TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/4 L521 2163165-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.02.2019
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Entscheidungsdatum

04.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L521 2163165-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX, Staatsangehörigkeit Türkei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.06.2017, Zl. 1142760002-170184052, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 12.11.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 11.02.2017 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung am 12.02.2017 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Oberösterreich gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger der Türkei zu sein. Er sei am XXXX in der Provinz Mardin geboren und habe zuletzt in Istanbul im Stadtteil XXXX gelebt, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und Moslem der sunnitischen Glaubensgemeinschaft sowie ledig.

Er habe in der Türkei vier Jahre die Grundschule besucht. Zuletzt sei er bis zur Ausreise als Taxifahrer beruflich tätig gewesen. Seine Mutter und vier Geschwister seien auch derzeit noch in der Türkei aufhältig.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, er habe die Türkei im Februar 2017 illegal mit dem LKW verlassen und sei dermaßen schlepperunterstützt nach Serbien gelangt. Von Serbien aus sei er mit dem PKW nach Österreich verbracht worden und dann mit der Eisenbahn nach Deutschland gereist. Dort sei er am 11.02.2017 aufgegriffen und ihm die Einreise verweigert worden. Er habe ursprünglich nach Belgien gelangen wollen, da er dort Bekannte habe.

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, er sei aufgrund seiner Mitgliedschaft zur kurdischen Partei Halklarin Demokratik Partisi (HDP) festgenommen worden und von 2012 bis 2014 für zweieinhalb Jahre in der Türkei im Gefängnis gewesen. Er sei dann auf Kaution freigelassen worden, in der Folge jedoch zu siebzehn Jahren bedingter Haft verurteilt worden, wobei das Verfahren noch nicht abgeschlossen sei. Er habe nach etwa drei Jahren die finanziellen Mittel erlangt, um die Türkei zu verlassen und seiner Strafe zu entgehen. Er habe Angst, im Falle seiner Rückkehr die siebzehn jährige Haftstrafe absitzen zu müssen.

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 26.05.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in kurdischer und türkischer Sprache niederschriftlich von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben und der Einvernahme folgen zu können.

Zur Person befragt gab der Beschwerdeführer an, am XXXX im Dorf XXXX in der Provinz Mardin geboren zu sein. Er sei türkischer Staatsangehöriger, bekenne sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung, sei Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, ledig und kinderlos. Sein Vater sei verstorben, seine Mutter lebe derzeit in Istanbul. Er habe vier Geschwister, zwei Brüder und zwei Schwestern, die ebenfalls in Istanbul leben würden. In seinem Heimatdorf habe er darüber hinaus noch Onkeln und Tanten. Er habe zuletzt in XXXX in Istanbul unter der Adresse XXXX zusammen mit seiner Mutter einer Schwester und einem Bruder gewohnt. Er habe zu seinen Verwandten auch wöchentlich telefonischen Kontakt. In Österreich habe der Beschwerdeführer keine Verwandten oder Personen, zu denen er ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis unterhalte. Seinen Lebensunterhalt in der Türkei habe er durch die Arbeit in einer Schneiderei bestritten.

Zum Ausreisegrund befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er am 07.02.2012 zum ersten Mal verhaftet worden sei und dann cirka zweieinhalb Jahre im Gefängnis angehalten worden wäre. Er sei aufgrund des damaligen Friedensprozesses mit den Kurden im Jahr 2014 enthaftet worden. Ein Jahr später sei er im betreffenden Strafverfahren zu einer Haftstrafe in der Höhe von siebzehn Jahren verurteilt worden. Es sei höchstwahrscheinlich gewesen, dass er erneut inhaftiert werde. Überdies sei es ihm psychisch in seiner Heimat sehr schlecht gegangen, weil es in seiner Stadt mitten in der Nacht und in der Früh jahrelang zu Sicherheitskontrollen gekommen sei. Nach der Entlassung aus der Haft habe der Beschwerdeführer einen Einberufungsbefehl vom türkischen Militär erhalten, er habe jedoch den Militärdienst verweigert, weil er aufgrund des Gefängnisaufenthaltes ängstlich gegenüber dem Staat gewesen sei. Er sei bei den häufigen Polizeikontrollen beschimpft, unterdrückt und beleidigt worden. Ferner sei er bei diesen Kontrollen absichtlich mindestens eineinhalb Stunden aufgehalten und befragt worden, was eine große Belastung für ihn dargestellt habe.

Befragt zu seiner Verurteilung gab der Beschwerdeführer an, dass er wegen der Beschädigung von Fahrzeugen, der Störung staatlichen Besitzes und Mitgliedschaft zu einer bewaffneten Terrorgruppe verurteilt worden sei. Er habe gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel erhoben. Er sei zu Unrecht verurteilt worden und habe nie an einem illegalen Ereignis teilgenommen. Die Verhaftung sei aufgrund der Teilnahme an Protesten in seiner Kindheit erfolgt, bei denen er fotografiert worden sei. Er sei deshalb zu über sechs Jahren Haft wegen Mitgliedschaft zu einer Terrorgruppe verurteilt worden, später sei dieses Verfahren mit einem weiteren Verfahren zusammengeführt worden, weswegen er insgesamt zu siebzehn Jahren Haft verurteilt worden sei.

In der Türkei könne man als Kurde immer verhaftet werden, auch wenn man unschuldig sei. Das letztinstanzliche Urteil habe er nicht abwarten können, weil er keine Informationen über dessen Rechtskraft bekäme und dann sofort verhaftet werden würde. Er sei überdies dreimal zur Musterung aufgefordert worden, sei der Aufforderung jedoch nie nachgekommen, weil er Angst vor dem Militärdienst gehabt habe. Beim Militär wäre bekannt, dass er wegen Mitgliedschaft zu einer Terrororganisation verurteilt worden sei und er würde deshalb dort beschimpft, beleidigt, unterdrückt und getötet werden. Er sei außerdem politisch für eine Bezirksorganisation der HDP aktiv gewesen und habe bei der Wahlpropaganda mitgewirkt. Seine politische Tätigkeit sei innerhalb seiner Gesellschaft bekannt gewesen, nicht aber in den Medien. Zuletzt sei er von einem Polizisten bedroht worden, wobei die Drohung darin bestanden habe, dass ein Polizist auf dem Taksim-Platz einen Arm auf seine Schulter gelegt und ihm mitgeteilt habe, er würde ihn eines Tages "hinkriegen" und verhaften.

