TE Vfgh Erkenntnis 1996/12/3 G207/96, G208/96, G209/96, G278/96, V96/96, V97/96, V98/96, V111/96

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Veröffentlicht am 03.12.1996
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8241 Standortabgabe

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
AltlastensanierungsG
Nö StandortabgabeG 1992
StandortabgabeV der Gemeinde Fischamend vom 28.09.92
StandortabgabeV der Gemeinde Stockerau vom 15.12.92
FAG 1993 §6 Abs1 Z3
F-VG 1948 §8 Abs3
F-VG 1948 §8 Abs5

Leitsatz

Aufhebung des Nö StandortabgabeG 1992 mangels bundesgesetzlicher Ermächtigung zur Erhebung gleichartiger Abgaben von demselben Besteuerungsgegenstand durch Gemeinde und Bund im Sinne der Finanzverfassung; Gleichartigkeit von Standortabgabe und Altlastenbeitrag aufgrund der Identität des Besteuerungsgegenstandes und des Abgabenschuldners; Aufhebung zweier Standortabgabeverordnungen nach Wegfall der gesetzlichen Grundlage

Spruch

I. Das Niederösterreichische Standortabgabegesetz 1992, LGBl. 8241-0, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Niederösterreich ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

II. 1. Die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Fischamend vom 28. September 1992 über die Ausschreibung einer Standortabgabe, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom

2. bis 16. Oktober 1992, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

2. Die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Stockerau vom 15. Dezember 1992 über die Ausschreibung und Erhebung einer Standortabgabe, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 16. Dezember 1992 bis 8. Jänner 1993, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das Niederösterreichische Standortabgabegesetz 1992, LGBl. 8241-0, (im folgenden: NÖ Standortabgabegesetz), lautet (auszugsweise):

"§1

Ziel

Ziel dieses Gesetzes ist es, durch eine Standortabgabe Anreize für den Betrieb von Deponien zur Entsorgung jener Abfälle zu geben, deren Vermeidung oder Verwertung im Sinne des NÖ AWG 1992, LGBl. 8240, nicht möglich ist.

§2

Standortabgabe

(1) Die Gemeinden werden gemäß §8 Abs5 F-VG 1948 ermächtigt, eine Standortabgabe für das Verwenden von Grund in der Gemeinde für das Betreiben einer Deponie zu erheben.

(2) ...

(3) ...

§3

Berechnung der Standortabgabe

(1) Die Standortabgabe beträgt für Abfälle im Sinne des NÖ AWG 1992, LGBl. 8240, und im Sinne des Abfallwirtschaftsgesetzes, BGBl. Nr. 325/1990, höchstens S 40,-- je m3 des deponierten Abfalles. ...

(2) ...

§4

Deponie in mehreren Gemeinden

...

§5

Abgabenschuldner

Abgabenschuldner der Standortabgabe ist der Betreiber einer Deponie.

§6

Entstehen des Abgabenanspruches, Fälligkeit

(1) Die Verpflichtung zur Entrichtung der Standortabgabe entsteht im Zeitpunkt des Einbringens von Abfällen in eine Deponie.

(2) Der Abgabenschuldner der Standortabgabe hat bis zum 10. jedes Kalendermonats Vorauszahlungen in der Höhe eines Zwölftels der voraussichtlichen Jahresabgabenschuld zu entrichten.

(3) ...

(4) Die Abgabenerklärung ist bis spätestens 31. März des folgenden Kalenderjahres einzureichen und gleichzeitig ein allfälliger Abgabenrestbetrag zu entrichten.

(5) ...

§7

Eigener Wirkungsbereich

...

§8

Inkrafttreten und Übergangsbestimmung

(1) - (3) ..."

3. Die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Fischamend über die Ausschreibung einer Standortabgabe vom 28. September 1992 lautet:

"Paragraph 1

Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Fischamend hat in seiner Sitzung am 28.9.1992 beschlossen, eine Standortabgabe aufgrund des NÖ Standortabgabegesetzes 1992, zu erheben.

Paragraph 2

Der Abgabensatz zur Bemessung der Standortabgabe beträgt S 40,-- je m3.

Paragraph 3

Die Verordnung tritt am 1. Jänner 1993 in Kraft."

