TE Vwgh Beschluss 2019/7/18 Ra 2019/19/0197

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Veröffentlicht am 18.07.2019
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Index

19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des H A in S, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. März 2019, W126 2138169-1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 18. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte vor, als schiitischer Hazara drohe ihm in Afghanistan Verfolgung durch die Taliban. Er sei im Iran aufgewachsen und habe in seinem Herkunftsstaat keine sozialen oder familiären Netzwerke. 2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 10. Oktober 2016 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dem im Iran aufgewachsenen Revisionswerber drohe aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als schiitischer Hazara in Afghanistan keine Verfolgung. In der Herkunftsprovinz der Familie des Revisionswerbers sei die für eine Rückkehr erforderliche Sicherheit nicht gegeben. Dem Revisionswerber, der jung, gesund und arbeitsfähig sei, über Berufserfahrung verfüge, eine Landessprache spreche und mit den afghanischen kulturellen Gepflogenheiten vertraut sei, stehe jedoch - auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage - in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offen. Er könne dort durch eigene Erwerbstätigkeit bzw. anfangs durch Inanspruchnahme von Hilfen für Rückkehrer seinen notwendigen Unterhalt bestreiten. Dem stehe auch der Umstand, dass der Revisionswerber über kein afghanisches Personaldokument (Tazkira) verfüge und in Afghanistan kein familiäres Netzwerk habe, nicht entgegen. Nach Ansicht des BVwG seien die Voraussetzungen einer innerstaatlichen Fluchtalternative - auch bei Auseinandersetzung mit den aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 sowie den Berichten des European Asylum Support Office (EASO) zu Afghanistan - auch für Kabul gegeben. Jedenfalls zu bejahen sei eine innerstaatlichen Fluchtalternative jedoch für Herat und Mazar-e Sharif, wo die Sicherheitslage besser sei.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 8 Zur Zulässigkeit der vorliegenden außerordentlichen Revision wird geltend gemacht, die Annahme, dem Revisionswerber stehe eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif offen, weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Das BVwG habe nicht berücksichtigt, dass dem Revisionswerber, der in Afghanistan über kein soziales Netzwerk verfüge und über kein afghanisches Personaldokument (Tazkira) verfüge, der Zugang zur lebensnotwendigen Versorgung verwehrt sei. Eine Auseinandersetzung mit dem dazu erstatteten Vorbringen bzw. mit den vorgelegten Unterlagen sei unterblieben. 9 Mit diesem Vorbringen spricht die Revision eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch eine Rückkehr des Revisionswerbers nach Afghanistan an. Insoweit ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof zu verweisen, dass bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. etwa VwGH 21.5.2019, Ra 2018/19/0217, mwN). Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es aber nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können (vgl. näher VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

10 Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht ausreichend, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 123, mwN). 11 Das BVwG hat in seine Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch miteinbezogen, dass der Revisionswerber im Iran aufgewachsen sei, in Afghanistan über kein familiäres Netzwerk verfüge und kein afghanisches Personaldokument (Tazkira) habe. Dabei hat das BVwG entgegen der Revision auch die Unterlagen, auf die der Revisionswerber sich im Beschwerdeverfahren berufen hat, - insbesondere die Leitfäden der EASO - berücksichtigt. Es ist jedoch auf Grundlage der zur Lage in Afghanistan aufgrund von Länderberichten getroffenen Feststellungen zum Ergebnis gelangt, dass der Revisionswerber nicht gehindert sei, durch eigene Erwerbstätigkeit seinen notwendigen Lebensunterhalt zu verdienen und er Rückkehrhilfe bzw. Unterstützung durch internationale Organisationen bzw. Nichtregierungsorganisationen vor Ort in Anspruch nehmen könne.

12 Auf Grundlage dieser Feststellungen vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des BVwG unvertretbar wäre. Es entspricht nämlich der auf vergleichbarer Sachverhaltsgrundlage ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und die Möglichkeit habe, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden könne, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren worden sei, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan habe, sondern im Iran aufgewachsen sei (vgl. VwGH 29.4.2019, Ra 2019/20/0175, mwN). 13 Soweit die Revision sich gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 10.9.2018, Ra 2017/19/0431, mwN). Eine solche Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung vermag der Revisionswerber nicht aufzuzeigen. 14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 18. Juli 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190197.L00

Im RIS seit

06.09.2019

Zuletzt aktualisiert am

06.09.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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