TE Bvwg Beschluss 2019/6/7 W119 2191232-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.06.2019
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Entscheidungsdatum

07.06.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W119 2191232/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx und dessen Obmann Rechtsanwalt Dr. Lennart BINDER, LL.M, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2018, Zl. 1099149509 - 151988805, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.04.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte gemeinsam mit ihrem Ehemann (GZ W119 2191234) und ihrer gemeinsamen minderjährigen Tochter (GZ W119 2191230) am 13.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 14.12.2015 erfolgte die Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Dabei gab die Beschwerdeführerin zu ihrem Fluchtgrund an, vor einem Jahr mit ihrem Ehemann und der gemeinsamen Tochter aus ihrer afghanischen Heimatregion XXXX in den Iran geflohen zu sein, wo sie bis zur Flucht nach Europa illegal gelebt hätten. Aufgrund der Unruhen und Kämpfe in XXXX , der Angst vor einer Entführung durch eine Rebellengruppe und weil sie keine Aussicht auf Arbeit gehabt hätten, hätten sie sich zur Ausreise entschlossen.

Weiters erklärte die Beschwerdeführerin, der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören sowie schiitischen Glaubens zu sein und legte eine afghanische Tazkira und eine afghanische Heiratsurkunde vor.

Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 11.1.2018 brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, bis zum 14. Lebensjahr im Iran gelebt zu haben und danach nach Afghanistan, in die Provinz XXXX im Distrikt XXXX , gezogen zu sein. Geboren sei sie im Iran in Mashad, jedoch afghanische Staatsangehörige. Ca. drei Monate nach ihrer Ankunft in Österreich habe sie die Zuckerkrankheit bekommen, seit ca. einem Jahr habe sie ein Problem mit der Schilddrüse.

Zu ihrem Fluchtgrund gab die Beschwerdeführerin an, ein Mann einer anderen Volksgruppe hätte sie in Afghanistan heiraten wollen, was sowohl sie als auch ihre Eltern abgelehnt hätten. Dann habe die Beschwerdeführerin ca. zwei Jahre vor der Ausreise ihren jetzigen Gatten geehelicht, der am Tag nach der Hochzeit von jener anderen Person geschlagen worden sei. Den konkreten Ablauf dieses Vorfalls könne die Beschwerdeführerin nicht angeben. Dieser Mann sei immer wieder gekommen und habe die Familie bedroht. Die Beschwerdeführerin habe Angst vor Afghanistan, diese Person werde sie und ihren Gatten bei einer Rückkehr suchen. Nach ihrer Heirat hätten die Beschwerdeführerin und ihr Mann noch zwei Jahre in Afghanistan gelebt, in dieser Zeit seien sie drei bis vier Mal von der Person bedroht worden, die sie abgelehnt hätte.

Ihre Mutter wolle im Übrigen nicht, dass die Beschwerdeführerin nach Afghanistan zurückkehre, denn es würden immer wieder junge Frauen und Mädchen entführt. Konkret habe es in ihrer Nachbarschaft die Entführung eines Mädchens gegeben, auch seien die Schwester und die Schwiegermutter der Beschwerdeführerin vergewaltigt worden. Sie selbst jedoch nicht, weil sie schwanger gewesen sei. Ihr persönlich sei nichts passiert, sie habe jedoch immer Angst gehabt.

Weiters erklärte die Beschwerdeführerin, wenn die Taliban herausfinden würden, dass jemand Tadschike sei, würden sie ihn köpfen. Auch hätte die Familie keine Moschee besuchen können. Konkrete Probleme hätten sie jedoch außer mit dieser einen Person nicht gehabt.

Im Bundesgebiet habe die Beschwerdeführerin einen Alphabetisierungskurs abgeschlossen, überdies gebe es österreichische Freunde, die sie vom Deutschkurs und von der Caritas kenne. Die Ehemänner von ihnen würden zur Familie kommen und sie zu ihnen. Sie würden sich gegenseitig besuchen.

Mit dem gegenständlichen, im Spruch angeführten, Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ihr ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG i.V.m. § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgelegt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen beträgt (Spruchpunkt VI.).

Dagegen wurde rechtzeitig Beschwerde in vollem Umfang an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Am 5.4.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu der das Bundesamt als Verfahrenspartei nicht erschien.

