TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/20 W191 2210437-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.05.2019
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Entscheidungsdatum

20.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W191 2210437-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ihre Mutter XXXX , geboren am XXXX , diese vertreten durch Rechtsanwalt Edward W. Daigneault, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1209951403-180989406, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.04.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführer (in der Folge BF), Frau XXXX , geboren am XXXX (BF1), ihr Ehemann XXXX , geboren am XXXX (BF2), und ihr gemeinsamer Sohn XXXX , geboren am XXXX (BF3), afghanische Staatsangehörige, reisten irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellten am 22.12.2015, der BF3 gesetzlich vertreten durch seine Eltern, jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die BF am 15.12.2015 in Mytilini (Griechenland) erkennungsdienstlich behandelt worden waren.

1.2. In ihrer Erstbefragung am 24.12.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Competence Center (CC) Eisenstadt gaben die BF1 und der BF2 im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Sie stammten aus XXXX , Distrikt Jalrez, Provinz Maidan Wardak, seien Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitische Moslems.

Ihre Reise hätte ca. 25 Tage gedauert und insgesamt ca. 10.000 US-Dollar gekostet. Die BF schilderten ihre Reiseroute recht detailliert.

Als Fluchtgrund gaben die BF an, dass der BF2 als Fahrer für einen Beamten des Innenministeriums gearbeitet habe. Deshalb habe er ständig Drohungen von den Taliban bekommen. Deswegen seien sie geflüchtet.

Die BF1 gab zudem an, dass ihr Vater von den Taliban entführt, gefoltert und zwei Monate lang festgehalten worden sei.

1.3. Am XXXX wurde in XXXX (Österreich) XXXX (BF4) als gemeinsame Tochter von BF1 und BF2 geboren und am 21.12.2016 auch für sie ein Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren gestellt.

1.4. Bei ihrer Einvernahme am 21.12.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Steiermark, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, bestätigten die BF1 und der BF2 die Richtigkeit ihrer bisher gemachten Angaben und beantworteten Fragen zu ihren Lebensumständen.

Befragt zu ihrem Fluchtgrund schilderten sie den angeblich fluchtauslösenden Vorfall, bei dem Taliban in ihr Haus gekommen wären und nach dem BF2 gefragt hätten, der aber nicht zuhause gewesen wäre. Dabei wäre der jüngere Bruder des BF2 erschossen und der BF1 der Arm gebrochen worden.

Die BF1 gab an, sie sei bei den Nachbarn wieder aufgewacht und man hätte sie für ein Monat ins Krankenhaus gebracht. Danach hätten sie sich etwa ein Monat lang bei einem Onkel in Kabul versteckt und seien dann ausgereist.

Im Verfahren vor dem BFA wurden seitens der BF keine Beweismittel oder Belege für ihr Vorbringen vorgelegt.

1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheiden vom 01.03.2017 die Anträge der BF auf internationalen Schutz vom 22.12.2015 (BF1, BF2 und BF3) sowie 21.12.2016 (BF4) gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte den BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 02.03.2018 (Spruchpunkt III.).

Den BF1, BF3 und BF4 wurde der gewährte Schutz abgeleitet im Familienverfahren vom BF2 gewährt (der BF1, ohne dies im Spruch des sie betreffenden Bescheides zum Ausdruck zu bringen).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen der BF sei unglaubhaft.

Im Bescheid betreffend den BF2 wurde ausgeführt, die BF hätten keine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können, da sich aus ihren Angaben ergebe, dass das behauptete Verfolgungsmotiv (Bedrohung durch die Taliban aufgrund der Tätigkeit des BF2 als Chauffeur für einen Kommandanten der Polizei) nicht unter "den" Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumieren sei.

In den Bescheiden bezüglich BF1, BF3 und BF4 wurde auf die Beweiswürdigung betreffend den BF2 verwiesen.

