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E000 EU- Recht allgemeinNorm
BFA-VG 2014 §22a Abs3Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision des C S, zuletzt in W, vertreten durch Mag. Christof Korp, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Brückenkopfgasse 1/VIII, gegen das am 20. August 2014 mündlich verkündete und am 27. August 2014 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, Zl. W197 2010720-1/11E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Algerien, reiste im April 2014 nach Österreich ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 25. Juni 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den genannten Antrag wegen Zuständigkeit der Schweiz gemäß § 5 Asylgesetz 2005 zurück und ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 28. Juli 2014 als unbegründet ab.
Am 7. August 2014 wurde der Revisionswerber in einer Wohnung in 1150 Wien festgenommen. Am folgenden Tag verhängte das BFA gegen ihn gemäß § 76 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG und iVm Art. 28 der Dublin III-VO (Verordnung [EU] Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist [Neufassung]) Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung.
Der Revisionswerber erhob Beschwerde gegen die Anordnung der Schubhaft und seine andauernde Anhaltung. Mit dem angefochtenen, am 20. August 2014 mündlich verkündeten und am 27. August 2014 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis stellte das BVwG aus Anlass dieser Beschwerde gemäß § 22a Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. [Die Prüfung der Frage der Rechtmäßigkeit der Verhängung der Schubhaft und der bisherigen Anhaltung blieb ebenso wie die Kostenfrage einer gesonderten Entscheidung vorbehalten.] Das BVwG sprach weiter aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen hat:
Das BFA hatte die Schubhaft gegen den Revisionswerber zur Sicherung seiner Abschiebung, konkret zur Sicherung seiner Überstellung in die Schweiz nach der Dublin III-VO, angeordnet. Dabei stützte es sich auf § 76 Abs. 1 FPG, welche Bestimmung es als innerstaatliche Grundlage für die Schubhaftverhängung heranzog. Überdies nahm das BFA aber auch auf Art. 28 der genannten Verordnung Bezug, der ergänzend bei der Prüfung der Zulässigkeit der Verhängung von Schubhaft zu prüfen sei.
Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis stellte das BVwG vorderhand nur fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Diese Feststellung gründete es spruchgemäß lediglich auf § 22a Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz, somit auf eine ausschließlich verfahrensrechtliche Norm. Der materiell zu Grunde liegende Schubhafttatbestand, der die Fortsetzung der Schubhaft erlaube, blieb dagegen im Spruch des Erkenntnisses ungenannt. Der mehrfachen Erwähnung des § 76 FPG in den Entscheidungsgründen lässt sich allerdings entnehmen, dass das BVwG die Fortsetzung der Haft zur Sicherung der Überstellung des Revisionswerbers eben unter Berufung auf jene Bestimmung - konkret kann das nur § 76 Abs. 1 FPG sein - für gerechtfertigt erachtete. Eine Bezugnahme auf den schon vom BFA herangezogenen Art. 28 Dublin III-VO fehlt allerdings gänzlich, was schon allein vor dem Hintergrund des hg. Erkenntnisses vom 19. Februar 2015, Zl. Ro 2014/21/0075, einerseits - wie vom Revisionswerber im Ergebnis zutreffend geltend gemacht - die Zulässigkeit der gegenständlichen Revision begründet und sie andererseits auch zum Erfolg führen muss. In dem genannten Erkenntnis wurde nämlich zum Ausdruck gebracht, dass Schubhaft zur Sicherstellung einer Überstellung nach der Dublin III-VO nur auf Grundlage von Art. 28 dieser Verordnung, der autonome Vorschriften für die Inhaftnahme von Fremden zum Zweck der Überstellung in den nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat enthält, in Betracht kommt. Im Übrigen wurde in dem genannten Erkenntnis, auf dessen Begründung des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, aber auch festgehalten, dass es am Boden von Art. 2 lit. n Dublin III-VO ergänzend innerstaatlich gesetzlich festgelegter Kriterien zur Konkretisierung der in Art. 28 Abs. 2 der Verordnung für die Verhängung von Schubhaft (u.a.) normierten Voraussetzung des Vorliegens von "Fluchtgefahr" bedarf. Gemäß dem genannten Erkenntnis vom 19. Februar 2015 werden die in diesem Erkenntnis konkret behandelten Schubhafttatbestände (§ 76 Abs. 2 Z 2 und 4 FPG) diesem Erfordernis nicht gerecht. Für den hier einschlägigen § 76 Abs. 1 FPG kann nichts Anderes gelten, zumal darin nur abstrakt auf die Notwendigkeit der Schubhaft - ohne Typisierung von Fluchtgefahr begründenden Umständen - Bezug genommen wird. Auch für § 76 Abs. 1 FPG gilt, dass ein Rückgriff auf Kriterien, die der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Judikatur zu dieser Bestimmung für die Annahme von "Fluchtgefahr" (Gefahr des "Untertauchens") als maßgeblich angesehen hat, nicht ausreicht, um den Vorgaben der Dublin III-VO zu entsprechen.
Der hier zu beurteilende Fortsetzungsausspruch ist nach dem Gesagten jedenfalls rechtswidrig. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 24. März 2015
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Verordnung unmittelbare Anwendung EURallg5/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2015:RO2014210080.J00Im RIS seit
18.01.2022Zuletzt aktualisiert am
19.01.2022