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19/05 MenschenrechteNorm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Revisionssache des X Y in Z, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Jänner 2019, W123 2187220-1/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 9. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er zunächst damit, dass seine Eltern verstorben seien. Er habe schließlich bei seinem Onkel gelebt, der gemeint habe, es sei für ihn besser, zu seinem Bruder nach Österreich zu reisen. In weiterer Folge gab er zusammengefasst an, dass er Verfolgung und Blutrache durch die Taliban fürchte, weil sein Vater ein Kommandant der Mujaheddin gewesen sei und sein Bruder in der afghanischen Armee gedient habe.
2 Mit Bescheid vom 24. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten ab. Die Behörde erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 In seiner Begründung legte das BVwG ausführlich dar, dass der Revisionswerber weder eine ihm drohende aktuelle noch eine zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung habe glaubhaft machen können. Dem Revisionswerber sei es möglich, sich zumindest in den Städten Mazar-e-Sharif und Herat eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern sowie eine einfache Unterkunft zu finden. 5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 8 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zunächst zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe sich nicht mit den Beweisanträgen auseinandergesetzt und entgegen den ausdrücklichen Anträgen weder die Schwägerin noch den Bruder des Revisionswerbers als Zeugen einvernommen.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 1.3.2019, Ra 2018/18/0552, mwN). Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ist - um die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzulegen - in der Revision konkret darzulegen, was die betreffenden Personen im Fall ihrer Vernehmung aussagen hätten können und welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/22/0280, mwN).
10 Fallbezogen erfüllt die Zulässigkeitsbegründung die oben dargelegten Anforderungen nicht. Soweit die Revision rügt, das BVwG hätte entsprechend dem ausdrücklich gestellten Beweisantrag die in Wien lebende Schwägerin des Revisionswerbers zum Vorfall, bei dem sich der Revisionswerber anlässlich eines Überfalls der Taliban, die auf der Suche nach deren Ehemann und dem Revisionswerber gewesen seien in einem Mehlbehälter vor den Taliban versteckt habe, befragen müssen, wird das Vorliegen eines Verfahrensfehlers behauptet, dessen Relevanz in der Revision allerdings nicht aufgezeigt wird. Das BVwG hat mit eingehender Begründung verneint, dass die Taliban an der Person des Revisionswerbers (noch) ein Interesse zeigen würden und infolge dessen auch eine aktuelle asylrelevante Verfolgungsgefahr verneint. Auf die Frage der Ereignisse des Überfalls im Jahr 2010 kommt es ausgehend davon daher nicht an. Auch hinsichtlich der gerügten Unterlassung der Einvernahme des Bruders des Revisionswerbers fehlt eine Relevanzdarstellung.
11 Die Revision führt Ermittlungsfehler bei der Beurteilung der Aktualität der Verfolgungsgefahr des Revisionswerbers aufgrund einer drohenden Blutrache ins Treffen. Das BVwG habe es unterlassen, das Gutachten des länderkundigen Sachverständigen im Asylverfahren des Bruders des Revsionswerbers zu berücksichtigen und einen länderkundigen Sachverständigen entsprechend dem Antrag des Revisionswerbers einzubeziehen und Feststellungen zur Situation der Blutrache in Afghanistan zu treffen. Die Revision unterlässt es aber (auch) hier, die Relevanz des behaupteten Ermittlungsmangels darzustellen, insbesondere verabsäumt es der Revisionswerber konkret darzulegen, warum er - nachdem die Ausreise seines Bruders aus Afghanistan bereits acht Jahre zurückliegt - noch immer einem Risiko einer Blutrache ausgesetzt wäre. Dem in der Revision betreffend Blutfehden zitierten Auszug aus den Afghanistan betreffenden UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 ist zur Frage der Dauer der Gefährdung bei in Blutfehden verwickelten Personen nichts zu entnehmen. Eine unvertretbare Einschätzung durch das BVwG zeigt die Revision nicht auf.
12 Darüber hinaus wendet sich die Revision zwar gegen die mangelnde Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Revisionswerbers bei Erleben der vorgebrachten Fluchtgründe, tritt jedoch der ausführlichen Beweiswürdigung des BVwG nicht konkret entgegen und zeigt auch nicht auf, welche konkreten Erwägungen vor dem Hintergrund der Minderjährigkeit des Revisionswerbers anzustellen gewesen wären. Somit legt die Revision nicht dar, dass das BVwG die Beweiswürdigung in einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden unvertretbaren Weise vorgenommen habe (VwGH 21.3.2018, Ra 2017/18/0372, mwN).