Dabei erklärte die Beschwerdeführerin zunächst, zweimal wöchentlich wegen ihrer Diabeteserkrankung den Arzt aufsuchen zu müssen. Manchmal gehe sie alleine, manchmal begleite sie ihr Mann. Sie könne sich verständigen. Weiters habe sie die A1 Prüfung erfolgreich abgelegt, wegen ihrer Schwangerschaft jedoch keine weiteren Kurse bekommen. Die Beschwerdeführerin legte ein Foto von einem Ausflug mit Mitarbeitern des Heimes vor. Dazu erläuterte sie, wenn die Kinder der Leute aus dem Heim Geburtstage hätten, würde die Beschwerdeführerin die Torten zubereiten. Sie und ihre Tochter würden zu den Geburtstagen eingeladen. Das Backen sei für sie ein Hobby, im Iran habe sie aus Büchern gebacken und sie schaue sich Videos auf YouTube an.

Der Mann, der sie in Afghanistan hätte heiraten wollen, stamme aus dem Dorf ihres Vaters und habe in der Nachbarschaft gelebt. Er hätte um ihre Hand angehalten, was ihr Vater abgelehnt habe, weil sie verschiedenen Glaubens wären, er sei Sunnit. Da er beleidigt gewesen sei, habe er sie nicht in Ruhe gelassen. Der Vater ihres jetzigen Ehemanns sei mit ihrem Vater befreundet gewesen, sie hätten im Iran denselben Beruf ausgeübt. Die Familie ihres Mannes habe zuerst um die Hand ihrer Schwester für den Bruder ihres Gatten angehalten, fünf Jahre nach der Heirat um die Hand der Beschwerdeführerin. Sie selbst sei damit einverstanden gewesen und hätte sich nicht vorstellen können, dass ihr Vater den Mann für sie aussuche. Da sie im Iran keinen Aufenthaltstitel gehabt hätten, habe die Beschwerdeführerin dort nicht die Schule besuchen dürfen. Sie habe ein Jahr in einer Wäscherei gearbeitet, diese Tätigkeitmangels Ausweis jedoch aufgeben müssen. Jedoch hätte sie sehr gerne die Schule besucht. Bildung sei für sie sehr wichtig, sie habe iranische Freundinnen gehabt und mit ihnen zu Hause gelernt, weshalb sie gut Farsi lesen und schreiben könne.

In Afghanistan sei es etwas schwieriger und auch strenger gewesen als im Iran, sie habe zum Beispiel nicht alleine das Haus verlassen können, weil man dort von einem männlichen Familienmitglied begleitet werden müsse. Außerdem hätte sie sich vollständig verschleiern müssen und nicht einmal das Gesicht zeigen dürfen.

In Österreich gebe es viele positive Veränderungen in ihrem Leben, sie könne zum Beispiel ohne Sorgen zu jeder Uhrzeit alleine hinausgehendem, habe hier die Möglichkeit zu lernen und tue dies auch sehr gerne. Auch lerne sie gemeinsam mit ihrer Tochter. Sie bereite sie für die Schule vor und bringe sie auch selbst dorthin. Nach der Hausarbeit gehe sie spazieren, der Arzt habe ihr empfohlen, täglich zwei bis drei Stunden zu gehen. Ihr Ehemann besuche am Vormittag einen Deutschkurs, nach dem Mittagessen unterstütze die Beschwerdeführerin ihre Tochter bei den Hausaufgaben und gehe anschließend nochmals spazieren. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau herrsche nur hier, in Afghanistan und in Iran seien Frauen sehr benachteiligt. Hier würden Frauen genauso respektiert wie Männer, dürften dieselben Arbeiten verrichten, hätten sehr viele Freiheiten und seien selbstständig. Dies heiße die Beschwerdeführerin sehr gut. Seit sie hier sei, würde sie die Gleichberechtigung auch leben. Auch wolle sie ihre Tochter in diesem Sinne erziehen. Bezüglich der finanziellen Belange mache sie alles mit ihrem Ehemann gemeinsam, das Geld sei zwar bei ihr, ihr Mann könne aber jederzeit etwas davon nehmen. Die Finanzen verwalte jedoch die Beschwerdeführerin. Bevor sie schwanger geworden sei, sei sie selbst einkaufen gegangen, mittlerweile tue das ihr Mann und sie gebe ihm das Geld dafür. Wenn ihr Kind sechs Monate alt sei und sie es zur Betreuung gehen könne, wolle sie wieder einen Deutschkurs besuchen. Auch sei es ihr Wunsch, eine Ausbildung als Zuckerbäckerin zu machen. Zudem lege sie sehr viel Wert auf modische Kleidung.

