TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/20 L515 2202307-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.03.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

20.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L515 2202307-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Armenien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX2018, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, Bundesgesetz über

das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBl I 33/2013 idgF, §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, §§ 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG, BGBl I Nr. 87/2012 idgF sowie § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005, BGBl 100/2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

Es wird gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Republik Armenien gem. § 46 FPG nicht zulässig ist.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

I.1. Die beschwerdeführende Partei (in weiterer Folge kurz als "bP" bezeichnet), ist ein männlicher Staatsangehöriger der Republik Armenien und brachte nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 12.7.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als nunmehr belangte Behörde (in weiterer Folge "bB") einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

In Bezug auf das bisherige verfahrensrechtliche Schicksal bzw. das Vorbringen der bP im Verwaltungsverfahren wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, welche wie folgt wiedergegeben werden:

"...

-

Sie sind vermutlich am XXXX2017 illegal in das Bundesgebiet eingereist.

-

Am XXXX2017 haben Sie einen Asylantrag gestellt und gaben an, den Namen XXXX zu führen, aus Russland zu kommen, staatenlos und am XXXX in Oschotsk geboren zu sein.

-

Eine Eurodac-Anfrage ergab keine Übereinstimmung.

-

Anlässlich der niederschriftlichen Befragung am XXXX2017 in der Abteilung XXXX gaben Sie zu Ihrem Fluchtgrund folgendes an:

"Ich lebte in Russland ohne Dokumente. Deswegen wurde ich mehrmals von Polizisten angehalten und misshandelt. Ich habe überhaupt keine Staatsbürgerschaft. Ich hatte nur eine Geburtsurkunde, die von Polizeibeamten bei einer Kontrolle zerrissen wurde, damit ich dort zu einem Obdachlosen werde. Das war im Jahr 2002. Seit ca. 3 Jahren leide ich an einer Nierenerkrankung, ich konnte jedoch dort nicht behandelt werden, weil ich ja dort illegal aufhältig war. Seit ca. einem halben Jahr bin ich so schwer krank, das ich bereits ein Nierenversagen hatte. In Österreich wurde ich nun schon erstbehandelt und hoffe, dass man mir medizinisch helfen kann. Nach Armenien kann ich nicht zurück, da mir die Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, weil ich während des damaligen Konfliktes mit Aserbaidschan nicht zum Militärdienst einrücken wollte. Ich bin deswegen staatenlos."

-

Am 22.02.2018 wurden Sie von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin des BFA einvernommen. Es folgen die entscheidungsrelevanten Auszüge aus dieser Einvernahme:

LA: Haben Sie bei der vorangegangen Befragungen und Einvernahmen der Wahrheit entsprechenden Angaben gemacht und wurden Ihnen diese Angaben rückübersetzt und richtig protokolliert?

VP: Ja

LA: Sind Sie gesund?

VP: Meine Nieren funktionieren nicht und ich benötige eine fortwährende Dialyse. In Russland haben mir die Ärzte keine Hoffnung gegeben und sie sagten, ich könnte nach Österreich, Deutschland, oder Südkorea fahren. Meine Verwandten und Bekannten haben für mich Geld gesammelt, damit ich ausreisen konnte.

LA: Beschreiben Sie Ihr Leben hier in Österreich. Haben Sie Verwandte in Österreich? Welche sozialen Kontakte haben Sie in Österreich? Sind Sie in Vereinen oder sonstigen Organisationen tätig? Besuchen Sie einen Deutschkurs?

VP: Ich besuche seit zwei Monaten einen Deutschkurs. Ich habe keine Verwandten in Österreich. Ich wohne in einem Kloster und dort werde ich in Deutsch unterrichtet. Das ist bei der Caritas. Ich habe Kontakt mit den Büromitarbeitern, dort leben viele Leute, die nur arabisch sprechen und ich kann nicht arabisch.

LA: Können Sie heute ein Identitätsdokument vorlegen?

VP: Ich habe keine Dokumente. Ich bin im Alter von 16 Jahren mit meinem Vater nach Russland gefahren, damals hatte ich noch eine Geburtsurkunde. Mein Vater ist dann gestorben und ich bin dann alleine in Russland geblieben. Aufgrund der Geburtsurkunde bekam ich in Russland keinen Pass, auch nicht in Armenien, weil ich keinen Wehrdienst in Armenien abgeleistet habe. Weil ich keinen Pass in Armenien bekommen habe und seit 18 Jahren nicht mehr in Armenien war, wurde mir die Staatsbürgerschaft aberkannt. Ich bin seit einem Jahr in Österreich.

LA: Geben Sie einen chronologischen Lebenslauf an.

VP: Ich bin am XXXX im Dorf XXXX, Region XXXX in Armenien geboren. Ich lebte dort bis zu meinem 16. Lebensjahr, mit meinen Eltern. Ich habe noch zwei Brüder und eine Schwester. Im Jahr 1996 bin ich mit meinem Vater nach Russland gefahren, in das Gebiet XXXX in die Stadt XXXX. Mein Vater ist im Jahr 1997 verstorben. Mein Onkel hat mich dann zu sich eingeladen, in die Stadt XXXX in Russland. Im Jahr 1999 übersiedelten dann meine Geschwister und meine Mutter zu mir nach XXXX. Mein jüngerer Bruder namens XXXX hat die russische Staatsbürgerschaft bekommen, weil er die Schule in Russland besucht hat. Dort in Russland sagte man mir, dass mein Gesicht aussieht wie ein Verbrecher, und ich wurde mehrmals zur Polizei mitgenommen und geschlagen. Ich wurde so stark geschlagen, dass ich nun die Nierenprobleme habe. Ich wurde mit zwei Händen aufgehängt, mit Handschellen und in den Nierenbereich geschlagen.

