TE Vwgh Erkenntnis 1998/12/16 96/01/1194

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Veröffentlicht am 16.12.1998
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des H, mit den vier minderjährigen Kindern K, L, S und A, alle in U, vertreten durch Dr. Christian Pötzl, Rechtsanwalt in Linz, Fabrikstraße 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Mai 1996, Zl. 4.339.922/12-III/13/96, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Jugoslawischen Föderation, ist am 16. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag einen Asylantrag gestellt. Bei der Einvernahme am 21. Mai 1992 hat er zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen angegeben, daß er der albanischen Volksgruppe im Kosovo angehöre, welche durch die serbische Regierung "unter Druck" gekommen sei. Im Jahr 1989 habe die Regierung auf eine Schule im Heimatdorf des Beschwerdeführers einen Giftgasanschlag durchgeführt, bei dem viele Kinder verletzt worden seien. Der Beschwerdeführer und sein Bruder hätten geholfen, die Kinder in das Spital zu bringen, wobei sie ihre privaten Personenkraftwagen verwendet hätten. Da die Regierung immer mehr in den Kosovo eindringe und die Ämter und Polizeistationen übernommen habe, werde die Lage für Albaner immer gefährlicher. Der Bruder des Beschwerdeführers sei wegen des erwähnten Vorfalles aufgrund eines nur für ethnische Albaner in Geltung stehenden Gesetzes zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren verurteilt worden. Seit 1990 sei der Beschwerdeführer Mitglied einer Organisation, die für die Selbstbestimmung des Kosovo kämpfe. In seinem Heimatort sei er der Anführer dieser Organisation gewesen. Da die Macht immer mehr von Serben übernommen werde, sei er von der Polizei gesucht worden. Er befürchte, daß er (bei einer Rückkehr in den Kosovo) ebenso wie sein Bruder eingesperrt würde.

Mit Bescheid vom 26. Juni 1992 hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

In seiner dagegen gerichteten Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen seine bei der Einvernahme gegebene Darstellung und legte zur Untermauerung seines Vorbringens Berichte von "amnesty international" zur allgemeinen Lage im Kosovo vor. Im Zuge des Berufungsverfahrens legte der Beschwerdeführer am 13. November 1992 die Ablichtung eines behördlichen Schriftstückes des Gemeindegerichtes in Podujevo vom 23. Juli 1991 samt deutscher Übersetzung vor. In diesem Schriftstück wird der Beschwerdeführer "aufgrund des Art. 88 und 89 über die Ableistung der Strafsanktionen ('Amtsblatt der SR Serbien' Nr. 26/77)" aufgefordert, eine vom Kreisgericht in Prishina "(K.Br 58/90 und 708/90)" verhängte Freiheitsstrafe anzutreten.

Der Bescheid der belangten Behörde vom 28. September 1993, mit welchem diese Berufung abgewiesen worden war, wurde mit hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1994, Zl. 94/01/0058, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im fortgesetzten Verfahren wurde der Beschwerdeführer am 10. April 1996 ergänzend befragt, wobei er ausführte, in seiner Heimat wegen der Vorfälle im Zusammenhang mit dem Giftgasanschlag auf eine Schule gesucht zu werden. Die Aufforderung zum Strafantritt habe er aus seiner Heimat von seinem Schwager erhalten. Es handle sich deshalb nur um eine Ablichtung, weil das Original von den Behörden nicht ausgefolgt werde, wenn der zu Ladende nicht angetroffen werde. Eine Ablichtung der Ladung könne man dann erhalten, wenn man "guten Beziehungen" habe und den Beamten Geld anbiete. Es bestehe allerdings die Möglichkeit, daß sein Schwager durch Zahlung von Schmiergeld auch zum Original dieser Ladung komme. Der Beschwerdeführer erklärte sich nicht damit einverstanden, daß die Echtheit des Schriftstückes durch einen Vertrauensanwalt der österreichischen Botschaft in Belgrad überprüft werde, weil er zu serbischen Anwälten kein Vertrauen habe. Dabei blieb er auch, als ihm vorgehalten wurde, daß der Anwalt das Vertrauen der österreichischen Botschaft genieße und aus dieser Vorgangsweise kein Nachteile für den Beschwerdeführer zu erwarten seien.