Befragt zur Ausreise gab der Beschwerdeführer an, die Türkei vor etwa vier Monaten illegal mit einem LKW nach Serbien verlassen zu haben. Die Reise habe in etwa eine Woche gedauert. Er habe keinen Reisepass, da gegen ihn ein Auslandsreiseverbot bestehe und er deswegen keinen beantragen habe können.

Im Übrigen wurden dem Beschwerdeführer die länderkundlichen Feststellungen zur Lage in der Türkei übergeben, um hiezu gegebenenfalls eine schriftliche Stellungnahme abgeben zu können.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.06.2017, Zl. 1142760002-170184052, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs.1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs.1 iVm § 2 Abs.1 Z. 13 AsylG 2005 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei ebenso abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs.1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs.2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz - nach der Wiedergabe der Einvernahmen des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person insbesondere aus, dass die seitens des Beschwerdeführers angegebenen Gründe für das Verlassen des Heimatlandes nicht asylrelevant seien.

Sowohl die Mitgliedschaft zur HDP, als auch die Verurteilung zu einer langjährigen Haftstrafe habe der Beschwerdeführer glaubhaft darstellen können, allerdings sei gegen ihn in der Türkei ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren geführt worden und sei die verhängte Strafe unter Bestimmung einer fünfjährigen Probezeit bedingt nachgesehen worden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner Parteizugehörigkeit verfolgt werde. Ein Rechtsmittelverfahren gegen die angeführte Verurteilung sei außerdem noch anhängig und könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine politische Einmischung in das Verfahren des Beschwerdeführers zu erwarten sei, zumal der Beschwerdeführer lediglich eine untergeordnete Tätigkeit bei der HDP ausgeübt habe und hierfür (mangels Zusammenhang zur Gülen-Bewegung) nicht genug politisch exponiert sei.

Sämtliche anderen genannten Handlungen und Drohungen staatlicher Organe seien lediglich als Schikane zu bewerten und würden keine Schutzbedürftigkeit begründen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer noch wehrpflichtig sei, zudem stelle die allgemeine Wehrpflicht keine asylrelevante Verfolgung dar, zumal diese sämtliche männliche türkische Staatsangehörige unabhängig von deren Volksgruppenzugehörigkeit betreffe und auch keine gezielte systematische Diskriminierung von Minderheiten beim türkischen Militär festgestellt werden könne. Des Weiteren habe unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei dort einer realen Gefahr der Verletzung von Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen könne.

Der Beschwerdeführer verfüge im Heimatland über familiäre Anknüpfungspunkte und würde er deshalb nach seiner Rückkehr auch Unterstützungs- und Unterkunftsmöglichkeiten vorfinden. Der Beschwerdeführer könne in der Türkei wieder bei seiner Familie wohnen. Er hätte Chance auf eine Arbeit und sei wirtschaftlich genügend abgesichert. Der Beschwerdeführer würde somit nicht in eine wirtschaftlich oder finanziell ausweglose Lage geraten. Was das Privat- und Familienleben betrifft, so wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer weder die deutsche Sprache beherrsche, noch über verwandtschaftliche oder private Bezugspunkte in Österreich verfüge. Eine besondere Integration in die österreichische Gesellschaft läge nicht vor.

In der rechtlichen Beurteilung wird begründend dargelegt, warum der seitens des Beschwerdeführers vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG 2005 biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer realen Gefahr im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurde, weshalb gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt wurde, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig sei.

4. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.06.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

5. Gegen den dem Beschwerdeführer am 14.06.2017 eigenhändig zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.06.2017 richtet sich die im Wege der bevollmächtigten Rechtsberatung fristgerecht am 27.06.2017 eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser werden inhaltliche Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass ihm der Status des Asylberechtigen zuerkannt wird, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die erste Instanz zurückverweisen, in eventu ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, in eventu dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zuerkennen und die ausgesprochene Ausweisung und Rückkehrentscheidung aufheben.

In der Sache wiederholt der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Des Weiteren wird dargelegt, dass die belangte Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken habe, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrags geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrags notwendig erscheinen. Diesen Anforderungen habe die belangte Behörde nicht entsprochen.

Zur allfälligen Gewährung subsidiären Schutzes wird angemerkt, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Abschiebung die reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK drohe, und für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde und die Gefahr bestehe, dass er in eine ausweglose geraten würde. Er sei im Fall der Rückkehr einem Klima ständiger Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen sowie einer Reihe Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.

Zur Beweiswürdigung wird ausgeführt, dass sich die belangte Behörde unzureichend mit den Angaben des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe und somit eine nicht nachvollziehbare Beweiswürdigung vorgenommen habe.

6. Die Beschwerdevorlage langte am 03.07.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde zunächst der Gerichtsabteilung L513 zur Erledigung zugewiesen. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses wurde das Beschwerdeverfahren mit 13.08.2018 der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

7. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.10.2018 wurden dem Beschwerdeführer aktuelle länderkundliche Informationen zur Lage im Herkunftsstaat zur Vorbereitung der für den 12.11.2018 anberaumten mündlichen Verhandlung übermittelte. Innerhalb der eingeräumten Frist langte keine Stellungnahme des Beschwerdeführers dazu ein.

8. Mit Schreiben vom 23.10.2018 teilte die bevollmächtigte Rechtsberatung dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass sie die erteilte Vollmacht zurücklege.

