TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/22 W137 1424715-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.03.2019
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Entscheidungsdatum

22.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W137 1424715-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Islamische Republik Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.02.2019, Zl. 810700408 - 181063773, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 9 Abs. 1 AsylG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der (damals minderjährige) Beschwerdeführer stellte am 11.07.2011 einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. Über diesen hat das Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - Bundesamt/BFA) mit Bescheid vom 03.02.2012, Zahl: 11 07.004-BAL, dahingehend entschieden, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten und eine befristete Aufenthaltsberechtigung (zunächst) bis 03.02.2013 erteilt worden ist. Hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde der Antrag abgewiesen.

2. In den folgenden Jahren wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das Bundesamt wiederholt verlängert. Eine Beschwerde hinsichtlich der Nicht-Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 19.11.2018, W173 1424715-1/20E, abgewiesen und erwuchs in Rechtskraft.

3. Am 15.11.2018 brachte der Beschwerdeführer beim Bundesamt einen neuerlichen Antrag auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung ein.

4. Das Bundesamt hat aus diesem Anlass - nach einer mündlichen Einvernahme am 16.01.2019 - dem Beschwerdeführer mit dem im Spruch angeführten Bescheid (in Spruchpunkt I.) den Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt. Unter einem wurden der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung abgewiesen (Spruchpunkt II.), eine Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (IV.), die Abschiebung in den Herkunftsstaat für zulässig erklärt (V.), eine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt (VI.) sowie ein befristetes Einreiseverbot erlassen (VII.).

Begründend wurde hinsichtlich Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer aufgrund der lokalen Sicherheitslage nicht in seinen Herkunftsstaat zurückkehren könne, aber etwa in den Provinzen Herat und Balkh über eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative verfüge. Zu den weiteren Spruchpunkten wurde unter anderem festgestellt, dass der Beschwerdeführer 2018 wegen eines Suchtmitteldeliktes strafrechtlich verurteilt worden und gegenwärtig wegen eines Sexualdeliktes angezeigt sei. Eine besondere Integration sei überdies nicht feststellbar.

5. Der Beschwerdeführer erhob durch seinen bevollmächtigten Vertreter innerhalb offener Frist Beschwerde gegen diese Entscheidung. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Sicherheitslage in weiten Teilen Afghanistans weiterhin problematisch sei und sich teils auch verschlechtert habe. Auch bestehe keine hinreichende Möglichkeit der Existenzsicherung. Überdies sei hinsichtlich der Anzeige das Strafverfahren eingestellt worden.

6. Am 05.03.2019 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt samt Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vor. Der Bescheid vom 03.02.2012 wurde nach Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichts nachgereicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich - in einer Gesamtbetrachtung des Landes - seit 2012 weder substanziell noch nachhaltig verbessert. Insbesondere gilt dies für den Zeitraum 2016 bis 2019. In einzelnen Provinzen ist es allerdings zu derartigen Verbesserungen gekommen, in anderen wiederum hat es substanzielle Verschlechterungen der Sicherheitslage gegeben. Die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers ist weiterhin - unverändert seit 2012 - nicht hinreichend sicher für eine Rückkehr.

Im Bescheid vom 03.02.2012 wurde ausdrücklich festgestellt, dass Gründe für die Annahme bestehen, dass der Beschwerdeführer "wegen der allgemeinen Lage in Afghanistan einer Gefahr im Sinne des § 50 FPG ausgesetzt" wäre. Die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative wurde ohne konkrete Argumentation offenkundig ausgeschlossen und der Entscheidung zu Grunde gelegt.

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das Bundesamt wurde auf die zwischenzeitlich eingetretene Volljährigkeit des Beschwerdeführers, seinen Erwerb einer Schulbildung und seine Erwerbsfähigkeit gestützt.

Verlängerungen des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erfolgten zuletzt am 19.01.2016 (für ein Jahr) und am 14.02.2017 (für zwei Jahre). In beiden Fällen war der Beschwerdeführer bereits (deutlich) volljährig. Dabei wurde 2016 in einem vierseitigen Bescheid ausgeführt, dass "aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage in Ihrem Herkunftsstaat in Verbindung mit Ihrem Vorbringen bzw. Ihrem Antrag" die Voraussetzungen für Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten weiterhin bestehen. 2017 begründete das Bundesamt die Verlängerung mit der Ausführung, dem Antrag sei "vollinhaltlich stattgegeben" worden, weshalb eine nähere Begründung entfallen habe können.