LA: Wenn Sie immer wieder von der Polizei in Russland geschlagen worden sind, warum kehrten Sie nicht nach Armenien zurück?

VP: Meine Geburtsurkunde wurde in Russland von der Polizei zerrissen, sie sagten, das ist kein Dokument und ich hatte keine Möglichkeit, nach Armenien zurückzukehren, da ich keine Dokumente hatte und mir wurde auch die Staatsbürgerschaft aberkannt, weil ich keinen Wehrdienst abgeleistet habe.

LA: Woher wollen Sie das wissen, dass Ihre Staatsbürgerschaft aberkannt wurde?

VP: Ich habe einen Anwalt beauftragt, weil ich ein Dokument haben wollte, um in ein Spital gehen zu können. Der Anwalt hat festgestellt, er hat eine Anfrage bei der armenischen Botschaft gestellt, und er bekam die Antwort, dass ich kein Staatsbürger der Republik Armenien bin.

LA: Können Sie diese Antwort schriftlich vorlegen?

VP. Ich werde mich bemühen und ihn anrufen.

LA: Wie heißt der Anwalt und wann hat der Anwalt die Anfrage bei welcher armenischen Botschaft gestellt.

VP: Ich weiß nur den Vornamen namens XXXX und den Vatersnamen XXXX, den Familiennamen weiß ich nicht. Er lebt in der Stadt XXXX. Vor zwei Jahren bei der armenischen Botschaft in Moskau.

LA: Welche Verwandten leben nun in Russland?

VP: Ein Bruder XXXX in XXXX, eine Schwester XXXX in der Stadt XXXX. Meine MutterXXXX oder mit dem Mädchenname XXXX ist mit meinem anderen Bruder XXXX 2004 nach Armenien gefahren. 2017 kehrten sie zurück und leben nun in der Stadt XXXX.

LA: Welche Verwandten haben Sie nun in Armenien?

VP: Einen Onkel väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits.

LA: Wie konnte Ihre Mutter mit Ihrem Bruder 13 Jahre lang in Armenien leben?

VP: Sie haben beide die armenische Staatsbürgerschaft. Sie wohnten bei meiner Tante mütterlicherseits. Unser Haus ist unbrauchbar im Laufe der Jahre geworden.

LA: Warum kehrten sie nach Russland zurück?

VP: Alle flüchten derzeit aus Armenien. Mein Bruder ist Koch und ein Restaurantbesitzer hat meinen Bruder nach XXXX eingeladen, um dort zu arbeiten.

LA: Wann fuhren Ihr Bruder und Ihre Mutter wieder nach Russland?

VP. Im November bzw. Dezember 2017. Mein Bruder ist ein bisschen früher gefahren und meine Mutter mit seiner Familie ein bisschen später, damit meine ich, er hat drei Kinder und ein Frau.

LA: Sie haben Armenien mit 16 Jahren verlassen, zu diesem Zeitpunkt haben Sie das Alter für den Wehrdienst noch gar nicht erreicht. Wieso sollte Ihnen nun deshalb die Staatsbürgerschaft aberkannt werden?

VP. Ich bin nicht mehr zurückgekehrt und habe den Wehrdienst nicht abgeleistet.

LA: Wo befindet sich das Schreiben der armenischen Botschaft?

VP: Das hat mir der Anwalt so gesagt, ich weiß nicht, wo sich das Schreiben befindet.

LA: Waren Sie in Russland gemeldet?

VP. Nein, nie. Ich hatte keine Dokumente. Deswegen hatte ich auch die Probleme.

LA: Wie konnten dann Ihr Bruder und Ihre Mutter sich in Russland anmelden, die haben auch keine russischen Dokumente?

VP: Ich bin nur mit einer Geburtsurkunde nach Russland gekommen. Die armenischen Staatsbürger dürfen die Grenze passieren und die Staatsbürger eines GUS Staats dürfen sich dort frei bewegen und dürfen sich ohne Anmeldung dort für drei Monate aufhalten.

LA: Wie konnten Ihr Bruder und Ihre Mutter sich in Russland anmelden?

VP: Für armenische Staatsbürger ist das kein Problem. Das gilt seit einem halben Jahr.

LA: Wie ist ihr Familienstand?

VP: Ledig aber ich habe einen Sohn. Sie ist verheiratet. Wir hatten eine Beziehung und sie hat ein Kind von mir bekommen. Sie hat sich dann von ihrem Mann getrennt und ist dann zu ihrer Mutter gezogen und wir haben nur sehr selten telefonischen Kontakt. Mein Sohn ist jetzt 6 Jahre alt.

LA: Warum leben Sie nicht zusammen?

VP: Sie war verheiratet und sie bekam Angst vor ihrem Mann und ging weg und jetzt hat sie einen anderen Mann.

LA: Stehen Sie als Vater auf der Geburtsurkunde-?

VP: Nein, auch der Familienname ist nicht meiner.

LA: Welche Schulbildung haben Sie?

