Entscheidungsdatum
08.04.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G309 2175443-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX,
Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch XXXX Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.10.2017,
XXXX, betreffend internationalen Schutz zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) verließ seinen Herkunftsstaat Irak am 20.08.2015 und stellte nach seiner schlepperunterstützten Einreise ins Bundesgebiet am 16.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes XXXX, am 17.09.2015 (im Folgenden: Erstbefragung) gab der BF an, den im Spruch genannten Namen zu führen, Staatsangehöriger des Irak zu sein, der arabischen Volksgruppe anzugehören und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung zu sein. Er sei am XXXX im Irak geboren. Er sei traditionell und standesamtlich verheiratet und habe keine Kinder. Zuletzt habe er in Bagdad, XXXX, Irak, gelebt.
Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, gab der BF an, dass er Syrien [sic] wegen dem Krieg verlassen habe und ihr Wohngebiet bombardiert worden sei. Bei einer Rückkehr in seine Heimat habe er Angst um sein Leben. Begründend gab der BF an, dass sie [Anm. gemeint die Familie] 2007 von Schiiten bedroht worden seien. In der Früh haben sie zwei Warnschüsse gehört und in einem Kuvert sei ein Zettel gewesen, dass sie ihr Haus verlassen sollen.
2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der BF am 21.09.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Kärnten, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen (im Folgenden: Einvernahme BFA).
Eingangs bestätigte der BF, die arabische Sprache zu verstehen, gesund zu sein und im Verfahren bislang wahrheitsgemäße Angaben gemacht zu haben. Zu berichtigen sei, dass er lediglich traditionell verheiratet sei und die Hochzeit weder registriert noch vollzogen wurde. Unrichtig sei auch, dass er 2007 nach Syrien ging. Die gesamte Familie sei bereits 2005 nach Syrien gegangen. Ferner legte der BF Dokumente bzw. Unterlagen, unter anderem einen irakischen Reisepass im Original, vor.
Zur Person und seinen Lebensumständen befragt gab der BF an, dass er sunnitischer Araber und in Bagdad geboren sei. Er habe mit seiner Familie bis 2005 in Bagdad gelebt. Von 2005 bis November 2013 habe er mit seiner Familie in Damaskus, Syrien, gelebt. Die Familie sei 2013 in den Irak zurückgekehrt und habe am Stadtrand von Bagdad gelebt. Er wisse nicht, wo seine Familie sei und habe seit 17.05.2017 keinen Kontakt mehr zu ihr. Sein Bruder, zwei Onkel und ein Cousin des BF leben in Österreich.
Nach der Rückkehr in den Irak habe die Familie dort bis Juli 2014 gelebt und sei legal ausgereist. Der BF habe im Juli 2005 in Syrien und im August 2014 in der Türkei Asyl beantragt. Der BF habe die Türkei vor seinem Einvernahmetermin im Asylverfahren (19.07.2016) verlassen. Er habe die Türkei verlassen, da sein Bruder bereits in Österreich gewesen sei und ihm mitgeteilt habe, dass Asylwerber in Österreich herzlich willkommen seien.
Zu seinen Asylgründen befragt, gab der BF an, dass es viele Gründe (Arbeit seines Vaters, Lage zwischen Schiiten und Sunniten) gebe. Der Hauptgrund sei, dass der Vater des BF zur Zeit XXXX gearbeitet habe. Er habe im Büro von XXXX zuständig gewesen sei, gearbeitet.
Bevor die Familie [2005] den Irak nach Syrien verlassen habe, sei der BF von Milizen angegriffen worden. Die Milizen haben das Haus der Familie mit einer Kalaschnikow beschossen und zwei Tage später auf die Türe "gesucht" geschrieben. Auch habe die Familie einen Brief erhalten, dass sie ihr Haus verlassen solle. Als sie 2013 in den Irak zurückkehrten mussten sie versteckt leben und alle zwei Monate den Wohnort wechseln. Der Bruder des BF sei entführt und gefoltert worden.
Bei einer Rückkehr in den Irak würde der BF von Milizen getötet werden.