4. Die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Stockerau vom 15. Dezember 1992 über die Ausschreibung und Erhebung einer Standortabgabe lautet:

"§1

Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Stockerau hat in seiner Sitzung am 15. Dezember 1992 beschlossen, eine Standortabgabe aufgrund des NÖ Standortabgabegesetzes 1992, LGBl. 8241-0, zu erheben.

§2

Der Abgabensatz zur Bemessung der Standortabgabe beträgt S 40,00.

§3

Diese Verordnung tritt mit 01. Jänner 1993 in Kraft."

5. Im Altlastensanierungsgesetz, BGBl. 299/1989, zuletzt geändert durch BGBl. 818/1993, lauten die hier maßgeblichen Bestimmungen:

"§1. Ziel dieses Gesetzes ist die Finanzierung der Sicherung und Sanierung von Altlasten im Sinne dieses Gesetzes.

...

II. Abschnitt

Altlastenbeitrag

Gegenstand des Beitrags

§3. (1) Dem Altlastenbeitrag unterliegen:

1.Das Deponieren (§2 Abs8) von Abfällen;

2.das Zwischenlagern von Abfällen nach Ablauf eines Jahres;

3.die Ausfuhr (§2 Abs12) von Abfällen.

(2) ...

Beitragschuldner

   §4. Beitragschuldner ist

        1. der Betreiber einer Deponie oder eines

           Zwischenlagers,

        2. derjenige, der Abfälle ausführt.

                       Bemessungsgrundlage

   §5. Die Bemessungsgrundlage ist - unbeschadet des §23 - die

Masse des Abfalls entsprechend dem Rohgewicht im Sinne des Taragesetzes, BGBl. Nr. 130/1955, in der jeweils geltenden Fassung.

                        Höhe des Beitrags

   §6. Der Beitrag beträgt je angefangene Tonne für

        1. gefährliche Abfälle (§2 Abs6)

           ab 1. Jänner 1993                         400 S

           ab 1. Jänner 1995                         700 S

           ab 1. Jänner 1997                       1.000 S

        2. mineralische Baurestmassen

           ab 1. Jänner 1993                          40 S

           ab 1. Jänner 1995                          50 S

           ab 1. Jänner 1997                          60 S

        3. alle übrigen Abfälle

           ab 1. Jänner 1993                          60 S

           ab 1. Jänner 1995                          90 S

           ab 1. Jänner 1997                         120 S.

                         Beitragsschuld

   §7. (1) Die Beitragsschuld entsteht im Falle

            1. des Deponierens nach Ablauf des

               Kalendervierteljahres, in dem deponiert

               (§2 Abs8) wird,

            2. ...

...

Erhebung des Beitrags

§9. (1) ...

(2) Der Beitragschuldner hat spätestens am 15. Tag (Fälligkeitstag) des auf das Kalendervierteljahr (Anmeldungszeitraum) zweitfolgenden Kalendermonates eine Anmeldung bei dem für die Einhebung der Umsatzsteuer zuständigen Finanzamt einzureichen, in der er den für den Anmeldungszeitraum zu entrichtenden Beitrag selbst zu berechnen hat. Die Anmeldung gilt als Abgabenerklärung. Der Beitragschuldner hat einen Beitrag spätestens am Fälligkeitstag zu entrichten.

(3) ...

...

Zweckbindung

§11. (1) Der Beitrag ist eine ausschließliche Bundesabgabe.

(2) ...

...

Berechnung der Bemessungsgrundlage in Volumen

§23. Sofern die Beitragschuldner (§4) nicht über ausreichende Meßeinrichtungen verfügen, kann die Masse des Abfalls (§5) bis zum 1. Jänner 1991 auch durch die Umrechnung des Volumens in Masse ermittelt werden."