VP: Ich habe 11 Jahr die Grundschule besucht. Ich habe dann in der Stadt XXXX ein Wirtschaftsstudium für 3 Monate begonnen, aber dann starb mein Vater und ich musste aufhören.

LA: Wie konnten Sie ohne Dokumente in Russland ein Studium beginnen?

VP: Damals hatte ich noch die Geburtsurkunde und mein Vater bezahlte Geld und es war alles in Ordnung. Mein Vater hatte einen Arbeitsvertrag am Bau abgeschlossen und nach dem Tod meines Vaters wurde nichts mehr ausbezahlt und ich konnte mein Studium nicht fortsetzen.

LA: Wie konnten Sie sich in Russland ohne einen Reisepass anmelden und ein Studium beginnen? Erklären Sie mir das?

VP: Ich war nicht angemeldet.

LA: Das ist nicht glaubhaft.

VP: Ich wurde zum Studium zugelassen, damals konnte man ein sowjetisches Dokument vorlegen.

LA: Ihre Geburtsurkunde war aus Armenien und war kein sowjetisches Dokument?

VP: Damals, als ich geboren wurde, war Armenien noch in der Sowjetunion. Russland wollte mich abschieben, aber sie wussten nicht, wohin, sie konnten mich nicht abschieben.

LA: Wann fand der Vorfall konkret statt, dass die russischen Behörden Sie abschieben wollten?

VP. Das war im Jahr 2009. Ich fuhr mit einen Fahrzeug mit meinen Freunden von der Stadt XXXX nach XXXX. Unterwegs in der Stadt XXXX führte die Polizei eine Übung durch, unter der Bezeichnung:

Terroristen sind in der Stadt. Ich wurde dann kontrolliert und als die Polizei bemerkte, dass ich keine Ausweise hatte, haben sie mich über Nacht angehalten und am nächsten Tag dem föderalen Sicherheitsdienst FSB übergeben. Diese haben mich zum Migrationsdienst über die Straße gebracht und nach einiger Zeit mir mitgeteilt, dass sie mich sehr gerne nach Armenien oder irgendwohin abschieben wollen, aber sie es nicht können. Obwohl ich danach freigelassen wurde, wurde ich davor die ganze Nacht von der Polizei geschlagen. Ich wurde gezwungen, ein "Geständnis" zu unterschreiben, dass ich gegen die Polizei Widerstand geleistet habe und deswegen zwei Tage angehalten wurde.

LA: Haben Sie über diese Anhaltung irgendwelche Schreiben?

VP: Nein.

LA: Wie konnten Sie dann weitere 8 Jahre lang in Russland leben?

VP: Mein Bruder hat eine Kfz-Werkstatt und er hat mich finanziell unterstützt.

LA: Wie erklären Sie sich die Situation, dass Sie die weiteren 8 Jahre lang in Russland ohne Probleme durch die Polizei leben konnten?

VP: Ich wurde mehrmals angehalten und zur Polizei mitgenommen und jedes Mal geschlagen bzw. verprügelt.

LA. Warum wurden Sie jedes Mal freigelassen?

VP: Z.B. am 30. Dezember jeden Jahres blieben bei der Polizei ungeklärte Fälle. Sie mussten aber ihre Berichte erstatten, dass sie diese Fälle aufgeklärt haben und haben mich und andere Personen festgenommen, damit meine ich andere Ausländer und versucht, durch Misshandlungen "Geständnisse" zu machen. Es ging z.B. um Autodiebstähle. Sie versprachen dafür eine milde bedingte Strafe. Weil ich gar nichts unterschrieben habe, haben sie mich verprügelt. Wenn ich etwas unterschrieben hätte, wäre ich jetzt in Haft.

LA: Ihre Situation ist nicht glaubhaft, dass Sie trotzdem jahrelang in Russland aufhältig waren, obwohl für Sie diese Situation unerträglich gewesen war, zumal Ihre Mutter mit Ihrem Bruder nach Armenien zurückgekehrt sind. Sie hätten nach Armenien zurückkehren und den Wehrdienst ableisten können.

VP: Ich wollte das nicht. Ich hatte in Russland meinen Bruder und meine Freunde. Meine Jugend habe ich in Russland verbracht und habe mich eingewöhnt und integriert.

LA: Das ist nicht glaubhaft, dass man deswegen jahrlange Misshandlungen in Kauf nimmt?

VP: Wohin hätte ich gehen sollen?

LA: Nach Armenien.

VP. Ich hatte keine Dokumente, wohin hätte ich gehen sollen und Armenien hätte mich nicht angenommen.

LA: Welche Berufsausbildung haben Sie? Was haben Sie beruflich gemacht und wovon haben Sie gelebt?

VP: Keine, ich habe nur meinem Bruder geholfen, ich habe sonst nicht gearbeitet.

LA: Waren oder sind Sie in Russland oder in Armenien einer politischen Partei oder irgendeiner sonstigen Gruppierung?

VP: Nein.

LA: Gehörten Sie jemals einer bewaffneten Gruppierung an?

VP: Nein.

LA: Welche Volksgruppe/Religion gehören Sie an?

VP: Armenien, ich bin katholisch.

LA: Hatten Sie wegen Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit Probleme in Armenien bzw. Russland bzw. hatten Sie wegen Ihrer Religion/Religionsausübung Probleme im in Armenien bzw. Russland?

VP: Wegen der Religion nicht, aber in Russland wegen meiner Nationalität.