Weiters legte die Beschwerdeführerin eine Unterstützungserklärung der Volksschule ihrer Tochter vor, wonach sie Kontakt zu österreichischen Frauen sucht, großes Engagement und Interesse an der österreichischen Lebensweise zeigt und in der Schule ihrer Tochter mit hilft.

Im Rahmen der Verhandlung wurden die dem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes vorgehalten, die Beschwerdeführerin verzichtete auf die Abgabe einer Stellungnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführerin ist afghanische Staatsangehörige, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist schiitischen Glaubens.

Sie wurde im Iran geboren, wuchs dort bis zum vierzehnten Lebensjahr auf und zog dann mit ihrer Familie nach XXXX , wo sie ihren jetzigen Mann heiratete.

Da es ihr im Iran wegen ihres illegalen Aufenthaltes nicht möglich war, eine Schule zu besuchen, ließ sie sich von Freundinnen unterrichten und kann Farsi lesen und schreiben.

In Österreich absolvierte die Beschwerdeführerin einen Alphabetisierungskurs sowie den A1 Sprachkurs, geht alleine spazieren und zum Arzt, bringt die Tochter zur Schule und erledigte bis zu ihrer Schwangerschaft die Einkäufe. Zurzeit tut dies ihr Gatte, wofür ihm die Beschwerdeführerin das Geld gibt. Diese hat österreichische Freunde, sucht Kontakt zu österreichischen Frauen, zeigt großes Engagement und Interesse an der österreichischen Lebensweise und hilft in der Schule ihrer Tochter mit. Außerdem verwaltet sie die Finanzen der Familie, strebt eine Ausbildung und Berufstätigkeit an, und möchte, sobald sie ihr zweites Kind in Betreuung geben kann, weitere Deutschkurse besuchen. Die Beschwerdeführerin legt viel Wert auf modische Kleidung. Gleichberechtigung ist für sie sehr wichtig und sie erzieht auch ihre Tochter in diesem Sinne.

Die westliche Lebensweise spielt mittlerweile für sie eine große Rolle und ist zu einem solch wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden, dass von ihr nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen.

Feststellungen zur Situation in Afghanistan:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation:

Frauen

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden, unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018). Viel hat sich seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Bildung

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig. Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018). Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind (BFA Staatendokumentation 4.2018). In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen) (USAID 10.10.2017). Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen (USAID 10.10.2017). Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit 16.049 Schulen, insgesamt

8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon 77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017). Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017). Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017). Berufstätigkeit

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.). Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor. Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018). Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht. Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018). Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten. Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind. In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden. In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019. In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit. Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts. Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018). Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018). Informationen zu Frauen in NGOs, den Medien und den afghanischen Sicherheitskräften können den Kapiteln 8. "NGOs und Menschenrechtsaktivisten", 11. "Meinungs- und Pressefreiheit" und 5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation. Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016). Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 5.2018). Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und Nichtregierungsinstitutionen, indem Ehen für diese arrangiert werden (USDOS 20.4.2018). Eine erhöhte Sensibilisierung seitens der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016). Um Frauen und Kindern, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, beizustehen, hat das Innenministerium (MoI) landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Die FRU sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung nachverfolgen. Im Jahr 2017 existierten 208 FRU im Land (USDOD 12.2017). EVAW-Gesetz

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt (AA 5.2018). Das EVAW-Gesetz ist nach wie vor in seiner Form als eigenständiges Gesetz gültig (Pajhwok 11.11.2017; vgl. UNN 22.2.2018); und bietet rechtlichen Schutz für Frauen (UNAMA 22.2.2018).