Subsidiärer Schutz wurde ihnen zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund ihrer Lebensumstände - Familie mit zwei kleinen Kindern, mangelndes soziales Netz, schlechte Versorgungslage - gegeben sei.

1.6. Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide brachten die BF (BF1, BF2, BF3 und BF4) mit Schreiben ihres zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberaters vom 27.03.2017 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wegen "Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, in Folge einer mangelhaften Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung" ein.

In der Beschwerdebegründung wurde das bisherige Vorbringen der BF knappest zusammengefasst wiederholt, ohne aber auch hier Belege dafür vorzulegen.

Zusätzlich wurde neu vorgebracht, dass die Lebensumstände für Frauen in Afghanistan sehr schlecht seien und es sich bei der BF1 um eine Frau mit einer persönlichen "westlich-orientierten" Wertehaltung handle, die durch ihre nachvollziehbaren und glaubhaften Aussagen als auch ihrem Auftreten und Erscheinungsbild nach einen "westlichen Lebensstil" angenommen habe, sodass ihr - auch entsprechend der langjährigen Judikatur - im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan asylrelevante Verfolgung drohe.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

1.7. Am XXXX wurde in Wien XXXX als jüngste Tochter von BF1 und BF2 geboren und am 17.10.2018 auch für sie ein Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren gestellt.

Auch der BF5 wurde - mit Bescheid vom 29.10.2018 - unter Abweisung von Asyl subsidiärer Schutz im Familienverfahren gewährt und auch dieser Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt I. mit Schreiben ihres Vertreters vom 26.11.2018 angefochten.

1.8. Mit Eingabe seines Vertreters vom 05.05.2017 legte der BF2 die Kopie zweier Schreiben aus Afghanistan samt Kuvert vor ("Beweisdokumente").

Das BVwG veranlasste eine Übersetzung dieser Schriftstücke, die erst nach mehrfachen Urgenzen und einem Übersetzerwechsel erreicht wurde.

Den Übersetzungen zufolge wird in diesen Schreiben das Vorbringen der BF bezüglich der Bedrohung durch die Taliban von einem Dorfältesten und von einem "Verantwortlichen für die Jugendliga im Distrikt Jalriz" zusammengefasst bestätigt.

1.9. Mit Eingabe vom 24.07.2017 teilten die BF mit, dass sie sich aus der Grundversorgung für Asylwerber in Österreich abgemeldet hätten und privat verzogen seien.

1.10. Das BVwG führte am 03.04.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der die BF1, BF2, BF4 und BF5 persönlich erschienen. Der BF3 war im Kindergarten. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Dabei gaben die BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter] prüft nach Aufruf der Sache die Identität und Stellung der Anwesenden sowie etwaige Vertretungsbefugnisse wie oben eingetragen. Die BF sind mir ihren beiden jüngeren Töchtern zur Verhandlung erschienen, der BF3 ist im Kindergarten.

Die BF haben Rechtsanwalt Edward W. Daigneault mit ihrer Vertretung betraut, die Vollmacht für VMÖ wurde zurückgezogen. Die Vollmacht wird zum Akt genommen. [...]

RI gibt bekannt, dass die o.g. Beschwerdeverfahren zur gemeinsamen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 AVG verbunden werden. [...]

RI: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Dari.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für die BF?

D: Dari.

RI befragt BF, ob sie D gut verstehen; dies wird bejaht.

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF: Wir sind gesund.

BF1: Ich bin nur wegen der Krankheit meiner Tochter (BF5) besorgt. Sie leidet an Epilepsie. Sie wurde erst am 20.03.2019 aus dem Spital entlassen, ist aber weiterhin unter regelmäßiger ärztlicher Aufsicht und Behandlung.

Die BF legen ärztliche Belege vor, die als Kopie zum Akt genommen werden.

[...]

Die BF haben bisher keine Bescheinigungsmittel zu ihrer Identität vorgelegt und legen auch heute keine vor.