LA: Laut Artikel 13 des armenischen Staatsbürgerschaftsgesetzes hätten Sie die armenische Staatsbürgerschaft beantragen können. Warum haben Sie das nicht versucht? Ihre Situation ist nicht glaubhaft, dass Ihnen die armenische Staatsbürgerschaft verwehrt worden wäre. Nehmen Sie in Anschluss daran konkret Stellung.

Artikel 13 des armenischen Staatsbürgerschaftsgesetzes besagt, dass jede Person ab dem Alter von 18 Jahren um die armenische Staatsbürgerschaft ansuchen kann, wenn sie

1) die letzten 3 Jahre legal in Armenien gelebt hat

2) gut armenisch spricht

3) mit der Verfassung der Republik Armenien vertraut ist

Eine Person, die kein armenischer Staatsbürger ist, kann die armenische Staatsbürgerschaft ohne die Punkte 1) und 2) zu erfüllen, erhalten, wenn sie

1) einen armenischen Staatsbürger heiratet oder ein Kind hat, das die armenische Staatsbürgerschaft hat

2) Eltern oder ein Elternteil hat, die in der Vergangenheit die armenische Staatsbürgerschaft hatten oder auf dem Territorium Armeniens geboren wurden und innerhalb von drei Jahren nach dem 18. Geburtstag um die armenische Staatsbürgerschaft angesucht haben

3) Armenischen Ursprungs ist

VP: Dazu kann ich nichts sagen, ich habe das nicht gewusst. Damals als ich mich im Krankenhaus in Russland behandeln lassen wollte, habe ich einen Anwalt beauftragt, damit er mir Papiere organisiert. Er hat nichts für mich machen können und hat 50.000 Rubel genommen.

LA: Wie konnten Sie so viel Geld bezahlen?

VP: Mein Bruder hat mir das Geld gegeben.

LA: Können Sie nun nochmals schildern, was die ausschlaggebenden Gründe für Ihre Ausreise waren? Schildern Sie die Ereignisse in chronologischer Reihenfolge und so detailreich, dass sich ein Außenstehender ein Bild Ihrer Situation machen kann. Sie sollen die Situation so detailreich erzählen, dass von einer selbst erlebten Situation auszugehen ist.

VP: Im Oktober 2016 bin ich an einer Grippe mit hohem Fieber erkrankt. Ein Monat dauerte die Grippe und mein Zustand besserte sich nicht. Dann kam zu mir eine Bekannte und als sie mich gesehen hat, brachte sie mich ins Krankenhaus mit Dokumenten eines anderen Mannes. Dort wurde festgestellt, dass der Kreatinin Wert 2600 beträgt. Die Ärztin war schockiert und sagte, dass sie bei einem so hohen Wert mir nicht helfen kann und gab mir die Kontaktdaten eines Arztes in XXXX, der in einem Dialysezentrum, dem größten Zentrum Russlands, arbeitet. Als dieser meine Werte bekommen hat, sagte er, dass ich kaum Überlebenschancen habe und mich in ein anderes Land begeben soll, nämlich Österreich, Deutschland oder Südkorea. Oder in mein Heimatland um dort zu sterben. Meine Freunde und Bekannte und Verwandte haben meine Reise dann nach Europa organisiert.

LA: Seit wann wissen Sie nun, dass eine Nierenerkrankung haben?

VP: Seit November bzw. Dezember 2016.

LA: Möchten Sie etwas zu Ihrem Vorbringen ergänzen?

VP: Ja. Ich möchte noch ergänzen, dass meine Verwandten eine Dialysebehandlung heimlich in einem Spital nachts einmal pro Woche bzw. drei Mal im Monat organisiert haben. Jetzt bekomme ich in Österreich jeden zweiten Tag eine Dialysebehandlung, das ist jetzt ausreichend. Ich möchte angeben, dass meine Nieren gar nicht funktionieren.

LA: Laut den vorliegenden ärztlichen Befunden ist jedoch eine Nierentransplantation nicht vorgesehen. Was sagen Sie dazu?

VP: Das weiß ich nicht.

LA: Laut dem armenischen Staatsbürgerschaftsgesetzt haben Sie das Anrecht auf die armenische Staatsbürgerschaft, weshalb Sie nicht "staatenlos" sind, sondern als armenischer Staatsbürger in Ihrem Asylverfahren geführt werden. Weiters ist die Dialysebehandlung in Armenien gewährleistet. Diesbezügliche Länderinformationen werden Ihnen übersetzt und Sie können im Anschluss daran eine Stellungnahme abgeben.

Anfragebeantwortung von IOM Armenien per E-Mail vom 24.02.2012

Hämodialyse ist für alle Patienten, die an Niereninsuffizienz leiden ungeachtet ihrer sozialen Situation kostenlos. Die Regierung transferiert die nötigen Gelder an die Krankenhäuser die Abteilungen für Hämodialyse haben und die Krankenhäuser bieten die Behandlung kostenlos.

Hämodialyse ist in Armenien in Jerewan und den Regionen erhältlich. Es gibt in Jerewan und den Regionen jeweils 5 Zentren.

Manchmal gibt es in den Krankenhäusern einen Mangel an Medikamenten, da die Regierung sich bei der Beschaffung der Medikamente verspätet, aber die Krankenhäuser kaufen die notwendigen Medikamente selbst und bieten die Behandlung.

