TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/13 W260 2177919-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.06.2019
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Entscheidungsdatum

13.06.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W260 2177919-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 23.10.2017, Zahl XXXX , in der Fassung des berichtigten Bescheides vom 27.11.2017 zur selben Zahl, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX ( im Folgenden "Beschwerdeführer"), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste gemeinsam mit seinem minderjährigen Sohn,

XXXX , illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 29.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der Erstbefragung am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er aus Kabul stamme, der Volksgruppe der Tadschiken angehöre und sunnitischer Moslem sei. Seinen Fluchtgrund betreffend führte er aus, einerseits sei er Polizist gewesen und deshalb von den Taliban bedroht worden. Andererseits sei sein Sohn krank und müsse einmal pro Monat im Krankenhaus Blut waschen. Der Beschwerdeführer könne sich die gesundheitliche Versorgung nicht leisten.

3. Mit Stellungnahme vom 18.08.2016 übermittelte der Beschwerdeführer eine Kopie seines afghanischen Polizeiausweises und führte aus, er habe seit 2001 als Polizist in Afghanistan gearbeitet und seit fünf bis sechs Jahren mehrmals Drohbriefe von den Taliban erhalten. Der Beschwerdeführer zähle als Mitglied der Afghanischen Nationalen und Lokalen Polizei zu den Risikogruppen laut UNHCR-Richtlinie vom April 2016.

4. Am 17.10.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge "belangte Behörde") im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari.

Der Beschwerdeführer gab zusammengefasst an, er sei verheiratet und habe drei Söhne und zwei Töchter. Einen Sohn habe er krankheitsbedingt nach Österreich mitgenommen, die restliche Familie sei jetzt in der Türkei. Sein Sohn leide an Blutarmut und erhalte regelmäßig Bluttransfusionen. Diese Behandlung sei in Afghanistan teuer und für den Beschwerdeführer nicht leistbar. Zu seinen Fluchtgründen befragt schilderte der Beschwerdeführer, dass er in Maidan Wardak als Polizist gearbeitet habe und als Bodyguard eines Generals tätig gewesen sei. Deshalb sei er von den Taliban mit dem Tod bedroht worden. Er habe Drohbriefe und Anrufe erhalten. Daher habe er sich zur Flucht entschlossen. Da sein Sohn lebensbedrohlich krank sei, habe er ihn nach Österreich mitgenommen.

5. Mit dem nunmehr angefochtenem Bescheid vom 23.10.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.03.2018 erteilt (Spruchpunkt II.).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates stellte die belangte Behörde insbesondere fest, der Beschwerdeführer habe eine Furcht vor Verfolgung durch die Taliban nicht glaubhaft gemacht, da sein Vorbringen vage, detailarm und widersprüchlich sei.

Da dem minderjährigen Sohn des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 23.10.2017 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, erhalte der Beschwerdeführer gemäß § 34 AsylG 2015 im Familienverfahren den gleichen Schutz.

6. Gegen Spruchpunkt I. des verfahrensgegenständlichen Bescheides brachte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsberatung fristgerecht Beschwerde ein. Der Beschwerdeführer wiederholte im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und argumentierte, die belangte Behörde habe sich mit dem von ihm vorgelegten Polizeiausweis sowie seinem umfassenden Vorbringen in der Stellungnahme vom 18.08.2016 in keiner Weise auseinandergesetzt. Die belangte Behörde hätte zudem berücksichtigen müssen, dass der Beschwerdeführer nicht sonderlich gebildet sei und daher nicht in der Lage sei genaue zeitliche Angaben zu machen. Die belangte Behörde wäre auch verpflichtet gewesen, den Bericht der schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.09.2016 im Verfahren zu berücksichtigen. Darin werden unter Punkt 5 "Menschenrechtslage:

Gefährdungsprofile" ausdrücklich "Angehörige der Polizei und der Sicherheitskräfte" angeführt und erklärt, dass diese, sowie auch ehemalige Angehörige der ANDSF, zu den Hauptzielen regierungsfeindlicher Gruppierungen gehören.

7. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 24.11.2017 wurde der Bezug habende Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Vorlage gebracht und langte dieser am 27.11.2017 ebendort ein.

8. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 27.11.2017 wurde der Bescheid der belangten Behörde vom 23.10.2017 gemäß § 62 Abs. 4 AVG wie folgt berichtigt: Auf Seite 1 des Bescheides wird Ihnen die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 23.10.2018 erteilt, nicht bis zum 16.03.2018.

9. Mit Schreiben vom 12.02.2018 gab die bevollmächtigte Rechtsberatung (Asyl- und Fremdenrechtsberatung der Caritas Wien) bekannt, dass das Vollmachtsverhältnis mit dem Beschwerdeführer aufgelöst werde.

10. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.05.2018 an die Verfahrensparteien wurde eine mündliche Verhandlung für den 22.06.2018 anberaumt.

11. Aus dem vom Bundesverwaltungsgericht am 21.06.2018 eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass im Strafregister der Republik Österreich für den Beschwerdeführer keine Verurteilungen aufscheinen.

12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 22.06.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner bevollmächtigten Rechtsberaterin und eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie in Anwesenheit seines minderjährigen Sohnes zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt. Die Niederschrift wurde der entschuldigt ferngebliebenen belangten Behörde übermittelt.

Der Beschwerdeführer legte eine Vollmacht für die ARGE Rechtsberatung sowie ein Konvolut an medizinischen Befunden betreffend den minderjährigen Sohn des Beschwerdeführers vor, die als Beilagen ./I und ./II zum Akt genommen wurden.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden folgende Unterlagen in das gegenständliche Verfahren vom Bundesverwaltungsgericht eingebracht: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 30.01.2018; Auszug aus UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, Risikogruppen, Schreiben vom 19.05.2016; Auszug aus UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, Mitglieder der afghanischen nationalen Polizei; BFA Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.07.2016, Afghanistan, Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter; BFA Arbeitsübersetzung vom 23.08.2017, Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne.

Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit gegeben, in diese herkunftsstaatsbezogenen Berichte Einsicht zu nehmen sowie innerhalb einer Frist von vier Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

13. Der Beschwerdeführer erstattete namens seiner bevollmächtigten Rechtsvertretung mit Schreiben vom 20.07.2018 eine schriftliche Stellungnahme zu den vom Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eingebrachten Länderberichtsmaterial. Er wiederholte sein Fluchtvorbringen, zitierte Passagen aus den UNHCR-Richtlinien und aus Berichten des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlingen, welche die Verfolgungsgefahr, die er als Polizist in Afghanistan zu vergegenwärtigen habe, bestätigen würden. Weiters verwies er auf einen Bericht von Stahlmann, wonach die Taliban fähig seien, Einzelpersonen in ganz Afghanistan zu verfolgen.

14. Mit Schreiben vom 25.01.2019 legte der Beschwerdeführer namens seiner bevollmächtigten Rechtsvertretung weitere medizinische Unterlagen betreffend seinen minderjährigen Sohn vor.

15. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.05.2019 wurde den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs aktuelles Länderberichtsmaterial übermittelt: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Stand 26.03.2019, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfes Afghanischer Asylsuchender Stand August 2018.

Weiters wurde der belangten Behörde das vom Beschwerdeführervertreter vorgelegte Schreiben des Roten Kreuzes vom 05.04.2019 betreffend Familienzusammenführungsverfahren übermittelt.

