TE Lvwg Erkenntnis 2019/8/5 LVwG-318-62/2019-R15

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Veröffentlicht am 05.08.2019
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Entscheidungsdatum

05.08.2019

Norm

BauG Vlbg 2001 §19
BauG Vlbg 2001 §26 Abs1
BauG Vlbg 2001 §32
BauG Vlbg 2001 §33 Abs2
AVG §8

Text

Im Namen der Republik!

Erkenntnis

Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat durch sein Mitglied Dr. Reinhold Köpfle über die Beschwerde des K G Z, N, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christoph Schneider, Bludenz, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde N vom xx.xx.2019, Zl , betreffend die Zurückweisung eines Antrages auf Zustellung des Freigabebescheides in einem Bauanzeigeverfahren, zu Recht erkannt:

Gemäß § 28 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der Beschwerde Folge gegeben, der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben und dem Bürgermeister der Gemeinde N aufgetragen, dem Beschwerdeführer den Freigabebescheid vom xx.xx.2019, Zl , zuzustellen.

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.

Begründung

1.   Mit angefochtenem Bescheid wurde der vom Beschwerdeführer eingebrachte Antrag auf Zustellung des Freigabebescheides, Zl , nach den §§ 32 bis 34 des Baugesetzes sowie § 8 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) 1991 idgF als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wurde angeführt, die materienrechtlichen Regelungen des Vorarlberger Baugesetzes zum Anzeigeverfahren (§§ 32 bis 34) sähen keine Bestimmungen über Nachbarrechte vor. Die Entscheidung, ob ein angezeigtes Bauvorhaben bewilligungspflichtig sei oder mit schriftlichem Bescheid freigegeben werden könne, obliege daher ausschließlich der Baubehörde. Angeführt wurden weiters der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 18.06.2010, B 2067/08-9, sowie das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13.10.2010, Zl 2010/06/0165, und der Motivenbericht zum Baugesetz. Nachdem das Bauvorhaben im Anzeigeverfahren mit Freigabebescheid freigegeben worden sei, komme dem Nachbarn keine Parteistellung zu.

2.   Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde erhoben. In dieser bringt er im Wesentlichen vor, die Bauwerber hätten mit Bauanzeige vom 17.04.2019 beantragt, die Ausführung einer Außenanlage freizugeben. Der Beschwerdeführer sei Nachbar des Grundstückes, auf dem die Antragsteller die Außenanlagen errichtet haben. Er habe beantragt, dass ihm der Freigabebescheid zugestellt werden möge, damit überprüft werden könne, ob die Freigabe zu Recht erfolgt sei. Die im angefochtenen Bescheid vertretene Rechtsauffassung, wonach dem Nachbarn im Anzeigeverfahren kein Mitspracherecht zustehe, sei unrichtig. Die im Bescheid zitierte Rechtsprechung sei überholt. Es sei nämlich unsachlich, einem Nachbarn nicht die Möglichkeit zu geben, zu prüfen, ob die Baubehörde tatsächlich zu Recht davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für das Anzeigeverfahren vorliegen würden. Bei verfassungskonformer Auslegung der Bestimmungen des Baugesetzes im Zusammenhang mit dem Anzeigeverfahren müsse dem Nachbarn zumindest eine auf die Frage der Überprüfung der Zulässigkeit des Bauanzeigeverfahrens beschränkte Parteistellung zugebilligt werden. Die angeführte jüngere Judikatur begründe ihre Ansicht damit, dass ein Ausschluss der Parteistellung letztlich auf eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung des Nachbarn im Anzeigeverfahren hinauslaufen würde. Eine verfassungskonforme Interpretation der Bestimmungen des Vorarlberger Baugesetzes sei ebenso notwendig, wie dies laut der jüngeren Judikatur bei den Bestimmungen des § 81 Abs 3 iVm § 345 Abs 6 Gewerbeordnung notwendig sei. Danach habe der Nachbar ein rechtliches Interesse an der Überprüfung, ob die Voraussetzungen des § 81 Abs 3 iVm § 81 Abs 2 Z 9 Gewerbeordnung vorliegen würden und daher eine auf die Beurteilung der Frage der Zulässigkeit des Anzeigeverfahrens eingeschränkte Parteistellung. Dies sei auch zur Kärntner Bauordnung so gesehen worden. Gegenständlich liege eine zu dieser neuen Judikatur vergleichbare Konstellation vor, weil in einem Baubewilligungsverfahren den Nachbarn subjektiv-öffentliche Rechte zuerkannt seien, im Anzeigeverfahren jedoch nicht. Jeder Nachbar wäre der Willkür der Behörden ausgeliefert, wenn diese unüberprüfbar die Möglichkeit hätte, eine Verfahrensart zu wählen, die dem Nachbarn keinerlei Rechte einräume. Die Rechtslage sei mit den in der Judikatur entschiedenen Fällen vergleichbar und müsse dem Beschwerdeführer eine Parteistellung, eingeschränkt auf die Frage der Zulässigkeit des Anzeigeverfahrens, zugebilligt werden. Wenn davon ausgegangen werde, dass der Nachbar zumindest eine derart eingeschränkte Parteistellung habe, hätte ihm der Bescheid zugestellt werden müssen und hätte der Antrag nicht zurückgewiesen werden dürfen.

