TE Vwgh Erkenntnis 1998/12/16 97/03/0305

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Veröffentlicht am 16.12.1998
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E3L E13300500;
E3L E13301000;
E6J;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
59/04 EU - EWR;
90/02 Kraftfahrgesetz;
99/01 Straßenverkehr;

Norm

11992E030 EGV Art30;
11992E034 EGV Art34;
11992E075 EGV Art75;
11992E076 EGV Art76;
11992E177 EGV Art177;
11997E028 EG Art28 impl;
11997E029 EG Art29 impl;
31970L0156 Betriebserlaubnis-RL Kfz;
31976L0757 Rückstrahler-RL Kfz ;
31983L0189 Notifikations-RL;
61974CJ0008 Dassonville VORAB;
61978CJ0120 Cassis de Dijon VORAB;
61991CJ0267 Keck Mithouard VORAB;
B-VG Art50 Abs1;
B-VG Art50 Abs2;
EURallg;
KFG 1967 §102 Abs10a;
StraßenverkehrÜbk;
VStG §31 Abs1;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VwGG §38a;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):98/02/0270 E 16. Februar 1999

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Sauberer, Dr. Gruber, Dr. Gall und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde des J A in G, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Neubaugasse 3/10, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 21. April 1997, Zl. 1997/15/26-2, betreffend Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer wegen der Verwaltungsübertretung nach § 102 Abs. 10a KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden) bestraft, weil er am 16. September 1996 um 15.00 Uhr in der Gemeinde Reutte auf der B 314 "den LKW GG 18 to" mit einem bestimmten Kennzeichen gelenkt habe, obwohl an der Rückseite des nach dem Kennzeichen bestimmten Anhängers keine gelb reflektierende Warntafel mit rotem fluoreszierenden Rand angebracht gewesen sei "und dies seit 1.1.1996 für Anhänger eines LKW mit einem höchstzulässigen GG über

3.500 kg verpflichtend ist".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in dem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat nach Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie Einholung einer Stellungnahme des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr erwogen:

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, daß eine Bestrafung nicht mehr möglich sei, weil "mangels konkreten - gesetzmäßig umschriebenen - Vorhalts innerhalb der Verjährungsfrist" Verjährung eingetreten sei, kann ihm nicht gefolgt werden. Die ihm angelastete Tat wurde nämlich bereits in der gegen ihn ergangenen Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom 8. Oktober 1996 hinsichtlich aller wesentlichen Sachverhaltselemente hinreichend konkretisiert. Wenn der Beschwerdeführer bemängelt, es sei ihm nicht konkret vorgeworfen worden, daß er ein Fahrzeug mit einer Bauartgeschwindigkeit von mehr als 60 km/h gelenkt hätte, übersieht er, daß sich das Tatbestandsmerkmal "mit einer Bauartgeschwindigkeit von mehr als 60 km/h" in § 102 Abs. 10a KFG 1967 lediglich auf die unter Z. 5 angeführte selbstfahrende Arbeitsmaschine, nicht aber auf einen unter Z. 1 genannten Lastkraftwagen bezieht, um den es sich im Beschwerdefall handelt. Das Kennzeichen eines mit dem Lastkraftwagen gezogenen Anhängers gehört entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht zu den wesentlichen Sachverhaltselementen einer Verwaltungsübertretung nach § 102 Abs. 10a KFG 1967 und muß daher nicht von einer Verfolgungshandlung umfaßt sein.

Im übrigen wurden die im Beschwerdefall maßgebenden Rechtsfragen bereits im hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1997, Zl. 97/03/0018, gelöst, auf welches somit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden kann.

Zu einem Abgehen von dieser Rechtsprechung und insbesondere zu einer Anrufung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 177 des EG-Vertrages sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch aufgrund des Vorbringens in der im Beschwerdefall erhobenen Beschwerde nicht veranlaßt:

Der Beschwerdeführer wendet ein, die Bestimmung des § 102 Abs. 10a KFG 1967 - diese Bestimmung wurde durch die Novelle BGBl. Nr. 162/1995 eingefügt - widerspreche einem Abkommen der europäischen Verkehrsminister ("CEMT-Abkommen") vom 29. November 1996, wonach die ECE-Regelung Nr. 70, die der angeführten Bestimmung inhaltlich entspreche, eine Ausstattungsvorschrift darstelle, "und somit dem Gemeinschaftsrecht". Dieses Vorbringen geht schon deshalb fehl, weil Beschlüsse des Ministerrates der Europäischen Konferenz der Verkehrsminister nicht zum Gemeinschaftsrecht gehören, sondern auf dem Protokoll betreffend die Europäische Konferenz der Verkehrsminister, BGBl. Nr. 231/1956, beruhen und zufolge des Art. 9 lit. a dieses Protokolls erst "in den Ländern, die sie angenommen haben, durchgeführt" werden müssen. Die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers, daß das von ihm erwähnte CEMT-Abkommen den "nationalen Bestimmungen" vorgehe, trifft daher nicht zu.