16. Der Beschwerdeführer übermittelte mit Schreiben vom 21.05.2019 namens seiner bevollmächtigten Rechtsvertretung eine Stellungnahme an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde geltend gemacht, der Beschwerdeführer falle bereits nur aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist in eine der von UNHCR angeführten Risikogruppen. Hinzu komme, dass er durch seine Weigerung für die Taliban zu arbeiten ein talibanfeindliches Verhalten gesetzt habe. Der Beschwerdeführer habe sich gegenüber den Taliban exponiert und seine Wertehaltung durch die Weigerung, den Sohn der Schwester des Kommandanten den Taliban auszuliefern, klar zum Ausdruck gebracht. Er sei dadurch konkret ins Visier der Taliban geraten. Der Beschwerdeführer verwies auf Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes in ähnlich gelagerten Fällen, in denen der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

17. Zur Beschwerde des mj. XXXX ergeht zu GZ W260 2177917-1 ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom selben Tage.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren.

Er ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX in der Provinz Maidan Wardak geboren und lebte in Kabul.

Die Familie des Beschwerdeführers besteht aus seiner Ehefrau, drei Söhnen und zwei Töchtern. Ein Sohn ist gemeinsam mit dem Beschwerdeführer nach Österreich gekommen. Die weiteren Familienmitglieder leben mittlerweile im Iran.

Die Mutter, fünf Brüder und zwei Schwestern des Beschwerdeführers leben in getrennten Haushalten in Kabul. Ein Onkel mütterlicherseits sowie mehrere Cousins mütterlicher- und väterlicherseits leben in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer ist sechs Jahre lang zur Schule gegangen.

Ungefähr zehn Jahre lang arbeitete der Beschwerdeführer für die afghanische Polizei. Er übte dabei zuletzt die Tätigkeit als "Bodyguard" für einen Kommandanten in Maidan Wardak aus.

Der Beschwerdeführer reiste im Oktober 2015 gemeinsam mit seinem minderjährigen Sohn XXXX in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 23.10.2017 wurde dem Beschwerdeführer im Familienverfahren der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.03.2018 erteilt (mit Bescheid vom 27.11.2017 berichtigt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 23.10.2018 erteilt).

Der Beschwerdeführer weist keine Deutschkenntnisse auf. Er hat keine nennenswerten Integrationsschritte gesetzt.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer, welcher in Afghanistan Polizist war und für den Kommandanten XXXX als "Bodyguard" gearbeitet hat, wurde von den Taliban einmal per Brief und zwei Mal telefonisch zur Mitarbeit aufgefordert. Konkret hätte er den Sohn der Schwester des Kommandanten an die Taliban ausliefern sollen, damit die Taliban diesen gegen inhaftierte eigene Mitglieder austauschen können. Bei Nichterfüllung der Forderungen der Taliban wurde dem Beschwerdeführer gedroht, dass die Taliban mit ihm alles machen was sie wollen. Da der Beschwerdeführer nicht mit den Taliban zusammenarbeiten wollte, entschied er sich zur Flucht und reiste aus Afghanistan aus.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gewalt durch die Taliban aufgrund seiner politischen Gesinnung, weil er für die afghanische Polizei gearbeitet und sich geweigert hat, die Taliban zu unterstützen und den Angehörigen seines Polizeikommandanten im Auftrag der Taliban zu entführen.

Die staatlichen Behörden in Afghanistan können dem Beschwerdeführer in seiner Heimatregion keinen Schutz vor Verfolgung durch die Taliban bieten.

Dem Beschwerdeführer steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative nicht zur Verfügung.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen ein Ausschluss des Beschwerdeführers hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 08.01.2019 und in den UNHCR Richtlinien vom August 2018 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.3.1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

1.3.1.1. Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu. Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten.

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US- Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren.

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant.

1.3.1.2. Wardak/Maidan Wardak

Maidan Shahr ist die Provinzhauptstadt. Distrikte der Provinz Wardak sind: Sayed Abad, Jaghto, Chak, Daimirdad, Jalrez, central Bihsud und Hisa-i-Awal Bihsud. Kabul und Logar liegen im Osten der Provinz (Maidan) Wardak, Bamyan im Westen und Nordwesten, Ghazni im Süden und Südwesten, sowie die Provinz Parwan im Norden (Pajhwok o.D.u). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 606.077 geschätzt (CSO 2016).