3.   Folgender Sachverhalt steht fest:

Mit Eingabe vom xx.xx.2019 haben M und N M, N, die Bauanzeige zur Freigabe von Außenanlagen auf der Liegenschaft GST-NR ABCD, GB N, eingebracht.

Die Bauanzeige umfasst ua nachstehende bauliche Veränderungen im westseitigen Außenbereich der Bauliegenschaft:

Westseitig wurde im Hangbereich der Bauliegenschaft zurückversetzt eine zur Gemeindestraße Wgasse parallel verlaufende Stützmauer aus Bruchsteinmauerwerk über Eck verlaufend an der Grundgrenze zur Nachbarliegenschaft GST-NR EFGH, GB N, ausgeführt. Vor dieser Stützmauer wurde straßenseitig eine zusätzlich asphaltierte Stellfläche errichtet. In das Stützmauerwerk integriert wurde eine Außenstiegenanlage parallel verlaufend zur Gemeindestraße Wgasse eingebaut, wobei das Podest im westseitigen Eckbereich der Stützmauer mit einer Richtungsänderung um 90° und weiterführender Stiegenanlage zur Erschließung des Hangbereiches einen Abstand von 1,06 m gegenüber der westseitigen Nachbarliegenschaft GST-NR EFGH gemäß Projektplan des Vermessungsbüros D GmbH vom 16.04.2019 aufweist. Der Steinsatz des Stützmauerbauwerks liegt vollständig auf der Bauliegenschaft GST-NR ABCD.

Gemäß Projektplan GZ xxxx/19 vom 16.04.2019 ist im Profil 1 dargestellt, dass die Gesamthöhe der Stützmauer inklusive der Absturzsicherung (Geländer-Höhe 1,2 m), gemessen vom Niveau an der Grundgrenze zum westseitigen Nachbargrundstück GST-NR EFGH, vor Beginn der Baumaßnahmen eine Gesamthöhe von 1,79 m aufweist.

Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des GST-NR EFGH, GB N, welches westseitig an die Bauliegenschaft GST-NR ABCD, GB N, angrenzt.

Mit Freigabebescheid vom xx.xx.2019, Zl , wurde gemäß § 33 Abs 2 und § 29 Abs 5 des Baugesetzes (BauG), LGBl Nr 52/2001 idgF, das angezeigte Bauvorhaben auf der Liegenschaft ABCD, GB N, nach Maßgabe des angeführten Sachverhaltes sowie der vorgelegten Pläne und Beschreibungsunterlagen unter Einhaltung von Auflagen freigegeben. Der Beschwerdeführer wurde von der Gemeinde N über die Freigabe informiert, der Freigabebescheid vom xx.xx.2019 wurde ihm jedoch nicht zugestellt.

Der Beschwerdeführer verlangte daraufhin die Zustellung des Freigabebescheides. Er verwies ua darauf, dass einem Nachbarn ein Mitspracherecht zur Frage, ob zu Recht ein Anzeigeverfahren durchgeführt worden ist, zustehe und brachte ua vor, dass die Mindestabstände nicht eingehalten seien, da die Mauer höher als 1,8 m über dem Nachbargrund sei.

4.   Dieser Sachverhalt wird aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere aufgrund des vorgelegten Bauaktes, als erwiesen angenommen und ist im Wesentlichen unstrittig.