Das EVAW-Gesetz definiert fünf schwere Straftaten gegen Frauen:

Vergewaltigung, Zwangsprostitution, die Bekanntgabe der Identität eines Opfers, Verbrennung oder Verwendung von chemischen Substanzen und erzwungene Selbstverbrennung oder erzwungener Selbstmord. Dem EVAW-Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018). Das EVAW-Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 5.2018). Frauenhäuser

Nichtregierungsorganisation in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, zu denen auch Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen, zählen. Alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Gruppen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan. Oftmals versuchen Väter ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018). Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z. B. Frauenhäuser) (UNAMA/OHCHR 5.2018). Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft für die Notlage (mit-)verantwortlich ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 5.2018). Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte (AA 5.2018; vgl. NYT 17.3.2018). Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in

den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 5.2018). Die EVAW-Institutionen konsultieren in der Regel die Familie und das Opfer, bevor sie es in ein Frauenhaus bringen (UNAMA/OHCHR 5.2018).

Gewalt gegen Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 5.2018). Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden, Anm.) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden, Anm.) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 4.12.2017). Dem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.3.2018).

Soziale Medien in Afghanistan haben Frauen und Mädchen neue Möglichkeiten eröffnet, um ihr Schicksal zu teilen. In den Medien ist der Kampf afghanischer Frauen, Mädchen und Buben gegen geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt in all ihren Formen tiefgründig dokumentiert. Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet und die Rekrutierung von Frauen in der Polizei verstärkt. Mittlerweile existieren für Frauen 205 Spezialeinsatzeinheiten, die hauptsächlich von weiblichen Mitarbeiterinnen der afghanischen Nationalpolizei geleitet werden (BFA Staatendokumentation 4.2018). Legales Heiratsalter:

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 5.2018). Dem Gesetz zufolge muss vor dem Ehevertrag das Alter der Braut festgestellt werden. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung besitzt Geburtsurkunden. Quellen zufolge ist die frühe Heirat weiterhin verbreitet. Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; dennoch hält sich die Umsetzung dieses Gesetzes in Grenzen (USDOS 20.4.2018). Im Rahmen von Traditionen geben arme Familien ihre Mädchen im Gegenzug für "Brautgeld" zur Heirat frei, wenngleich diese Praxis in Afghanistan illegal ist. Lokalen NGOs zufolge, werden manche Mädchen im Alter von sechs oder sieben Jahren zur Heirat versprochen - unter der Voraussetzung, die Ehe würde bis zum Erreichen der Pubertät nicht stattfinden. Berichte deuten an, dass diese "Aufschiebung" eher selten eingehalten wird. Medienberichten zufolge existiert auch das sogenannte "Opium-Braut-Phänomen", dabei verheiraten Bauern ihre Töchter, um Schulden bei Drogenschmugglern zu begleichen (USDOS 3.3.2017). Familienplanung und Verhütung

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 5.2018). Ohne Diskriminierung, Gewalt und Nötigung durch die Regierung steht es Paaren frei, ihren Kinderwunsch nach ihrem Zeitplan, Anzahl der Kinder usw. zu verwirklichen. Es sind u.a. die Familie und die Gemeinschaft, die Druck auf Paare zur Reproduktion ausüben (USDOS 3.3.2017). Auch existieren keine Berichte zu Zwangsabtreibungen, unfreiwilliger Sterilisation oder anderen zwangsverabreichten Verhütungsmitteln zur Geburtenkontrolle (USDOS 20.4.2018). Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 5.2018; vgl. USDOS 3.3.2017).

Orale Empfängnisverhütungsmittel, Intrauterinpessare, injizierbare Verhütungsmethoden und Kondome sind erhältlich; diese werden kostenfrei in öffentlichen Gesundheitskliniken und zu subventionierten Preisen in Privatkliniken und durch Community Health Workers (CHW) zur Verfügung gestellt (USDOS 3.3.2017).

Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014) und kommen auch weiterhin vor (USDOS 3.3.2017). Laut AIHRC waren von 277 Mordfällen an Frauen im Jahr 2017 136 Eherenmorde (AIHRC 11.3.2018; vgl. Tolonews 11.3.2018). Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist das Misstrauen eines Großteils der afghanischen Bevölkerung in das juristische System (KP 23.3.2016).