9. Am 12.11.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und seines nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertreters sowie eines gerichtlich beeideten Dolmetschers für die für die türkische Sprache durchgeführt.

Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert, welche dem Beschwerdeführer ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde. Der Beschwerdeführer brachte seinerseits ein Zertifikat ÖSD A1 vom 17.07.2018, eine Anmeldebestätigung vom 18.09.2018, sowie ein Empfehlungsschreiben vom 05.11.2018 in Vorlage. Darüber hinaus wurde die vom Beschwerdeführer stellig gemachte Lebensgefährtin, XXXX, als Zeugin einvernommen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben und hat die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde mit Schreiben vom 08.11.2018 beantragt.

9. Mit Schreiben vom 14.11.2018 teilte die zuletzt bevollmächtigte Rechtsvertretung dem Bundesverwaltungsgericht mit, die ihm erteilte Vollmacht aufzulösen.

10. Mit Eingabe vom 25.11.2018 brachte der Beschwerdeführer ein Konvolut Unterlagen in türkischer Sprache in Ablichtung in Vorlage. Ferner übermittelte er eine Ablichtung seines türkischen Identitätsdokumentes und einen türkischen Strafregisterauszug. Die Unterlagen wurden in der Folge amtswegig einer Übersetzung in die deutsche Sprache zugeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer heißt XXXX und ist Staatsangehöriger der Türkei. Er wurde am XXXX im Dorf XXXX in der Provinz Mardin geboren, gehört der Volksgruppe der Kurden an und bekennt sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer besuchte in der Türkei vier Jahre lang die Grundschule. Im Alter von zehn Jahren verzog der Beschwerdeführer mit seiner Familie nach Istanbul. Bereits als Jugendlicher trat er in das Berufsleben ein und erlernte den Beruf des Schneiders, den er bis zur Ausreise ausübte und womit er seinen Lebensunterhalt bestritt. Ferner betrieb er gemeinsam mit seinem Bruder ein Jahr lang ein Lebensmittelgeschäft in Istanbul.

Am 07.02.2012 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verdachts der Begehung terroristischer Straftaten festgenommen und vom 09.02.2012 bis zum 10.06.2014 in Untersuchungshaft angehalten. Nach seiner Enthaftung arbeitete der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise neuerlich als Schneider bei Verwandten in Istanbul.

Zuletzt lebte der Beschwerdeführer im Stadtteil XXXX in Istanbul gemeinsam mit seiner Mutter und seinen drei Schwestern in einer Mietwohnung. Die Mutter des Beschwerdeführers ist Hausfrau und wird finanziell von seinen Geschwistern unterstützt. Sein Vater ist verstorben. In der Türkei leben derzeit vier Geschwister des Beschwerdeführers - ein Bruder und drei Schwestern - in der vorstehend angeführten Mietwohnung im Stadtteil XXXX in Istanbul. Sein Bruder und eine Schwester arbeiten als Schneider bzw. Schneiderin. Eine andere Schwester arbeitet ebenfalls in der Textilbranche, eine weitere Schwester ist aufgrund einer Erkrankung nicht berufstätig. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Verwandten in der Türkei in regelmäßigen Kontakt.

Am 07.02.2015 trat der Beschwerdeführer der HDP bei und wirkte in seinem Heimatbezirk XXXX in Istanbul im Stadtteil XXXX an Aktivitäten der HDP (etwa bei Hausbesuchen und bei der Wahlwerbung sowie bei Newroz-Festivitäten) mit. Eine bestimmte Funktion in der Partei bekleidete der Beschwerdeführer nicht, er war einfaches Mitglied.

Der Beschwerdeführer verließ die Türkei an einem nicht feststellbaren Tag im Monat Februar 2017 illegal und gelangte schlepperunterstützt mit einem Lastkraftwagen auf dem Landweg nach Österreich, wo er am 11.02.2017 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2. Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seines sunnitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei vor seiner Ausreise einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer wurde in der Türkei vom 09.02.2012 bis zum 10.06.2014 in Untersuchungshaft angehalten und am 10.06.2014 noch vor dem Abschluss des erstinstanzlichen Strafverfahrens aus nicht feststellbaren Gründen enthaftet.

In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer wurde vom 4. Schwurgericht Istanbul mit Urteil vom 12.04.2016 aufgrund einer gegen ihn von der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul erhobenen Anklage nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und einer im Zuge dieser Verhandlung durchgeführten unmittelbaren gerichtlichen Beweisverfahrens in der mündlichen Verhandlung der Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation sowie der schwerer Sachbeschädigung in vier Fällen (Anzünden von Kraftfahrzeugen) schuldig erkannt und gemeinsam mit einem Mittäter zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 16 Jahren und drei Monaten sowie zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. Im Einzelnen wurde der Beschwerdeführer wie folgt verurteilt:

"B) Angeklagter XXXX:

1. hat laut Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul, am 30.04.2012 und Zahl: 55458/29037/888, welche mit dem Unzuständigkeitsbeschluss des 5. Jugendstrafgerichtes Istanbul, vom 27.03.2014, GZ: 2012/380 und Beschlussnummer: 2014/170 und dem Zusammenlegungsbeschluss des 1. Jugendstrafgerichtes Istanbul, vom 14.04.2015, Beschlussnummer: 45/102 und mit der Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul, vom 06.04.2012, Zahl: 421/250/190 und mit dem Beschluss des 15. Schwurgericht Istanbul, Nummer:

2012/59, nach Aufhebung der Sondergerichte mit dem Gesetz Nr. 6526 und der Anklageschrift, die am 27.03.2011 und am 04.10.2011 an unser Gericht verwiesen worden war, rechtswidrige Slogans geschrien und Transparente bei den Demonstrationen getragen und er hat am 07.02.2012 vier verschiedene Fahrzeuge angezündet. Da die laufenden Strafhandlungen des Angeklagten, in der gesamten laufenden bewaffneten terroristischen Organisation, nach Vollendung des 18. Lebensjahres weitergingen, verpflichtete er sich für die Organisation zu handeln, ohne ein Mitglied der Organisation zu sein. Er hat hierdurch gegen die Nummer 5237, Artikel 220/6 und 314/3 des Strafgesetzbuches, in Verbindung der Nummer 5237 Artikel 314(2) verstoßen. Der Angeklagte wird hierfür nach der genannten Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Wobei die Art der Straftat, die Bedeutung und der Wert der Straftat, die Schwere des Schadens und die Schwere der Gefahr zu berücksichtigen sind.