5.1. Die im Beschwerdefall anzuwendenden Vorschriften des Baugesetzes (BauG), LGBl Nr 52/2001, lauten auszugsweise wie folgt:

§ 2 BauG idF LGBl Nr 47/2017Begriffe

(1) Im Sinne dieses Gesetzes ist

k) Nachbar: der Eigentümer eines fremden Grundstückes, das zu einem Baugrundstück in einem solchen räumlichen Naheverhältnis steht, dass mit Auswirkungen des geplanten Bauwerkes, der geplanten sonstigen Anlage oder deren vorgesehener Benützung, gegen welche die Bestimmungen dieses Gesetzes einen Schutz gewähren, zu rechnen ist; dem Eigentümer ist der Bauberechtigte gleichgestellt;

§ 19 BauG, idF LGBl Nr 29/2011

Anzeigepflichtige Bauvorhaben

Wenn die Abstandsflächen und Mindestabstände eingehalten werden, sind folgende Bauvorhaben anzeigepflichtig:

e)   die Errichtung oder wesentliche Änderung von Bauwerken, die keine Gebäude sind, sofern sie nicht nach § 18 Abs. 1 lit. c bewilligungspflichtig sind;

§ 26 BauG, idF LGBl Nr 54/2015

Nachbarrechte, Übereinkommen

(1) Der Nachbar hat im Verfahren über den Bauantrag das Recht, durch Einwendungen die Einhaltung der folgenden Vorschriften geltend zu machen:

a)   § 4 Abs. 4, soweit mit Auswirkungen auf sein Grundstück zu rechnen ist;

b)   §§ 5 bis 7, soweit sie dem Schutz des Nachbarn dienen;

c)   § 8 Abs. 1 und 2, soweit mit Immissionen auf seinem Grundstück zu rechnen ist und sein Grundstück nicht mehr als 100 Meter vom Baugrundstück entfernt ist;

d)   § 8 Abs. 3 und 4, soweit der benachbarte Betrieb in den Anwendungsbereich von anderen anlagenrechtlichen Vorschriften fällt, diese die Vorschreibung nachträglicher Aufträge zu Lasten des Inhabers des Betriebes vorsehen und sein Grundstück nicht mehr als 100 Meter vom Baugrundstück entfernt ist;

e)   die Festlegungen des Bebauungsplanes über die Baugrenze, die Baulinie und die Höhe des Bauwerks, soweit das Bauwerk nicht mehr als 20 Meter von seinem Grundstück entfernt ist.

§ 32 BauG

Bauanzeige

(1) Die Bauanzeige ist bei der Behörde schriftlich einzubringen.

(2) In der Bauanzeige sind Art, Lage, Umfang und die beabsichtigte Verwendung des Bauvorhabens anzugeben. Die im § 24 Abs. 3 lit a bis c angeführten Unterlagen sind ihr anzuschließen.

(3) Die Pläne, Berechnungen und Beschreibungen sind in dreifacher, wenn die Bezirkshauptmannschaft zuständig ist, in vierfacher Ausfertigung vorzulegen. Je nach Erforderlichkeit für die Begutachtung oder die Beteiligung öffentlicher Dienststellen kann die Behörde auf die Vorlage von Ausfertigungen verzichten oder zusätzliche verlangen.

(4) Der § 25 Abs 3 gilt sinngemäß.

§ 33 BauG, idF LGBl Nr 44/2013

Erledigung

(2) Die Behörde hat das anzeigepflichtige Bauvorhaben mit schriftlichem Bescheid freizugeben, wenn das Bauvorhaben nach Art, Lage, Umfang, Form und Verwendung den bau- und raumplanungsrechtlichen Vorschriften entspricht und auch sonst öffentliche Interessen, besonders solche der Sicherheit, der Gesundheit, des Verkehrs, des Denkmalschutzes, der Energieeinsparung und des haushälterischen Umgangs mit Grund und Boden (§ 2 Abs 3 lit a Raumplanungsgesetz), nicht entgegenstehen. Auflagen nach § 29 Abs 5 sind zulässig.

5.2. Laut Motivenbericht zum Vorarlberger Baugesetz, Blg Nr 45/2001 zu den Sitzungsberichten des 25. Vorarlberger Landtages, S 78 erfolgt in § 26 Abs 1 BauG eine taxative Aufzählung jener Vorschriften, durch die im Bewilligungsverfahren subjektiv öffentliche Rechte der Nachbarn begründet werden können. Nachbarn komme lediglich im Verfahren zur Entscheidung über einen Bauantrag Parteistellung und Mitspracherechte zu. Sie hätten jedoch keinen Anspruch auf Einleitung eines Bewilligungs- oder Anzeigeverfahrens und keinen Anspruch darauf, dass in einem Feststellungsbescheid die Frage der Bewilligungs- oder Anzeigepflicht eines bestimmten Bauvorhabens geklärt werde.