Zu ihrem Fluchtvorbringen der Verfolgung durch die Taliban haben sie handschriftliche Bestätigungen aus dem Herkunftsstaat vorgelegt, deren Übersetzung das erkennende Gericht veranlasst hat. Weiters haben sie Belege bezüglich ihrer Integration in Österreich vorgelegt.

RI: Woher haben Sie diese Schreiben bekommen?

BF1: Diese hat mir mein Vater geschickt.

Heute legen sie weiters vor: Teilnahmebestätigungen für BF1 und BF2 (Sprachkompetenz, Werte- und Orientierungskurs), die in Kopie zum Akt genommen werden.

[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Feststellungen zu Ihren Namen und Geburtsdaten sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Ja.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Wir sind Tadschiken.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Sunnitische Moslems.

RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: Wir haben vor sieben Jahren in XXXX im Distrikt Jalrez geheiratet. Die Hochzeitsgesellschaft bestand aus Verwandten und Bekannten, ca. 100 Leute. Unsere Heiratsurkunde haben wir auf der Reise verloren.

RI: Haben Sie Kinder?

BF: Wir haben drei Kinder.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF1: Ich bin nicht in die Schule gegangen. Mädchen durften nicht in die Schule gehen bzw. war ich zu alt dafür. Zu Hause habe ich Lesen, aber nicht Schreiben gelernt. Ich war Hausfrau.

BF2: Ich bin zwei Jahre in der Moschee in die Schule gegangen. Ich bin von Beruf Maler und war nebenbei Taxifahrer.

RI: Geben Sie bitte soweit wie möglich chronologisch an, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

BF: Wir haben in Jalrez gelebt.

RI ersucht die BF, auf einer Karte des Distrikts Jalrez ihren Heimatsort XXXX zu zeigen. Diesen Ort finden sie nicht, aber sie zeigen auf den Nachbarort XXXX .

RI: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

BF: Die meisten unseren Verwandten leben in Maidan Wardak.

BF1: Eine Cousine und zwei Cousins leben in London.

BF2: Zwei Brüder sind angeblich nach Frankreich gegangen.

RI: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung?

BF2: Nein, aber ich war als Fahrer für den Kommandanten Ghothaldin tätig.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern? Haben Sie in Österreich wichtige Kontaktpersonen, und wie heißen diese?

BF: Wir hatten sowohl in der Steiermark als auch jetzt - seit über einem Jahr in Wien - Bekannte, mit denen wir viel Kontakt hatten und die uns geholfen haben.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF: Wir verstehen Sie ein bisschen.

RI stellt fest, dass die BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen großteils verstanden und gebrochen auf Deutsch beantwortet haben.

RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF1: Derzeit nicht, da ich oft im Krankenhaus bin, aber ich versuche, über das Internet weiter Deutsch zu lernen.

BF2: Ich habe die Prüfung A1 abgelegt. Derzeit bin ich in einem Kompetenzcheck bei AMS und werde dann den Deutschkurs A2 besuchen.

RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF1: Nein.

BF2: Ich hätte gerne eine Stelle im erlernten Beruf als Maler, habe aber dafür noch nicht genügend Deutschkenntnise.

RI an BF1: Was würden Sie gerne einmal machen?

BF1: Ich möchte gerne die Sprache lernen, die Schule besuchen und den Führerschein machen, und mein Traum wäre es, einmal Krankenschwester zu werden. Ich möchte gerne auf eigenen Beinen stehen und selbständig sein.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF1: Radfahren und Laufen. Ich tätige selber meine Einkäufe, was ich in Afghanistan nicht durfte. Ich treffe mich mit meinen Freunden. Ich beschäftige mich mit meinen Kindern. Ich spiele mit ihnen im Park.

BF2: Radfahren und Laufen. Wir machen mit Freunden Ausflüge. Die meiste Zeit verbringen wir mit unseren Kindern im Park mit Spielen.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF: Nein.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF1: Ich telefoniere ca. alle zwei, drei Wochen mit meinen Eltern. Die Internet- und Telefonverbindungen sind sehr schlecht.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.

Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht, oder wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen, das Ihnen wichtig erscheint?

BF1: Ja, ich kann mich erinnern, und es stimmt alles, und ich war so traurig, dass ich nicht alles erzählen konnte.

Anmerkung: BF1 beginnt zu weinen.

BF1: Ich habe schon alles erzählt, aber es wurde zusammengefasst niedergeschrieben.

BF2: Es stimmt, und ich habe alles gesagt.

Der BF2 verlässt um 10:20 Uhr auf Ersuchen des RI den Verhandlungssaal.

RI an BF1: Ist der Bruder Ihres Mannes getötet worden?

BF1: Ja.

RI: Wie viele Brüder hat Ihr Mann?

BF1: Fünf Brüder, jetzt noch vier.

RI: Wo befinden sich die Brüder?

Anmerkung: BF1 weint.

BF1: Ich weiß es nicht genau, angeblich sind zwei in Frankreich, und zwei müssten in Afghanistan sein. Der ältere Bruder hat mich seinerzeit schlecht behandelt, ich durfte nichts machen.

RI: Wieso haben Sie bei der Erstbefragung nichts von dem Mord an dem Bruder erzählt?

BF1: Bei der Erstbefragung bei der Polizei wurden wir ganz kurz befragt, man hat uns gesagt, wir sollten ganz kurz den Fluchtgrund erzählen, den Rest sollen wir vor dem BFA erzählen.

RI: Wo sind Sie damals verletzt worden an der Hand?

BF1: Mein Arm wurde im Bereich des Ellbogens gebrochen, daher sieht man hier keine Folgen. Aber im Bereich der rechten Schulter sieht man noch Narben von dem Schlag mit der Kalaschnikow (ca. drei Zentimeter). Anfangs konnte ich in Österreich aufgrund der Verletzung den Schreibstift mit der rechten Hand nicht betätigen. Ich habe bis heute Probleme. Zu einem Arzt bin ich in Österreich deswegen nicht gegangen.

RI: Wie haben Sie die zwei vorgelegten Briefe bekommen?

BF1: Mit der Post. Das Kuvert habe ich nicht mit, ich müsste es noch haben.

RI: Warum ist Ihr Vater entführt worden?

Anmerkung: Die BF1 erzählt immer wieder sehr ausführlich.

BF1: Mein Vater war Techniker und hat in der Zeit von Najibullah in Afghanistan und in Russland studiert und ist dann in Pension gegangen. Als er jetzt für die Regierung an einem Bauprojekt mitgewirkt hat, haben die Taliban ihn und fünf weitere Personen entführt. Erst gegen eine Verpflichtungserklärung, dass sie nicht mehr weiter mitwirken, und gegen Zahlung eines Lösegeldes wurden sie freigelassen. Das Lösegeld war so hoch, dass die Firma das Projekt beendet hat.

RI: Welche Funktion bekleidet nun der Kommandant, für den Ihr Mann Fahrer war?

BF1: Er ist immer noch Kommandant.

RI: Ist es nicht gefährlich für ihn?

BF1: Seine Kinder können das Haus nicht verlassen, es ist ständig bewacht. Mein Mann war sechs Monate Fahrer für ihn.

Der BF2 betritt um 10:40 Uhr wieder den Verhandlungssaal

RI: Wie viele Brüder haben Sie?

BF2: Ich hatte fünf Bruder, einer davon wurde getötet.

RI: Wieso ist Ihr Bruder getötet worden und der Kommandant nicht?

BF2: Mein armer Bruder war zu Hause, der Kommandant ist immer bewacht. Ich war mit dem Kommandanten unterwegs. Wäre ich auch zu Hause gewesen, wäre ich auch getötet worden.

RI: Wieso haben Sie bei der Erstbefragung nicht angegeben, dass der Vater Ihrer Frau entführt worden ist?

