TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/4 G314 2216743-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.04.2019
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Entscheidungsdatum

04.04.2019

Norm

AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

G314 2216743-1/3Z

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX(auch XXXX), geboren am XXXX, irakischer Staatsangehöriger, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH)</nichtanonym><anonym>XXXX</anonym></person> gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 25.02.2019, Zl. XXXX, betreffend Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen die abweisende Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz (Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids) zu Recht:

A) Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids

wird Folge gegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben. Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG wird der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), ein aus XXXX stammender XXXX, beantragte am 25.06.2015 in Österreich internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er bei der Erstbefragung zunächst an, er habe seine Heimat wegen des Kriegs im Irak und der Belagerung seiner Heimatstadt durch den Islamischen Staat (IS) verlassen. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 17.01.2019 gab er als Fluchtgrund an, er und seine Familie würden im Irak wegen Erbstreitigkeiten von seinen Cousins mit dem Umbringen bedroht.

Mit dem oben angeführten Bescheid wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vollinhaltlich abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), ihm kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak festgestellt (Spruchpunkt V.), einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 und 6 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Das BFA begründete die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung damit, dass der Verbleib des BF in Österreich iSd § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, sodass seine sofortige Ausreise erforderlich sei. Eine weitere Begründung erfolgte nicht.

Gegen sämtliche Spruchpunkte dieses Bescheids richtet sich die Beschwerde, mit der auch unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 19.06.2018, C-181/16 (Gnandi gegen Belgien) die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung angeregt wird. Das BFA habe der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu Unrecht aberkannt, weil dem BF bei einer Abschiebung eine asylrelevante Verfolgung oder zumindest eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSd Art 2 und 3 EMRK drohe.

Das BFA legte dem BVwG die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, wo sie am 01.04.2019 (und am folgenden Tag in der zuständigen Gerichtsabteilung der Außenstelle Graz) einlangten.

Feststellungen:

Der BF wurde am 15.11.2016 im Bundesgebiet verhaftet und wird seither in Untersuchungs- bzw. Strafhaft angehalten.

Mit dem seit XXXX2018 rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX2017, XXXX, wurde er wegen der Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und der kriminellen Organisation nach § 278a zweiter Fall Z 1, 2 und 3 StGB sowie wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB letztlich zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten verurteilt. Dieser Verurteilung lag insbesondere zugrunde, dass er sich im XXXX dem IS angeschlossen hatte, einer terroristischen Vereinigung und kriminellen Organisation, die bis XXXX Teile des Irak kontrollierte, gewaltsam einen radikalislamischen, totalitären Gottesstaat errichten wollte und deren Mitglieder zur Erreichung dieses Ziels terroristische Straftaten verübten. Dem IS werden schwerste Menschenrechtsverstöße und Kriegsverbrechen angelastet. Der BF war für den IS als Geheimdienstmitarbeiter tätig und sammelte Informationen, insbesondere über Menschen, die nicht nach der Scharia lebten oder nicht der vom IS vertretenen sunnitischen Glaubensrichtung angehörten. Diese wurden - nachdem der BF solche Informationen an den IS weitergegeben hatte - von anderen IS-Mitgliedern bestraft, wobei die Sanktionen von Peitschenhieben bis zu Hinrichtungen reichten. Der BF verließ seinen Herkunftsstaat im Frühjahr XXXX und gelangte über XXXX nach Europa, pflegte aber bis zu seiner Verhaftung XXXX 2016 weiterhin Kontakte zum IS.

Der BF verbüßt die Freiheitsstrafe aktuell in der Justizanstalt XXXX. Das urteilsmäßige Strafende ist am XXXX; eine bedingte Entlassung ist frühestens am XXXX möglich.

Aus dem Jahresbericht 2017/18 von Amnesty International geht ua hervor, dass im Irak im Berichtszeitraum 2017 sowohl irakische und kurdische Streitkräfte als auch Regierungsbehörden Zivilpersonen, denen Verbindungen zum IS nachgesagt worden seien, willkürlich festgehalten und sie gefoltert hätten. Prozesse gegen mutmaßliche IS-Mitglieder und andere Personen, denen terroristische Straftaten vorgeworfen worden seien, seien unfair und hätten häufig mit Todesurteilen geendet, die auf unter Folter erpressten "Geständnissen" beruht hätten. Irakische und kurdische Streitkräfte sowie paramilitärische Milizen seien für außergerichtliche Hinrichtungen von Männern und Jungen, denen Verbindungen zum IS nachgesagt worden seien, verantwortlich. Mutmaßliche Terrorverdächtige seien ohne Haftbefehl festgenommen worden. Männer und Jungen, die im Verdacht gestanden seien, Mitglieder des IS zu sein, seien dem "Verschwindenlassen" zum Opfer gefallen. Sie hätten sich ohne Kontakt zu ihren Familien oder zur Außenwelt in Gefängnissen des irakischen Innen- oder Verteidigungsministeriums, der kurdischen Regionalregierung oder in Geheimgefängnissen befunden. Die Inhaftierten seien von Sicherheitskräften ohne Rechtsbeistand verhört und routinemäßig gefoltert worden. Die Haftbedingungen seien hart gewesen. Mangelnde medizinische Versorgung habe zu Todesfällen oder Amputation von Gliedmaßen geführt. Der Irak habe 2017 zu den Staaten mit den meisten Hinrichtungen gezählt. Zahlreiche Menschen seien nach unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt und gehängt worden.