Die Hauptautobahn Kabul-Kandahar geht durch die Provinz Maidan Wardak und verbindet dadurch die südlichen, aber auch südöstlichen Provinzen mit der Hauptstadt Kabul (Khaama Press 6.5.2016).

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz Wardak 359 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Im Vergleich zum vorigen Berichtszeitraum wurden Veränderungen der Sicherheitslage in der Provinz festgehalten - gleichwohl sind die Gewinne der Taliban in diesen Teilen des Landes minimal und unbeständig (USDOD 12.2016). Talibanaufständische sind in einer Anzahl von abgelegenen Distrikten in der Provinz aktiv (Khaama Press 3.7.2016). Aufständische werden durch die Sicherheitskräfte in der Provinz Wardak bekämpft (SIGAR 30.1.2017) und auch militärische Operationen werden durchgeführt (Khaama Press 25.9.2016; Khaama Press 28.10.2016; Khaama Press 17.8.2016; Khaama Press 21.7.2016; Khaama Press 1.6.2016).

Die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers Maidan Wardak verfügt über keinen Flughafen; eine sichere Erreichbarkeit kann nicht angenommen werden.

1.3.1.3. Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi.

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt.

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt. Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen.

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden.

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte.

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich.

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden.

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul, auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben. So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden.

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an.

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte).

1.3.2. Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten im Jahr 2018 als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 28.12.2017).

1.3.3. Medizinische Versorgung

Medizinische Versorgung ist in Afghanistan insbesondere in größeren Städten sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar. Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar.

1.3.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken, zu welchen der Beschwerdeführer zählt, ist die zweitgrößte; und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten: In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

1.3.5. Religion

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten, wie es auch der Beschwerdeführer ist.

1.3.6. Rechtsschutz/ Justiz

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof, den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat, eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat.

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht. Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt.

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich.

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte.

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen.

Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist. In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um.

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert. Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt.

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar.

1.3.7. Sicherheitsbehörden

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist.

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 2018). Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA- Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA). Auch das NDS ist Teil der ANDSF.

Die ASSF setzen sich aus Kontingenten des MoD (u. a. dem ANASOC, der Ktah Khas [Anm.: auf geheimdienstliche Anti-Terror-Maßnahmen spezialisierte Einheit] und dem SMW) und des MoI (u.a. dem General Command of Police Special Unit (GCPSU) und der ALP) zusammen.

Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat. Die Ausfallquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebieten. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt.

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats". Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber auf der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist es weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug das ANP-Personal etwa 129.156 Mann. Im Vergleich zu Jänner 2017 hat sich die Anzahl der ANP-Streitkräfte um 24.841 Mann verringert.

Quellen zufolge dauert die Grundausbildung für Streifenpolizisten bzw. Wächter acht Wochen. Für höhere Dienste dauern die Ausbildungslehrgänge bis zu drei Jahren. Lehrgänge für den höheren Polizeidienst finden in der Polizeiakademie in Kabul statt, achtwöchige Lehrgänge für Streifenpolizisten finden in Polizeiausbildungszentren statt, die im gesamten Land verteilt sind. Die standardisierte Polizeiausbildung wird nach militärischen Gesichtspunkten durchgeführt, jedoch gibt es Uneinheitlichkeit bei den Ausbildungsstandards. Es gibt Streifenpolizisten, die Dienst verrichten, ohne eine Ausbildung erhalten zu haben. Die Rekrutierungs- und Schulungsprozesse der Polizei konzentrierten sich eher auf die Quantität als auf den Qualitätsausbau und erfolgten hauptsächlich auf Ebene der Streifenpolizisten statt der Führungskräfte. Dies führte zu einem Mangel an Professionalität. Die afghanische Regierung erkannte die Notwendigkeit, die beruflichen Fähigkeiten, die Führungskompetenzen und den Grad an Alphabetisierung innerhalb der Polizei zu verbessern.