13 Die Revision führt zur Begründung der Zulässigkeit weiters die Nichtberücksichtigung der aktuellen Richtlinien des UNHCR vom 30. August 2018 ins Treffen, welche eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul grundsätzlich verneinen sowie in Bezug auf andere afghanische Städte - mit näher dargestellten Argumenten - problematisieren und von der sorgfältigen Prüfung für den jeweiligen bestimmten Antragsteller abhängig machen würden. 14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es nicht aus, die Heranziehung veralteter Länderberichte zu behaupten, ohne die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels darzulegen (vgl. VwGH 20.6.2017, Ra 2017/01/0076, mwN). Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensmängel ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 4.5.2018, Ra 2018/01/0178, mwN). Da sich das BVwG in seiner Begründung auch auf die Möglichkeit der Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar-e Sharif stützt, wird die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels, soweit die Revision der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul entgegentritt, nicht aufgezeigt. Auch lässt sich dem Vorbringen unter Wiedergabe der UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 in der Zulässigkeitsbegründung, wonach Afghanistan mit der seit Jahrzehnten schlimmsten Dürre konfrontiert sei und zu den am stärksten betroffenen Provinzen Balkh und Herat gehören würden, keine Relevanzdarstellung im Sinn der zitierten Rechtsprechung entnehmen.
15 Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof jüngst festgehalten, dass die in den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 enthaltenen Ausführungen nicht dazu zu führen haben, dass von vornherein jegliche Rückkehr eines afghanischen Staatsangehörigen in sein Heimatland als gegen Art. 3 EMRK verstoßend anzusehen wäre. Der UNHCR hat sich in den genannten Richtlinien einer eigenen Einschätzung enthalten, ob die Städte Mazar-e Sharif und Herat angesichts der gegenwärtigen Sicherheits- , Menschenrechts- und humanitären Lage als interne Schutzalternativen grundsätzlich nicht verfügbar sind und vertritt die Auffassung der Notwendigkeit einer ausreichend auf den Einzelfall bezogenen Prüfung (vgl. VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 134 ff).
16 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei der Beurteilung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative, deren Inanspruchnahme auch zumutbar ist, zur Verfügung steht, letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, mwN). Dass die hier vom BVwG vorgenommene Beurteilung unvertretbar wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Vor dem Hintergrund der fallbezogenen Feststellungen, beim Revisionswerber handle es sich um einen gesunden, ledigen, arbeitsfähigen und jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne, dieser könne auf eine Berufserfahrung im Bereich der Landwirtschaft sowie eine siebenjährige Schulbildung zurückgreifen und spreche die landesübliche Sprache Dari als Muttersprache, werden keine besonderen Umstände dargetan, weshalb ein Leben in Herat oder Mazar-e-Sharif als innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar sein sollte (vgl. VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0149, mwN). Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um das Bestehen einer innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, mwN). Wenn der Revisionswerber geltend macht, dass er zwar als Kind in der elterlichen Landwirtschaft mitgeholfen habe, aber ab dem Jahr 2010 keine landwirtschaftlichen Tätigkeiten ausgeübt habe, vermag er mit diesem Vorbringen nicht aufzuzeigen, dass sich das BVwG bei seiner Beurteilung von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien - zudem in unvertretbarer Weise - entfernt hätte. 17 Insoweit sich der Revisionswerber gegen die Rückkehrentscheidung richtet, ist anzumerken, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 5.11.2018, Ra 2018/14/0166, mwN). Es gelingt der Revision nicht darzulegen, dass die vom BVwG vorgenommene und auf die Umstände des Einzelfalls ausreichend Bedacht nehmende Interessenabwägung in unvertretbarer Weise erfolgt wäre. Betreffend das Vorbringen, wonach zwischen dem Revisionswerber und seinem in Österreich lebenden Bruder ein sehr enger Kontakt bestehe, ist auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach familiäre Beziehungen unter Erwachsenen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK fallen, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. etwa VwGH 2.1.2017, Ra 2016/18/0235, mwN; zum Vorliegen eines Familienlebens iSd Art. 8 EMRK unter erwachsenen Geschwistern vgl. VwGH 8.9.2016, Ra 2015/20/0296, mwN). In diesem Zusammenhang vermag die Revision nicht darzulegen, dass die Annahme des BVwG, es liege fallbezogen kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Familienleben unter Erwachsenen im Sinn von Art. 8 EMRK vor, unvertretbar wäre.
18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 27. Juni 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019140085.L00Im RIS seit
09.08.2019Zuletzt aktualisiert am
09.08.2019