TE Vwgh Erkenntnis 1998/12/4 96/19/3622

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Veröffentlicht am 04.12.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §2;
AufG 1992 §3 Abs1 idF 1995/351;
AufG 1992 §4 Abs1;
AufG 1992 §4 Abs3 idF 1995/351;
AufG 1992 §9 Abs3 idF 1995/351;
AufG 1992 §9 Abs3;
AufG Anzahl der Bewilligungen 1996 §1 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art7 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde des 1976 geborenen AP in L (Polen), vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. Oktober 1996, Zl. 115.281/3-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 6. Februar 1995 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Jänner 1996 gemäß § 6 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen.

Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer am 1. März 1996 neuerlich die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. In diesem am 13. März 1996 bei der Aufenthaltsbehörde erster Instanz eingelangten Antrag gab er als Aufenthaltszweck den der Familiengemeinschaft mit Österreichern (Schwager, Schwester, Bruder), sowie die Anwesenheit seiner österreichischen Freundin im Bundesgebiet an. Der Landeshauptmann von Wien wies mit Bescheid vom 17. Juni 1996 diesen Antrag gemäß § 4 Abs. 1 AufG ab. Die Behörde erster Instanz begründete dies damit, daß sie die ihr zur Verfügung stehenden Quoten derart zu verwalten habe, daß darin solche Fälle einer Aufenthaltsnahme ihre Deckung fänden, die im Sinne des Gesetzes als vorrangig zu betrachten seien. Demnach würden primär jene Fälle von Familienzusammenführung, wo bereits im Zeitpunkt der Antragstellung eine mindestens halbjährige Ehe und ein mehr als zweijähriger Inlandsaufenthalt der Bezugsperson vorliege und sohin gemäß § 3 AufG ein Rechtsanspruch auf die Bewilligungserteilung gegeben sei, ebenso zu genehmigen sein wie jene, wo eine Sicherungsbescheinigung, Beschäftigungsbewilligung bzw. Arbeitserlaubnis bestehe (oder zumindest die Arbeitsaufnahme in einem gesuchten Mangelberuf angestrebt werde) bzw. die Erstantragstellung lediglich wegen Versäumung der bei Verlängerungen einzuhaltenden gesetzlichen Fristen erforderlich geworden sei. Was die Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse im Lande Wien betreffe, sei festzustellen, daß Wien eines der Bundesländer mit dem höchsten Ausländeranteil sei, was insbesondere auf dem Arbeits- und auf dem Wohnungsmarkt zu wachsenden Problemen führe. Nach Angabe der Anzahl der in Wien Anfang 1996 lebenden Kriegsflüchtlinge aus Bosnien bzw. arbeitslosen und als wohnungssuchend vorgemerkten Personen meinte die Behörde erster Instanz weiter, sie habe sich nicht entschließen können, unter diesen Gesichtspunkten den vorliegenden Antrag, auf den keines der oben angeführten Kriterien einer Bevorzugung zutreffe und der auch keine sonstigen unabweislichen Gründe für eine positive Erledigung enthalte, zu genehmigen.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er vorbrachte, sein erster Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei mit der identen Begründung bereits abgewiesen worden und er wäre daher in der diesjährigen Quote zu berücksichtigen gewesen. Darüberhinaus bestünden private und familiäre Beziehungen zu Österreich, er verfüge über Wohnmöglichkeiten und seine Schwester habe eine Verpflichtungserklärung für ihn abgegeben.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 31. Oktober 1996 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit den §§ 3 und 4 Abs. 1 AufG abgewiesen. Nach Wiedergabe des wesentlichen Begründungsteiles der erstinstanzlichen Entscheidung meinte die belangte Behörde, die in der Berufung erhobenen Einwendungen hätten nicht belegen können, aus welchen Gründen die Ermessensausübung der Behörde gesetzwidrig gewesen wäre. Die Behörde erster Instanz habe ihre Entscheidung im Rahmen des vom Gesetz eingeräumten Ermessensspielraumes getroffen. Darüberhinaus bestehe kein Rechtsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 AufG auf Erteilung einer Bewilligung. Es sei bei der Entscheidung auf die private und familiäre Situation Rücksicht genommen und somit dem Art. 8 Abs. 2 EMRK vollinhaltlich Rechnung getragen worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, daß der Beschwerdeführer noch nie über eine Aufenthaltsbewilligung verfügte, weshalb auf den Beschwerdefall die Bestimmung des § 113 Abs. 6 und 7 des Fremdengesetzes 1997 keine Anwendung findet.