Die Mitglieder der ALP, auch bekannt als "Beschützer", sind meistens Bürger, die von den Dorftältesten oder den lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer designiert werden. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur lokalen Gemeinschaft wurde angenommen, dass die ALP besser als andere Streitkräfte in der Lage sei, die Sachverhalte innerhalb der Gemeinde zu verstehen und somit gegen den Aufstand vorzugehen. Die Einbindung in die örtliche Gemeinschaft ist ein integraler Bestandteil bei der Einrichtung der ALP-Einheiten, jedoch wurde die lokale Gemeinschaft in einigen afghanischen Provinzen diesbezüglich nicht konsultiert, so lokale Quellen. Finanziert wird die ALP ausschließlich durch das US-amerikanische Verteidigungsministerium und die afghanische Regierung verwaltet die Geldmittel.

Die Personalstärke der ALP betrug am 8. Februar 2017 etwa 29.006 Mann, wovon 24.915 ausgebildet waren, 4.091 noch keine Ausbildung genossen hatten und 58 sich gerade in Ausbildung befanden. Die Ausbildung besteht in einem vierwöchigen Kurs zur Benutzung von Waffen, Verteidigung an Polizeistützpunkten, Thematik Menschenrechte, Vermeidung von zivilen Opfern usw.

Die monatlichen Ausfälle der ANP im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 ca. 2%. Über die letzten zwölf Monate blieben sie relativ stabil unter 3%.

1.3.8. Terroristische und aufständische Gruppierungen

1.3.8.1. Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten.

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Im Grunde steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein "Übeltäter" ist, und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können.

Die Taliban haben ein Netzwerk an Spitzeln in Afghanistan, allein in der Stadt Kabul sind drei verschiedene Taliban Nachrichtendienste nebeneinander aktiv. Es heißt, dass die verschiedenen Nachrichtendienste der Taliban in Kabul über 1.500 Spione in allen 17 Stadtteilen haben. Selbst die, die umsiedeln, laufen Gefahr, auf dem Weg an den Straßensperren der Taliban festgehalten zu werden. Die Taliban behaupten, dass sie, dank ihrer Spione bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und auch an vielen anderen Stellen, überwachen können, wer in das Land einreist. Sie geben an, regelmäßig Berichte darüber zu erhalten, wer neu ins Land einreist.

Die Taliban beobachten alle Fremden, die in den Dörfern und Kleinstädten unter ihrer Kontrolle ankommen genau, genauso wie die Dorfbewohner, die in Gebiete unter Regierungskontrolle reisen. Sie fürchten offensichtlich, ausspioniert zu werden und versuchen, die Rekrutierung von Informanten durch die Regierung zu beschränken. Wer in die Taliban-Gebiete ein- oder ausreist sollte die Reise überzeugend begründen können, möglichst belegt mit Nachweisen über Geschäftsabschlüsse, medizinische Behandlung etc. Wenn die Taliban einen Schuldigen suchen, der für die Regierung spioniert haben soll, ist jeder, der verdächtigt wird, sich an die Behörden gewandt zu haben, in großer Gefahr.

Es ist davon auszugehen, dass Sippenhaftung in Afghanistan ein weit verbreitetes Phänomen ist, und die Taliban neben Regierungsmitarbeitern, Sicherheitskräften und anderen, der Kollaboration oder "Spionage" bezichtigten Personen auch deren Angehörige gezielt verfolgen und bedrohen.

1.3.8.2 Auszug aus der UNHCR Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, Mitglieder der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei:

"Die afghanischen Sicherheitskräfte, insbesondere Mitglieder der afghanischen nationalen Polizei, werden zunehmend in gezielten Kampagnen angegriffen. Seit dem weitgehenden Rückzug der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 gerieten Polizeistützpunkte und Kontrollstellen zunehmend ins Visier regierungsfeindlicher Kräfte. Polizisten der afghanischen nationalen Polizei (ANP) wurden sowohl im Dienst als auch außerhalb des Dienstes angegriffen.