Nach Berücksichtigung der Merkmale des Verbrechens, wird die Haftstrafe des Angeklagten, gemäß Nummer 5237, Artikel 220/6 tStGB nicht herabgesetzt.

Gemäß Nummer 3713 des Gesetzes wird die Haftstrafe um die Hälfte erhöht. Damit beträgt die Haftstrafe 7 Jahre und 6 Monate.

Angesichts der möglichen Auswirkungen auf die Zukunft des Angeklagten, wird die Haftstrafe gemäß Artikel 62 tStGB, 1/6 herabgesetzt. Damit beträgt die Haftstrafe 6 Jahre und 3 Monate.

Anwendung der Umsetzung des Artikels 53 des geltenden tStGB in Übereinstimmung mit dem Nichtigkeitsbeschluss des Verfassungsgerichtes vom 24.11.2015, GZ: 2014/140 und Beschlussnummer: 2015/85 und die Veröffentlichung des Gesetzblattes vom 08.10.2015, mit der Nummer 29542.

Gemäß Nummer 5237, Artikel 58/9 des tStGB, wird nach Vollzug der Haftstrafe, die Durchführung einer Bewährungsmaßnahme angeordnet.

2. Aufgrund der Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul, vom 06.04.2012 und Zahl: 421/250/190, wird das Strafverfahren gegen den Angeklagten, gemäß Nummer 6526 des Gesetzes, wegen Aufhebung besonderer zuständigen Gerichte, vor dem 15. Schwurgerichtes Istanbul unter der GZ: 2012/59, geführt.

Der Angeklagte ist schuldig; er hat am 07.02.2012 das Fahrzeug des Opfers XXXX, mit dem Kennzeichen 34 TK 5042 angezündet und hiermit eine Sachbeschädigung begangen. Er hat hierdurch gegen die Nummer 5237 Artikel 151(1) verstoßen. Der Angeklagte wird hierfür nach der genannten Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Wobei die Art der Straftat, die Bedeutung und der Wert der Straftat, die Schwere des Schadens und die Schwere der Gefahr zu berücksichtigen sind.

Nach Berücksichtigung der Merkmale des Verbrechens, welches mit einer Brandstiftung für eine bewaffnete Terrororganisation begangen worden ist, wird die Nummer 6545, Artikel 65 des Gesetzes, in Verbindung mit der Nummer 5237, Artikel 152/2a tStGB angewendet und die Haftstrafe des Angeklagten, um die Ganze erhöht. Hiermit beträgt die Haftstrafe 2 Jahre.

Gemäß Nummer 3713, Artikel 5/1 des Gesetzes, wird die Haftstrafe um die Hälfte erhöht. Hiermit beträgt die Haftstrafe 3 Jahre.

Angesichts der möglichen Auswirkungen auf die Zukunft des Angeklagten, wird die Haftstrafe, gemäß Artikel 62 tStGB, 1/6 herabgesetzt. Damit beträgt die Haftstrafe 2 Jahre und 6 Monate.

Die Anwendung der Umsetzung des Artikels 53 des geltenden tStGB in Übereinstimmung mit dem Nichtigkeitsbeschluss des Verfassungsgerichtes vom 24.11.2015, GZ: 2014/140 und Beschlussnummer: 2015/85 und die Veröffentlichung des Gesetzblattes vom 08.10.2015, mit der Nummer 29542.

Gemäß Nummer 5237, Artikel 58/9 des tStGB, wird nach Vollzug der Haftstrafe, die Durchführung einer Bewährungsmaßnahme angeordnet.

3. Aufgrund der Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul, vom 06.04.2012 und Zahl: 421/250/190, wird das Strafverfahren gegen den Angeklagten, gemäß Nummer 6526 des Gesetzes, wegen der Aufhebung besonderer zuständigen Gerichte, vor dem 15. Schwurgerichtes Istanbul unter der GZ: 2012/59 geführt.

Der Angeklagte ist schuldig, er hat am 07.02.2012 das Fahrzeug des Opfers XXXX, mit dem Kennzeichen 34 RGU 35 angezündet und hiermit eine Sachbeschädigung begangen. Er hat hierdurch gegen die Nummer 5237 Artikel 151(1) verstoßen. Der Angeklagte wird hierfür nach der genannten Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Wobei die Art der Straftat, die Bedeutung und der Wert der Straftat, die Schwere des Schadens und die Schwere der Gefahr zu berücksichtigen sind.

Nach Berücksichtigung der Merkmale des Verbrechens, welches mit einer Brandstiftung für eine bewaffnete Terrororganisation begangen worden ist, wird die Nummer 6545, Artikel 65 des Gesetzes, in Verbindung mit der Nummer 5237, Artikel 152/2a tStGB angewendet und die Haftstrafe des Angeklagten, um die Ganze erhöht. Hiermit beträgt die Haftstrafe 2 Jahre.

Gemäß Nummer 3713 Artikel 5/1 des Gesetzes wird die Haftstrafe um die Hälfte erhöht. Hiermit beträgt die Haftstrafe 3 Jahre.

Angesichts der möglichen Auswirkungen auf die Zukunft des Angeklagten, wird die Haftstrafe gemäß Artikel 62 tStGB, 1/6 herabgesetzt. Damit beträgt die Haftstrafe 2 Jahre und 6 Monate.