Diese Auffassung wurde bisher auch von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts geteilt, welche sich beide schon mit der Parteistellung des Nachbarn im Anzeigeverfahren nach dem Vorarlberger Baugesetz befasst haben.

Der Verfassungsgerichtshof führte im Beschluss vom 18.06.2010, B 2067/08-9, aus, dass er keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Ausschluss der Parteistellung von Nachbarn im Anzeigeverfahren über Bauvorhaben gemäß § 19 lit a Vorarlberger Baugesetz hege.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 13.10.2010, Zl 2010/06/0165, zur Parteistellung des Nachbarn im Anzeigeverfahren ausgeführt, dass den Beschwerdeführern als Nachbarn im Bauanzeigeverfahren gemäß dem Vorarlberger Baugesetz keine Parteistellung zukomme, auch nicht zu der Frage, ob das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben zu Recht einem Anzeigeverfahren unterzogen wurde. Auch aus dem Motivenbericht des Landesgesetzgebers ergebe sich, dass den Nachbarn im Anzeigeverfahren nach dem Willen des Gesetzgebers keine Parteistellung zukommen soll.

5.3. In jüngerer Zeit änderte sich die Judikatur der Höchstgerichte zur Frage, ob Nachbarn in einem Anzeigeverfahren nach der Gewerbeordnung bzw nach diversen Bauordnungen der Länder eine (eingeschränkte) Parteistellung zukommt.

Wie der VfGH in seinem Erkenntnis vom 01.03.2012, B 606/11, VfSlg 19.617, unter Hinweis auf seine Vorjudikatur in Bezug auf den Ausschluss der Parteistellung von Nachbarn in einem gewerberechtlichen Änderungsanzeigeverfahren gemäß § 81 Abs 3 iVm § 345 Abs 6 Gewerbeordnung 1994 (GewO) ausgeführt hat, wäre es verfassungsrechtlich bedenklich, den Nachbarn die Parteistellung in einem solchen Verfahren schlechthin, also auch bei der Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen des Anzeigeverfahrens überhaupt vorliegen, zu versagen und diese Beurteilung allein der Behörde zu überlassen. Ein derartiger Ausschluss der Parteistellung liefe letztlich auf eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Nachbarn, denen im Rahmen eines Änderungsgenehmigungsverfahrens nach § 81 Abs 1 GewO Parteistellung zukommt, einerseits und jener Nachbarn, die deshalb keine solche Parteistellung haben, weil die Behörde zu Unrecht die Voraussetzungen des Änderungsanzeigeverfahrens angenommen hat, andererseits, hinaus. In verfassungskonformer Interpretation seien die Bestimmungen des § 81 Abs 3 iVm § 345 Abs 6 GewO daher dahingehend auszulegen, dass den Beschwerdeführern (Nachbarn) ein rechtliches Interesse an der Überprüfung der Voraussetzungen des § 81 Abs 3 iVm
§ 81 Abs 2 Z 9 GewO und daher eine auf die Beurteilung dieser Frage beschränkte Parteistellung zukomme.

Der Verwaltungsgerichtshof judizierte in seinem zur Kärntner Bauordnung ergangenen, ein vereinfachtes Baubewilligungsverfahren iSd § 24 Kärntner Bauordnung betreffenden Erkenntnis vom 21.05.2015, Zl 2013/06/0176, unter Bezugnahme auf weitere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowie des Verfassungsgerichtshofes, dass den Nachbarn hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen eines vereinfachten Baubewilligungsverfahrens gemäß § 24 leg cit gegeben sind, – bei gebotener verfassungskonformer Auslegung – Parteistellung zukommt.