Auch gezielte Angriffe auf Mitglieder der afghanischen lokalen Polizei (ALP) sind weit verbreitet. Schätzungen zufolge ist die Zahl der Opfer unter der afghanischen lokalen Polizei dreimal so hoch wie die unter anderen Mitgliedern der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF), da die afghanische lokale Polizei (ALP) häufig in unsichereren Gebieten stationiert ist. Berichten zufolge greifen regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) auch Mitarbeiter anderer Polizeikräfte in Afghanistan sowie ehemalige Mitglieder der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte an."

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellung zum Namen und Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde, in den im Verfahren erstatteten Stellungnahmen und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsort, seinen Aufenthaltsorten, seinem schulischen und beruflichen Werdegang, seinem Familienstand, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Afghanistan waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei, weitgehend chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozio-ökonomischen Strukturen in Afghanistan plausibel.

Die Feststellungen zum Sprachniveau und der mangelnden Integration in Österreich ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers lautet auf das Wesentliche zusammengefasst, ihm drohe Gewalt durch die Taliban. Er sei Polizist und habe in dieser Funktion als "Bodyguard" für einen Polizeikommandanten gearbeitet. Die Taliban haben den Beschwerdeführer aufgefordert, einen Neffen dieses Kommandanten zu entführen, damit sie diesen gegen inhaftierte Mitglieder der Taliban austauschen können. Der Beschwerdeführer habe aber nicht für die Taliban arbeiten wollen und sei daher geflüchtet.

Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers im Verlauf des Verfahrens ist schlüssig, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Strukturen in Afghanistan plausibel, weitgehend widerspruchsfrei, substantiiert und angereichert mit lebensnahen Details sowie im Einklang mit den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten.

Der Beschwerdeführer zeichnete insbesondere in der mündlichen Verhandlung in seinen Aussagen und seinem Antwortverhalten ein glaubwürdiges Bild der geschilderten Vorfälle, präsentierte keine einstudierte lineare Fluchtgeschichte und vermittelte so den Eindruck, die dargestellten Ereignisse tatsächlich erlebt zu haben.

An dieser Stelle wird beweiswürdigend folgendes hervorgehoben:

Der Beschwerdeführer brachte sowohl in der Erstbefragung, als auch in der Einvernahme bei der belangten Behörde und im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung beim Bundesverwaltungsgericht das fluchtauslösende Ereignis, die schriftliche und telefonische Bedrohung der Taliban und deren Aufforderung an den Beschwerdeführer, für sie tätig zu werden, in den Grundzügen gleichbleibend und widerspruchsfrei vor.

Auch seine berufliche Tätigkeit für die afghanische Polizei, welche der Ursprung für seine Probleme im Herkunftsstaat ist, schilderte der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleichbleibend und anschaulich.

Er konnte glaubhaft machen, dass er rund zehn Jahre lang als Polizist gearbeitet hat und konkret die Funktion eines "Bodyguards" für einen Polizeikommandanten innegehabt hat. Der Beschwerdeführer nannte - im Verfahren gleichbleibend - den Namen des Kommandanten und dass seine Einheit zuletzt in der Provinzhauptstadt XXXX stationiert war. In der Beschwerdeverhandlung schilderte der Beschwerdeführer, dass er als Dienstwaffe eine amerikanische Pistole und eine Kalaschnikow verwendet habe (vgl. S 8 des Protokolls der Beschwerdeverhandlung vom 22.06.2018). Dass der Beschwerdeführer das Kaliber seiner Dienstwaffe nicht angeben konnte und nur von einer kleinen Pistole sprach, deren Magazin 12 Patronen fasst, mindert die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens nicht. Wie den Länderberichten zu Afghanistan zu entnehmen ist, dauert die Grundausbildung für Polizisten in Afghanistan nur acht Wochen, es wird bei der Aufnahme der Mitarbeiter eher auf Quantität denn auf Qualität geachtet und es fehlt an Professionalität. Dass der Beschwerdeführer daher keine genauen Angaben zu seiner Dienstwaffe machen konnte ist aufgrund der dargelegten Gegebenheiten nachvollziehbar und liegt sicherlich auch an der mangelnden Ausbildung des Beschwerdeführers.