Anwendung der Umsetzung des Artikels 53 des geltenden tStGB in Übereinstimmung mit dem Nichtigkeitsbeschluss des Verfassungsgerichtes vom 24.11.2015, GZ: 2014/140 und Beschlussnummer: 2015/85 und die Veröffentlichung des Gesetzblattes vom 08.10.2015, mit der Nummer 29542.

Gemäß Nummer 5237, Artikel 58/9 des tStGB, wird nach Vollzug der Haftstrafe, die Durchführung einer Bewährungsmaßnahme angeordnet.

4. Aufgrund der Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul, vom 06.04.2012 und Zahl: 421/250/190, das Strafverfahren gegen den Angeklagten, gemäß Nummer 6526 des Gesetzes, wegen der Aufhebung besonderer zuständigen Gerichte, vor dem 15. Schwurgerichtes Istanbul unter der GZ: 2012/59 geführt.

Der Angeklagte ist schuldig, er hat am 07.02.2012 das Fahrzeug des Opfers XXXX, mit dem Kennzeichen 34 ZL 5277 angezündet und hiermit eine Sachbeschädigung begangen. Er hat hierdurch gegen die Nummer 5237 Artikel 151(1) verstoßen. Der Angeklagte wird hierfür nach der genannten Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Wobei die Art der Straftat, die Bedeutung und der Wert der Straftat, die Schwere des Schadens und die Schwere der Gefahr zu berücksichtigen sind.

Nach Berücksichtigung der Merkmale des Verbrechens, welches mit einer Brandstiftung für eine bewaffnete Terrororganisation begangen worden ist, wird die Nummer 6545, Artikel 65 des Gesetzes, in Verbindung mit der Nummer 5237, Artikel 152/2a tStGB angewendet und die Haftstrafe des Angeklagten, um die Ganze erhöht. Hiermit beträgt die Haftstrafe 2 Jahre.

Gemäß Nummer 3713 Artikel 5/1 des Gesetzes wird die Haftstrafe um die Hälfte erhöht. Hiermit beträgt die Haftstrafe 3 Jahre.

Angesichts der möglichen Auswirkungen auf die Zukunft des Angeklagten, wird die Haftstrafe gemäß Artikel 62 tStGB, 1/6 herabgesetzt. Damit beträgt die Haftstrafe 2 Jahre und 6 Monate.

Anwendung der Umsetzung des Artikels 53 des geltenden tStGB in Übereinstimmung mit dem Nichtigkeitsbeschluss des Verfassungsgerichtes vom 24.11.2015, GZ: 2014/140 und Beschlussnummer: 2015/85 und die Veröffentlichung des Gesetzblattes vom 08.10.2015, mit der Nummer 29542.

Gemäß Nummer 5237, Artikel 58/9 des tStGB, wird nach Vollzug der Haftstrafe, die Durchführung einer Bewährungsmaßnahme angeordnet.

5. Aufgrund der Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul, vom 06.04.2012 und Zahl: 421/250/190, das Strafverfahren gegen den Angeklagten, gemäß Nummer 6526 des Gesetzes, wegen der Aufhebung besonderer zuständigen Gerichte, vor dem 15. Schwurgerichtes Istanbul unter der GZ: 2012/59 geführt.

Der Angeklagte ist schuldig, er hat am 07.02.2012 das Fahrzeug des Opfers XXXX, mit dem Kennzeichen 34 UL 9601 angezündet und hiermit eine Sachbeschädigung begangen. Er hat hierdurch gegen die Nummer 5237, Artikel 220/6 und 314/3 des Strafgesetzbuches, in Verbindung der Nummer 3137 Artikel 151(1) verstoßen. Der Angeklagte wird hierfür nach der genannten Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Wobei die Art der Straftat, die Bedeutung und der Wert der Straftat, die Schwere des Schadens und die Schwere der Gefahr zu berücksichtigen sind.

Nach Berücksichtigung der Merkmale des Verbrechens, welches mit einer Brandstiftung für eine bewaffnete Terrororganisation begangen worden ist, wird die Nummer 6545, Artikel 65 des Gesetzes, in Verbindung mit der Nummer 5237, Artikel 152/2a tStGB angewendet und die Haftstrafe des Angeklagten, um die Ganze erhöht. Hiermit beträgt die Haftstrafe 2 Jahre.

Gemäß Nummer 3713 Artikel 5/1 des Gesetzes wird die Haftstrafe um die Hälfte erhöht. Hiermit beträgt die Haftstrafe 3 Jahre.

Angesichts der möglichen Auswirkungen auf die Zukunft des Angeklagten, wird die Haftstrafe gemäß Artikel 62 tStGB, 1/6 herabgesetzt. Damit beträgt die Haftstrafe 2 Jahre und 6 Monate.

Anwendung der Umsetzung des Artikels 53 des geltenden tStGB in Übereinstimmung mit dem Nichtigkeitsbeschluss des Verfassungsgerichtes vom 24.11.2015, GZ: 2014/140 und Beschlussnummer: 2015/85 und die Veröffentlichung des Gesetzblattes vom 08.10.2015, mit der Nummer 29542.

Gemäß Nummer 5237, Artikel 58/9 des tStGB wird nach Vollzug der Haftstrafe, die Durchführung einer Bewährungsmaßnahme angeordnet.

