Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Stegmüller und Mag. Herbert Böhm als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei L*****, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei J*****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Zustimmung zur Entlassung, in eventu Kündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. April 2019, GZ 6 Ra 7/19z-34, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Den Arbeitgeber trifft die Obliegenheit, ihm bekanntgewordene Entlassungsgründe unverzüglich geltend zu machen, widrigenfalls das Entlassungsrecht des Arbeitgebers erlischt (vgl RIS-Justiz RS0028965; RS0031799). Im Zusammenhang mit der Entlassung eines Mitglieds des Betriebsrats bedeutet dies, dass auch ehestens die Klage auf Zustimmung zur Entlassung einzubringen ist (vgl RS0028954).
2. Der Grundsatz, dass die Entlassung unverzüglich auszusprechen ist, beruht auf dem Gedanken, dass ein Arbeitgeber, der eine Verfehlung seines Arbeitnehmers nicht sofort mit der Entlassung beantwortet, dessen Weiterbeschäftigung nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des Entlassungsrechts im konkreten Fall verzichtet (RS0029249).
Jeder gerechtfertigten Entlassung ist immanent, dass dem Dienstgeber die Weiterbeschäftigung des Dienstnehmers wegen des Entlassungsgrundes so unzumutbar geworden ist, dass eine sofortige Abhilfe erforderlich wird (RS0029009). Dieses Tatbestandsmerkmal ermöglicht die Abgrenzung zwischen einem in abstracto wichtigen Entlassungsgrund und einem in concreto geringfügigen Sachverhalt, also einer bloßen Ordnungswidrigkeit. Unzumutbarkeit liegt immer dann vor, wenn eine andere Form der Beendigung als die vorzeitige objektiv nicht in Betracht kommt.
Die Verletzung der Obliegenheit zur unverzüglichen Geltendmachung führt zum Untergang des Entlassungsrechts im konkreten Fall, ohne Rücksicht darauf, ob die Entlassung ansonsten gerechtfertigt ist oder nicht (vgl Wolliger in ZellKomm3 § 120 ArbVG Rz 64 f).
Dabei kommt es darauf an, wann dem Arbeitgeber der maßgebliche Sachverhalt bekannt wurde (vgl RS0029348). Wesentliches Kriterium für die Unschädlichkeit eines Zuwartens mit der Entlassung ist, ob die Verzögerung aufgrund der Sachlage begründet war (RS0029328 [T1, T16]). Bei einem zweifelhaften Sachverhalt ist der Dienstgeber verpflichtet, die zur Feststellung des Sachverhalts erforderlichen und zumutbaren Erhebungen ohne Verzögerung durchzuführen (RS0029345). Reicht die Kenntnis des Sachverhalts für den Arbeitgeber bereits aus, die Entlassung auszusprechen, ist eine weitere Überlegungsfrist nicht mehr gerechtfertigt (RS0028995).
3. Die Beurteilung, ob eine Entlassung rechtzeitig oder verspätet vorgenommen wurde, kann nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls erfolgen (RS0031571). Dieser Frage kommt daher – von Fällen (hier nicht vorliegender) krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen – erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.
4. Der Klägerin waren sämtliche Umstände, die zur Begründung der Entlassung geltend gemacht werden, am 29. 3. 2017 bekannt. Erste Informationen hatte sie bereits am 13. 3. 2017 erhalten. Die Klage auf Zustimmung zur Entlassung verbunden mit einer Dienstfreistellung des Beklagten erfolgte jedoch erst am 19. 4. 2017. Ausreichend konkrete Gründe für eine Rechtfertigung der Verzögerung sind nicht erkennbar. Wenn die Klägerin sich in der Revision darauf beruft, dass Sicherheitsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Löschung der Zugriffsberechtigung des Beklagten auf das Computersystem der Klägerin erforderlich waren, so ergibt sich aus den Feststellungen, dass die Löschung selbst zwei Stunden in Anspruch nahm.
Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass die Klägerin damit ihre Obliegenheit zur unverzüglichen Geltendmachung eines Entlassungsgrundes verletzt hat, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.
5. Für die Beurteilung, ob der Dienstgeber bei Ausspruch der Entlassung den arbeitsrechtlichen Unverzüglichkeitsgrundsatz verletzte, kommt es nur auf den Wissensstand des Dienstgebers an (vgl 8 ObA 59/06v mwN).
Da dies von den Vorinstanzen vertretbar bejaht wurde, ist eine weitere Prüfung, ob der Beklagte vom Zuwarten des Arbeitgebers mit dem Ausspruch der Entlassung wusste und dies als Verzicht auf die Geltendmachung des Entlassungsgrundes verstehen durfte, nicht mehr erforderlich.
6. Auch die Klage des Betriebsinhabers auf Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds muss nach ständiger Rechtsprechung und Lehre unverzüglich erfolgen, nachdem dem Arbeitgeber der Grund, der zur Kündigung berechtigt, bekannt geworden ist (Winkler in Tomandl, Arbeitsverfassungsgesetz § 120 Rz 27 mwN; 8 ObA 240/98x mwN). Darauf, ob daher das Verhalten des Beklagten einen Kündigungsgrund verwirklicht, kommt es ebenso wenig an, wie darauf, ob ein gerechtfertigter Entlassungsgrund gesetzt wurde.
7. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Textnummer
E125798European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00038.19Z.0724.000Im RIS seit
13.08.2019Zuletzt aktualisiert am
16.12.2019