BF2: Als Fluchtgrund hat meine Frau die Entführung meines Schwiegervaters angegeben. Ich habe nicht gewusst, dass dies auch als Fluchtgrund für mich ausschlaggebend wäre.

RI: Wie lange ist er entführt worden?

BF2: Ich glaube, es waren zwei Monate.

RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF2: Unser Leben wäre in Gefahr. Die Taliban umstellen derzeit Jalrez. Sie machen in der Nacht Angriffe, bilden Checkpoints und gehen nach ihren Listen gegen missliebige Personen vor.

Angemerkt wird, dass die BF1 modisch gekleidet ist. Sie trägt blaue Stöckelschuhe, blaue Jeans, eine weiße Bluse mit aufgekrempelten Ärmeln, einen bunten weiten und leichten Schal und ist dezent geschminkt. Die Haare sind zu einem Zopf gebunden und offen. Sie trägt kein Kopftuch und trägt modische Ohrringe. Die Fingernägel sind rosa lackiert, und sie trägt einen Ring. Die dunklen Haare sind an den Spitzen hell gefärbt.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens der BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

RI folgt BFV [Vertreterin der BF] Kopien dieser Erkenntnisquellen aus und gibt ihr die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben der BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.

BFV: Warum wollen Sie Krankenschwester werden?

BF1: Ich habe so viele Situationen erlebt, wo Menschen Hilfe gebraucht haben und diese nicht bekommen haben, besonders in Afghanistan. Als ich hier in Österreich im Krankenhaus bei der Entbindung so eine tolle Betreuung durch die Krankenschwester bekommen habe, war dies für mich ausschlaggebend für diese Entscheidung.

BFV: Haben Sie in Afghanistan arbeiten dürfen?

BF1: Nein, auf keinen Fall. Wenn ich als Mädchen nicht die Schule besuchen durfte, konnte ich auch auf gar keinen Fall arbeiten.

BFV: Wer hat über Sie bestimmt?

BF1: Mein Vater und nach der Heirat der ältere Bruder.

BFV: Was ist Ihnen bei der Erziehung der Töchter wichtig?

BF1: In erster Linie, dass meine Kinder die Schule besuchen, eine Ausbildung bekommen, selbständig über ihr Leben entscheiden und ihre Partner selbst aussuchen können.

RI befragt BF, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen wollen.

BF1: Ich möchte mich herzlich bei der österreichischen Bevölkerung bedanken. Obwohl ich die Sprache nicht gut kann, sind wir im Spital toll betreut worden.

RI befragt BF, ob sie D gut verstanden haben; dies wird bejaht.

[...]"

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat der BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).

Das BFA beantragte nicht die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde und beteiligte sich auch sonst nicht am Verfahren vor dem BVwG. Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 24.12.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 21.12.2016 sowie die Beschwerden vom 27.03.2017 (BF1, B2, BF3 und BF4) sowie 26.11.2018 (BF5)

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 54 bis 97 im Verwaltungsakt der BF1)

* Einvernahme von BF1 und BF2 im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 03.04.2019 sowie Einsicht in folgende im Beschwerdeverfahren vorgelegte Beweis- und Bescheinigungsmittel:

? Zwei Schriftstücke in Kopie aus Afghanistan betreffend das Vorbringen bezüglich der Taliban

? Teilnahmebestätigungen für BF1 und BF2 (Sprachkompetenz, Werte- und Orientierungskurs)

? Ärztliche Belege (betreffend die BF5)

* Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat der BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie in der Provinz Maidan Wardak und zur Lage von Frauen und Kindern (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 26.03.2019) sowie

o Auszug aus einer gutachtlichen Stellungnahme des Ländersachverständigen Dr. Sarajuddin Rasuly in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am 13.06.2012 im Verfahren C15 410.319-1/2009 zum Vorbringen des BF2, er sei von den Taliban verfolgt worden

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen, glaubhaft gemachten Sachverhalt aus:

3.1. Zur Person der BF:

3.1.1. Die BF führen die Namen XXXX , geboren am XXXX (BF1), ihr Ehemann XXXX , geboren am XXXX (BF2), ihr gemeinsamer Sohn XXXX , geboren am XXXX (BF3), und ihre gemeinsamen Töchter XXXX , geboren am XXXX (BF4), und XXXX , geboren am XXXX (BF5). Die BF sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken und bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF ist Dari.