Der BF wurde von der irakischen Regierung aufgrund seiner IS-Mitgliedschaft gesucht; nach ihm wurde etwa auf diversen Internetseiten gefahndet. Er stellte sowohl im Straf- als auch im Asylverfahren jede Verbindung zum IS in Abrede.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG, insbesondere aus dem vorliegenden erstinstanzlichen Strafurteil und den Angaben des BF im Asylverfahren.

Der Name des BF (XXXX) geht laut dem Strafurteil (Seite 8) aus seinem bei der Hausdurchsuchung gefundenen Reisepass hervor.

Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung und zum Strafvollzug basieren auf dem aktenkundigen Beschluss über die Verhängung der Untersuchungshaft vom XXXX2016, dem Strafurteil, dem Strafregister und der Vollzugsinformation.

Der Jahresbericht 2017/18 von Amnesty International kann im Internet unter https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/irak [Zugriff am 03.04.2019] abgerufen werden. Der Umstand, dass nach dem BF im Irak gefahndet wird, geht aus dem Strafurteil (Seite 10 f) hervor, aus dem sich auch seine gänzlich leugnende Verantwortung ergibt, die er nach der Rechtskraft der Verurteilung bei der Einvernahme vor dem BFA aufrecht hielt.

Rechtliche Beurteilung:

Das BVwG hat über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 BFA-VG (oder gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheids) gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde in Form eines (Teil-)Erkenntnisses zu entscheiden (vgl VwGH 19.06.2017, Fr 2017/19/0023; 13.09.2016, Fr 2016/01/0014).

Hier wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aus mehreren Gründen zu Unrecht aberkannt:

Zunächst hat § 18 Abs 1 BFA-VG Beschwerden gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz zum Gegenstand und bezieht sich dabei insbesondere auf die mit einer solchen Entscheidung verbundene Rückkehrentscheidung. In § 18 Abs 2 BFA-VG geht es dagegen um Beschwerden gegen Rückkehrentscheidungen außerhalb eines Verfahrens auf internationalen Schutz. Überschneidungen des jeweiligen Anwendungsbereichs dieser beiden Absätze sind ausgeschlossen, zumal im vorletzten Satz des § 18 Abs 1 BFA-VG angeordnet wird, dass § 18 Abs 2 BFA-VG nicht anwendbar ist, wenn die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz bzw. die damit verbundene Rückkehrentscheidung nicht aberkannt wird (siehe VwGH 07.03.2019, Ro 2019/21/0001).

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der hier vorliegenden Beschwerde, die in einem asylrechtlichen Kontext erging, kann daher nicht auf einen der Tatbestände des § 18 Abs 2 BFA-VG gestützt werden. Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids ist schon aus diesem Grund als rechtswidrig aufzuheben.

Dazu kommt, dass Bescheide gemäß § 58 Abs 2 AVG begründet werden müssen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird. Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dem gesetzlichen Gebot, Bescheide zu begründen, ist als Ausdruck eines rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens besondere Bedeutung beizumessen. Ein Begründungsmangel kann eine wesentliche Mangelhaftigkeit darstellen (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 417 ff).

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bedarf daher - vor allem angesichts der weitreichenden damit verbundenen Konsequenzen, insbesondere der Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen vor Rechtskraft der Entscheidung über Anträge auf internationalen Schutz - einer entsprechend sorgfältigen, einzelfallbezogenen Begründung unter Einbeziehung europarechtlicher Vorgaben, die sich etwa aus der Entscheidung des EuGH vom 19.06.2018, C-181/16 (Gnandi gegen Belgien) ergeben. Eine solche einzelfallbezogene Begründung fehlt hier.

Letztlich hat das BVwG gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG einer Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, diese zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Angesichts der vorliegenden Informationen über die Behandlung von Männern, die der Zugehörigkeit zum IS verdächtigt werden, im Irak, und des Umstands, dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dort von staatlichen Stellen nach dem BF gefahndet wird, kann im Rahmen der vorzunehmenden Grobprüfung nicht ausgeschlossen werden, dass die Abschiebung in seinen Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK führt, auch wenn er selbst eine Verbindung zum IS bestreitet. Der Beschwerde ist auch aus diesem Grund die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 21 Abs 6a BFA-VG.

Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit dieser Entscheidung, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2216743.1.00

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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