Reisefreiheit

Es existieren gewisse Sicherheitsbedenken, wenn Frauen alleine reisen: Manchmal ist es der Vater, der seiner Tochter nicht erlaubt alleine zu reisen und manchmal ist es die Frau selbst, die nicht alleine reisen will. In vielen Firmen, öffentlichen Institutionen sowie NGOs ist die Meinung verbreitet, dass Frauen nicht alleine in die Distrikte reisen sollten und es daher besser sei einen Mann anzustellen. Doch hat sich die Situation wesentlich verbessert. So kann nach eigener Aussage eine NGO-Vertreterin selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten hält, also lokale Kleidungsvorschriften einhält (z. B. tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt (BFA Staatendokumentation 4.2018). Während früherer Regierungen (vor den Taliban) war das Tragen des Chador bzw. des Hijab nicht verpflichtend - eine Frau konnte auch ohne sie außer Haus gehen, ohne dabei mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab heute nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden. Andere Provinzen sind bei diesem Thema viel strenger. In Mazar-e Sharif könnte es in Einzelfällen sogar möglich sein, ganz auf den Hijab zu verzichten, ohne behelligt zu werden. Garantie besteht darauf natürlich keine (BFA Staatendokumentation 4.2018). Frauen in Afghanistan ist es zwar nicht verboten Auto zu fahren, dennoch tun dies nur wenige. In unzähligen afghanischen Städten und Dörfern, werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Viele Eltern unterstützen zwar grundsätzlich die Idee ihren Töchtern das Autofahren zu erlauben, haben jedoch Angst vor öffentlichen Repressalien. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind. In Kabul sowie in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Jalalabad gibt es einige Fahrschulen; in Kabul sogar mehr als 20 Stück. An ihnen sind sowohl Frauen als auch Männer eingeschrieben. In Kandahar zum Beispiel sind Frauen generell nur selten alleine außer Haus zu sehen - noch seltener als Lenkerin eines Fahrzeugs. Jene, die dennoch fahren, haben verschiedene Strategien um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Manche tragen dabei einen Niqab, um unerkannt zu bleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 5.2018).

2. Beweiswürdigung:

Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Die Feststellungen wurden der Beschwerdeführerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgehalten und sie verzichtete auf eine Stellungnahme.

Die Feststellungen zu Herkunft, Volksgruppenzugehörigkeit und Religion ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin und ihres Gatten im Verfahren sowie aus den damit übereinstimmenden Akteninhalten.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinterließ die Beschwerdeführerin durch ihr Auftreten und die Spontanität ihrer Antworten den glaubwürdigen und überzeugenden Eindruck, für sich und ihre Tochter ein Leben nach dem traditionellen afghanischen Frauenbild strikt abzulehnen. Nach der Art ihres Auftretens und ihres Kommunizierens handelt es sich bei der Beschwerdeführerin um eine Frau, die sich der sozio-kulturellen Problematik der Stellung der Frau in Afghanistan bewusst ist. Sie lehnt die strengen afghanischen Kleidervorschriften ab, verwaltet die Finanzen der Familie, geht alleine spazieren, zum Einkaufen und zu Ärzten, bringt die Tochter selbstständig zur Schule und pflegt Freundschaften zu Österreichern. Sie konnte glaubhaft darlegen, dass sie es anstrebt, sich weiterzubilden und ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften.

Insgesamt ist es glaubwürdig und plausibel, dass die Beschwerdeführerin das mit ihrer derzeitigen Lebensweise im Widerspruch stehende konservativ afghanische Frauenbild und die konservativ afghanische Tradition ablehnt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

In vorliegendem Fall ist in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen und obliegt somit in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 3 Bundesgesetz über die Einrichtung und Organisation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA-Einrichtungsgesetz - BFA-G) BGBl. I Nr. 87/2012 idgF obliegt dem Bundesamt die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl.I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr.100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl.I Nr.100 (Z 4).

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Furcht der Beschwerdeführerin vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention wohlbegründet ist.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wäre die Beschwerdeführerin zunächst mit einer für sie prekären Sicherheitslage konfrontiert. Das bedeutet, dass für sie in fast allen Teilen Afghanistans ein erhöhtes Risiko besteht, Eingriffen in ihre physische Integrität und Sicherheit ausgesetzt zu sein. Den Feststellungen zufolge ist dieses Risiko sowohl als generelle, die afghanischen Frauen betreffende Gefährdung zu sehen (Risiko, Opfer einer Vergewaltigung oder eines sonstigen Übergriffs bzw. Verbrechens zu werden) als auch als spezifische Gefährdung, bei nonkonformem Verhalten (d.h. bei Verstößen gegen gesellschaftliche Normen wie beispielsweise Bekleidungsvorschriften) einer "Bestrafung" ausgesetzt zu sein. Am Beispiel der die Frauen betreffenden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit wird anschaulich, dass afghanische Frauen de facto einer Verletzung in grundlegenden Rechten ausgesetzt sind. Es bestehen nach wie vor gesellschaftliche Normen dahingehend, dass Frauen sich nur bei Vorliegen bestimmter Gründe alleine außerhalb ihres Wohnraumes bewegen sollen. Widrigenfalls haben Frauen mit Beschimpfungen und Bedrohungen zu rechnen bzw. sind der Gefahr willkürlicher Übergriffe ausgesetzt. Für die Beschwerdeführerin wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan so aus, dass sie im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt ist.