Der Beschwerdeführer verkennt auch die Rechtslage, soweit er sich auf das Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr, BGBl. Nr. 289/1982, beruft und die Ansicht vertritt, daß dieses Abkommen, dem zufolge die ihm "entsprechenden" Fahrzeuge in Österreich zum Verkehr zuzulassen seien, als völkerrechtliche Norm "jedenfalls" den nationalen Bestimmungen vorgehe. Als multilateraler völkerrechtlicher Vertrag traditioneller Art genießt dieses Abkommen keinen Anwendungsvorrang im Verhältnis zu späterem innerstaatlichen Recht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Oktober 1996, Zl. 95/06/0246, zum Verhältnis zwischen dem EWR-Abkommen und dem § 46 Abs. 4 UVP-G). Darüber hinaus wurde vom Nationalrat anläßlich der Genehmigung dieses Staatsvertrages ein Beschluß nach Art. 50 Abs. 2 B-VG gefaßt. Nach dieser Bestimmung kann der Nationalrat anläßlich der Genehmigung eines unter Art. 50 Abs. 1 B-VG fallenden Staatsvertrages beschließen, daß dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist. Der erwähnte Staatsvertrag ist somit nicht "unmittelbar anwendbar" und kann auch nicht Maßstab für die Rechtmäßigkeit eines anderen Gesetzes sein (vgl. Mayer, B-VG2 (1997), 196). Aus der vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 29. Februar 1984, ZVR 317/1984, läßt sich für seinen Standpunkt nichts gewinnen, weil § 102 Abs. 10a KFG 1967 - selbst wenn man diese Norm im Sinne des Beschwerdeführers der Sache nach als Ausrüstungsvorschrift verstehen wollte - als für Lenker auch ausländischer Kraftfahrzeuge verbindliche lex specialis gegenüber den Bestimmungen des § 82 KFG 1967 angesehen werden müßte.

Auch dem Versuch des Beschwerdeführers, mit seinem weiteren Vorbringen einen Verstoß des § 102 Abs. 10a KFG 1967 gegen primäres oder sekundäres Gemeinschaftsrecht darzutun, muß der Erfolg versagt bleiben.

Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, § 102 Abs. 10a KFG 1967 sei mit den "gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen des freien Warenverkehrs" unvereinbar und stünde "mit dem Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit" in Widerspruch, so hat er offenbar die Art. 30 und 34 des EG-Vertrages (Verbot von mengenmäßigen Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie allen Maßnahmen gleicher Wirkung) und 59 ff EGV (Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs) im Auge. Unter mengenmäßigen Beschränkungen im Sinne der Art. 30 und 34 EGV sind staatliche Maßnahmen zu verstehen, die die Einfuhr oder Ausfuhr einer Ware dem Wert oder der Menge nach begrenzen (vgl. Geiger, EG-Vertrag2, 1995, Rz 6 zu Art. 30 und Rz 2 zu Art. 34). Bei den Maßnahmen gleicher Wirkung handelt es sich nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH 1974, 837 - "Dassonville") um "jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern". Aus der Entscheidung "Cassis de Dijon" (EuGH 1979, 649) folgt der Grundsatz, daß alle rechtmäßigerweise in einem Mitgliedstaat im freien Verkehr befindlichen Erzeugnisse, vorbehaltlich des Eingreifens bestimmter zwingender Erfordernisse, im gesamten Gemeinschaftsgebiet frei vermarktbar sein müssen (vgl. Dauses in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Band 1, (Stand 1997), C.I Rz 104). Nach der aus dem Urteil

"Keck & Mithouard" (EuGH 1993, 6097) abgeleiteten Doktrin ist zwischen produkt- und vertriebsbezogenen Regelungen zu unterscheiden, wobei letztere, wenn sie diskriminierungsfrei ausgestattet sind, aus dem Schutzbereich der Art. 30 ff EGV ausscheiden (vgl. Dauses, aaO, Rz 127). Auf dem Boden dieser Rechtslage ist nicht zu erkennen, daß die Regelung des § 102 Abs. 10a KFG 1967 als eine unter das Verbot der Art. 30 ff EGV fallende handelshemmende Maßnahme angesehen werden könnte, stellt sie doch weder eine produkt- noch eine vertriebsbezogene Regelung ("Verkaufsmodalität") im Sinne des zuletzt genannten Urteils des EuGH hinsichtlich einer bestimmten Ware dar.