3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA, dem BF zugestellt am 05.10.2017, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 16.09.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG [2005] (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG [2005] (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG [2005] nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG [2005] iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des BF in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte das BFA nach Wiedergabe der Einvernahme des BF und den Feststellungen zu dessen Person aus, dass nicht festgestellt werden konnte, dass der BF sein Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aufgrund der Arbeit seines Vaters während der Regierungszeit XXXX verlassen habe und habe der BF nie Probleme mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt. Im Falle einer Rückkehr sei er keiner Gefährdung durch den irakischen Staat oder private Personen ausgesetzt. Die Rückkehr in den Irak sei dem BF zumutbar und möglich.
In rechtlicher Hinsicht folgerte das BFA, dass der BF keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen konnte, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem BF sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohe. Dem BF sei kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen, die Rückkehrentscheidung und seine Abschiebung gemäß § 50 FPG seien zulässig. Besondere Umstände, die die Verlängerung der Frist der freiwilligen Ausreise erforderlich machen, liegen keine vor.
4. Mit Verfahrensordnung vom 04.10.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Verfügung gestellt.
5. Mit dem am 30.10.2017 beim BFA eingelangten und mit 19.10.2017 datierten Schriftsatz erhob der BF durch seinen Rechtsvertreter Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid. In der Beschwerde wurde nach Darlegung der Beschwerdegründe beantragt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid - allenfalls nach Verfahrensergänzung - zu beheben und dem BF den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid - allenfalls nach Verfahrensergänzung - bezüglich des Spruchpunktes II. zu beheben und dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG [2005] zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid - im angefochtenen Umfang - ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.
In der Sache bringt der BF unter Beanstandung der Ermittlungen der Länderfeststellungen, sonstiger Verfahrensmängel, einer mangelhaften Beweiswürdigung und inhaltlicher Rechtswidrigkeit vor, dass der Vater des BF XXXX gewesen sei und die Familie 2005 nach Syrien floh, nachdem Milizen das Haus angriffen und beschossen. 2013 kehrte die Familie zurück, weil sich die Lage in Syrien verschlimmerte. Sie mussten im Irak versteckt leben und alle zwei Monate den Wohnort wechseln. Dennoch sei der Bruder des BF entführt und gefoltert worden. Der Vater des BF sei telefonisch bedroht worden und sagten sie zu ihm sie hätten bereits seinen ersten Sohn und würden auch den zweiten bekommen. Der BF habe den Irak aus wohlbegründeter Furcht verlassen.
6. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 31.10.2017 vom BFA vorgelegt und langten am 06.11.2017 beim BVwG ein.
7. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 16.11.2018 wurden den Verfahrensparteien Länderdokumentationsunterlagen zur Lage im Irak und zur Sicherheitslage in Bagdad zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt.
8. Am 23.11.2018 führte das BVwG in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF, seiner rechtsfreundlichen Vertreterin und einer Dolmetscherin für die arabische Sprache durch. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem BF Gelegenheit gegeben seine Ausreisemotivation neuerlich umfassend darzulegen. Die Niederschrift der Verhandlung wurde dem BF in Anschluss ausgefolgt und dem BFA per E-Mail übermittelt.
9. Am 08.01.2019 übermittelte das BVwG den Verfahrensparteien mitsamt der Ladung für den nächsten Verhandlungstermin aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur Lage im Irak (Stand 20.11.2018) und ein am 04.10.2018 ausgestrahltes Interview über das Leben in Bagdad (Radiosender SWR2) zur Stellungnahme.
10. Am 14.02.2019 setzte das BVwG die mündliche Verhandlung in der Außenstelle Graz im Beisein des BF, seiner rechtsfreundlichen Vertreterin und einer Dolmetscherin für die arabische Sprache fort. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Dem BF wurde abermals Gelegenheit gegeben seine Ausreisemotivation darzulegen und wurde die schriftlich vorbereitete Stellungnahme des BF zu Protokoll genommen. Die Niederschrift der Verhandlung wurde dem BF in Anschluss ausgefolgt und dem BFA per E-Mail übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF führt den im Spruch angeführten Namen, ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung. Er wurde am XXXX in Bagdad geboren. Der BF ist traditionell verheiratet und hat keine Kinder. Der BF spricht arabisch und hat zumindest Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Der BF besuchte mehrjährig die Volks- und Mittelschule und hat Berufserfahrung in XXXX. Der BF wurde nicht an der XXXX Universität in XXXX zum Studium zugelassen.