2. Beim Verfassungsgerichtshof sind Beschwerdeverfahren gegen Vorstellungsbescheide der Niederösterreichischen Landesregierung anhängig. Mit den angefochtenen Bescheiden wurden zum einen Vorstellungen gegen drei Berufungsbescheide des Gemeinderates der Stadtgemeinde Fischamend (zu B2235/94, B3520/95 und B2323/96 protokolliert) und zum anderen eine Vorstellung gegen einen Berufungsbescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Stockerau (protokolliert zu B2003/95) jeweils betreffend Vorschreibung der Standortabgabe gemäß §6 Abs3 NÖ Standortabgabegesetz in Verbindung mit der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Fischamend vom 28. September 1992 über die Ausschreibung einer Standortabgabe, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom

2. bis 16. Oktober 1992, bzw. in Verbindung mit der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Stockerau vom 15. Dezember 1992 über die Ausschreibung und Erhebung einer Standortabgabe, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 16. Dezember 1992 bis 8. Jänner 1993, als unbegründet abgewiesen.

3. Aus Anlaß dieser Beschwerden hat der Verfassungsgerichtshof am 28. Juni 1996, B2235/94 ua., bzw. am 24. September 1996, B2323/96, gemäß Art140 Abs1 B-VG beschlossen, das NÖ Standortabgabegesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit sowie gemäß Art139 Abs1 B-VG die Standortabgabeverordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Fischamend vom 28. September 1992 und die Standortabgabeverordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Stockerau vom 15. Dezember 1992 auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

3.1. Er ging davon aus, daß er bei der Überprüfung der angefochtenen Bescheide das NÖ Standortabgabegesetz, dessen Bestimmungen, wie vorläufig angenommen wurde, eine untrennbare Einheit bilden, sowie zu B2235/94, B3520/95 und B2323/96 die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Fischamend über die Ausschreibung einer Standortabgabe vom 28. September 1992, zu B2003/95 jedoch die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Stockerau über die Ausschreibung und Erhebung einer Standortabgabe vom 15. Dezember 1992 anzuwenden hat.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hegte gegen die Verfassungsmäßigkeit des NÖ Standortabgabegesetzes das Bedenken, daß die durch dieses Gesetz den Gemeinden unter Berufung auf §8 Abs5 Finanz-Verfassungsgesetz 1948, BGBl. 45 idF 30/1993, (F-VG 1948), zur Ausschreibung und Erhebung gewährte Standortabgabe eine dem Altlastenbeitrag nach dem Altlastensanierungsgesetz, BGBl. 299/1989, (ALSAG), gleichartige Abgabe bildet, die durch §6 Abs1 Z3 des Bundesgesetzes, mit dem der Finanzausgleich für die Jahre 1993 bis 1995 geregelt wird und sonstige finanzausgleichsrechtliche Bestimmungen getroffen werden, BGBl. 30/1993, (im folgenden: FAG 1993), zu einer ausschließlichen Bundesabgabe erklärt wurde. Für eine derartige landesgesetzliche Regelung einer Standortabgabe dürfte es - so das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes - an der, neben einer Bundesabgabe für eine gleichartige Abgabe der Gemeinden gemäß §8 Abs3 F-VG 1948 notwendigen bundesgesetzlichen Ermächtigung fehlen.

Auch die Unterschiede zwischen der Standortabgabe und dem Altlastenbeitrag im Besteuerungsvorgang dürften nach der vorläufigen Ansicht des Verfassungsgerichtshofes den beiden Abgaben schon deswegen nicht ihre Gleichartigkeit nehmen, weil es sich in beiden Fällen um Selbstbemessungsabgaben handelt und diese Unterschiede lediglich den Vorauszahlungs- bzw. Anmeldungszeitraum betreffen.

Er überließ es dem Gesetzesprüfungsverfahren, zu untersuchen, ob angesichts der teilweise unterschiedlichen begrifflichen Abgrenzungen des der Standortabgabe sowie des dem Altlastenbeitrag unterliegenden Abfalles sowie in Anbetracht der einmal auf das Volumen, das andere Mal auf das Gewicht abstellenden Steuerbemessungsgrundlage die vom Verfassungsgerichtshof vorläufig angenommene Gleichartigkeit der Abgabe vorliegt.

3.3. Im Hinblick auf die Verordnungen des Gemeinderates der Stadtgemeinde Fischamend vom 28. September 1992 und der Stadtgemeinde Stockerau vom 15. Dezember 1992 hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß diese auf Grund des NÖ Standortabgabegesetzes erlassenen Verordnungen gesetzwidrig sind, sofern dieses Gesetz wegen Widerspruchs zu §8 Abs3 F-VG 1948 als verfassungswidrig aufzuheben ist.