Was die vom Beschwerdeführer angesprochene Dienstleistungsfreiheit (Art. 59 EGV) anlangt, sieht Art. 61 Abs. 1 EGV vor, daß für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs die Bestimmungen des Titels über den Verkehr gelten. Für den - hier in Rede stehenden - Verkehrssektor kommen daher die allgemeinen Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit nicht zur Anwendung.

Die das Sachgebiet des Verkehrs regelnden Bestimmungen der Art. 74 ff des EG-Vertrages bieten gleichfalls keine Grundlage für die Annahme, daß § 102 Abs. 10a KFG 1967 gegen Gemeinschaftsrecht verstieße. Art. 74 EGV formuliert die Aufgabe einer gemeinsamen Verkehrspolitik. Art. 75 EGV gibt dem Rat die entsprechende Rechtssetzungskompetenz. Diese wird begleitet von der "Stillhalteverpflichtung" der Mitgliedstaaten in Art. 76 EGV (vgl. Geiger, aaO, Rz 3 zu Art. 74). Diese Stillhalteverpflichtung verbietet es den Mitgliedstaaten, die verschiedenen bei Inkrafttreten des Vertrages auf diesem Gebiet geltenden Vorschriften in ihren unmittelbaren oder mittelbaren Auswirkungen auf die Verkehrsunternehmer anderer Mitgliedstaaten im Vergleich zu den inländischen Verkehrsunternehmen ungünstiger zu gestalten, es sei denn, daß der Rat einstimmig etwas anderes billigt. Eine derartige Diskriminierung ausländischer Verkehrsunternehmer gegenüber inländischen wird durch § 102 Abs. 10a KFG 1967 nicht herbeigeführt. Die übrigen Artikel des Verkehrstitels betreffen Angelegenheiten, die mit dem hier maßgebenden Fragenkomplex in keiner Beziehung stehen.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag auch nicht zu erkennen, daß die Regelung des § 102 Abs. 10a KFG 1967 mit sekundärem Gemeinschaftsrecht aus dem Verkehrsbereich, insbesondere der vom Beschwerdeführer zitierten Richtlinie 70/156/EWG des Rates vom 6. Februar 1970 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger, in Widerspruch stünde. Ein Rechtssatz, daß Kraftfahrzeuge, die aufgrund dieser Richtlinie "ordnungsgemäß zugelassen sind", nicht "zusätzlichen Anforderungen, die in dieser Richtlinie nicht angeführt sind," unterworfen werden dürften, läßt sich der Richtlinie entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht entnehmen.

Diese Richtlinie stellt - und zwar sowohl idF vor der Richtlinie 92/53/EWG als auch idF der Richtlinie

92/53/EWG - hinsichtlich der Betriebsbewilligung bzw. der Typgenehmigung auf die Übereinstimmung des Fahrzeugtyps mit den technischen Vorschriften bestimmter Einzelrichtlinien ab; diese bilden somit ihren normativen Rahmen.

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 70/156/EWG idF vor der Richtlinie 92/53/EWG lautete:

"Die Mitgliedstaaten dürfen die Zulassung, den Verkauf, die Inbetriebnahme oder die Benutzung eines neuen, mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehenen Fahrzeuges nicht aus Gründen seiner Bau- und Wirkungsweise verweigern oder verbieten."

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 70/156/EWG idF der Richtlinie 92/53/EWG lautet:

"Jeder Mitgliedstaat ermöglicht die Zulassung bzw. gestattet den Verkauf oder das Inverkehrbringen von neuen Fahrzeugen hinsichtlich ihrer Bau- und Wirkungsweise dann und nur dann, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Jeder Mitgliedstaat gestattet darüber hinaus den Verkauf von unvollständigen Fahrzeugen; er kann jedoch ihre ständige Zulassung und ihr Inverkehrbringen verweigern, solange sie nicht vervollständigt sind."