1.2. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt nach dem Sturz Saddam Husseins verließ die Familie des BF den Irak und hielt sich in Syrien auf. Die Familie des BF stellte in Syrien einen Asylantrag.
Zu einem unbekannten Zeitraum kehrte die Familie wieder in ihren Herkunftsstaat zurück. Die Familie lebte bis Anfang Juli 2014 in Bagdad XXXX. Der Vater des BF arbeitete selbstständig als XXXX.
Der Bruder des BF, XXXX, XXXX, (im Folgenden: Bruder des BF) wurde am Ende Juni 2014 von unbekannten Personen entführt und nach drei Tagen wieder freigelassen. Die an die Familie gerichtete Lösegeldforderung wurde nicht bezahlt.
Der BF verließ mit seinen Eltern und Geschwistern am 07.07.2014 den Irak und reiste in die Türkei. Unmittelbar vor ihrer Ausreise hielt sich die Familie zunächst XXXX bei der Schwester des Vaters des BF auf. Der BF stellte im August 2014 einen Asylantrag in der Türkei und wurde ihm ein Einvernahmetermin am 19.07.2016 mitgeteilt.
Wegen Problemen mit seinen Eltern kehrte der BF am 18.04.2015 aus der Türkei in den Irak zurück und lebte bei verschiedenen Verwandten (Onkel väterlicherseits, Onkel mütterlicherseits, Großeltern) in XXXX Bagdads.
Am 20.08.2015 verließ der BF den Irak endgültig legal von Bagdad ausgehend Richtung Türkei und reiste schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 16.09.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der BF reiste nach Österreich, weil sich sein Bruder bereits als Asylwerber im Bundesgebiet aufhielt.
1.3. Der BF hat Verwandte im Irak (Onkel und Tanten, Großeltern), die in verschiedenen Städten im Irak leben. Die meisten Verwandten des BF leben in XXXX. Einige Verwandte des BF leben in XXXX in Bagdad. Zwischen dem BF und seinen im Irak lebenden Verwandten besteht Kontakt.
1.4. Der BF ist ein körperlich gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit hinreichender Ausbildung in der Schule und Berufserfahrung (XXXX). Der BF leidet weder an einer schweren noch einer unmittelbar lebensbedrohlichen Erkrankung. Der BF verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft.
1.5. Der BF verfügt über ein irakisches Ausweisdokument im Original (am XXXX2014 ausgestellter irakischer Reisepass).
1.6. Das Vorbringen des BF vor dem BFA, in der Beschwerde und der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates wonach - im Wesentlichen zusammengefasst - er den Irak einerseits verlassen habe, weil sein Vater XXXX gearbeitet habe und anderseits wegen der Lage zwischen Schiiten und Sunniten, wird dieser Entscheidung nicht als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt. Weitere Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates wurden nicht vorgebracht.
1.7. Der BF war im Irak nicht politisch tätig. Der BF gehörte keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an. Der BF hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner politischen Überzeugung, seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seines Religionsbekenntnisses oder sonstige Probleme zu gewärtigen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in seinem Herkunftsstaat einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.
1.8. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des BF festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.
1.9. Ein konkreter Anlass für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Der BF hatte mit den Behörden des Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner politischen Gesinnung Probleme noch sonst irgendwelche Probleme. Auch sonstige Gründe, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat allenfalls entgegenstehen würden, konnten nicht festgestellt werden.
1.10. Der BF hält sich seit spätestens 16.09.2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig ins Bundesgebiet ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.
Der BF bezieht seit der Antragstellung bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Er ist nicht legal erwerbstätig. Der BF hilft einem Freund beim Austragen von Zeitungen und erhält dafür Euro 200 im Monat. Der BF besucht im Bundesgebiet Deutschkurse, wobei er noch keine Prüfung abgelegt hat, arbeitete ehrenamtlich für die Gemeinde.
Der BF ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig und pflegt die üblichen sozialen Kontakte. Der Bruder und zwei Onkel mütterlicherseits des BF leben in Vorarlberg. Auch Cousins des Vaters des BF leben im Bundegebiet. Das Antrag auf internationalen Schutz des Bruders des BF wurde am 21.06.2016 abgewiesen und wird derzeit das Beschwerdeverfahren am BVwG geführt.
1.11. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Vater des BF während der Regierungszeit XXXX im Büro von XXXX gearbeitet hat.