4. In den Gesetzesprüfungsverfahren hat die Niederösterreichische Landesregierung Äußerungen erstattet, in denen sie begehrt, das NÖ Standortabgabegesetz nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

Begründend führt sie aus, daß die "zu vergleichenden Abgaben ... sich nach ihrem Gesamtbild weder als gleich noch als gleichartig dar(stellen)". Eine Gleichartigkeit im finanzverfassungsrechtlichen Sinn bestehe bei Vergleichbarkeit in der Person des Steuerschuldners, des Steuergegenstandes, der Bemessungsgrundlage und des Tarifs.

Die Standortabgabe unterscheide sich aber nach Ansicht der Niederösterreichischen Landesregierung inhaltlich vom Altlastensanierungsbeitrag schon insofern, als Besteuerungsgegenstand das Verwenden von Grund in einer Gemeinde zum Betrieb einer Deponie ist. Das Altlastensanierungsgesetz normiere als Steuergegenstand dagegen das Deponieren, Zwischenlagern und die Ausfuhr von Abfällen.

Während bei der Standortabgabe als Bemessungsgrundlage das Volumen des eingebrachten Abfalles dient, knüpfe das ALSAG an das Gewicht des Abfalles an. Schließlich sei der Abfallbegriff nicht ident, wobei gemäß §2 Abs5 Z2 ALSAG Erdaushub und Abraummaterial nicht als Abfall nach diesem Gesetz gelten.

Nicht mit umweltgefährdenden Stoffen verunreinigter Erdaushub und Abraummaterial unterliegen nach Meinung der Niederösterreichischen Landesregierung sohin nicht der Altlastenbeitragspflicht, sondern nur der Standortabgabepflicht. Darüber hinaus knüpfe die Besteuerung nach dem ALSAG nicht bloß an das Deponieren von Abfällen, sondern auch an das Zwischenlagern von Abfällen nach Ablauf eines Jahres und an die Ausfuhr von Abfällen an.

Entgegen der in den Prüfungsbeschlüssen vom Verfassungsgerichtshof vertretenen Meinung ist die Niederösterreichische Landesregierung der Ansicht, daß der mit einer Abgabe angestrebte Zweck auch ein wesentliches Element für die Beurteilung der Frage der Gleichartigkeit darstelle. Die gegenständlichen Abgaben verfolgten aber völlig unterschiedliche Zwecke. Während es Zweck der Standortabgabe sei, einen finanziellen Anreiz für die Standortgemeinde zu schaffen, Deponien zuzulassen, diene der Altlastensanierungsbeitrag lediglich der Mittelaufbringung für die Beseitigung von Altlasten.

Die Niederösterreichische Landesregierung verweist weiters auf die unterschiedlichen Tarife nach §6 ALSAG, der auf Tonnen abstelle und nach §3 Abs1 NÖ Standortabgabegesetz, der sich auf Kubikmeter beziehe.

Ebensowenig sei die Identität des Abgabenschuldners im Hinblick auf die unterschiedlichen Gegenstände des Beitrages bzw. der Abgabe völlig deckungsgleich. Weiters bestünden auch verschiedene Erhebungsformen. Schließlich genüge es für die Beurteilung der Gleichartigkeit von Abgaben nicht, daß der Besteuerungsgegenstand der gleiche ist. Vielmehr müsse noch hinzukommen, daß von diesem gleichen Besteuerungsgegenstand auch die Abgaben gleichartig erhoben werden. Die entsprechenden Bestimmungen der zu vergleichenden Gesetze würden aber nicht übereinstimmen.

5. In den in den Verordnungsprüfungsverfahren abgegebenen Nußerungen vertritt die Niederösterreichische Landesregierung die Auffassung, daß aus den im Gesetzesprüfungsverfahren dargelegten Gründen das NÖ Standortabgabegesetz nicht verfassungswidrig sei und daher auch die auf der Grundlage dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen des Gemeinderates der Stadtgemeinde Fischamend vom 28. September 1992 sowie des Gemeinderates der Stadtgemeinde Stockerau vom 15. Dezember 1992 nicht gesetzwidrig seien.