Die Kosten für die Hämodialyse und die Meidkamente werden von der Regierung gedeckt, aber der Transport der Patienten ins Krankenhaus ist nicht von der Regierung gedeckt und die Patienten müssen das Taxi oder den Bus nehmen. Der Patient muss beim Krankenhaus in dem Hämodialyse erhältlich ist, mit Reisepass und Epikrise ansuchen und das Krankenhaus wird ihn registrieren und der Patient wird Hämodialyse dreimal wöchentlich solange er diese benötigt, kostenlos erhalten.

Personen mit niedrigem Einkommen profitieren auch von der kostenlosen Behandlung. Manche sozialen Gruppen mit niedrigem Einkommen, die von der staatlichen Sozialhilfe profitieren, können zudem auch von der kostenlosen Behandlung profitieren.

VP: Bis ich dort bin und die armenische Staatsbürgerschaft beantragt habe, bin ich tot.

LA: Sie können zusätzlich von Ihrem Bruder von Russland aus bei Ihrem Aufenthalt in Armenien unterstützt werden.

VP: Damals habe ich auch keine Dokumente gehabt, wie soll ich jetzt ohne Dokumente nach Armenien fahren.

LA: Sie können sich bei der armenischen Botschaft um Dokumente bemühen. Wenn Sie das nicht machen, dann wird der österreichische Staat nach Abschluss des Asylverfahrens für Sie armenische Dokumente besorgen und Sie werden nach Armenien abgeschoben.

VP: Ich kann dazu nichts sagen.

LA: Waren Sie im Heimatland oder woanders in Strafhaft? Wenn ja, weshalb?

VP: Nein. Ich wurde für die Dauer einer Woche angehalten, befragt jedes Jahr weil ich keine Anmeldung hatte, da war ich bis zu 10 Tagen lang angehalten.

Es werden Ihnen nun Länderinformationen zu Armenien, Stand 05.05.2017, letzte Kurzinformation am 13.12.2017 übergeben und Sie haben die Möglichkeit, innerhalb einer Woche, wenn Sie das möchten, eine Stellungnahme abzugeben. Sie werden weiters informiert, dass die aktuellen Länderinformationen des BFA in der Entscheidung in Ihrem Asylverfahren enthalten sein werden und Sie dazu im Rahmen einer allfälligen Beschwerde innerhalb der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist Stellung nehmen können. Haben Sie das verstanden?

VP: Ja.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Möchten Sie noch weitere Angaben machen?

VP: Nein. Ich möchte sie ersuchen, mir die Behandlung hier zu ermöglichen.

LA: Geben Sie die genauen Personendaten Ihrer Eltern an.

VP: Mutter: XXXX, Mädchenname: XXXX, XXXX Vatersname: XXXX, geb. XXXX, Vater: XXXX, Vatersname: XXXX, geb. XXXX, gestorben XXXX in Russland, begraben in Armenien im Dorf XXXX.

LA: Wann und wo wurde Ihre Geburtsurkunde ausgestellt?

VP: Wahrscheinlich in dem Jahr, wann ich geboren wurde, also XXXX, das war eine sowjetische Geburtsurkunde, die war in Form eines Büchleins und grün. Ich lebte von XXXX bis XXXX im Dorf XXXX.

-

Am 01.03.2018 übermittelten Sie per Mail ein Schreiben der Krankenanstalt Rudolfstiftung vom 28.02.2018 und ein Schreiben der armenischen Botschaft vom 26.02.2018. Zu dessen näheren Ausführung wird auf den Verwaltungsakt verwiesen.

-

Am 26.04.2018 übermittelte Ihr Freund XXXX eine schriftliche Stellungnahme per Mail. Zu dessen näheren Ausführung wird auf den Verwaltungsakt verwiesen.

-

Am 04.06.2018 wurde seitens der Organwalterin eine Anfrage an die Staatendokumentation des BFA gestellt, deren im Akt ersichtliches Ergebnis am 13.06.2018 einlangte

..."

I.2. Der Antrag der bP auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der bB gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Republik Armenien gemäß § 46 FPG zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen festgesetzt.

I.2.1. Die bP führte Folgendes aus:

"Zu Ihrer Person:

Ihre Person steht nicht fest.

Sie gaben an, den Namen XXXX zu führen, der armenischen Volksgruppe anzugehören und am XXXX in Armenien geboren zu sein.

Nicht festzustellen war, dass Sie staatenlos sind.

Festzustellen war, dass Sie armenischer Staatsangehöriger sind und dem christlich-orthodoxen Glauben angehören.

Sie sind ledig und haben einen sechsjährigen Sohn.

Die Vaterschaft zu Ihrem Sohn wurde behördlich nicht registriert.

Ihr Sohn ist in Russland aufhältig und hatte nie einen Kontakt zu Ihnen.

Sie reisten von Russland kommend vermutlich am XXXX2017 illegal in das Bundesgebiet ein.

Sie haben verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in Russland und in Armenien.

Ihre Mutter und zwei Brüder leben in Russland und ein Onkel und eine Tante leben in Armenien.

Sie haben 11 Jahr die Schule besucht und abgeschlossen.

Ein Wirtschaftsstudium in der Stadt XXXX haben Sie nach drei Monaten abgebrochen.

Sie haben keine Berufsausbildung.

Sie sind an dialysepflichtiger Niereninsuffizienz erkrankt.

Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

Sie gaben keine Verfolgung oder Gefährdung für Armenien an, sondern bezogen sich darauf, dass Ihnen die armenische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde.

Festzustellen war, dass Sie gem. armenischen Staatsbürgerschaftsgesetzes das Anrecht auf die armenische Staatsbürgerschaft haben.

Die armenische Staatsbürgerschaft kann infolge des Nicht-Ableistens des Wehrdienstes nicht entzogen werden.

Zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Sie verfügen in Armenien über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte.

Ein Onkel und eine Tante sind in Armenien aufhältig.

Ihre Mutter wohnte jahrelang bei der Tante bevor sie nach Russland ausgereist ist.

Sie verfügen daher bei einer Rückkehr über Unterkunfts- und Unterstützungsmöglichkeiten.

Ihr Bruder hat Sie während des Aufenthaltes in Russland regelmäßig finanziell unterstützt.

Sie können auch in Armenien von Ihrem Bruder unterstützt werden, weshalb keine Anhaltspunkte - trotz fehlender Arbeitsfähigkeit - festzustellen waren, warum Sie bei einer Rückkehr in Armenien nicht "Fuß fassen" könnten.

Die medizinische Behandlung bzw. die Dialysebehandlung ist in Armenien gewährleistet und kostenlos.

Festzustellen ist, dass es sich bei der Republik Armenien um einen sicheren Herkunftsstaat handelt.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Sie sind ledig.

Sie haben einen sechsjährigen Sohn, zu dem Sie jedoch keinen Kontakt haben bzw. Ihre Vaterschaft niemals behördlich registriert wurde.

Ihr Sohn ist in Russland aufhältig.

Sie befinden sich in der Grundversorgung.

Sie gehen keiner geregelten Arbeit nach.

Sie haben aufgrund Ihrer Erkrankung keine Deutschkurse besucht.

Familiäre oder soziale Kontakte, die eine Bindung zu Österreich darstellen würden, waren, wie Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten dauernden Integration, nicht festzustellen.

Sie haben verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte im Heimatland.

..."

I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Armenien traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen. Aus diesen geht hervor, dass in Armenien bzw. der Herkunftsregion der bP von einer unbedenklichen Sicherheitslage auszugehen und der armenische Staat grundsätzlich gewillt und befähigt ist, sich auf seinem Territorium befindliche Menschen vor Repressalien Dritte wirksam zu schützen. Ebenso ist in Bezug auf die Lage der Menschenrechte davon auszugehen, dass sich diese zwar in manchen Bereichen als problematisch darstellen, sich hieraus in Bezug auf die bP ein im Wesentlichen unbedenkliches Bild ergibt, zumal die bP von diesen Problempunkten nicht betroffen ist. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass in der Republik Armenien die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, eine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau besteht, die medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet ist, Rückkehrer mit keinen Repressalien zu rechnen haben und in die Gesellschaft integriert werden.

Zum konkreten Vorbringen der bP stellte die bB folgendes fest:

"...

Wehrdienst und Rekrutierungen

Männer armenischer Staatsangehörigkeit unterliegen vom 18. bis zum 27. Lebensjahr der allgemeinen Wehrpflicht (24 Monate). Auf Antrag besteht die Möglichkeit der Rückstellung aus sozialen Gründen (z.B. Hochschulstudium, pflegebedürftige Eltern, zwei oder mehr Kinder). Die Einberufung zu jährlichen Reserveübungen ist möglich. Presseberichten und offiziellen aserbaidschanischen Angaben zufolge werden armenische Wehrdienstleistende auch an der Waffenstillstandslinie mit Bergkarabach eingesetzt. Männliche Armenier ab 16 Jahren sind zur Wehrregistrierung verpflichtet. Sofern sie sich im Ausland aufhalten und sich nicht vor dem Erreichen des 16. Lebensjahres aus Armenien abgemeldet haben, müssen sie zur Musterung nach Armenien zurückkehren; andernfalls darf ihnen kein Reisepass ausgestellt werden. Nach der Musterung kann die Rückkehr ins Ausland erfolgen. Ab dem 18. Lebensjahr muss entweder der Wehrdienst abgeleistet werden oder eine Rückstellung erfolgen (AA 22.3.2016).

Es besteht ein komplexes System von gesetzlichen Garantien und Schutzmechanismen sowie interne wie externe Mechanismen, damit die Rechte des Personals, inklusive der Rekruten, in den Streitkräften geschützt werden. Auch bestehen externe und alternative Mechanismen zum Schutz der Rechte des Militärpersonals, so etwa der Rechtsschutz oder Beschwerden, die sowohl an den armenischen Ombudsmann als auch den "Public Council" des Verteidigungsministeriums gerichtet werden können, welcher aus Vertretern von lokalen NGOs besteht, und sich mit Beschwerden zu Menschenrechtsverletzungen, speziell während der Einberufung, auseinandersetzt (OSCE 18.4.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (22.3.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

-

OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (18.4.2017): Response by the Delegation of Armenia to the Questionnaire on the Code of Conduct on Politico-Military Aspects of Security,

http://www.osce.org/forum-for-security-cooperation/311996?download=true, Zugriff 28.4.2017

Wehrersatzdienst

Es gibt einen Ersatzdienst für Kriegsdienstverweigerer. Im Gesetz über den alternativen Wehrdienst vom 17. Dezember 2003 ist sowohl ein 30-monatiger Ersatzdienst innerhalb der Streitkräfte (ohne Waffen) als auch ein 36-monatiger Ersatzdienst außerhalb der Streitkräfte vorgesehen. Die Anzahl der Wehrdienstverweigerer ist gering (AA 22.3.2016).