1.12. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der gegenüber dem BF offengelegten Quellen getroffen:
1. Politische Lage
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.2.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).
Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).
Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018). Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018).
Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018; vgl. IRIS 11.5.2018).
Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).
In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).
Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.2.2018).
Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 9.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschlandauswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf.
Zugriff 12.10.2018
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Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker,
https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 19.10.2018
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BBC - British Broadcasting Corporation (9.12.2017): Iraq declares war with Islamic State is over, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-42291985. Zugriff 18.10.2018
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BBC - British Broadcasting Corporation (3.10.2018): New Iraq President Barham Saleh names Adel Abdul Mahdi as PM, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-45722528. Zugriff 18.10.2018
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CIA - Central Intelligence Agency (17.10.2018): The World Factbook
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Iraq,
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DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salihas-new-president/a-45733912, Zugriff 18.10.2018
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Fanack (27.9.2018): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and- politics-of-iraq/. Zugriff 17.10.2018
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The Guardian (3.10.2018): Iraqi president names Adel Abdul-Mahdi as next prime minister,
https://www.theguardian.com/world/2018/oct/03/iraqi-president-names-adel-abdul-mahdi-as-next-prime-minister, Zugriff 18.10.2018
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ICG - International Crisis Group (9.5.2018): Iraq's Pre-election Optimism Includes a New Partnership with Saudi Arabia, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-andarabian-peninsula/iraq/iraqs-pre-election-optimism-includes-new-partnership-saudi-arabia. Zugriff 18.10.2018
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KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www. kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30. pdf?180501131459, Zugriff 17.10.2018
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Rol - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 18.10.2018
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Der Standard (13.5.2018): Wahlen im Irak: Al-Abadi laut Kreisen in Führung,
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Der Standard (3.10.2018): Neue alte Gesichter für Iraks Topjobs, https://derstandard.at/2000088607743/Neue-alte-Gesichter-fuer-Iraks-Topiobs. Zugriff 19.10.2018
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TA - Tagesanzeiger (12.5.2018): Im Bann des Misstrauens, https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/im-bann-des-misstrauens/storv/29434606, Zugriff 18.10.2018
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UNSC - United Nations Security Council (17.1.2018): Report of the Secretary-General pursuant to resolution 2367 (2017), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N1800449.pdf, Zugriff 19.10.2018
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WZ - Wiener Zeitung (12.5.2018): Erste Wahl im Irak nach Sieg gegen IS stößt auf wenig Interesse, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/964399_Erste-Wahl-im-Irak-nach-Sieg-gegen-IS-stoesst-auf-wenig-Interesse.html, Zugriff 23.10.2018
1.1. Parteienlandschaft
Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da'wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander - eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).
Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vgl. BP 17.12.2017) obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vgl. WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vgl. Guardian 12.5.2018).
Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).
Die politische Landschaft der Autonomen Region Kurdistan ist historisch von zwei großen Parteien geprägt: der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Dazu kommen Gorran ("Wandel"), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinere islamistische Parteien (KAS 2.5.2018).
Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).
Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi's Nasr ("Victory")-Allianz (LSE 7.2018).
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Quelle: LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf. Zugriff 2.11.2018
Die Wahl im Mai 2018 war von Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug begleitet (Al- Monitor 23.8.2018; vgl. Reuters 24.5.2018, Al Jazeera 6.6.2018). Eine manuelle Nachzählung der Stimmen, die daraufhin angeordnet wurde, ergab jedoch fast keinen Unterschied zu den zunächst verlautbarten Ergebnissen und bestätigte den Sieg von Muqtada al-Sadr (WSJ 9.8.2018; vgl. Reuters 10.8.2018). Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament ist neu und jung (WZ 9.10.2018). Im Prozess zur Designierung des neuen Parlamentssprechers, des Präsidenten und des Premierministers stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal individuell und nicht in Blöcken - eine Entwicklung, die einen Bruch mit den üblichen, schwer zu durchbrechenden Loyalitäten entlang parteipolitischer, konfessioneller und ethnischer Linien, darstellt (Arab Weekly 7.10.2018).
Quellen:
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Al Jazeera (6.6.2018): Iraq orders recount of all 11 million votes from May 12 election, https://
www.aljazeera.com/news/2018/06/iraq-orders-recount-11-million-votes-12-election-180606163950024.html. Zugriff 23.10.2018
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