam nichts zurück. Ich habe hiermit alle meine Gründe und die dazugehörenden Ereignisse angegeben, warum ich nach Österreich gereist bin! Ich habe keine weiteren Gründe einer Asylantragstellung."

Während Ihrer Einvernahme durch das BFA am 24.05.2018 tätigten Sie sinngemäß folgende Aussagen.

Zuerst gaben Sie an, dass Sie Kurde sind, und als solcher in der Türkei auch unterdrückt wurden.

Weiters gaben Sie an, dass Sie die Bezirksjugendorganisation der kurdischen Partei HDP regelmäßig besucht hätten. Sie hätten den Verein regelmäßig besucht und bei den Reden zugehört. Sie persönlich waren jedoch nicht in Parteiinterne Organisation oder Parteiaktivitäten involviert. 2015 hat Ihren Angaben zufolge die HDP eine Demonstration organisiert, welche Sie angeblich ebenfalls besucht hätten. Im Zuge dieser Demonstration wurden Sie auf die Polizeistation in XXXX gebracht und für drei Stunden lang angehalten. In diesen drei Stunden seien Sie eigenen Angaben zufolge geschlagen, beschimpft und diskriminiert worden.

Danach kamen Sie zu Ihrer Schilderung über die Nacht des Militärputsches am 15.07.2016. Ihren Angaben zufolge haben Sie vom 05.08.2015 bis 05.08.2016 Ihren Militärdienst abgeleistet. In dieser Zeit hätten Sie Diskriminierungen und Beschimpfungen während des Militärdienstes erdulden müssen.

In der Nacht des Putsches haben Sie zuerst den Befehl erhalten, dass eine Militärübung bevorstehen würde und diese durchzuführen sei. Sie hätten den Befehl erhalten, den Stützpunkt zu halten und Zivilisten nicht in den Stützpunkt zu lassen. Die Bevölkerung hätte letztendlich den Stützpunkt gestürmt und hätte Sie und andere Soldaten stundenlang verprügelt. Danach sei die Polizei gekommen, hätte Sie und andere Militärangehörige mit Plastikhandschellen gefesselt. Sie wurden von der Polizei beschimpft und mit Füßen getreten. Ihren Angaben zufolge wurden Sie mit anderen Militärangehörigen insgesamt sieben Tage lang im Militärstützpunkt angehalten. Danach wurden Sie am 23.07.2016 aus der Anhaltung entlassen.

Die Behörde erachtet einen Teil der von Ihnen geschilderten Ereignisse als glaubhaft.

Ihre Anwesenheit in der N. XXXX Kaserne in Istanbul während des Putsches erscheint glaubhaft. Laut Ihrer Entlassungsbescheinigung des Militärs waren Sie vom 05.08.2015 bis 05.08.2016 beim Militär. Glaubhaft ist, dass Sie in der Putschnacht in einem Militärstützpunkt zugegen waren. Ihre Angaben decken sich mit denen aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation. Viele Soldaten dachten, es würde sich um eine Militärübung handeln und befolgten die Befehle ihrer Vorgesetzten.

Es erscheint der Behörde auch glaubwürdig, dass unmittelbar nach dem Putsch ein chaotischer Zustand in dem Militärstützpunkt geherrscht hätte. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass sämtliche Beteiligte geschlagen und beschimpft worden wären.

Widersprüchliche Angaben hingegen gibt es zu Ihrer Dauer der Anhaltung bzw. der Anhaltung selbst. In Ihrer Erstbefragung haben Sie angegeben, eine Nacht lang angehalten und misshandelt worden zu sein. In der asylrechtlichen Einvernahme haben die diese Angaben vehement geleugnet und angegeben, dass der Dolmetscher, welcher bei der Erstbefragung anwesend war, nicht gut türkisch konnte. Bei der asylrechtlichen Einvernahme haben Sie Ihre Aussage dazu korrigiert und angegeben, insgesamt sieben Tage von der Polizei mit anderen Militärangehörigen angehalten worden zu sein. Nach diesen sieben Tagen seien Sie aus der Anhaltung entlassen worden.

Es wurde eine Anfrage an die Staatendokumentation gestellt.

Kann festgestellt werden, ob der Militärstützpunkt XXXX im Bezirk XXXX /Istanbul von der Polizei nach dem Putsch übernommen wurde?

Einzelquelle:

Laut eines Berichtes der regierungstreuen Zeitung Yeni Safak wurde die XXXX Kaserne in XXXX , Istanbul am Morgen nach der Putschnacht [vom 15. auf den 16.7.2016) von der Polizei übernommen, wobei sechs Soldaten verhaftet wurden.

Civilians were on tank duty in front of the barracks

Some of the tanks used during the coup attempt were from the XXXX Barracks located in XXXX , Istanbul. People who received the news of the coup attempt stood on watch in front of the barracks until the morning to prevent the tanks from leaving, forming a wall of flesh. After the operation held toward the morning by the police force, six soldiers attempting the coup were taken into custody.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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