§ 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 AufG lauteten:

"§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten

1.

von österreichischen Staatsbürgern oder

2.

von Fremden, die aufgrund einer Bewilligung, eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerks oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z 1 bis 5 rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben,

ist nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z 3 und 4 eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt."

§ 4. (1) Eine Bewilligung kann Fremden unter Berücksichtigung der gemäß § 2 erlassenen Verordnungen sowie unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in dem Land des beabsichtigten Aufenthaltes erteilt werden, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5) vorliegt. ..."

Wie die belangte Behörde zutreffend erkannte, zählen Geschwister nicht zu den im § 3 Abs. 1 AufG genannten Personen; der Beschwerdeführer hat demnach keinen auf diese Bestimmung gestützten Rechtsanspruch auf Familiennachzug zu seinen Geschwistern. Ein Rechtsanspruch auf Familiennachzug steht - von § 4 Abs. 3 AufG abgesehen - nur minderjährigen Kindern und Ehegatten zu. Dessen ungeachtet wäre es der belangten Behörde nicht verwehrt, im Wege einer Ermessensentscheidung gemäß § 4 Abs. 1 AufG dem Beschwerdeführer aus den geltend gemachten privaten und familiären Gründen eine Bewilligung zu erteilen (vgl. hiezu das zum Fall der Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung ergangene hg. Erkenntnis vom 14. Februar 1997, Zl. 96/19/2101). Die belangte Behörde ist daher nach Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 3 AufG davon ausgegangen, daß zu prüfen war, ob dem Beschwerdeführer im Wege einer Ermessensentscheidung eine Bewilligung gemäß § 4 Abs. 1 AufG zu erteilen war.

Die belangte Behörde verkannte dabei aber bereits insofern die Rechtslage, als sie vermeinte, lediglich überprüfen zu müssen, ob die erstinstanzliche Behörde ihr Ermessen im Sinne des Gesetzes ausgeübt hatte. Vielmehr hätte die Berufungsbehörde - ausgehend von den Verhältnissen im Zeitpunkt ihrer Entscheidung - eine eigenständige Ermessensentscheidung zu treffen gehabt, zumal vorliegendenfalls eine Änderung der Verhältnisse insbesondere hinsichtlich Struktur und Dringlichkeit anhängiger Anträge gegenüber dem Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung nicht ausgeschlossen erscheint (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1997, Zl. 96/19/0009). Im übrigen ist zu den Erwägungen des erstinstanzlichen Bescheides nachstehendes auszuführen:

Die Festlegung einer besonderen Quote für das Bundesland Wien für den Familiennachzug in der Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz für 1996, BGBl. Nr. 854/1995, erfolgte in Ausnützung der gesetzlichen Ermächtigung gemäß § 2 Abs. 3 Z 3 AufG. Diese Ermächtigung erstreckt sich jedoch ausschließlich auf den Familiennachzug gemäß § 3 Abs. 1 Z 2 AufG, setzt also das Vorliegen eines Anspruches gemäß § 3 AufG voraus.