In der Beschwerdeverhandlung legte der Beschwerdeführer zum Beweis für seine Tätigkeit seinen Polizeiausweis im Original vor. Laut Dolmetscher ist der Name des Beschwerdeführers und der Name seines Vaters deutlich zu erkennen. Die Gültigkeit des Ausweises endet aber am 17.04.2010. Der Beschwerdeführer gab dazu an, dass die Karte alle drei Jahre erneuert werde. Das habe er aber nicht getan, weil er Afghanistan verlassen habe. Nachgefragt, wie er bei der Polizei arbeiten habe können, wenn der vorgelegte Ausweis 2010 abgelaufen ist, der Beschwerdeführer aber bis 2013 nach heutigen Angaben dort gearbeitet habe, sagte er, dass er die Karte nicht erneuert habe. Er habe mit der alten weitergearbeitet. Erneut nachgefragt, wie das sein könne und ob der Ausweis nicht wichtig gewesen sei, erwiderte der Beschwerdeführer, er habe mit seinem Kommandanten gearbeitet. In Afghanistan frage man da nicht danach. Er sei privilegiert gewesen (vgl. S 8f des Protokolls der Beschwerdeverhandlung vom 22.06.2018). Die Angaben des Beschwerdeführers sind - in Anbetracht der amtsbekannten Lage in Afghanistan - durchaus nachvollziehbar. Dass er als "Bodyguard" eines Kommandanten eine privilegierte Stellung innehatte, wiederholte der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens mehrmals und ist glaubhaft, dass auch deshalb die Gültigkeit des Ausweises nicht relevant war.

Zum vorgelegten Polizeiausweis ist zu sagen, dass das Bundesverwaltungsgericht bei derartigen Beweisanboten nicht verkennt, dass in zahlreichen Verfahren vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht die Echtheit von Unterlagen aus Afghanistan zweifelhaft ist. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren gilt es dazu auszuführen, dass der Beschwerdeführer in seinen Aussagen und seinem Antwortverhalten ein glaubwürdiges Bild der geschilderten Vorfälle mitsamt dem angeführten Beweisanbot präsentierte und sein Aussageverhalten aus Sicht des erkennenden Richters keine einstudierte, sondern eine lineare Fluchtgeschichte ist und ebenso den Eindruck vermittelte, die dargestellten Ereignisse tatsächlich erlebt zu haben.

Dass der Beschwerdeführer bereits aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist in Afghanistan asylrelevante Verfolgung zu befürchten hatte und hat, ergibt sich aus den Länderberichten, insbesondere auch aus den UNCHR- Richtlinien von April 2016, wonach afghanische Sicherheitskräfte, insbesondere Mitglieder der afghanischen nationalen Polizei, zunehmend in gezielten Kampagnen angegriffen werden und ins Visier regierungsfeindlicher Kräfte geraten sind. Polizisten werden sowohl im Dienst als auch außerhalb des Dienstes angegriffen.

Der Beschwerdeführer konnte zudem auch die versuchte Rekrutierung durch die Taliban - insbesondere im Rahmen der Beschwerdeverhandlung - nachvollziehbar und glaubhaft schildern:

