TE Lvwg Erkenntnis 2019/7/18 VGW-151/032/8245/2019

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.07.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

18.07.2019

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
E2D Assoziierung Türkei
E2D E02401013
E2D E05204000
E2D E11401020

Norm

NAG §64 Abs1
NAG §64 Abs2
NAG §64 Abs3
ARB 1/80 Art. 6 Abs1
ARB 1/80 Art. 13
ARB 1/80 Art. 14

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Beschwerde des A. B. (geb.: 1992, StA.: Türkei), vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 25. März 2019, Zl. ..., mit welchem der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Student" gemäß § 64 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG iVm § 8 Z 8b Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz- Durchführungsverordnung – NAG-DV iVm § 74 Abs. 6 Universitätsgesetz – UG abgewiesen wurde,

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 64 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 56/2018, iVm § 8 Z 8 lit. b Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung, BGBl. II 451/2005 idF BGBl. II 229/2018, iVm § 74 Abs. 6 Universitätsgesetz, BGBl. I 120/2002 idF BGBl. I 129/2017, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist die ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Entscheidungsgründe

I.   Verfahrensgang

1.       Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Verlängerungsantrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Student" vom 22. Jänner 2018 – mit näherer Begründung – abgewiesen.

2.       Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde des Beschwerdeführers vom 29. April 2019.

3.       Die belangte Behörde nahm von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung Abstand und legte die Beschwerde samt dem bezughabenden Verwaltungsakt dem Verwaltungsgericht Wien vor.

II. Sachverhalt

1. Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

Der am …1992 geborene Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Zuletzt hatte er eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende (nunmehr: Studenten) mit dem Gültigkeitszeitraum von 27. Februar 2017 bis 27. Februar 2018 inne. Am 22. Jänner 2018 stellte er den gegenständlichen Verlängerungsantrag.

Der Beschwerdeführer ist seit 30. November 2012 als ordentlicher Studierender zum Bachelorstudium ... an der Universität ... zugelassen.

Im Studienjahr 2017/2018 legte der Beschwerdeführer in seinem Studium an der Universität ... die Prüfungen "C." und "D." im Ausmaß von jeweils 1,5 Semesterwochenstunden bzw. zwei ECTS positiv ab.

Weiters besuchte der Beschwerdeführer Englischkurse am Sprachenzentrum der Universität ... im Ausmaß von insgesamt sechs Semesterwochenstunden bzw. sechs ECTS und legte darüber am 2. August 2018 und am 20. September 2018 positive Prüfungen ab. Eine Anrechnung dieser Sprachkurse in seinem Bachelorstudium ... an der Universität ... erfolgte nicht.

Der Beschwerdeführer war in den letzten Jahren immer wieder geringfügig unselbständig beschäftigt, zuletzt auf Grund einer Beschäftigungsbewilligung des Arbeitsmarktservice Wien vom 20. November 2018 für den Zeitraum 26. November 2018 bis 25. November 2019. Der Beschwerdeführer ist dieser Beschäftigungsbewilligung entsprechend seit 26. November 2018 für eine unselbständige Beschäftigung zur Sozialversicherung gemeldet, davor bestand eine beschäftigungslose Zeit vom 29. Juni 2018 bis zum 25. November 2018.

Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer zu Handen seiner im behördlichen Verfahren bevollmächtigten Vertreterin am 1. April 2019 zugestellt, die Beschwerde wurde am 29. April 2019 dem Zustelldienst übergeben.

2. Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, Würdigung des Beschwerdevorbringens, Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen und Einholung eines Sozialversicherungsdatenauszugs des Beschwerdeführers.

Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ergibt sich im Wesentlichen aus dem unbedenklichen Akteninhalt und den eigenen Angaben des Beschwerdeführers, welche vom Verwaltungsgericht Wien als wahr unterstellt werden und zudem mit den im Verwaltungsakt einliegenden Unterlagen übereinstimmen. Insbesondere die Prüfungsleistungen des Beschwerdeführers lassen sich aus den von ihm vorgelegten Zeugnissen erkennen. Eine Anerkennung seiner Sprachkurse in seinem Bachelorstudium ... hat der Beschwerdeführer nicht behauptet und dazu auch keine Unterlagen vorgelegt.