Aufgrund der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten privaten und familiären Umstände, welche nach dem Vorgesagten nicht zu einer Bewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft hätte führen können, hätte die belangte Behörde seinen Antrag daher nicht im Rahmen der besonderen Quote für den Familiennachzug, sondern im Rahmen der für die Erteilung von Bewilligungen an "Erwerbstätige, Schüler, Pensionisten und privat Aufhältige" vorgesehenen Quote berücksichtigen dürfen. Der Antrag des Beschwerdeführers war ungeachtet des im Antrag angegebenen Aufenthaltszweckes der Familiengemeinschaft mit Österreichern - entsprechend dem unzweideutigen Willen, sich im Bundesgebiet zum Zweck der Gemeinschaft mit seinen Geschwistern (und seiner österreichischen Freundin) aufzuhalten - auch als solcher auf Erteilung einer Bewilligung zum (auf die im Antrag dargelegten Gründe zutreffenden) Aufenthaltszweck des privaten Aufenthaltes zu deuten. Demgegenüber war der in der Berufung nachgeschobene Aufenthaltszweck der unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 6 Abs. 1 letzter Satz AufG unbeachtlich.

Ausgehend vom (auch) geltend gemachten Aufenthaltszweck des privaten Aufenthaltes erweist sich das der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides zu entnehmende Argument, die Behörde habe (nur) im Rahmen der Quote für Familienzusammenführung bestimmte Gruppen von Fremden vorrangig zu behandeln, im vorliegenden Zusammenhang als verfehlt. Darüberhinaus hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt dargelegt, daß die Behörde sowohl nach der Rechtslage vor, als auch noch jener nach Inkrafttreten der Novelle zum AufG, BGBl. Nr. 351/1995, bei der Reihenfolge der Vergabe offener Quotenplätze gehalten ist, nach pflichtgebundenem Ermessen vorzugehen. Eine der dabei zu beachtenden Ermessensdeterminanten stellt der Zeitpunkt der Antragstellung dar. Damit ist aber auch ausgesagt, daß die Behörde auch außerhalb des Anwendungsbereiches des § 3 Abs. 5 AufG, welcher dies für Ansprüche gemäß § 3 AufG ausdrücklich vorsieht, im Rahmen der jeweiligen Quote Bewilligungswerber bevorzugt zu berücksichtigen hatte, bei denen die Erteilung einer Bewilligung besonders dringlich erschien (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 1998, Zl. 97/19/1564).

Die belangte Behörde hielt in diesem Punkt die Begründung des Bescheides erster Instanz nicht für rechtswidrig, wo als Gründe für eine "Bevorzugung" Fremder innerhalb einer Quote das Vorliegen von Familienzusammenführung (in bestimmten Fällen), das Vorliegen einer ausländerbeschäftigungsrechtlichen Bewilligung, das Anstreben eines gesuchten Mangelberufes sowie die Versäumung der bei Verlängerungen einzuhaltenden gesetzlichen Fristen genannt werden. Die damit zum Ausdruck gebrachte Ansicht, wonach das Vorliegen anderer Anträge, die diesen genannten Kriterien (eher) entsprechen, zur Abweisung des vorliegenden Antrages führen müsse, erweist sich aber als inhaltlich rechtswidrig. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem obzitierten Erkenntnis vom 16. Oktober 1998, ausgehend von der zu § 3 Abs. 5 AufG entwickelten Rechtsprechung, zum Ausdruck gebracht, daß im Rahmen der Bewirtschaftung sämtlicher Quoten das Vorhandensein dringlicher Anträge nicht zur Abweisung des weniger dringlicheren Antrages, sondern lediglich zur Hintanreihung seiner Behandlung führt.

Eine abweisliche Ermessensentscheidung wäre im vorliegenden Fall somit nur dann rechtmäßig, wenn sich die belangte Behörde nicht darauf gestützt hätte, daß dringendere andere Anträge vorlägen. Dabei wären die im hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1997, Zl. 95/19/0338, erstellten Grundsätze für eine derartige Ermessensentscheidung zu beachten gewesen. Auf dieses Erkenntnis wird gemäß § 43 Abs.2 VwGG verwiesen. Weder der angefochtene Bescheid noch der Bescheid erster Instanz enthält aber hinsichtlich der Ermessensübung eine diesen Voraussetzungen entsprechende Begründung, weshalb sich dieser auch aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig erweist.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 4. Dezember 1998

Schlagworte

Ermessen Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996193622.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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