Er gab zusammengefasst an, dass ihm die Taliban zunächst einen Brief geschickt und ihn aufgefordert haben, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Eines Tages sei ein Mann mit dem Taxi zu dem Hauptquartier seiner Einheit gekommen und habe ihm den Brief übergeben. In diesem Brief sei er aufgefordert worden, dass er den Sohn der Schwester des Kommandanten von dort mitnehmen soll. Dadurch hätte ein Austausch zwischen festgenommenen Talibananhängern und dem Sohn der Schwester des Kommandanten stattfinden soll. Bei dem Brief habe es sich nur um einen kleinen Zettel gehandelt. Es habe keinen Stempel und keine Unterschrift gegeben. Auf diesem Zettel sei gestanden, dass er den Sohn der Schwester des Kommandanten zum Platz XXXX zu bringen habe. Ungefähr zehn Tage nach Erhalt dieses Zettels habe der Beschwerdeführer einen Anruf bekommen und sei gefragt worden, ob er sich entschieden habe, das zu tun. Er habe das Gespräch abgebrochen. Nach ungefähr zwei Stunden habe er wieder einen Anruf erhalten. Es sei wieder dieselbe Forderung gestellt worden. Der Mann am Telefon habe ihm gesagt, entweder der Beschwerdeführer erfülle seine Forderung, wenn nicht, dann müsse er seinen Arbeitsplatz verlassen und kündigen. Wenn er das alles ignoriere, werde der Mann alles machen, was er wolle (vgl. S 11f des Protokolls der Beschwerdeverhandlung vom 22.06.2018).

Der Beschwerdeführer schilderte die Vorkommnisse in der Beschwerdeverhandlung lebensnah und anschaulich und erweckte den Eindruck, dass er von einer selbst erlebten Situation berichtet und er durch die Drohungen und Forderungen der Taliban massiv eingeschüchtert wurde. Kleinere Widersprüche und Ungereimtheiten konnte er dagegen aus der Welt schaffen.

So wurde ihm in der Beschwerdeverhandlung seine Stellungnahme vom 18.08.2016 vorgehalten. Darin führte er aus, dass er bereits circa im Jahr 2010 zum ersten Mal einen Drohbrief der Taliban erhalten habe, diese ihn aufgefordert haben, die Arbeit aufzugeben und sich den Taliban anzuschließen. Weiters habe er erneut Drohbriefe erhalten. Der Beschwerdeführer gab nachvollziehbar an, dass seine heutigen Aussagen der Wahrheit entsprechen. Er sei damals vor dem Verfassen der Stellungnahme falsch verstanden worden. In der Stellungnahme stehe auch, dass er vorgehabt habe, den Kommandanten zu entführen, das sei auch nicht richtig. Er hätte, wie heute geschildert, den Sohn der Schwester des Kommandanten entführen sollen (vgl. S 12 des Protokolls der Beschwerdeverhandlung vom 22.06.2018).

Auch den zunächst seltsam anmutenden Umstand, dass der Beschwerdeführer einen Posten bei der Polizei bekommen hat, obwohl seine Cousins Taliban sind, konnte der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung nachvollziehbar schildern. Er gab an, dass er in der Provinz Maidan Wardak geboren, aber in Kabul aufgewachsen sei. Er sei sehr selten nach Maidan Wardak gefahren und habe keinen Kontakt zu seinen Cousins mütterlicherseits gehabt. Nachgefragt gab er an, dass er zu dem Zeitpunkt, als die Taliban noch nicht an der Macht gewesen seien, einmal im Jahr zum Urlauben in die Provinz zu seinen Cousins gefahren sei. Als die Taliban an die Macht gekommen und die Kriege ausgebrochen seien habe er die Cousins nicht mehr gesehen. Der erkennende Richter hakte nach und bat um Erklärung, wieso der Kommandant XXXX einen Bodyguard anfordert habe, ohne vorher seine familiären Verhältnisse in Bezug auf Zusammenarbeit mit den Taliban durchleuchtet zu haben. Der Beschwerdeführer erklärte nachvollziehbar, dass sein Kommandant früher zu Zeiten von Präsident Najibullah (circa 1994) Arbeitskollege von seinem Vater gewesen sei. Beide seien Chauffeure für hohe Beamte gewesen (vgl. S 13 des Protokolls der Beschwerdeverhandlung vom 22.06.2018).

Dass das Fluchtvorbringen der Wahrheit entspricht, ergibt sich für den erkennenden Richter auch aus den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat. Der Beschwerdeführer ist ein 37jähriger Familienvater, der in Afghanistan vor seiner Ausreise einen sicheren und - für afghanische Verhältnisse - gut bezahlten J

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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