Der vom Verwaltungsgericht Wien eingeholte Sozialversicherungsdatenauszug deckt sich mit den Daten der im behördlichen Akt enthaltenen früheren Auszüge und steht mit der vom Beschwerdeführer vorgelegten Beschäftigungsbewilligung des Arbeitsmarktservice im Einklang.

Die Feststellungen zur Zustellung des angefochtenen Bescheids und der Postaufgabe der Beschwerde gründen im Wesentlichen auf den eigenen Angaben des Beschwerdeführers. Aus dem behördlichen Akt ist zwar eine Zustellverfügung des angefochtenen Bescheids an den Beschwerdeführer zu Handen seiner Vertreterin ersichtlich, ein diesbezüglicher Rückschein fehlt jedoch. Infolge der Unvollständigkeit der Aktenlage waren die Feststellungen zur Zustellung daher anhand der Angaben des Beschwerdeführers zu treffen.

III. Rechtliche Beurteilung

1.       Anzuwendende Rechtsvorschriften:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 56/2018, lauten:

"Studenten

§ 64. (1) Drittstaatsangehörigen ist eine Aufenthaltsbewilligung als Student auszustellen, wenn sie

         […]

         2. ein ordentliches Studium an einer Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität, öffentlichen oder privaten Pädagogischen Hochschule gemäß dem Hochschulgesetz 2005, BGBl. I Nr. 30/2006, absolvieren,

         […]

(2) Dient der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen der Durchführung eines ordentlichen oder außerordentlichen Studiums, ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung für diesen Zweck nur zulässig, wenn dieser nach den maßgeblichen studienrechtlichen Vorschriften einen Studienerfolgsnachweis der Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität oder Pädagogischen Hochschule erbringt und in den Fällen des Abs. 1 Z 4 darüber hinaus spätestens innerhalb von zwei Jahren die Zulassung zu einem Studium gemäß Abs. 1 Z 2 nachweist. Dient der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen der Durchführung einer gesetzlich verpflichtenden fachlichen Ausbildung gemäß Abs. 1 Z 7, ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung zu diesem Zweck nur zulässig, wenn der Drittstaatsangehörige einen angemessenen Ausbildungsfortschritt nach Maßgabe der der jeweiligen Ausbildung zugrundeliegenden gesetzlichen Vorschriften erbringt. Liegen Gründe vor, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind, kann trotz Fehlens des Studienerfolges oder Ausbildungsfortschrittes eine Aufenthaltsbewilligung verlängert werden."

§ 8 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung – NAG-DV, BGBl. II 451/2005 idF BGBl. II 229/2018, lautet (auszugsweise):

"Weitere Urkunden und Nachweise für Aufenthaltsbewilligungen

§ 8. Zusätzlich zu den in § 7 genannten Urkunden und Nachweisen sind dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung folgende weitere Urkunden und Nachweise anzuschließen:

         […]

         8. für eine Aufenthaltsbewilligung 'Student':

         a) […]

         b) im Fall eines Verlängerungsantrages ein schriftlicher Nachweis der Universität, der Fachhochschule, der akkreditierten Privatuniversität oder der öffentlichen oder privaten Pädagogischen Hochschule über den Studienerfolg im vorangegangenen Studienjahr, insbesondere ein Studienerfolgsnachweis gemäß § 74 Abs. 6 des Universitätsgesetzes 2002 (UG), BGBl. I Nr. 120 idF BGBl. I Nr. 56/2018 sowie ein aktuelles Studienblatt und eine Studienbestätigung gemäß § 62 Abs. 4 UG; im Fall des § 64 Abs. 1 Z 4 NAG zusätzlich ein Nachweis über die Zulassung zu einem Studium gemäß § 64 Abs. 1 Z 2 NAG innerhalb von zwei Jahren;

[…]"