Der Beschwerdeführer wurde 2018 wegen eines Suchtmitteldeliktes zu einer (vollständig) bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Das rezente (und im Bescheid wiederholt argumentativ genutzte) Ermittlungsverfahren bezüglich eines Sexualdeliktes und weiterer Suchtmitteldelikte wurde von der Staatsanwaltschaft Wien im Februar 2019 (noch vor Erlassung des angefochtenen Bescheides) eingestellt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan ergeben sich aus der aktuellen Berichtslage, die sich auch im angefochtenen Bescheid findet. Eine substanzielle oder nachhaltige Verbesserung der allgemeinen (landesweiten) Sicherheitslage wurde vom Bundesamt nicht behauptet. Die Entwicklung der einzelnen Provinzen ist aus der Berichtslage in den bezüglich den Beschwerdeführer ergangenen behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen ersichtlich. Die fehlende Sicherheit in der Herkunftsprovinz wurde bereits dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegt und ist auch nicht bestritten.

2.2. Die zitierte Feststellung ist dem Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.02.2012 wörtlich entnommen. In diesem Bescheid findet sich auch keine (konkrete) Auseinandersetzung mit der Frage der möglichen Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Es ist somit davon auszugehen, dass deren Ausschluss nach Ansicht des Bundesamtes so offenkundig war, dass er gar keiner näheren Diskussion bedurfte.

Die weiteren Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere seiner Volksgruppenzugehörigkeit und dazu, dass er von seinem achten bis zum vierzehnten Lebensjahr in Pakistan gelebt hat, beruhen auf seinen diesbezüglich ebenfalls glaubwürdigen Angaben im Verlauf des Verfahrens.

2.3. Die Feststellungen betreffend die Gründe für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten fassen die Begründung im angefochtenen Bescheid zusammen.

2.4. Die Verlängerung des Status 2016 und 2017 ist aktenkundig; die (deutliche) Volljährigkeit des Beschwerdeführers zu diesem Zeitpunkt ergibt sich aus einer Zusammenschau mit dem Geburtsjahr 1995. Die zitierten Begründungen sind den angeführten Bescheiden entnommen.

2.5. Die Feststellungen zur strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers und dem eingestellten Ermittlungsverfahren ergeben sich aus der Aktenlage. Der Beschwerdeführer wurde von dieser Einstellung mit Schreiben vom 06.02.2019 in Kenntnis gesetzt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 38/2011) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBL I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Zu A)

3.2. Zur Entscheidung über die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 9 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF):

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist in § 9 AsylG geregelt, der wie folgt lautet:

"§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

(...)"

Das Bundesamt hat die Aberkennung des Status im Spruch des angefochtenen Bescheides auf "§ 9 Abs. 1 AsylG" gestützt, wobei in den rechtlichen Ausführungen ausschließlich auf "§ 9 Abs. 1 Z 1 AsylG" verwiesen wird. Für die Einbeziehung anderer Aberkennungsgründe gibt es keinerlei Hinweis. Die erste Variante des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG stellt im Kern auf die Zuerkennung des Status aufgrund einer durch den Betroffenen bewirkten Täuschung über die tatsächliche Sachlage ("Erschleichung"), allenfalls auf einen massiven Irrtum über den entscheidungsrelevanten Sachverhalt, ab.

Nach ständiger Judikatur verlangt der "Wegfall der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status" im Sinne der zweiten Variante ("nicht mehr" vorliegen) eine substanzielle und nachhaltige Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts, der zu eben dieser Zuerkennung geführt hat. Ob man denselben Sachverhalt (allenfalls) bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Statusgewährung rechtlich anders hätte beurteilen können, ist hingegen ebenso ohne Relevanz wie der Verweis auf eine Änderung (höchst-)gerichtlicher Entscheidungstendenzen. Die Beweislast für den Wegfall der Voraussetzungen sowie die Darlegung des substanziell und nachhaltig geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalts trifft aufgrund der Amtswegigkeit des Verfahrens zur Gänze das Bundesamt.