In seiner Entscheidung vom 04.11.2016, Ro 2014/05/0029, welche zur Wiener Bauordnung ergangen ist, stellte der Verwaltungsgerichtshof fest, dass im Hinblick auf die vergleichbare Konstellation zwischen einem Bauanzeigeverfahren (§ 62 BO) und einem Baubewilligungsverfahren nach der BO, in dem der Nachbar subjektiv-öffentliche Rechte iSd § 134a Abs 1 leg cit geltend machen könne, diese Erwägungen auf die Einschränkung der Parteistellung des Nachbarn durch § 134 Abs 5 BO übertragbar seien. Auch habe der Nachbar, der die Verletzung eines subjektiv- öffentlichen Rechtes iSd § 134 Abs 1 leg cit durch ein (bloß) gemäß § 62 leg cit angezeigtes Bauvorhaben geltend machen wolle, nach der BO keine Möglichkeit, etwa durch Stellung eines Antrages auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages nach Verwirklichung des Bauvorhabens Abhilfe zu suchen, weil ihm diesbezüglich kein Antragsrecht zukomme. In Betrachtung des Sachlichkeitsgebotes sei daher bei verfassungskonformer Auslegung der §§ 62 und 134 Abs 5 iVm § 134a Abs 1 der Wiener Bauordnung dem Nachbarn im Bauanzeigeverfahren gemäß § 62 leg cit die auf die Frage der Überprüfung der Zulässigkeit des Bauanzeigeverfahrens beschränkte Parteistellung zuzubilligen.

Am 27.06.2017, Ra 2016/05/0118, judizierte der Verwaltungsgerichtshof zur Niederösterreichischen Bauordnung, dass die Nachbarn zur Frage, ob die Voraussetzungen des vereinfachten Bauanzeigeverfahrens gegeben sind, in dem den Nachbarn keine Parteistellung zukommt, jeweils ein subjektiv-öffentliches Recht und Parteistellung haben; die Nachbarbeschwerde gegen einen Bescheid, mit dem darüber abgesprochen wird, ob ein bloß bauanzeigepflichtiges Vorhaben gegeben ist, sei daher, auch in den Fällen des § 15 Abs 2 NÖ BauO 2014, zulässig.

Wiederum zur Wiener Bauordnung bekräftigte der Verwaltungsgerichtshof am 22.01.2019, Ra 2018/05/0191, seine schon zuvor vertretene Auffassung zur Wiener Bauordnung. Auch hier bestätigte der Verwaltungsgerichtshof, dass dem Nachbarn, der die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes iSd § 134a Abs 1 Wiener Bauordnung durch ein (bloß) gemäß § 62 Wiener Bauordnung angezeigtes Bauvorhaben geltend machen will, die auf die Frage der Überprüfung der Zulässigkeit des Bauanzeigeverfahrens beschränkte Parteistellung zuzubilligen sei.

5.4. Die Rechtslage nach dem Vorarlberger Baugesetz ist mit jener der Kärntner, Wiener oder Niederösterreichischen Bauordnung vergleichbar. Auch nach dem Vorarlberger Baugesetz hat ein Nachbar keine Möglichkeit, einen baupolizeilichen Auftrag zu erwirken, nachdem ihm diesbezüglich kein Antragsrecht zukommt. Im Sinne der oben dargestellten jüngeren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist in Anbetracht des Sachlichkeitsgebotes daher bei verfassungskonformer Auslegung der §§ 32 bis 34 Baugesetz dem Nachbarn im Bauanzeigeverfahren nach § 32 Baugesetz die auf die Frage der Überprüfung der Zulässigkeit des Bauanzeigeverfahrens beschränkte Parteistellung zuzubilligen.

Der angefochtene Bescheid war daher zu beheben und der Behörde aufzutragen, den Freigabebescheid dem Beschwerdeführer zuzustellen.

6.   Die Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorarlberger Baugesetz abweicht und die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insgesamt nicht einheitlich beantwortet wird.

Zu der hier zu beurteilenden Rechtsfrage liegt die unter obigem Punkt 5.2. dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 13.10.2010, 2010/06/0165, zum Vorarlberger Baugesetz) vor. Das gegenständliche Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes weicht von dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Nachdem nunmehr auch die im obigen Punkt 5.3. dargestellte jüngere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Kärntner, Wiener und Niederösterreichischen Bauordnung vorliegt, die von der zum Vorarlberger Baugesetz ergangenen älteren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, ist die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch uneinheitlich beantwortet worden. Aus diesem Grund war die ordentliche Revision zuzulassen.

                                                                                  

Schlagworte

Baurecht, Anzeigeverfahren, eingeschränkte Parteistellung Nachbar

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGVO:2019:LVwG.318.62.2019.R15

Zuletzt aktualisiert am

16.08.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Vorarlberg LVwg Vorarlberg, http://www.lvwg-vorarlberg.at
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