Die im Beschwerdefall maßgebliche Bestimmung des Universitätsgesetzes 2002 – UG 2002, BGBl. I 120/2002 idF BGBl. I 129/2017, lautet:

"Zeugnisse

§ 74. (1) bis (5) […]

(6) Die Universität hat einer oder einem ausländischen Studierenden ab dem zweiten Studienjahr auf Antrag der oder des Studierenden einen Studienerfolgsnachweis auszustellen, sofern sie oder er im vorausgegangenen Studienjahr positiv beurteilte Prüfungen im Umfang von mindestens 16 ECTS-Anrechnungspunkten oder 8 Semesterwochenstunden abgelegt hat."

2.       Die Beschwerde wurde innerhalb der Beschwerdefrist erhoben und ist damit rechtzeitig. Vor dem Hintergrund dieser Annahme kann der vom Beschwerdeführer in der Stellungnahme vom 16. Juli 2019 gestellte Eventualantrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für den Fall, dass "die Beschwerdefrist versäumt worden" sei, unerledigt bleiben (vgl. zum Eventualantrag VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0119).

3.       Der Beschwerdeführer begehrt eine Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung als Student. Für eine solche Verlängerung muss er neben den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 64 Abs. 2 NAG erfüllen.

4.       Gemäß § 64 Abs. 2 NAG ist bei Studierenden im Verlängerungsfall ein entsprechender Studienerfolgsnachweis zu erbringen. Der Studienerfolg ist nicht für die gesamte bisherige Studienlaufbahn zu prüfen, sondern lediglich für das vorangegangene Studienjahr. Das ist grundsätzlich dasjenige, das vor dem Gültigkeitsende des bestehenden Aufenthaltstitels liegt (vgl. zur Vorgängerbestimmung des § 64 Abs. 3 NAG VwGH 21.1.2016, Ra 2015/22/0094). Das Verwaltungsgericht kann jedoch das jüngst abgeschlossene Studienjahr als maßgeblich heranziehen kann, wenn während des anhängigen Verlängerungsverfahrens ein weiteres Studienjahr vollendet wurde (VwGH 16.1.2018, Ra 2017/22/0219).

Der zuletzt erteilte Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers war bis 27. Februar 2018 gültig. Das letzte vor diesem Gültigkeitsende abgeschlossene Studienjahr war das Studienjahr 2016/2017 (vgl. zum genauen Zeitraum des Studienjahrs § 52 Abs. 1 Universitätsgesetz). Während des verwaltungsbehördlichen bzw. -gerichtlichen Verfahrens wurde ein weiteres Studienjahr abgeschlossen, weshalb die Studienleistungen des Beschwerdeführers im Studienjahr 2017/2018 der Beurteilung des Studienerfolgs zugrunde zu legen sind. Die Studienleistungen im laufenden Studienjahr sind hingegen nicht zu berücksichtigen, weil es auf den Nachweis über den Studienerfolg im vorangegangenen Studienjahr ankommt (VwGH 19.4.2016, Ro 2015/22/0004).

Im Beschwerdefall hat der Beschwerdeführer im maßgeblichen Studienjahr 2017/2018 Studienleistungen in seinem Bachelorstudium ... an der Universität ... im Ausmaß von insgesamt drei Semesterwochenstunden bzw. vier ECTS erlangt. Insofern er auf am Sprachenzentrum der Universität ... absolvierte Englischkurse verweist, verkennt der Beschwerdeführer, dass für den Studienerfolg nach den maßgeblichen studienrechtlichen Vorschriften nicht jegliche Prüfungen im Ausmaß von zumindest acht Semesterwochenstunden bzw. 16 ECTS-Punkten hinreichend sind, sondern es sich um Prüfungen handeln muss, die nach dem relevanten Curriculum abzulegen und somit für den Abschluss des Studiums erforderlich sind (VwGH 11.2.2016, Ra 2015/22/0095). Eine Anrechnung von (an einer anderen Universität abgelegten) Prüfungen kann grundsätzlich für den Nachweis des Studienerfolgs von Bedeutung sein (VwGH 11.3.2019, Ra 2019/22/0014). Im Beschwerdefall wurden die vom Beschwerdeführer besuchten Sprachkurse in dem von ihm verfolgten Studium nicht angerechnet, eine Berücksichtigung diese Kurse für die Beurteilung des Studienerfolgs hat schon aus diesem Grund zu unterbleiben.