Die Beschwerdeführerin unterliegt allerdings einer erhöhten Gefährdung, in Afghanistan dieser Situation ausgesetzt zu sein, weil sie als Frau nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition lebt, sondern sich eine Lebensführung angeeignet hat, gegensätzlich zu dem in der afghanischen Gesellschaft weiterhin vorherrschenden traditionell-konservativen Rollenbild der Frau. Der Einschätzung des UNHCR, der Indizwirkung zukommt (vgl. VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182), zufolge sind Frauen besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen zu werden, wenn ihr Verhalten als nicht mit den von der Gesellschaft, der Tradition oder sogar vom Rechtssystem auferlegten Geschlechterrollen vereinbar angesehen wird. Afghanische Frauen, die einen weniger konservativen Lebensstil angenommen haben, beispielsweise solche, die aus dem Exil im Iran oder in Europa zurückgekehrt sind, werden nach wie vor als soziale und religiöse Normen überschreitend wahrgenommen. Die Beschwerdeführerin würde dadurch gegenwärtig in Afghanistan als Frau wahrgenommen werden, die sich als nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benimmt; sie ist insofern einem besonderen Misshandlungsrisiko ausgesetzt (vgl. dazu EGMR, Case N. gegen Schweden, 20.07.2010 Application Nr. 23505/09, ebenfalls unter Hinweis auf UNHCR). Damit droht der Beschwerdeführerin Verfolgung aufgrund einer ihr unterstellten politischen Gesinnung (vgl. dazu VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994, wonach "Asyl zu gewähren ist, wenn der von [der Beschwerdeführerin] vorgebrachte, westliche Lebensstil in Afghanistan einer zu den herrschenden politischen und/oder religiösen Normen eingenommene oppositionellen Einstellung gleichgesetzt wird und ihr deshalb Verfolgung [...] droht"; jüngst VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301 bis 0306).

Zudem steht das dargestellte Verfolgungsrisiko auch im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zu einer bestimmten sozialen Gruppe (vgl. dazu VwGH 16.04.2002, 99/20/0483; 20.06.2002, 99/20/0172), zumal die persönliche und auch nach außen dargelegte westliche Lebenseinstellung der Beschwerdeführerin im Gegensatz zu der in Afghanistan weiterhin vorherrschenden Situation für Frauen steht. Zwar stellen diese Umstände keine Eingriffe von "offizieller" Seite dar, das heißt, sie sind von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet, andererseits ist es der Zentralregierung auch nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten der afghanischen Frauen Sorge zu tragen. Gegenwärtig besteht in Afghanistan kein funktionierender Polizei- und Justizapparat. Darüber hinaus ist nicht davon auszugehen, dass im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber effektive Mechanismen zur Verhinderung von Übergriffen und Einschränkungen gegenüber Frauen bestünden; ganz im Gegenteil, liegt ein derartiges Vorgehen gegenüber Frauen teilweise ganz im Sinne der lokalen Machthaber. Für die Beschwerdeführerin ist damit nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie angesichts des sie als Frau westlicher Orientierung betreffenden Risikos, Opfer von Misshandlungen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann. Die sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan bedrohende Situation ist in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die Beschwerdeführerin nicht, zumal im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer Situation auszugehen ist, in der sie deshalb einem erhöhten Sicherheitsrisiko und den daraus resultierenden Einschränkungen ausgesetzt wären.

Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich die Beschwerdeführerin aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes (Artikel 1 Abschnitt D, F der GFK und § 6 AsylG 2005) oder eines Endigungsgrundes (Artikel 1 Abschnitt C der GFK) ist nicht hervorgekommen.

Der Beschwerdeführerin war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Beschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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