6. Der Anklagepunkt der Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul, vom 30.04.2012 und Zahl: 55458/29037/888, welche mit dem Unzuständigkeitsbeschluss des 5. Jugendstrafgerichtes Istanbul, vom 27.03.2014, GZ: 2012/380 und Beschlussnummer: 2014/170 und dem Zusammenlegungsbeschluss des 1. Jugendstrafgerichtes Istanbul, vom 14.04.2015, Beschlussnummer: 45/102, zur Strafhandlungen vom 27.03.2011 und 04.10.2011, wegen illegale Slogans und in Bezug auf die mutmaßliche Verstöße gegen die Nummer 2911 des Gesetzes, in Verbindung mit der vorläufigen Nummer 6352 des Gesetzes, Artikel 1, lit. b, wurde ausgeschieden. Wenn der Angeklagte innerhalb von drei Jahren, ab dem Tag der Ausscheidung, solcher Straftat durch Presse und Veröffentlichung oder durch andere Methoden des Denkens und der Offenlegung von Meinungen, ein Verbrechen, das eine Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens fünf Jahren erfordert und die verzögerte Verfolgung fortsetzt, begeht; dann wird die Aussetzung des Ermittlungsverfahrens aufgehoben und das Strafverfahren wird fortgesetzt."

Dem Beschwerdeführer wurde im Rahmen der Strafverhandlung Gelegenheit eingeräumt, sich zu verteidigen. Er war während der Verhandlung durchgehend durch einen Rechtsanwalt vertreten war.

Der Beschwerdeführer erhob gegen die erstinstanzliche Verurteilung fristgerecht das dafür vorgesehene Rechtsmittel an den Kassationsgerichtshof. Über das Rechtsmittel des Beschwerdeführers wurde noch nicht entschieden. Das Urteil des 4. Schwurgerichts Istanbul vom 12.04.2016 ist demgemäß nicht rechtskräftig und kann nicht vollzogen werden. Nicht festgestellt werden kann, wann eine Entscheidung des Kassationsgerichtshofes über das Rechtsmittel des Beschwerdeführers ergehen und welchen Inhalt diese Entscheidung aufweisen wird.

Bis zur Entscheidung des Kassationsgerichtshofes ist der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat auf freiem Fuß, er wurde jedoch mit einem Ausreiseverbot belegt. Der Beschwerdeführer hat die Türkei etwa neun Monate nach der Verurteilung auf illegalem Weg verlassen, um einem möglichen zukünftigen Strafantritt im Hinblick auf seine nicht rechtskräftige Verurteilung zu entgehen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise von türkischen Sicherheitskräften angehalten, verhört oder gefoltert wurde. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Zuge eines Verhörs nach seiner Festnahme am 09.02.2012 mehrere Stunden beschimpft und beleidigt wurde bzw. von Sicherheitskräften der Abteilung für Terrorbekämpfung geschlagen wurde.

Der Beschwerdeführer unterliegt bei einer Rückkehr in die Türkei nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer staatlichen Verfolgung im Hinblick auf seiner (einfachen) Mitgliedschaft bei der HDP und seiner Beteiligung an deren politischen Aktivitäten. Ferner kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit willkürlicher Gewaltausübung, willkürlichem Freiheitsentzug oder exzessiver Bestrafung durch staatliche Organe ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer hat den Wehrdienst nicht abgeleistet und verließ die Türkei, um sich der Ableistung des Wehrdienstes zu entziehen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor der Ausreise einen Einberufungsbefehl erhielt. Ferner kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Weigerung, sich der Musterung zu unterziehen bzw. einzurücken, von Polizeibeamten vor der Ausreise längere Zeit befragt und dabei misshandelt und/oder bedroht wurde.

Im Fall einer Rückkehr in der Türkei kommt aufgrund der in der Türkei gesetzlich vorgesehenen allgemeinen Wehrpflicht eine Einberufung des Beschwerdeführers zu den türkischen Streitkräften in Betracht. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Einberufung zu den türkischen Streitkräften im Rahmen der Wehrpflicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zielgerichtet gegen die kurdische Zivilbevölkerung oder kurdische Kämpfer eingesetzt würde oder er sich im Rahmen seines Wehrdienstes an völkerrechtswidrigen Militäraktionen beteiligen müsste. Ferner kann nicht festgestellt werden, dass sich in der Türkei derzeit großflächige Kampfhandlungen ereignen oder eine Mobilmachung stattfindet. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass kurdische Rekruten systematischer psychischer und/oder physischer Gewalt durch Mannschafen oder Offiziere der türkischen Armee aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit ausgesetzt sind bzw. der Beschwerdeführer im Zuge der Verrichtung seines Militärdienstes derartige Übergriffe zu erwarten hätte. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer - sollte er sich weigern, seinen Militärdienst abzuleisten - eine unverhältnismäßig hohe Strafe droht bzw. dass die Verbüßung einer Haftstrafe in der Türkei an sich schon eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellt.

1.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge in der Türkei.

Der Beschwerdeführer gehört der Gülen-Bewegung nicht an und war nicht in den versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 verwickelt.

1.4. Der Beschwerdeführer ist ein arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage. Er verfügt über ausreichend Berufserfahrung als Schneider in der Textilbranche und hat auch berufliche Erfahrung als selbstständiger Kaufmann gesammelt. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

Der Beschwerdeführer verfügt für den Fall der Rückkehr über ein türkisches Identitätsdokument (Nüfus) im Original und eine Wohnmöglichkeit in der Mietwohnung seiner Familie in Istanbul.

1.5. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 11.02.2017 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung am 11.02.2017 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und lebt seit 13.07.2017 in einer Unterkunft für Asylwerber in Salzburg.

Seit Februar 2018 unterhält der Beschwerdeführer eine Beziehung mit der in Salzburg wohnhaften türkischen Staatsbürgerin XXXX. Der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin unterhalten keinen gemeinsamen Wohnsitz. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ist der türkischen Sprache mächtig und verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte in der Türkei. Sie hält sich aufgrund eines Aufenthaltstitels Daueraufenthalt-EU rechtmäßig im Bundesgebiet auf, ist jedoch bereit, den Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in die Türkei dorthin zur Fortführung der Lebensgemeinschaft zu begleiten.

Der Beschwerdeführer ist für keine Person sorgepflichtig und pflegt im Übrigen normale soziale Kontakte. Er hat gelegentlich in Salzburg für die XXXX Hilfsarbeiten getätigt. Der Beschwerdeführer hat darüber hinaus keine gemeinnützige Arbeit verrichtet. Er ist weder in einem Verein noch in einer sonstigen Organisation Mitglied.