In den zu V97,98/96 und zu V111/96 protokollierten Verordnungsprüfungsverfahren hat die Stadtgemeinde Fischamend eine Äußerung erstattet. Die Stadtgemeinde Stockerau hat in dem zu V96/96 protokollierten Verfahren die Verordnungsakten vorgelegt.

II. 1. Die Beschwerden, die Anlaß zur Einleitung der vorliegenden Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren boten, sind zulässig. Bei seiner Überprüfung der durch diese Beschwerden angefochtenen Bescheide hat der Verfassungsgerichtshof das NÖ Standortabgabegesetz, dessen Bestimmungen eine untrennbare Einheit bilden, sowie zu B2235/94, B3520/95 und B2323/96 die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Fischamend über die Ausschreibung einer Standortabgabe vom 28. September 1992, zu B2003/95 jedoch die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Stockerau über die Ausschreibung und Erhebung einer Standortgabe vom 15. Dezember 1992 anzuwenden.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Gesetzes- und die Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

2. Die Standortabgabe, zu deren Erhebung der Niederösterreichische Landesgesetzgeber im NÖ Standortabgabegesetz die Gemeinden ermächtigt, bildet eine dem Altlastenbeitrag nach dem ALSAG gleichartige Abgabe von demselben Besteuerungsgegenstand:

Der Verfassungsgerichtshof geht entsprechend seinen in ständiger Judikatur (zB VfSlg. 1322/1930, 1436/1932, 3221/1957, 4398/1963, 5995/1969, 10827/1986, 11666/1988, 11667/1988) entwickelten Überlegungen davon aus, daß für die Gleichartigkeit von Abgaben nicht so sehr finanzwissenschaftliche Erwägungen, sondern die Bestimmungen der zu vergleichenden Abgabengesetze maßgebend sind; diesen zufolge liegen gleichartige Abgaben vor, wenn nicht nur der Besteuerungsgegenstand derselbe ist, sondern von diesem Besteuerungsgegenstand die Abgabe auch im wesentlichen gleichartig erhoben wird.

Entgegen der Auffassung der Niederösterreichischen Landesregierung ist es für die Gleichartigkeit zweier Abgaben belanglos, ob der jeweilige Gesetzgeber mit den Abgaben gleiche oder verschiedene Ziele anstrebte. Der Umstand, daß gemäß §1 NÖ Standortabgabegesetz den Gemeinden "Anreize für den Betrieb von Deponien" gegeben werden sollen, der Altlastenbeitrag gemäß §1 ALSAG hingegen der "Finanzierung der Sicherung und Sanierung von Altlasten" dient, ist sohin für die Beurteilung der Gleichartigkeit der beiden Abgaben ohne Bedeutung.

Für die Gleichartigkeit der beiden Abgaben entscheidend ist vielmehr die Identität des Besteuerungsgegenstandes jedenfalls im jeweiligen sachlichen Kernbereich der Abgabegesetze. Dieser Besteuerungsgegenstand ist nach beiden Abgabegesetzen das Deponieren von Abfällen. Das zeigt einesteils die Bestimmung des §3 Abs1 Z1 in Verbindung mit §2 Abs8 ALSAG, andererseits die Vorschrift des §6 Abs1 in Verbindung mit §3 Abs1 NÖ Standortabgabegesetz, wonach der Abgabenanspruch mit dem Einbringen von Abfällen in eine Deponie entsteht und die Abgabe entsprechend der Menge des deponierten Abfalles zu berechnen ist.

Daß auch der Abfallbegriff als entscheidender begrifflicher Bestandteil des jeweiligen Besteuerungsgegenstandes nach beiden Gesetzen - entgegen der Meinung der Niederösterreichischen Landesregierung - zumindest seinem Kern nach identisch ist, beweist die Legaldefinition des §2 Abs4 ALSAG, die mit den Legaldefinitionen des §3 Z1 NÖ AWG 1992 und des §2 Abs1 AWG, (die ihrerseits für den Abfallbegriff des NÖ Standortabgabegesetzes gemäß dessen §3 Abs1 ausdrücklich heranzuziehen sind) beinahe wörtlich übereinstimmt.