Bei der Beurteilung einer Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist hinsichtlich der Beurteilung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts und des Wegfalls der Voraussetzungen aber nicht nur der ursprüngliche (Zuerkennungs-)Bescheid oder eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zu berücksichtigen, sondern auch die Begründung allfälliger bereits erfolgter Verlängerungen des Status. Das Bundesamt ist in diesem Zusammenhang aber nicht bei jeder neuerlichen Verlängerungsprüfung gänzlich frei in seiner Beurteilung des Sachverhalts, sondern an seine bisherigen rechtskräftigen Entscheidungen (und allenfalls solche des Gerichts) gebunden. Insbesondere kann eine Aberkennung von subsidiärem Schutz ohne zusätzliche entscheidungsrelevante Faktoren nicht auf Veränderungen des entscheidungsrelevanten Sachverhalts (gegenüber jenem bei erstmaliger Zuerkennung) gestützt werden, die - obwohl dem Bundesamt bereits bekannt - bisherigen Verlängerungen des Status nicht entgegengestanden sind.

Im gegenständlichen Verfahren erweist sich schon die Begründung der ursprünglichen Status-Zuerkennung als insofern problematisch, als das Bundesamt im Bescheid vom 03.02.2012 zunächst allein aufgrund der allgemeinen Lage in Afghanistan (im Rahmen der Feststellungen zur Situation im Falle einer Rückkehr) eine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG - mithin von Art. 2 und 3 EMRK - als festgestellt hat (siehe Seite 13 dieses Bescheides). Diese Tendenz wird dadurch verstärkt, dass eine auch nur ansatzweise nachvollziehbare inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative (IFA) diesem Bescheid an keiner Stelle zu entnehmen ist. Es ist damit offensichtlich, dass das Bundesamt eine solche zum damaligen Zeitpunkt vollständig ausgeschlossen hat.

In der weiteren Bescheidbegründung (Beweiswürdigung, rechtliche Beurteilung) finden sich zwar Verweise auf die damalige Minderjährigkeit des Beschwerdeführers, die fehlende Schulbildung und die spezifische Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz - wobei diese erneut dazu führen, dass ohne erkennbare konkrete Befassung mit der Möglichkeit einer IFA die "Rückkehrsituation im Herkunfts- und Heimatstaat derzeit nicht als ausreichend sicher angesehen" wurde (Seiten 59 und 63). Ob und in welchem Umfang daher Minderjährigkeit und fehlende Schulbildung für die Statuszuerkennung und den generellen Ausschluss einer IFA relevant waren, lässt sich aus dem Bescheid vom 03.02.2012 somit jedenfalls nicht klar abgrenzen, sondern nur ungefähr abschätzen.

Zweifelsfrei kommt aber im nunmehr angefochtenen Bescheid zum Ausdruck, dass es praktisch ausschließlich diese beiden Sachverhaltselemente gewesen sein sollen, die - nunmehr weggefallen - einen Verweis auf eine IFA erstmalig möglich und zumutbar erscheinen lassen.

Allerdings hat das Bundesamt zuletzt mit faktisch begründungslosen Bescheiden vom 19.01.2016 und 24.02.2017 den Status des subsidiär Schutzberechtigten verlängert - womit sich aus der Rechtskraft der Entscheidungen nach ständiger Judikatur eine Bindungswirkung für weitere Entscheidungen ergibt. Konkret war zum Zeitpunkt der Erlassung der bezeichneten Bescheide der Beschwerdeführer längst nicht mehr minderjährig, sondern bereits 21 bzw. 22 Jahre alt. Auch Schulbildung hatte er bereits (im heutigen Umfang) erworben. Die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz steht bis heute unstrittig einer Rückkehr in diese entgegen. Damit steht fest, dass das Bundesamt sowohl 2016 wie 2017 weder die bereits gegebene (deutliche) Volljährigkeit noch die erworbene Schulbildung des Beschwerdeführers als hinreichend ansah, einen Wegfall der Voraussetzungen festzustellen, die zur Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter geführt hatten. Für eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative gibt es in diesen Bescheiden keinerlei Hinweis, weshalb eine IFA offenkundig neuerlich vollständig ausgeschlossen worden ist. Dies kommt insbesondere im Bescheid vom 24.02.2017 unmissverständlich zum Ausdruck, in welchem dem Antrag auf Verlängerung "vollinhaltlich stattgegeben" worden und mit eben diesem Argument auf eine inhaltliche Begründung verzichtet worden ist. Daraus ergibt sich zwingend, dass das Bundesamt den Beschwerdeführer im Alter von 21 und 22 Jahren (und nach einigen Jahren des Aufenthalts im Bundesgebiet) faktisch in gleicher Weise als gefährdet ansah, wie im Alter von 17 Jahren.