Mit Bescheid vom 8. Mai 1996 hat die belangte Behörde die Berufung neuerlich abgewiesen und festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinn des Asylgesetzes (1968) sei.

In der Begründung führte die belangte Behörde dazu aus, daß es dem Beschwerdeführer durch seine Aussagen nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung darzutun. Aufgrund der allgemeinen Lage im Kosovo könne nicht von einer Gruppenverfolgung der dortigen albanischen Bevölkerung ausgegangen werden. Zu den "angeblichen Ereignissen gegen ihren Bruder" werde festgehalten, daß die Verfolgung von Familienangehörigen nicht zur Asylgewährung führen könne. Die Tätigkeit des Beschwerdeführers im Rahmen der erwähnten politischen Organisation indiziere keine staatliche Verfolgung, zumal der Beschwerdeführer nicht einmal angedeutet habe, daß diese Tätigkeit den Behörden seines Heimatlandes bekannt geworden sei.

Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergeben sich somit keine konkreten gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgungshandlungen. Aus diesem Grund sei auf die als Beweisstück vorgelegte Gerichtsladung nicht näher einzugehen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Vernehmung im erstinstanzlichen Verfahren ausgesagt, daß er nach einem Giftgasanschlag auf eine Schule gemeinsam mit seinem Bruder mitgeholfen habe, Kinder ins Krankenhaus zu bringen. Sein Bruder sei wegen dieser Handlungen aufgrund eines nur gegen ethnische Albaner angewendeten Gesetzes zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er befürchte, bei einer Rückkehr in den Kosovo ebenfalls "eingesperrt" zu werden. Bei seiner ergänzenden Befragung am 10. April 1996 hat er ausgesagt, wegen der Vorfälle im Zusammenhang mit dem Giftgasanschlag auf die Kinder in seiner Heimat gesucht zu werden. Darüberhinaus hat er im Berufungsverfahren ein Schriftstück vorgelegt, wonach er zum Antritt einer gerichtlichen Strafe aufgefordert wird.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde hat der Beschwerdeführer durch diese Angaben sehr wohl eine konkret gegen ihn gerichtete staatliche Verfolgung vorgebracht. Richtig ist zwar, daß Verfolgungshandlungen gegen Familienangehörige grundsätzlich nicht geeignet sind, eine asylrelevante Verfolgungsgefahr darzutun (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. April 1998, Zl. 96/01/0136). Der Beschwerdeführer hat jedoch nicht vorgebracht, aufgrund des von seinem Bruder gesetzten Verhaltens verfolgt werde, sondern geltend gemacht, daß er wegen seiner Hilfeleistung für von einem Giftgasanschlag betroffene Kinder von den Behörden verfolgt zu werden. Zur Dartuung dieser Verfolgungsgefahr hat er sich (u.a.) - zulässigerweise - darauf berufen, daß sein Bruder, der dieselbe Handlung begangen habe, zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Da der Beschwerdeführer jedenfalls insoweit eine ihn konkret treffende asylrelevante staatliche Verfolgung geltend gemacht hat, hätte sich die belangte Behörde mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob diesem Vorbringen Glaubwürdigkeit zukommt. Dabei hätte sie insbesondere - auf Grundlage des durchgeführten Ermittlungsverfahrens - dazu Stellung nehmen müssen, ob sie die vom Beschwerdeführer vorgelegte gerichtliche Ladung für echt hält.

Da die belangte Behörde somit in Verkennung der Rechtslage zum Ergebnis kam, daß das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet sei, eine asylrelevante Verfolgung darzutun, war der angefochtenen Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 16. Dezember 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996011194.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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