Zwar geht einerseits der sachliche Geltungsbereich des ALSAG über das NÖ Standortabgabegesetz insoweit hinaus, als nicht nur das Deponieren von Abfällen, sondern auch das Zwischenlagern von Abfällen und deren Ausfuhr altlastenbeitragspflichtig sind, während auf der anderen Seite Erdaushub und Abraummaterial unter Umständen zwar der Standortabgabe, nicht aber der Altlastenbeitragspflicht (vgl. §2 Abs5 Z2 ALSAG) unterliegen. Bereits in VfSlg. 11667/1988 hat jedoch der Verfassungsgerichtshof dargetan, daß die Gleichartigkeit zweier Steuern auch dann gegeben ist, wenn nur ein Ausschnitt des von einer Steuer erfaßten Besteuerungsgegenstandes einer zweiten Besteuerung unterworfen wird. Das muß zumindest dann gelten, wenn der Kernbereich des Besteuerungsgegenstandes, wie dies wie gezeigt für das "Deponieren von Abfällen" der Fall ist, nach dem NÖ Standortabgabegesetz einerseits und dem ALSAG andererseits identisch ist.

Da, wie bereits dargestellt, das Deponieren von Abfällen den erklärten Besteuerungsgegenstand nach §3 Abs1 Z1 ALSAG und den wahren Besteuerungsgegenstand gemäß §3 Abs1 und §6 Abs1 NÖ Standortabgabegesetz bildet, kann an der Identität des Besteuerungsgegenstandes der beiden Abgaben auch der Hinweis des Gesetzgebers in §2 Abs1 NÖ Standortabgabegesetz nichts ändern, daß die Standortabgabe "für das Verwenden von Grund in der Gemeinde für das Betreiben einer Deponie" erhoben wird. Da auch die Standortabgabe anhand der Menge "des deponierten Abfalles" berechnet wird, und die Abgabepflicht - unabhängig davon, ob damit auch eine Grundstücksinanspruchnahme verbunden ist - mit dem "Einbringen von Abfällen in eine Deponie" entsteht, ist das "Verwenden von Grund in der Gemeinde" zwar eine notwendige Konsequenz des Deponierens von Abfällen. Gleichwohl ist auch nach dem NÖ Standortabgabegesetz der tatsächliche Besteuerungsgegenstand im Sinne des rechtlich der Steuer unterliegenden Tatbestandes das Deponieren und nicht das Verwenden von Grund.

Gleichartig ist bei der Standortabgabe ebenso wie beim Altlastenbeitrag auch die persönliche Abgabepflicht (vgl. VfSlg. 4398/1963, 10827/1986, 11667/1988): Sowohl bei der Standortabgabe nach dem NÖ Standortabgabegesetz als auch beim Altlastenbeitrag nach dem ALSAG ist für das Deponieren von Abfällen der Betreiber der Deponie Steuerschuldner.

Daß sich Bemessungsgrundlage und Besteuerungsvorgang bei der Standortabgabe einerseits, dem Altlastenbeitrag andererseits geringfügig unterscheiden, nimmt diesen Abgaben nicht die "Gleichartigkeit" im Sinne des F-VG 1948. Zwar bemißt sich die Standortabgabe gemäß §3 NÖ Standortabgabegesetz nach den Kubikmetern des deponierten Abfalls, der Altlastenbeitrag gemäß §5 ALSAG hingegen nach dem Rohgewicht. In beiden Fällen bildet jedoch die Masse des Abfalls, wie dies auch aus der Übergangsvorschrift des §23 ALSAG für dessen Besteuerungsgegenstand deutlich wird, das entscheidende Kriterium für die Höhe der jeweiligen Abgabe. Daß durch die Verdichtung des Abfalles eine im Vergleich zu dem zu entrichtenden Altlastenbeitrag relative Verringerung der Standortabgabe eintreten kann, nimmt nämlich den beiden Abgaben nicht ihre Gleichartigkeit.