Über eine konkrete Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt verfügt der Beschwerdeführer nicht, es wurden ihm auch keine konkreten Beschäftigungen in Aussicht gestellt.

Der Beschwerdeführer besucht sprachliche Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache und legte am 06.07.2018 Prüfung auf dem Niveau A1 ab. Er beherrscht die deutsche Sprache in geringfügigem Ausmaß.

1.6. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.7. Zur gegenwärtigen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten (und dem Beschwerdeführer offengelegten) Quellen getroffen:

1. Politische Lage

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems per 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 3.8.2018).

Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder der Großen Türkischen Nationalversammlung, ein Einkammerparlament, werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Es gilt eine 10%-Hürde für Parteien bzw. Wahlkoalitionen, die höchste unter den Staaten der OSZE und des Europarates. Die Verfassung garantiert die Rechte und Freiheiten, die den demokratischen Wahlen zugrunde liegen, nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates beschränkt und der Gesetzgebung diesbezügliche unangemessene Einschränkungen erlaubt. Im Rahmen der Verfassungsänderungen 2017 wurde die Zahl der Sitze von 550 auf 600 erhöht und die Amtszeit des Parlaments von vier auf fünf Jahre verlängert (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

In der Verfassung wird die Einheit des Staates festgeschrieben, wodurch die türkische Verwaltung zentralistisch aufgebaut ist. Es gibt mit den Provinzen, den Landkreisen und den Gemeinden (belediye/mahalle) drei Verwaltungsebenen. Die Gouverneure der 81 Provinzen werden vom Innenminister ernannt und vom Staatspräsidenten bestätigt. Den Landkreisen steht ein vom Innenminister ernannter Regierungsvertreter vor. Die Bürgermeister und Dorfvorsteher werden vom Volk direkt gewählt, doch ist die politische Autonomie auf der kommunalen Ebene stark eingeschränkt (bpb 11.8.2014).

Am 16.4.2017 stimmten bei einer Beteiligung von 85,43% der türkischen Wählerschaft 51,41% für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsah (OSCE 22.6.2017, vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Der Staat hat nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).

Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, dass 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet worden seien. Die Kommission wies die Beschwerde zurück (AM 17.4.2017). Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen (AM 18.7.2017). Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen (FAZ 19.4.2017).

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan 52,6% der Stimmen, sodass ein möglicher zweiter Wahlgang obsolet wurde. Der Kandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Muharrem Ince, erhielt 30.6%. Der seit November 2016 inhaftierte ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas, erhielt 8,4% und die Vorsitzende der neu gegründeten Iyi-Partei, Meral Aksener, erreichte 7,3%. Die übrigen Mitbewerber lagen unter einem Prozent. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AK-Partei 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unter dem Namen "Volksbündnis", verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre CHP gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische HDP mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Zwar hatten die Wähler und Wählerinnen eine echte Auswahl, doch bestand keine Chancengleichheit zwischen den Kandidaten und Parteien. Der amtierende Präsident und seine Partei genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch in den Medien ein. Internationale Wahlbeobachter der ODIHR-Beobachtermission konstatieren in ihrem vorläufigen Bericht vielfältige Verstöße gegen den Fairnessgrundsatz (u.a. ungleicher Medienzugang, Wahl unter Ausnahmezustand) die aber die Legitimität des Gesamtergebnisses insgesamt nicht in Frage stellen. Der Wahlkampf fand freilich in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen; den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen; das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft; das Regierungsbudget aufzustellen; Vetogesetze zu erlassen; und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte und zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z. B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann (EC 17.4.2018).

Unter dem Ausnahmezustand wurde die Schlüsselfunktion des Parlaments als Gesetzgeber eingeschränkt, da die Regierung auf Verordnungen mit "Rechtskraft" zurückgriff, um Fragen zu regeln, die nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hätten behandelt werden müssen. Das Parlament erörterte nur eine Handvoll wichtiger Rechtsakte, insbesondere das Gesetz zur Änderung der Verfassung und umstrittene Änderungen seiner Geschäftsordnung. Nach den sich verschärfenden politischen Spannungen im Land wurde der Raum für den Dialog zwischen den politischen Parteien im Parlament weiter eingeschränkt. Die oppositionelle Demokratische Partei der Völker (HDP) wurde besonders an den Rand gedrängt, da viele HDP-ParlamentarierInnen wegen angeblicher Unterstützung terroristischer Aktivitäten verhaftet und zehn von ihnen ihres Mandates enthoben wurden (EC 17.4.2018).

Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage lang den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Grundsätzlich darf es wie im Ausnahmezustand nach Einbruch der Dunkelheit keine Demonstrationen im Freien mehr geben. Zusätzlich können sie Versammlungen mit dem Argument verhindern, dass diese "den Alltag der Bürger nicht auf extreme und unerträgliche Weise erschweren dürfen". Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können. Außerdem will die Regierung wie während des Ausnahmezustandes die Pässe derer, die wegen Terrorverdachts aus dem Staatsdienst entlassen oder suspendiert werden, ungültig machen. Auch die Pässe ihrer Ehepartner können weiterhin annulliert werden (ZO 25.7.2018). Auf der Plus-Seite der gesetzlichen Regelungen steht die weitere Verkürzung der Zeit in Polizeigewahrsam ohne richterliche Anordnung von zuletzt sieben auf nun maximal vier Tage. Innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme sind Verdächtige an den Ort des nächstgelegenen Gerichts zu bringen. In den ersten Monaten nach dem Putsch konnten Bürger offiziell bis zu 30 Tage in Zellen verschwinden, ohne einen Richter zu sehen (NZZ 18.7.2018).

In der Nacht vom 15.7. auf den 16.7.2016 kam es zu einem versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee. Insbesondere Istanbul und Ankara waren von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen. In Ankara kam es u.a. zu Angriffen auf die Geheimdienstzentrale und das Parlamentsgebäude. In Istanbul wurde der internationale Flughafen vorrübergehend besetzt. Der Putsch scheiterte jedoch. Kurz vor Mittag des 16.7.16 erklärte der türkische Ministerpräsident Yildirim, die Lage sei vollständig unter Kontrolle (NZZ 17.7.2016). Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben (Standard 18.7.2016). Sowohl die regierende islamisch-konservative Partei AKP als auch die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien - CHP, MHP und die pro-kurdische HDP - hatten sich gegen den Putschversuch gestellt (SD 16.7.2016). Unmittelbar nach dem gescheiterten Putsch wurden 3.000 Militärangehörige festgenommen. Gegen 103 Generäle wurden Haftbefehle ausgestellt (WZ 19.7.2016a). Das Innenministerium suspendierte rund 8.800 Beamte, darunter 7.900 Polizisten, über 600 Gendarmen sowie 30 Provinz- und 47 Distriktgouverneure (HDN 18.7.2016). Über 150 Höchstrichter und zwei Verfassungsrichter wurden festgenommen (WZ 19.7.2016a; vgl. HDN 18.7.2016). Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter zeigte sich tief betroffenen über die aktuellen Entwicklungen in der Türkei. Laut Richtervereinigung dürfen in einem demokratischen Rechtsstaat Richterinnen und Richter nur in den in der Verfassung festgelegten Fällen und nach einem rechtsstaatlichen und fairen Verfahren versetzt oder abgesetzt werden (RIV 18.7.2016).

Staatspräsident Erdogan und die Regierung sahen den im US-amerikanischen Exil lebenden Führer der Hizmet-Bewegung, Fethullah Gülen, als Drahtzieher der Verschwörung und forderten dessen Auslieferung (WZ 19.7.2016b). Präsident Erdogan und Regierungschef Yildirim sprachen sich für die Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Todesstrafe aus, so das Parlament zustimmt (TS 19.7.2016; vgl. HDN 19.7.2016). Neben zahlreichen europäischen Politikern machte daraufhin auch die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, klar, dass eine EU-Mitgliedschaft der Türkei unvereinbar mit Einführung der Todesstrafe ist. Zudem sei die Türkei Mitglied des Europarates und somit an die europäische Menschrechtskonvention gebunden (Spiegel 19.7.2016).

Seit der Einführung des Ausnahmezustands wurden über 150.000 Personen in Gewahrsam genommen, 78.000 verhaftet und über 110.000 Beamte entlassen, während nach Angaben der Behörden etwa 40.000 wieder eingestellt wurden, etwa 3.600 von ihnen per Dekret (EC 17.4.2018). Justizminister Abdulhamit Gül verkündete am 10.2.2017, dass rund 38.500 Mitglieder der Gülen-Bewegung, 10.000 der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) und rund 1.350 Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates in der Türkei in Untersuchungshaft genommen oder verurteilt wurden. 2017 wurden von Staatsanwälten mehr als vier Millionen Untersuchungen eingeleitet. Laut Gül verhandelten die Obersten Strafgerichte 2017 mehr als sechs Millionen neue Fälle (HDN 12.2.2017). Die türkische Regierung hat Ermittlungen gegen insgesamt 612.347 Personen in der gesamten Türkei eingeleitet, weil sie in den letzten zwei Jahren angeblich "bewaffneten terroristischen Organisationen" angehört haben. Das Justizministerium gibt an, dass allein 2017 Ermittlungen gegen

457.425 Personen eingeleitet wurden, die im Sinne von Artikel 314 des Türkischen Strafgesetzbuches (TCK) als Gründer, Führungskader oder Mitglieder bewaffneter Organisationen gelten (TP 10.9.2018, vgl. SCF 7.9.2018). Mit Stand 29.8.2018 waren rund 170.400 Personen entlassen und 81.400 Personen in Gefängnissen inhaftiert (TP 29.8.2018).

Sowohl die türkische Regierung, Staatspräsident Erdogan als auch die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) erklärten Ende Juli 2015 angesichts der bewaffneten Auseinandersetzungen den seit März 2013 bestehenden Waffenstillstand bzw. Friedensprozess für beendet (Spiegel 25.7.2015; vgl. DF 28.7.2015). Hinsichtlich des innerstaatlichen Konfliktes forderte das EU-Parlament einen sofortigen Waffenstillstand im Südosten der Türkei und die Wiederaufnahme des Friedensprozesses, damit eine umfassende und tragfähige Lösung zur Kurdenfrage gefunden werden kann. Die kurdische Arbeiterpartei (PKK) sollte die Waffen niederlegen, terroristische Vorgehensweisen unterlassen und friedliche und legale Mittel nutzen, um ihren Erwartungen Ausdruck zu verleihen (EP 14.4.2016; vgl. Standard 14.4.2016). Die Europäische Kommission bekräftigt das Recht der Türkei die Kurdische Arbeiterpartei (PKK), die weiterhin in der EU als Terrororganisation gilt, zu bekämpfen. Allerdings müssten die Anti-Terrormaßnahmen angemessen sein und die Menschenrechte geachtet werden. Die Lösung der Kurdenfrage durch einen politischen Prozess ist laut EK der einzige Weg, Versöhnung und Wiederaufbau müssten ebenfalls von der Regierung angegangen werden. (EC 9.11.2016).

2. Sicherheitslage

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen. Im Südosten des Landes sind die Spannungen besonders groß, und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen. Der nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 ausgerufene Notstand wurde am 18.7.2018 aufgehoben. Allerdings wurden Teile der Terrorismusabwehr, welche Einschränkungen gewisser Grundrechte vorsehen, ins ordentliche Gesetz überführt. Die Sicherheitskräfte verfügen weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben Attentate wiederholt zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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