Dem Bundesamt ist es im angefochtenen Bescheid nicht gelungen, aufzuzeigen, wo nun der entscheidungsrelevante Unterschied zwischen einem 22-Jährigen und einem 24-Jährigen in Bezug auf die existenzielle Gefährdung im Herkunftsstaat liegen soll und warum dem 24-Jährigen eine bisher nicht einmal in Ansätzen geprüfte IFA (die stets ohne stringent argumentierte Begründung generell ausgeschlossen worden ist) zumutbar sein sollte. Dieser Altersunterschied von zwei Jahren ist die einzige aus der Aktenlage nachvollziehbare Veränderung zwischen den Bescheiden vom 24.02.2017 und 07.02.2019 - andere relevante Veränderungen betreffend die Person des Beschwerdeführers werden im angefochtenen Bescheid (vom 07.02.2017) auch nicht erwähnt. Im angefochtenen Bescheid wird zudem auf die Begründung der beiden Verlängerungsentscheidungen mit keinem Wort eingegangen.

Insgesamt ist es dem Bundesamt damit nicht gelungen, den Wegfall der Voraussetzungen für die Zuerkennung und Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Falle des Beschwerdeführers schlüssig und nachvollziehbar darzulegen. Insbesondere wird nicht einmal in Ansätzen versucht, entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderungen seitens der letzten Verlängerungen des Status (2016 und 2017) aufzuzeigen. Das Bundesamt beschränkte sich ausschließlich auf Änderungen gegenüber seiner Entscheidung aus 2012 ohne zu berücksichtigen, dass es im Rahmen seiner 2016 und 2017 ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen in denselben Änderungen keinen Grund gesehen hatte, den Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen oder auch nur eine detailliertere Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative vorzunehmen.

Damit erweist sich der angefochtene Bescheid im Hinblick auf die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Zusammenschau mit der Aktenlage und insbesondere den rechtskräftigen Verlängerungsentscheidungen des Bundesamtes selbst als in hohem Maße inhaltlich inkonsistent, allenfalls rudimentär begründet und sachlich nicht nachvollziehbar. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist damit als rechtswidrig ersatzlos zu beheben.

Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass eine strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers unter dem hier zu prüfenden Aspekt gänzlich irrelevant ist und - sofern sie nicht das Kriterium des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG erfüllt oder gar einen Ausschlussgrund darstellt - nur im Zusammenhang mit der Abwägung bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung berücksichtigt werden kann. Die ebenfalls einbezogene Anzeige war zudem schon zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides insofern ohne jede Relevanz, als die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren zu diesem Zeitpunkt bereits eingestellt hatte.

3.3. Umfang der Begründungspflicht der Behörde:

Wie bereits dargelegt trifft das Bundesamt im Zusammenhang mit der Anwendung des § 9 AsylG, der ausschließliche Amtswegigkeit vorsieht, die alleinige Beweislast und Begründungspflicht. Das Bundesamt hat damit seine Entscheidung schlüssig zu argumentieren und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt entsprechend zu belegen. Anders als in einem Antragsverfahren betreffend internationalen Schutz beantragt der Beschwerdeführer nicht die Zuerkennung eines spezifischen Schutzstatus, sondern wehrt sich ausschließlich gegen die Aberkennung eines solchen, der im zuvor seitens der Republik rechtskräftig zuerkannt worden ist. Für einen derart massiven Eingriff in einen rechtskräftigen Schutzstatus trifft die Behörde eine dementsprechend umfassende Ermittlungs- und Begründungspflicht die schon aus Rechtsschutzgründen nicht auf die Beschwerdeinstanz ausgelagert werden darf.