Diese Gebote und Verbote können nach der dargestellten Systematik der Richtlinie 70/156/EWG die Mitgliedstaaten nur innerhalb des angeführten Rahmens nach Maßgabe der entsprechenden Einzelrichtlinien binden. Läßt daher eine Einzelrichtlinie der Mitgliedstaaten Raum für eigene nationale Regelungen, dann stehen die genannten Gebote und Verbote solchen Regelungen nicht entgegen.

Wollte man - im Sinne des Beschwerdeführers - die Norm des § 102 Abs. 10a KFG 1967 als Ausrüstungsvorschrift verstehen, fiele sie der Sache nach in den Anwendungsbereich der - in Anhang IV der Richtlinie 70/156/EWG idF der Richtlinie 92/53/EWG

angeführten - Richtlinie 76/757/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Rückstrahler für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger (in der zufolge § 1 Abs. 2 VStG maßgebenden Fassung vor der Änderung durch die Richtlinie 97/29/EG der Kommission vom 11. Juni 1997).

Nach Art. 7 dieser Rückstrahler betreffenden

Richtlinie 76/757/EWG dürfen die Mitgliedstaaten die EWG-Betriebserlaubnis oder die Betriebserlaubnis mit nationaler Geltung für ein Fahrzeug nicht wegen der Rückstrahler versagen, wenn diese mit dem EWG-Genehmigungszeichen versehen und gemäß der Richtlinie 76/756/EWG angebaut sind.

Nach der Begriffsbestimmung des Punktes I.3. in Anhang I der Richtlinie 76/757/EWG ist Rückstrahler

"eine Einrichtung, die dazu dient, das Vorhandensein eines Fahrzeugs durch Reflektion von Licht anzuzeigen, das von einer Lichtquelle ausgeht, die nicht an dem angestrahlten Fahrzeug angebaut ist, wobei sich der Beobachter in der Nähe der anstrahlenden Lichtquelle befindet.

Im Sinne dieser Richtlinie gelten nicht als Rückstrahler:

-

reflektierende Kennzeichen,

-

die im ADR genannten reflektierenden Signale,

-

sonstige reflektierende Schilder und Signale, die gemäß den Betriebsvorschriften eines Mitgliedstaates für bestimmte Fahrzeugkategorien oder bei bestimmten Betriebsweisen zu verwenden sind."

Die in § 102 Abs. 10a KFG angeführten reflektierenden Warntafeln könnten zwar der allgemeinen Definition des Begriffes "Rückstrahler" im ersten Absatz der vorgenannten Bestimmung unterstellt werden; sie müßten jedoch als "sonstige reflektierende Schilder und Signale, die gemäß den Betriebsvorschriften eines Mitgliedstaates für bestimmte Fahrzeugkategorien oder bei bestimmten Betriebsweisen zu verwenden sind" angesehen werden. Als solche würden sie aber zufolge der im zweiten Absatz getroffenen ausdrücklichen Anordnung nicht als Rückstrahler im Sinne dieser Richtlinie gelten. Hinsichtlich derartiger Einrichtungen räumt die Richtlinie den Mitgliedstaaten somit einen Spielraum für nationale Regelungen hinsichtlich der Betriebsvorschriften für bestimmte Fahrzeugkategorien oder bei bestimmten Betriebsweisen ein.

Eine solche innerhalb des durch die Richtlinie offengelassenen Spielraumes gelegene nationale Regelung würde auch § 102 Abs. 10a KFG 1967 - als Betriebsvorschrift für bestimmte Fahrzeugkategorien in Ansehung der genannten reflektierenden Warntafeln - darstellen.

Daraus folgt aber nach dem Vorgesagten, daß diese Norm nicht mit den Richtlinien 70/156/EWG und 76/757/EWG (idF vor der Richtlinie 97/29/EG) in Konflikt stehen kann.

Ferner macht der Beschwerdeführer geltend, daß § 102 Abs. 10a KFG 1967 entgegen der Richtlinie 83/189/EWG nicht notifiziert worden sei. Dem ist folgendes zu entgegnen:

Gemäß Art. 8 Abs. 1 erster Halbsatz der Richtlinie des Rates 83/189/EWG übermitteln vorbehaltlich des Art. 10 die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt.

Als technische Vorschrift gelten nach der Begriffsbestimmung des Art. 1 Z. 9

"technische Spezifikationen sowie sonstige Vorschriften einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung de jure oder de facto für das Inverkehrsbringen oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie - vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 10 - der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses verboten wird.