Tarifliche Besonderheiten bewirken keine rechtlich relevante Unterschiedenheit ansonsten gleichartiger Abgaben, sofern sich die Gleichartigkeit aus den anderen aufgezeigten Elementen, insbesondere dem Besteuerungsgegenstand im Verein mit dem Steuerschuldner ergibt (so auch Matzinger, Gleichartigkeit von Abgaben: Der Fall der Standortabgaben, in: Mitteilungsblatt des Instituts für Finanzwissenschaft und Steuerrecht, Nr. 187, März 1993, 18). Im übrigen betreffen die Unterschiede zwischen Standortabgabe und Altlastenbeitrag im Besteuerungsvorgang lediglich den Vorauszahlungs- bzw. Anmeldungszeitraum. Gleichwohl handelt es sich in beiden Fällen um - auch insoweit gleichartige - Selbstbemessungsabgaben.

3. Angesichts der erwiesenen Gleichartigkeit der Standortabgabe und des Altlastenbeitrags nach dem ALSAG, die beide "von demselben Besteuerungsgegenstand" erhoben werden, bedarf das NÖ Standortabgabegesetz zu seiner Verfassungsmäßigkeit gemäß §8 Abs3 F-VG 1948 einer ausdrücklichen bundesgesetzlichen Ermächtigung, hat doch der Bundesgesetzgeber den Altlastenbeitrag im §6 Abs1 Z3 FAG 1993 sowie im §11 Abs1 ALSAG als ausschließliche Bundesabgabe bezeichnet. An der Notwendigkeit einer derartigen ausdrücklichen bundesgesetzlichen Ermächtigung zur Erhebung einer gleichartigen Abgabe der Gemeinden von demselben Besteuerungsgegenstand gemäß §8 Abs3 F-VG 1948 hat auch §6 Abs2 F-VG 1948 idF BGBl. 686/1988 und 30/1993 nichts geändert, demzufolge die Erhebung von zwei oder mehreren (auch gleichartigen) Abgaben von demselben Besteuerungsgegenstand zulässig ist, weil anders das finanzverfassungsrechtliche System der Abgabenteilung nach §6 Abs1 F-VG 1948 überhaupt beseitigt würde (vgl. auch VfSlg. 13651/1993).

4. Da es an der durch §8 Abs3 F-VG 1948 geforderten bundesgesetzlichen Ermächtigung fehlt, war das NÖ Standortabgabegesetz sohin wegen Widerspruchs zu §8 Abs3 F-VG 1948 als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Niederösterreich zur Kundmachung der Aufhebung ergibt sich aus Art140 Abs5 B-VG, der Ausspruch, daß gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, stützt sich auf Art140 Abs6 B-VG.

5. Angesichts der Aufhebung des NÖ Standortabgabegesetzes fehlt den in Prüfung gezogenen Verordnungen des Gemeinderates der Stadtgemeinde Fischamend vom 28. September 1992 und der Stadtgemeinde Stockerau vom 15. Dezember 1992, jeweils über die Ausschreibung einer Standortabgabe, die gemäß §8 Abs5 F-VG 1948 erforderliche gesetzliche Grundlage. Die betreffenden Verordnungen waren daher wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben.

Die Verpflichtung der Niederösterreichischen Landesregierung zur Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

6. Der von den Beschwerdeführern der Anlaßbeschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 26. November 1996 angeregten "Ausdehnung der Anlaßfallwirkung" der Gesetzesaufhebung vermochte der Verfassungsgerichtshof schon deswegen nicht näherzutreten, weil eine solche Ausdehnung der Anlaßfallwirkung auf andere, mangels Präjudizialität nicht in Prüfung gezogene Verordnungen verfassungsrechtlich nicht vorgesehen ist und kein Anlaß besteht, die Beschwerdeführer der Anlaßbeschwerden hinsichtlich der Abgabenzeiträume, die nicht Gegenstand der angefochtenen Bescheide waren, besserzustellen als andere Abgabepflichtige.

7. Diese Entscheidung konnte der Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nicht öffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung treffen.

Schlagworte

Altlastensanierung, Abfallwirtschaft, Finanzverfassung, Abgabenwesen, Abgaben gleichartige, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Präjudizialität, Standortabgabe, Mülldeponie, Abgaben Mülldeponie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:G207.1996

Dokumentnummer

JFT_10038797_96G00207_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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