Der erforderliche Studienerfolg im maßgeblichen Studienjahr ist daher nicht gegeben.

5.       Gemäß § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG kann trotz Fehlens des Studienerfolges eine Aufenthaltsbewilligung verlängert werden, wenn Gründe vorliegen, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt es allein im Einflussbereich eines Studierenden, innerhalb des von der Universität vorgegebenen Studienplans zu bestimmten Zeiten Prüfungen absolvieren zu können. Im Rahmen der einem Studierenden zustehenden Lernfreiheit hat ein Student bei den Prüfungsvorbereitungen selbst dafür Sorge zu tragen, dass die positive Ablegung von Prüfungen – bezogen auf das im NAG verlangte Ausmaß – jedenfalls möglich ist (vgl. VwGH 24.4.2012, 2009/22/0236, wie auch VwGH 18.3.2010, 2009/22/0129 und 22.9.2009, 2009/22/0198).

Im Beschwerdefall liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführer durch ein solches unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis an der Erbringung seines Studienerfolgs gehindert worden wäre.

5.       Bei Fehlen einer für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels notwendigen besonderen Erteilungsvoraussetzung muss weder das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen geprüft noch eine Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG vorgenommen werden (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung VwGH 17.10.2016, Ra 2016/22/0065, uva). Entgegen dem Beschwerdevorbringen spielt es folglich keine Rolle, ob der Beschwerdeführer "nachhaltig im Bundesgebiet integriert ist".

6.       Insofern der Beschwerdeführer auf die Stillhalteklausel des ARB 1/80 verweist, ist zunächst darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer mangels eines durchgehenden Jahres ordnungsgemäßer Beschäftigung bei dem gleichen Arbeitgeber keine Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 ableiten kann (vgl. VwGH 19.4.2012, 2010/18/0426). Zudem könnte auch aus Art. 6 ARB 1/80 kein Anspruch auf Verlängerung einer bestehenden Aufenthaltsbewilligung "Student" ungeachtet dessen, dass deren Voraussetzungen nicht vorliegen, abgeleitet werden (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung VwGH 13.12.2018, Ro 2018/22/0004).

Der Beschwerdeführer sieht in Hinblick auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 das Erfordernis einer bestimmten Anzahl an Semesterwochenstunden bzw. ECTS für die Beurteilung des Studienerfolgs als eine gegenüber früheren Rechtslagen unzulässige Verschärfung an.

Die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 steht grundsätzlich der Anwendung von neuen Beschränkungen wie etwa eines neu eingeführten Erfordernisses des Nachweises von Deutschkenntnissen entgegen. Eine nationale Regelung fällt nur insoweit in den Anwendungsbereich der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80, als sie geeignet ist, die Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates durch türkische Arbeitnehmer zu beeinträchtigen (vgl. VwGH 9.8.2018, Ra 2017/22/0111). Nach Art. 13 ARB 1/80 ist zu beurteilen, ob für den Fremden als türkischen Staatsangehörigen eine Verschlechterung seiner Rechtsstellung in Ansehung eines bestimmten Versagungsgrundes nach dem Inkrafttreten des Zusatzprotokolls eingetreten ist (vgl. grundlegend VwGH 15.5.2012, 2010/18/0454).

In Hinblick auf den Wortlaut des Art. 13 ARB 1/80 stellt sich die Frage, ob der Aufenthalt des Beschwerdeführers auf Grundlage seiner Aufenthaltsbewilligung als Student ohne Erbringung entsprechender Studienleistungen überhaupt noch als "ordnungsgemäß" im Sinne von Art. 13 ARB 1/80 anzusehen ist. Was den Begriff "ordnungsgemäß" im Sinne dieser Bestimmung betrifft, so bedeutet dieser nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass der türkische Arbeitnehmer oder sein Familienangehöriger die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats über die Einreise, den Aufenthalt und gegebenenfalls die Beschäftigung beachtet haben muss, so dass seine Lage im Hoheitsgebiet dieses Staats rechtmäßig ist. Demnach kann diese Bestimmung einem türkischen Staatsangehörigen, dessen Lage rechtswidrig ist, nicht zugutekommen (EuGH C. Demir C-225/12, Rz. 35).