Insbesondere ist es nicht Aufgabe des zur Überprüfung berufenen Verwaltungsgerichts, handwerkliche Fehler einer Behörde und Begründungsmängel eines Bescheides in einem amtswegigen Verfahren zu sanieren. Insbesondere muss die Behörde selbst die Verantwortung dafür tragen, falls ihr die Aberkennung eines Status schon deshalb nicht möglich ist, weil sie es verabsäumt hat, die Gründe für dessen ursprüngliche Zuerkennung nachvollziehbar festzuhalten. Der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG verlangt unmissverständlich den Wegfall entscheidungsrelevanter Sachverhaltselemente, weshalb er nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn diese dem ursprünglichen Status-Bescheid auch zweifelsfrei zu entnehmen sind. Überschießende Formulierungen oder Pauschalbegründungen in diesem Bescheid schränken die Dispositionsfreiheit der Behörde in Bezug auf die Anwendung von § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG dementsprechend ein.

3.4. Zu den übrigen Spruchpunkten (II. bis VII.):

Die Spruchpunkte II. bis VII. haben ihre rechtliche Grundlage in der Annahme einer rechtsgültigen Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten. Da sich die Aberkennung des Status jedoch als rechtswidrig erwiesen hat, sind auch diese Entscheidungen als rechtswidrig zu beheben.

Nur der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass die Argumentation des Spruchpunktes VII. (Einreiseverbot) eine nicht zu rechtfertigende Anhäufung von Vorverurteilungen und überzogenen Schlüssen aufgrund einer strafrechtlichen Anzeige enthält, die insbesondere nicht durch ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren abgesichert wurden. In diesem Zusammenhang hat das Bundesamt die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.03.2017, Ra 2016/21/0349, grundlegend missverstanden. Dieses befasst sich mit einem Verhalten, dass das Bundesamt selbst in einem (ordnungsgemäßen) Ermittlungsverfahren - hier konkret: eigenen Einvernahmen von der Aufenthaltsehe verdächtigen Personen - feststellen konnte. Zudem wird in dieser Entscheidung ausdrücklich - und unter Verweis auf drei weitere Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes auf das Erfordernis eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und die Einbeziehung der näheren Umstände hingewiesen.

Im gegenständlichen Verfahren wurde dem Beschwerdeführer zum fraglichen Vorfall in der Einvernahme vom 16.01.2019 nur eine einzige Frage gestellt, die er dahingehend beantwortete, dass er seine Unschuld habe beweisen können und die Polizei die Angelegenheit für erledigt erachtet habe. Dies wurde vom Bundesamt aber weder zum Anlass für ein Ermittlungsverfahren (Kontaktierung der mutmaßlichen Opfer oder der zuständigen Polizeidienststelle) genommen, noch im angefochtenen Bescheid - bezüglich Spruchpunkt VII. - in irgendeiner Form berücksichtigt. Vielmehr wurde der Wortlaut einer Anzeige uneingeschränkt übernommen, Mutmaßungen über allfällige psychische Folgen der mutmaßlichen Opfer angestellt und dies dem Beschwerdeführer als besonders erschwerend zur Last gelegt. Eine Befassung mit den näheren Umständen des Vorfalls - also etwa eine Einbeziehung polizeilicher oder staatsanwaltschaftlicher Vernehmungsprotokolle, Zeugenaussagen, etc. - hat offenkundig nicht stattgefunden.

Schließlich wurde unmittelbar vor Erlassung dieses Bescheides das Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft sogar eingestellt.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.

Darüber hinaus ist es auch nicht erforderlich, dem Bundesamt im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens bezüglich der amtswegigen Aberkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer mündlichen Verhandlung die Möglichkeit zu geben, einen mangelhaft begründeten Bescheid mündlich "nachzubessern" oder interne Aufzeichnungen/Vermerke vorzulegen, zu denen es im angefochtenen Bescheid keinerlei Bezug gibt.

5. Rechtsfolgen der Entscheidung:

Durch die ersatzlose Behebung des Bescheides vom 07.02.2019 erweist sich das vom Beschwerdeführer beantragte Verlängerungsverfahren bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als weiterhin beim Bundesamt anhängig und noch nicht erledigt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; zudem ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Insbesondere zu berücksichtigen ist dabei die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur besonderen Relevanz rechtskräftiger Entscheidungen.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten,
Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1, befristete
Aufenthaltsberechtigung, Begründungsmangel, Behebung der
Entscheidung, ersatzlose Behebung, Lebensalter, Rückkehrentscheidung
behoben, Sicherheitslage, Verlängerung, wesentliche Änderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W137.1424715.2.00

Zuletzt aktualisiert am

07.08.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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