Der Europäische Ausschuss für Soziale Rechte des Europarates (ESCR) befand Ende 2016, dass auch nach der Reduktion der Zivildienstdauer von 42 auf 36 Monate bzw. auf 30 Monate innerhalb der Armee, die Dauer im Vergleich zum Wehrdienst von 24 Monaten zu lang ist, und somit weiterhin nicht mit der Europäischen Sozialcharta konform geht (CoE-ECSR 1.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (22.3.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

-

CoE-ECSR - Council of Europe - European Committee of Social Rights (1.2017): European Committee of Social Rights Conclusions 2016; Armenia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1486111217_cr-2016-arm-eng.pdf, Zugriff 27.4.2017

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Wehrpflichtige, die sich zunächst ihrer Wehrpflicht entzogen haben, müssen trotz vorhandener Strafvorschriften grundsätzlich nicht mit einer Bestrafung rechnen, wenn sie sich nach Rückkehr bei der zuständigen Einberufungsbehörde melden. Auch bereits eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Wehrdienstentzugs werden in solchen Fällen eingestellt. Zudem gibt es Amnestien, zuletzt 2001. Männer über 27 Jahre, die sich der Wehrpflicht entzogen haben, können gegen Zahlung einer Geldbuße die Einstellung der strafrechtlichen Verfolgung erreichen (AA 22.3.2016).

Alle Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung angeklagt oder verurteilt waren, konnten sich nach der Gesetzesreform von 2013 für den Zivildienst entscheiden, wobei ihnen etwaige bereits abgeleistete Haftstrafen auf die Dauer des noch abzuleistenden Dienstes angerechnet wurden (CoE-PA 27.8.2014).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (22.3.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

-

CoE-PA - Council of Europe-Parliamentary Assembly, Committee on the Honouring of Obligations and Commitments by Member States of the Council of Europe (27.8.2014): Honouring of obligations and commitments by Armenia - Information note by the co-rapporteurs on their fact-finding visit to Yerevan (16 to 18 June 2014), http://www.assembly.coe.int/CommitteeDocs/2014/amondoc19-2014.pdf, Zugriff 27.4.2017

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Verfassung enthält einen ausführlichen Grundrechtsteil modernen Zuschnitts, der auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte mit einschließt. Durch Verfassungsänderungen im Jahr 2015 wurde der Grundrechtekatalog noch einmal erheblich ausgebaut. Ein Teil der Grundrechte können im Ausnahmezustand oder im Kriegsrecht zeitweise ausgesetzt oder mit Restriktionen belegt werden. Gemäß Verfassung ist der Kern der Bestimmungen über Grundrechte und -freiheiten unantastbar. Menschenrechte werden zum größten Teil durch die Sicherheitsorgane, politische Amtsträger und Privatpersonen aus dem Umfeld der sich über dem Gesetz wähnenden Oligarchen oder deren Strukturen verletzt (AA 22.3.2016).

Das US Department of State sah die signifikantesten Menschenrechtsprobleme in der Straffreiheit der Gesetzesvollzugsorgane. Andere Probleme waren unerklärliche Todesfälle in der Armee ohne Kampfeinwirkung, Misshandlungen von Rekruten durch Offiziere, Vorwürfe von Polizeiübergriffen während des Verhörs und des Arrestes, der Mangel an Transparenz hinsichtlich der Gründe für die Festnahmen und unklare Kriterien für die Freilassung. Gerichtsprozesse waren oft langwierig und die Gerichte waren nicht fähig, die Gesetze im Sinne der Gewährung eines fairen Verfahrens anzuwenden. Die Polizei hatte Journalisten im Visier. Im Bereich der Medien waren der Mangel an Diversität und die Selbstzensur ein Problem. Die Achtung der Versammlungsfreiheit verschlechterte sich, und die Autoritäten schränkten die Freiheit zur Teilhabe am politischen Prozess sowie den politischen Pluralismus ein. Mitgliedern religiöser Minderheiten widerfuhr gesellschaftliche Stigmatisierung und LGBTI-Personen sahen sich mit Diskriminierung von offizieller Seite sowie gesellschaftlicher Gewalt konfrontiert. Die Regierung schränkte ArbeitnehmerInnenrechte ein und setzte Bestimmungen des Arbeitsrechtes kaum um (USDOS 3.3.2017).

Laut Human Rights Watch wandten die Autoritäten exzessive und unverhältnismäßige Gewalt gegen friedliche Demonstranten an, attackierten Journalisten und erwirkten ungerechtfertigte Strafanzeigen gegen Demonstrationsanführer und -teilnehmer. Misshandlungen während der Haft blieb ein stetes Problem und Untersuchungen hierzu blieben ineffektiv (HRW 12.1.2017).

Auch Amnesty International sah vor allem das Agieren der Polizei als problematisch. Neben der exzessiven Polizeigewalt gegen Demonstranten, den willkürlichen Verhaftungen, nahmen Vorwürfe wegen Folter und Misshandlungen in Polizeigewahrsam den Großteil des Berichtes 2016/17 ein (AI 22.2.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (22.3.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

-

AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/336439/466050_en.html, 26.4.2017

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/334725/463172_en.html, Zugriff 26.4.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/337119/466879_en.html, Zugriff 26.4.2017

Haftbedingungen

Mit Stand 1.1.2016 befanden sich 4.873 Personen in Haft, was einen Wert von 162 per 100.000 Einwohner ausmachte und eine Zunahme zu den Vorjahren bedeutet (2014: 3.923; 2012: 4.532). Fast 29% waren Untersuchungshäftlinge (ICPS 2016).