3.1.2. Lebensumstände:

Die BF1 und der BF2 heirateten einander vor ca. sieben Jahren im Heimatort und lebten dort mit ihrem Sohn. Der BF2 besuchte zwei Jahre lang die Koranschule und war als Maler und nebenbei als Fahrer erwerbstätig.

Die BF1 konnte die Schule nicht besuchen und war Hausfrau.

3.1.3. Die BF verließen aus angegebenen Gründen ihren Herkunftsstaat und reisten bis nach Österreich, wo die BF4 und die BF5 zur Welt kamen. Sie stellten Anträge auf internationalen Schutz.

3.1.4. Die BF bemühen sich um ihre Integration in Österreich. Sie wohnen privat, haben den Werte- und Orientierungskurs sowie Sprachkurse besucht, und der BF2 bemüht sich über das AMS, Arbeit - vorzugsweise in seinem erlernten Beruf als Maler - zu finden.

Die BF1 ist derzeit überdies sehr mit der Betreuung ihrer minderjährigen Kindern - von denen die jüngste Tochter zudem an Epilepsie erkrankt ist - ausgelastet.

Die BF haben Kontakte zu Bekannten in Österreich und gehen Radfahren und Laufen.

3.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

3.2.1. Verfolgung der BF1 als Angehörige der sozialen Gruppe der Frauen aus Afghanistan, die selbstbestimmt ("westlich orientiert") leben wollen:

Die BF1 ist eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert ist. In Österreich kleidet, frisiert und schminkt sich die BF1 nach westlicher Mode und geht selbst und alleine Einkaufen. In ihrer Freizeit geht sie Radfahren und Laufen und mit ihren Kindern in den Park.

Die BF1 will in der Zukunft selbst eine Ausbildung machen bzw. einer Erwerbstätigkeit nachgehen und hat den Wunsch, einmal als Krankenpflegerin tätig zu sein.

Die BF1 lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, wieder nach dem konservativ-afghanischen Wertebild zu leben. Ihre Einstellung und ihr Lebensstil stehen im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind.

Vor dem Hintergrund dieser grundlegenden und auch entsprechend verfestigten Änderung ihrer Lebensführung würde die BF1 im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden.

3.2.2. Verfolgung durch die Taliban:

Die BF1 und der BF2 konnten nicht hinreichend glaubhaft vermitteln, dass sie in ihrem Herkunftsstaat einer Verfolgung durch die Taliban aus asylrelevanten Gründen konkret und individuell ausgesetzt gewesen wären.

3.2.3. Für den BF3, die BF4 und die BF5 wurden keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen vorgebracht.

3.2.4. Der BF2 ist der Ehemann, die BF3, BF4 und BF5 sind gemeinsame minderjährige Kinder der BF1. Sie leben mit ihrer Ehefrau bzw. Mutter im gemeinsamen Haushalt.

3.2.5. Es liegen keine Gründe vor, nach denen die BF von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten auszuschließen wären.

3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

3.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", zuletzt aktualisiert am 26.03.2019, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

[...]

3. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), [...]

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei zwölf Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 07.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 07.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 07.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

[...]

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.05.2018; vgl. DW 06.05.2018, AJ 06.05.2018, Tolonews 06.05.2018, Tolonews 29.04.2018, Tolonews 220.4.2018).

[...]

Zivilist/innen

[...]

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 01.01.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verle

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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