Technische De-facto-Vorschriften sind insbesondere:

-

die Rechts- oder Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaats, in denen entweder auf technische Spezifikationen bzw. sonstige Vorschriften oder auf Berufskodizes bzw. Verhaltenskodizes, die ihrerseits einen Verweis auf technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften enthalten, verwiesen wird und deren Einhaltung eine Konformität mit den durch die genannten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegten Bestimmungen vermuten läßt;

-

freiwillige Vereinbarungen, bei denen der Staat Vertragspartei ist und die im öffentlichen Interesse die Einhaltung von technischen Spezifikationen und sonstigen Vorschriften mit Ausnahme der Vergabevorschriften im öffentlichen Beschaffungswesen bezwecken;

-

die technischen Spezifikationen bzw. sonstigen Vorschriften, die mit steuerlichen oder finanziellen Maßnahmen verbunden sind, die auf den Verbrauch der Erzeugnisse Einfluß haben, indem sie die Einhaltung dieser technischen Spezifikationen bzw. sonstigen Vorschriften fördern; dies gilt nicht für technische Spezifikationen bzw. sonstige Vorschriften, die die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit betreffen.

Dies betrifft die technischen Vorschriften, die von den durch die Mitgliedstaaten benannten Behörden festgelegt werden und in einer von der Kommission vor dem Zeitpunkt der Anwendung dieser Richtlinie im Rahmen des Ausschusses nach Artikel 5 zu erstellenden Liste aufgeführt sind.

Änderungen dieser Liste werden nach demselben Verfahren vorgenommen."

Als technische Spezifikation gilt gemäß Art. 1 Z. 2 eine "Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren.

Unter dem Begriff 'technische Spezifikation' fallen ferner die Herstellungsmethoden und -verfahren für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse gemäß Artikel 38 Absatz 1 des Vertrages, für die Erzeugnisse, die zur menschlichen und tierischen Ernährung bestimmt sind, und für die Arzneimittel gemäß Artikel 1 der Richtlinie 65/65/EWG sowie die Herstellungsmethoden und -verfahren für die anderen Erzeugnisse, sofern diese die Merkmale dieser Erzeugnisse beeinflussen."

Als sonstige Vorschrift gilt gemäß Art. 1 Z. 3 "eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische

Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und die seinen Lebenszyklus nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses bzw. seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können".

Vor diesem rechtlichen Hintergrund könnte § 102 Abs. 10a KFG 1967 - allenfalls - als eine den Gebrauch eines Erzeugnisses (nämlich eines der dort angeführten Kraftfahrzeuge) nach dem Inverkehrbringen regelnde Bestimmung und somit als sonstige Vorschrift im Sinne der Z. 3 des Art. 1 angesehen werden, allerdings nur dann, wenn auch das dort weiters normierte Tatbestandsmerkmal "sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses bzw. seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können" erfüllt wäre. Daß diese Voraussetzung im vorliegenden Fall bei der Verpflichtung zur Anbringung von Warntafeln an Kraftfahrzeugen verneint werden muß, bedarf keiner weiteren Erörterung.

Aus diesen Erwägungen folgt, daß § 102 Abs. 10a KFG 1967 nicht der in der Richtlinie 83/189/EWG normierten Notifikationspflicht unterfällt.

Zusammenfassend ist daher für den Verwaltungsgerichtshof auch im Lichte des nunmehrigen Beschwerdevorbringens das Vorliegen einer vorlagefähigen Frage des Gemeinschaftsrechts - wie schon im Vorerkenntnis vom 14. Mai 1997, Zl. 97/03/0018, zum Ausdruck gebracht - nicht ersichtlich.

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 16. Dezember 1998

Gerichtsentscheidung

EuGH 61974J0008 Dassonville VORAB;
EuGH 61978J0120 Cassis de Dijon VORAB;
EuGH 61991J0267 Keck Mithouard VORAB;

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht kein innerstaatlicher Anwendungsbereich EURallg7Mängel im Spruch Fehlen von wesentlichen TatbestandsmerkmalenGemeinschaftsrecht Terminologie Definition von Begriffen EURallg8 mengenmäßigen Beschränkungen Maßnahmen gleicher WirkungGemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997030305.X00

Im RIS seit

18.02.2002

Zuletzt aktualisiert am

16.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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