Der Beschwerdeführer hält sich derzeit mit einer Aufenthaltsbewilligung "Student" in Österreich auf. Wenngleich ihm nach § 64 Abs. 3 NAG die Ausübung einer Erwerbstätigkeit entsprechend der Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes grundsätzlich gestattet ist, darf damit der ausschließliche Aufenthaltszweck der Verfolgung des Studiums nicht beeinträchtigt werden. Im Beschwerdefall liegt nun nach den nationalen Bestimmungen kein Studienerfolg (mehr) vor, die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats über den Aufenthalt – konkret dient der Aufenthaltszweck entgegen § 64 Abs. 3 NAG offensichtlich nicht mehr ausschließlich der Verfolgung des Studiums – wurden somit nicht beachtet, weshalb sich der Beschwerdeführer in weiterer Folge mangels ordnungsgemäßen Aufenthalts auch nicht auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 berufen kann.

Darüber hinaus wäre eine Beschränkung des Aufenthaltsrechts türkischer Arbeitnehmer durch nationale Rechtsvorschriften gemäß Art. 14 ARB 1/80 zulässig, wenn dies aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt ist. Mit dem Erfordernis, dass Studierende ihren Aufenthaltstitel nur bei Vorliegen entsprechenden Studienerfolgs und somit nur dann, wenn sie ihr Studium tatsächlich zielstrebig betreiben, verlängert erhalten, wird aus Sicht des Verwaltungsgerichts Wien zweifellos das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens verfolgt; andernfalls würde eine einmalige Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Student" an türkische Staatsangehörige deren Aufenthaltsrecht auf unbestimmte Zeit perpetuieren, ohne dass diese jemals ein Studium betreiben oder einer regelmäßigen Beschäftigung nachgehen müssen. Eine Beschränkung durch das Erfordernis des Nachweises von Studienleistungen wäre angesichts der ohnehin geringen Anforderungen an einen Studienerfolgsnachweis iSd § 74 Abs. 6 Universitätsgesetz auch verhältnismäßig und damit zulässig iSd Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80.

7.       Die Ablehnung des Verlängerungsantrags des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde erfolgte daher zu Recht; die dagegen gerichtete Beschwerde ist als unbegründet abzuweisen.

8.       Diese Entscheidung konnte – ungeachtet des Antrags des Beschwerdeführers – gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden, weil der entscheidungserhebliche Sachverhalt unstrittig anhand der Aktenlage und des Beschwerdevorbringens festgestellt werden konnte. In einem solchen Fall ist von vornherein absehbar, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann (VwGH 16.11.2015, Ra 2015/12/0026). Im Übrigen berührt die Versagung eines Aufenthaltstitels kein civil right iSd Art. 6 EMRK (VwGH 15.6.2010, 2009/22/0347).

9.       Die ordentliche Revision ist zulässig, weil – soweit für das Verwaltungsgericht Wien überblickbar – keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu vorliegt, ob es sich beim Erfordernis des Nachweises von Studienerfolg gemäß § 64 Abs. 2 NAG um eine von Art. 13 ARB 1/80 erfasste Verschärfung handelt bzw. ob eine solche Verschärfung nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gerechtfertigt ist. Angesichts dessen, dass es sich bei diesen Fragen um keine Spezifika des Einzelfalls handelt, liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG vor.

Schlagworte

Verlängerungsantrag; Studienerfolgsnachweis; Stillhalteklausel; Erwerbstätigkeit; ordnungsgemäßer Aufenthalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.151.032.8245.2019

Zuletzt aktualisiert am

09.08.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten