TE Vfgh Beschluss 1996/12/5 B2354/96

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Veröffentlicht am 05.12.1996
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §34
ZPO §530 Abs1 Z7

Leitsatz

Wiederaufnahme eines Beschwerdeverfahrens infolge Hervorkommen eines unrichtig angegebenen Zustelldatums des angefochtenen Bescheides; Aufhebung des die Beschwerde als verspätet zurückweisenden Beschlusses des Verfassungsgerichtshofs; Ablehnung der Beschwerdebehandlung

Spruch

I. Das mit Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 29. Juni 1996 B2054/96-3 abgeschlossene Beschwerdeverfahren wird wiederaufgenommen.

II.                                 Der Beschluß des

Verfassungsgerichtshofes vom 29. Juni 1996 B2054/96-3 wird aufgehoben.

III.        Die Behandlung der Beschwerde

wird abgelehnt.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit Eingabe vom 25. Juni 1996, welche am selben Tag zur Post gegeben wurde, erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. April 1996, Z116.728/2-III/11/95, gemäß Art144 B-VG. Nach den Angaben des Beschwerdeführers wurde der angefochtene Bescheid seiner Rechtsvertreterin am 4. Mai 1996 zugestellt.

2. Mit Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 29. Juni 1996 B2054/96-3 wurde diese Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdefrist zurückgewiesen.

3. Mit Eingabe vom 22. Juli 1996, welche am selben Tag zur Post gegeben wurde, stellt der Beschwerdeführer nunmehr den Antrag, "in Berichtigung des Zustelldatums den Zurückweisungsbeschluß aufzuheben und über die Beschwerde zu entscheiden; in eventu (ihm) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Beschwerde zu bewilligen".

Der Beschwerdeführer führt begründend aus, daß in der Beschwerde vom 25. Juni 1996 hinsichtlich der Angabe des Zustelldatums des angefochtenen Bescheides ein Schreibfehler unterlaufen sei. Der angefochtene Bescheid sei nicht am 4. Mai 1996, sondern am 14. Mai 1996 zugestellt worden. Das Datum 4. Mai 1996 sei offenbar aufgrund eines Hörfehlers vom Diktat geschrieben worden. Offenbar sei dieser Fehler auch bei der Kontrolle nicht bemerkt worden, weil der Eingangsstempel der Rechtsanwaltskanzlei seiner Rechtsvertreterin auf dem angefochtenen Bescheid mit handschriftlichen Zusätzen versehen worden sei. So habe es geschehen können, daß man die Ziffer 1 vor der Ziffer 4 nicht wahrnahm. Jedenfalls sei der Bescheid am 14. Mai 1995 zugestellt und die Beschwerde somit rechtzeitig eingebracht worden.

II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen (zB VfSlg. 11041/1986, 12306/1990), daß die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes - insbesondere auch seine Beschlüsse - endgültig sind, sofern es sich nicht um Fälle der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Wiederaufnahme des Verfahrens handelt. Da das VerfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Wiederaufnahme des Verfahrens in seinen §§33 und 34 nicht selbst regelt, hat der Verfassungsgerichtshof die entsprechenden Bestimmungen der ZPO (§§146 und 530 ff) sinngemäß anzuwenden.

1.1. Ein Wiedereinsetzungsgrund ist nach §146 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG dann gegeben, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (am rechtzeitigen Erscheinen bei einer Tagsatzung oder) an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Ein Verschulden der Partei an der Versäumung hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl. VfSlg. 11267/1987). Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher nur zulässig, wenn eine Frist für die Vornahme einer Prozeßhandlung tatsächlich versäumt wurde (vgl. VfSlg. 11244/1987).

1.2. Die Bewilligung der Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens wegen des Vorliegens des - hier allein in Frage kommenden - Wiederaufnahmegrundes gemäß §530 Abs1 Z7 ZPO (iVm §35 Abs1 VerfGG) setzt voraus, daß "die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel neu auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeigeführt haben würde". Die Wiederaufnahme findet weiters nur statt, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung, auf welche das Urteil der ersten Instanz erging, geltend zu machen (§530 Abs2 ZPO).

In VfSlg. 11267/1987 (so auch VfGH 13.6.1995 B 1568-1570/95) hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß Zustelldaten, welche zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinbringung aktenkundig sind, keine neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel darstellen.

2. Die unrichtige Angabe des dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinbringung bekannten Zustelldatums des angefochtenen Bescheides, die - ausgehend von den unter I.3. angeführten Umständen - offenbar durch einen Hörfehler der Sekretärin verursacht und auch nicht bei der Kontrolle wahrgenommen wurde, führte zur Zurückweisung der Beschwerde wegen verspäteter Beschwerdeerhebung, welche - objektiv gesehen - nicht vorlag. In einem solchen Fall ist das Hervorkommen der irrigen Datumsangabe dem Fall des Auffindens neuer Tatsachen oder Beweismittel gleichzuhalten. Auch der OGH sieht sich zu einer sinngemäßen Anwendung des §530 Abs1 Z7 ZPO (neben §419 ZPO) veranlaßt, wenn ein Rechtsmittel wegen einer unrichtigen Datumsangabe im Vorlagebericht des Erstgerichtes als verspätet zurückgewiesen wird (30.9.1987 SZ 60/192). Soweit die bisherigen Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes auf einer anderen Rechtsauffassung beruhen (VfSlg. 11267/1987, 13649/1993, VfGH 13.6.1995 B 1568-1570/95), wird diese nicht aufrechterhalten.

Die Verwendung des "richtigen" Zustelldatums in der Beschwerde wäre auch geeignet gewesen, die Zurückweisung der Beschwerde zu verhindern. Es hätte dadurch eine günstigere Entscheidung in der Hauptsache ergehen können (vgl. VfSlg. 12451/1990).

Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers betreffend die Umstände, die zur Falschangabe des Zustelldatums in der Beschwerde geführt haben, kann nicht angenommen werden, daß der Beschwerdeführer (bzw. sein Rechtsvertreter) die ihm vom Gesetz auferlegte Sorgfalt bei der Angabe des Zustelldatums außer Acht gelassen hat. Der Verfassungsgerichtshof geht daher von einer unverschuldeten Falschangabe aus.

Der Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 29. Juni 1995 B2054/96-3 war aus diesen Gründen - unter sinngemäßer Anwendung des §530 Abs1 Z7 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG - aufzuheben.

III. Zur Beschwerde:

Die zu B2054/96 eingebrachte Beschwerde wurde rechtzeitig eingebracht, weil sie innerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist, die mit 14. Mai 1996 zu laufen begann, erhoben wurde (§73 Abs2 ZPO iVm §35 VerfGG).

Der Verfassungsgerichtshof lehnt jedoch die Behandlung der Beschwerde ab:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde rügt die Verletzung des gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Die gerügte Rechtsverletzung wäre im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen. Die Sache ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 VerfGG); bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

IV. Diese Beschlüssen konnten ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden (§§19 Abs3 Z1 und 34 VerfGG).

Schlagworte

VfGH / Wiederaufnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B2354.1996

Dokumentnummer

JFT_10038795_96B02354_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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