Die Haftbedingungen entsprechen nicht westeuropäischen Standards; insbesondere bestehen Probleme mit den hygienischen Bedingungen, mit der Überbelegung der Gefängnisse und der ärztlichen Versorgung der Gefangenen. Menschenrechtsorganisationen haben Zutritt zu den Gefängnissen. Die Lage der Häftlinge hängt stark von der Haftanstalt, in der sie untergebracht sind, und dem Stand ihres Verfahrens (Untersuchungs- oder Strafhaft) ab. Die armenische Regierung versucht, das Problem mit dem Neubau einer Strafvollzugsanstalt in der Region Armawir zu beheben (AA 22.3.2016).

Das Anti-Folter-Komitee (CPT) des Eurparates sprach in seinem im Herbst 2016 veröffentlichten Bericht davon, dass anlässlich eines Besuchs im Jahr 2015 die Haftbedingungen in Polizeistationen im Allgemeinen zufriedenstellend oder sogar sehr gut waren. Hinsichtlich der Haftvollzugsanstalten ergab sich ein divergierendes Bild. In den Gefängnissen in Vanadzor und Armavir gab es keine Überbelegung der Zellen, die zudem gut ausgestattet und beleuchtet waren. Im Jerewan-Kentron Gefängnis waren die meisten Zellen überfüllt und baufällig. Die Haftbedingungen im Nubarashen Gefängnis waren wie zuvor inakzeptabel - überbelegt und baufällig. Das Komitee stellte fest, dass es in allen Haftanstalten einen chronischen Mangel an Aktivitätsmöglichkeiten für die Insassen gab. Die Gesundheitsversorgung in den erwähnten Gefängnissen litt unter Personal- und Ausstattungsmangel sowohl von Geräten als auch Medikamenten. Infolge des Medikamentenmangels hingen die Insassen stark von der Versorgung durch ihre Verwandten ab. Medizinische Untersuchungen bei der Einweisung, insbesondere die Erfassung von Verletzungen war weiterhin völlig inadäquat. Dazu gehörte die routinemäßige Anwesenheit von Polizisten und Gefängnispersonal bei den medizinischen Untersuchungen, was eine Verletzung des Prinzips der ärztliche Schweigepflicht bedeutete. Im Zentralen Gefängnishospital stellte die CPT-Delegation limitierte Behandlungsmöglichkeiten und allgemein einen Ausstattungsmangel in der psychiatrischen Abteilung fest. Ein schwerwiegendes Problem stellte die nach wie vor vorhandene Korruption im Gefängnissystem dar. Positiv fiel u.a. auf, dass es keine Vorwürfe von Misshandlungen gegen das Gefängnispersonal oder das Personal der beiden besuchten Psychiatrien gab. Lebenslänglich Verurteilte mussten nicht mehr in Handschellen ihre Aktivitäten im Freien ausüben, und statt eines geschlossenen kam ein semi-geschlossener Strafvollzug zum Zuge, wobei zu lebenslanger Haft Verurteilte nicht mehr von den übrigen Insassen getrennt wurden (CoE 24.3.2016).

Laut offiziellen Daten starben 2016 in den ersten zehn Monaten 24 Häftlinge, von diesen begingen sieben Selbstmord. Gemäß Menschenrechtsorganisationen tragen nebst der ärmlichen Ausstattung der Gefängnisse, organisierte kriminelle Strukturen, hierarchische Beziehungen unter den Häftlingen und die Vernachlässigung der medizinischen Versorgung zur hohen Todesrate bei. Außerdem gäbe es keine angemessen Untersuchungen der Todesfälle. In der Haftanstalt Abovyan bestehen laut NGOs keine geschlechtergerechten Bedingungen für Frauen, wie angemessene medizinische Versorgung, Sanitäreinrichtungen, Verpflegung und psychologische Betreuung.

Andere Probleme sind: ungenießbares Essen, mangelhafte Erholungsräume und Duschen, eingeschränkter Zugang zu fließendem Wasser, unzureichende Heizung, schlechte Lüftung und kein Zugang zur ärztlichen Versorgung bzw. adäquaten Medikamenten. Die schlimmsten Gefängnisbedingungen herrschen für LGBTI-Personen. Sie sind regelmäßig Ziel von Diskriminierungen, Gewalt, sexuellen Missbrauch, und die Verrichtung von herabwürdigenden Arbeiten. Das Gefängnispersonal verstärkt und billigt solche Behandlungen und hält die Betroffenen in separaten Zellen, die in einem schrecklichen Zustand sind (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (22.3.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

-

CoE - Council of Europe (24.3.2016): Armenia: Visit 2015 - Report to the Armenian Government on the visit to Armenia carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 5 to 15 October 2015 [CPT/Inf (2016) 31],

http://hudoc.cpt.coe.int/eng?i=p-arm-20151005-en-2, Zugriff 25.4.2017

-

ICPS - International Centre for Prison Studies (2016): World Prison Brief - Armenia,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten