TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/3 W191 2133184-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.06.2019
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Entscheidungsdatum

03.06.2019

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W191 2133184-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren am XXXX Staatsangehörigkeit Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.05.2017, Zahl 1050953904, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 29.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage vom 29.01.2015 ergab, dass der BF am 27.08.2014 in Griechenland und am 19.01.2015 in Ungarn erkennungsdienstlich behandelt worden war.

1.2. In seiner Erstbefragung am 30.01.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion (PI) Traiskirchen, Erstaufnahmestelle (EAST) Ost, gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari und seiner Vertreterin im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, schiitischer Moslem und ledig. Er sei in einem genannten Dorf im Distrikt Gharabagh, Provinz Ghazni, Afghanistan, geboren und habe dort bis zu seinem vierten Lebensjahr mit seinen Eltern und seinem Bruder gelebt. Als sein Geburtsdatum wurde der XXXX festgehalten. Seine Eltern seien im Jahr 2003 verschwunden. Sein Onkel habe ihn und seinen Bruder zu sich genommen und sei mit ihnen im Jahr 2004 in den Iran gezogen. Von 2007 bis 2009 habe er die Grundschule im Iran besucht.

Vor ca. vier Monaten habe er den Iran verlassen und sei über die Türkei nach Griechenland gelangt. Anschließend sei er mit einem Sattelzug in einen unbekannten Wald gebracht worden und von dort zu Fuß nach Ungarn gegangen. Über ihm unbekannte Länder sei er weiter nach Österreich gereist.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, seine Eltern hätten ihn und seinen Bruder im Jahr 2004 zu seinem Onkel gebracht und diesem mitgeteilt, sie würden nach Kabul fahren. Anschließend habe der BF sie nicht mehr gesehen und auch nichts mehr von ihnen gehört. Sein Onkel habe sich entschlossen, sie in den Iran zu bringen. Dort würden sie seit dem Jahr 2004 leben. Weil sie im Iran illegal gelebt und ständig Angst gehabt hätten, dass sie nach Afghanistan abgeschoben werden könnten, habe sich sein Onkel dazu entschlossen, ihm die Reise nach Österreich zu organisieren. Im Iran habe er nicht zur Schule gehen dürfen, er habe keine Papiere erhalten und arbeiten müssen. Er habe dort keine Zukunft gesehen, deshalb sei er ausgereist. In Afghanistan habe er niemanden.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 14.07.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Steiermark, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, seiner Vertreterin und einer Vertrauensperson, machte der BF im Wesentlichen gleichlautende Angaben an.

Im Iran habe er zwei Jahre lang eine Schule besucht und dann als Gehilfe eines Installateurs gearbeitet. In seinem Herkunftsland habe er keine Verwandten.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, dass sein Großvater und sein Vater gemeinsame Feinde in Afghanistan gehabt hätten. Sein Großvater sei von diesen getötet worden und auch sein Vater sei vermutlich Opfer dieser Täter geworden. Die genauen Gründe könne er nicht nennen. Er sei als kleines Kind gemeinsam mit seinem Onkel geflüchtet. Den Iran habe er verlassen müssen, da er keine Schule habe besuchen können, keine Papiere gehabt habe und ständig die Gefahr bestanden habe, dass er nach Afghanistan abgeschoben werde. Das Leben für Afghanen sei im Iran sehr schwer. Afghanistan kenne er nicht, dort wäre er obdachlos. Außerdem wisse er, dass die Sicherheitslage nicht in Ordnung sei. Er hätte weiters Angst, bei einer Rückkehr für die Taliban kämpfen zu müssen oder zu verhungern.

Im Rahmen der Einvernahme wurden vom BF ein psychiatrischer Befund, ein Befundbericht, zwei Deutschkursbestätigungen sowie eine Stellungnahme der den BF betreuenden Organisation vorgelegt. Aus dem psychiatrischen Befund eines Facharztes von OMEGA ging hervor, dass der BF an einer Anpassungsstörung litt. Zur Behandlung wurde ein Medikament sowie eine psychologische Behandlung oder Psychotherapie vorgeschlagen. Im Befundbericht eines Facharztes für Kinder- und Jugendheilkunde wurde eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert und eine medikamentöse Behandlung empfohlen.

In seiner fristgerecht erstatteten - offenbar von einer Hilfsorganisation unterstützt erstellten - Stellungnahme zur Einvernahme vom 14.07.2016 brachte der BF vor, dass die Gründe für die Flucht aus Afghanistan in den Iran bei gemeinsamen Feinden seines Großvaters und Vaters liegen würden, die seinen Großvater und vermutlich auch seine Eltern getötet hätten. Im Fall einer Rückkehr habe der BF Angst, von den Feinden getötet zu werden sowie von den Taliban zwangsrekrutiert und im schlimmsten Fall von ihnen getötet zu werden. Ebenso fürchte er sich aufgrund seines langjährigen Aufenthalts im Iran vor einer Rückkehr nach Afghanistan, da er dort über kein soziales Netzwerk mehr verfüge und auch nicht mit den Strukturen vor Ort vertraut sei. Er habe fürchterliche Angst, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland auf der Straße leben müsse und dort verhungere. Wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe seines Großvater/Vaters werde er von deren Feinden von privater Seite asylrelevant bedroht und verfolgt, wobei das ineffektive und korrupte Staatswesen nicht in der Lage erscheine, ihn entsprechend zu schützen.

Weiters sei der BF aufgrund seines nur kurzen Aufenthalts in Afghanistan mit den Strukturen vor Ort nicht vertraut und habe dort weder Bezugspersonen noch eine Lebensgrundlage. Er sei deshalb durch seine Zugehörigkeit zur besonders vulnerablen sozialen Gruppe der verlassenen Kinder in Afghanistan als Flüchtling im Sinne der GFK anzusehen. Der BF sei überdies aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Hazara einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Seine fehlende Erfahrung mit Kabul und das Fehlen einer innerstaatlichen Fluchtalternative wurden thematisiert. Darüber hinaus wurde aus zahlreichen Erkenntnissen des BVwG und höchstgerichtlicher Rechtsprechung sowie diversen Länderberichten zur Lage von verlassenen Kindern und deren Rückkehrsituation, zur Zwangsrekrutierung, zur Lage der Hazara und zur Sicherheitslage in Kabul zitiert. Zusammengefasst würde ihn eine Rückkehr nach Afghanistan in eine Situation versetzen, die mit Art. 3 EMRK nicht zu vereinbaren wäre. Überdies sei der BF ein unbegleiteter Minderjähriger und es handle sich daher bei ihm um eine besonders vulnerable Person.

1.4. Mit Bescheid vom 19.07.2016 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 29.01.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz wurde damit begründet, dass der BF keine Gefährdungslage bezogen auf seine Person glaubhaft machen hätte können. Es sei davon auszugehen, dass es ihm jedenfalls möglich sei, die existenziellen Grundbedürfnisse wie Nahrung und Unterkunft zu erfüllen. Es hätten sich keine Anhaltspunkte hervorgetan, wonach er nicht entweder alleine in seiner Heimatprovinz Ghazni oder alleine in Kabul, Herat oder in einer anderen Großstadt Afghanistans, wo sich die Sicherheitslage nicht grundsätzlich verschlechtert habe, leben könnte. Er sei ein junger, gesunder Mann, der bereits im Iran bewiesen habe, dass ein Überleben in fremder Umgebung gelinge. Vor allem seine Fähigkeiten als Gehilfe eines Installateurs könnten ihm von Nutzen sein. Somit sei es ihm durchaus zumutbar, alleine in Afghanistan zu leben und sich seinen Lebensunterhalt durch Arbeit selbst zu finanzieren.

1.5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schreiben vom 17.08.2016 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG), mit dem der Bescheid gesamtinhaltlich angefochten wurde.

Der BF brachte im Wesentlichen vor, die Behörde habe es verabsäumt, den entscheidungsrelevanten Sachverhalt vollständig festzustellen sowie das Vorbringen des BF in wesentlichen Punkten zu würdigen. Es wäre die Aufgabe der Behörde gewesen, den asylrelevanten Sachverhalt durch genaues Nachfragen zu eruieren, zumal ihr im Verfahren betreffend minderjährige Asylwerber besondere Manuduktions- und Sorgfaltspflichten obliegen würden.

Darüber hinaus lasse sich eine Würdigung des jungen Alters des BF als einer der Grundlagen der Beweiswürdigung nicht entnehmen, vielmehr sei auf dieses in keiner Weise Rücksicht genommen worden. Bei der Heimatprovinz des BF, Ghazni, handle es sich um eine der unsichersten Provinzen Afghanistans, die durch hohe Talibanpräsenz gekennzeichnet sei, dies sei von der Behörde nicht beachtet worden. Die Mangelhaftigkeit der behördlichen Beweiswürdigung zeige sich auch darin, dass der 16 Jahre alte minderjährige BF als "junger arbeitsfähiger Mann" bezeichnet werde. Zudem verfüge er über keine Erfahrungen am Arbeitsmarkt in Afghanistan und habe in seinem Heimatland keine schulische Grundausbildung und keine spezielle Berufsausbildung genossen. Die Behörde habe die derzeitige Lage in der Herkunftsregion bzw. die Situation in Afghanistan unberücksichtigt gelassen. Hinsichtlich der angefochtenen Rechtswidrigkeit des Inhalts wiederholte der BF im Wesentlichen sein Vorbringen aus der Stellungnahme.

1.6. Mit Beschluss vom 02.12.2016, W191 2133184-1/2E, behob das BVwG den Bescheid vom 19.07.2016 gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück.

Begründend führte das BVwG u.a. aus (Auszug):

"[...] 2.2.3. Im vorliegenden Fall war es die Aufgabe der belangten Behörde zu klären, ob der BF zum einen eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen konnte, und zum anderen, ob darüber hinaus menschen- bzw. asylrechtliche Gründe einer Rücküberstellung bzw. Ausweisung in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden und ihm der Status als subsidiär Schutzberechtigter zu gewähren wäre.

2.2.3.1. Zur Frage der Gewährung des Status als Asylberechtigter:

Das gegenständliche Verwaltungsverfahren wurde teilweise nur rudimentär und mangelhaft geführt und weist somit relevante Mängel auf (dazu näher siehe auch Punkt 2.2.3.2.). [...]

2.2.3.2. Bezüglich der Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) ist nach der anzuwendenden Rechtslage und der dazu ergangenen Judikatur (sowohl des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte als auch der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, des Asylgerichtshofes, des BVwG und der - zwar nicht immer einheitlichen, aber in der Linie jedenfalls übereinstimmenden - Judikatur der entsprechenden deutschen Gerichte) zusätzlich zu objektiven Kriterien (Lage im Land) das Vorliegen von subjektiven bzw. individuellen Kriterien (Situation des Antragstellers) für die Erlangung des Status als subsidiär Schutzberechtigter zu prüfen.

Dass die Nichterteilung von subsidiärem Schutz an afghanische Staatsangehörige nach den aktuellen Länderberichten eine relativ gute Sicherheitslage in der Herkunftsregion sowie das Vorhandensein eines hinreichenden sozialen Netzes erfordert, entspricht der aktuellen, mehrjährigen Judikatur des VfGH, der sich bislang grundsätzlich auch der VwGH angeschlossen hat.

Bezüglich des BF war daher neben seinen persönlichen Umständen in Prüfung seiner Lebensumstände zu klären, woher er stammt, wo sich seine Familie nun aufhält, ob der BF daher über ein soziales Netzwerk in seinem Herkunftsland verfügt und wie die Lage in diesen Regionen aktuell ist, bzw. über seine diesbezüglichen Angaben hinreichend beweiswürdigend abzusprechen.

Zu seinen persönlichen Umständen ist festzuhalten, dass es sich - wie bereits oben erläutert - um einen unbegleiteten minderjährigen Asylwerber mit einer Anpassungsstörung und einer posttraumatischen Belastungsstörung handelt.

Wie vom BFA festgestellt wurde, ist der BF weiters Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Einem im Jahr 2016 erschienenen Dossier zu den Grundlagen der Stammes- und Clanstruktur (herausgegeben von der Staatendokumentation des BFA) ist zu entnehmen, dass Hazara - im Gegensatz zu der Volksgruppe der Paschtunen - nicht in größeren Clans oder Stämmen organisiert sind, sodass insofern nicht von einer "Stammesstruktur" gesprochen werden kann. Das soziale Netzwerk der Hazara besteht hauptsächlich aus der direkten Familie: Die Eltern helfen den Kindern, die Brüder helfen einander. Als patrilineare Gesellschaft sind die Bande zwischen Brüdern und Cousins ersten Grades auf der väterlichen Seite besonders stark.

Der Aufenthalt der Eltern des BF ist unbekannt, sein Onkel und sein jüngerer Bruder leben im Iran. Nach Angaben des BF hat er keine Verwandten im Herkunftsland, sodass von keinem sozialen Netzwerk in seinem Herkunftsland auszugehen ist. Dass sich der BF seit seiner Ausreise als Kleinkind im Jahr 2004 in seinem Herkunftsland aufgehalten hätte, ist nicht ersichtlich.

Im vorliegenden Fall hat das BFA ausgesprochen, dass eine Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der individuellen Situation insgesamt zumutbar erscheine. In seiner Heimatprovinz Ghazni sei den Aufständischen mit einer Anzahl von erfolgreichen militärischen Operationen entgegengetreten worden und es würden Antiterror-Operationen durchgeführt werden, um gewisse Gegenden von Terroristen zu befreien. Auch würden gerade in Ghazni viele Hazara leben, was für eine neuerliche Eingliederung in die Gesellschaft von Vorteil sei. Bei ihm handle es sich um einen jungen arbeitsfähigen Mann, der aus der Provinz Ghazni stamme. Selbst wenn er seinen Heimatort nicht erreichen könne, gehe aus den vorhandenen Unterlagen vor, dass eine Ansiedelung in Kabul, Mazar-e Sharif, Jalalabad und Herat sogar für Personen ohne Beziehungen möglich sei. Unter Berücksichtigung seiner oben dargelegten persönlichen Verhältnisse und seiner beruflichen Fähigkeiten (Installateurgehilfe) sei es ihm in Afghanistan durchaus möglich und zumutbar, sich an in Kabul oder anderen Großstädten ansäßige staatliche, nichtstaatliche oder internationale Hilfseinrichtungen, zu wenden.

Das BFA hat in seiner Annahme, der BF könne nach Ghazni zurückgehen, allerdings einen Großteil der - ebenfalls im Bescheid zitierten - Länderfeststellungen außer Acht gelassen, in welchen Ghazni als volatile Provinz beschrieben wird, in welcher regierungsfeindliche aufständische Truppen aktiv sind und regelmäßig Aktionen durchführen. Die Sicherheitsatmosphäre wird auch als weiterhin volatil angesehen, sodass die Annahme, der BF könne dorthin zurückkehren, nicht nachvollziehbar erscheint.

Zur Frage des allfälligen Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative - etwa in Kabul -, wird angemerkt, dass der VfGH in seiner Entscheidung vom 27.11.2013, U825/2012, dazu ausgesprochen hat (Rechtssatz):

"Soweit der Asylgerichtshof die Situation in Kabul schildert, kommt diesen Ausführungen kein Begründungswert zu, weil sich der Beschwerdeführer vor seiner Flucht weder in Kabul aufgehalten hat noch dort über irgendwelche soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte verfügt."

Nähere Feststellungen zur Situation in Kabul und über die zu erwartende konkrete Lage des BF in Kabul oder in anderen afghanischen Großstädten sind dem Bescheid jedoch nicht zu entnehmen, sodass insofern keine Beschäftigung mit dem - wie der VwGH ausgeführt hat - der innerstaatlichen Fluchtalternative innewohnenden Zumutbarkeitskalkül stattgefunden hat. Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwieweit es für alleinstehende Rückkehrer in Kabul oder anderen Großstädten Möglichkeiten gäbe, sich dort - sofern man nicht der Volksgruppe der Paschtunen angehört - ohne jeglichen familiären oder sonstigen sozialen Anschluss eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen, noch dazu, wenn es sich dabei um einen Minderjährigen mit psychischen Erkrankungen handelt.

Es erscheint somit nicht nachvollziehbar, wie das BFA, unter Einbeziehung der Aussagen des BF und der Ausführungen in den aktuellen Länderfeststellungen, zum Ergebnis gelangt, dass der BF unter diesen Umständen alleine nach Afghanistan zurückkehren und sich dort eine Existenz aufbauen könnte. [...]

Angemerkt wird noch, dass die Aussage der Behörde, dass der BF "mit hoher Wahrscheinlichkeit nach wie vor Verwandte in Afghanistan besitzt und diese nicht nennen will", offenbar eine reine Mutmaßung ohne substanziellen Gehalt darstellt. [...]

2.2.5. Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA die dargestellten Mängel zu verbessern und in Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs dem BF die Ermittlungsergebnisse zur Kenntnis zu bringen haben. [...]"

1.7. Bei seiner Einvernahme im fortgesetzten Verfahren am 08.05.2017 vor dem BFA, Regionaldirektion Steiermark, wiederholte der BF im Wesentlichen seine bisher im Verfahren gemachten Angaben.

Konkrete Angaben zu seinem Fluchtvorbringen konnte er auch in dieser Einvernahme, auch auf Nachfragen, nicht machen.

Laut seinen Angaben, die die Behörde auch durch telefonische Nachfrage beim behandelnden Arzt überprüfte, hatte sich die gesundheitliche Situation beim BF etwas verbessert. Eine Behandlung war nicht mehr notwendig.

1.8. Mit Stellungnahme seines damaligen Vertreters vom 18.05.2017 wurden Angaben zur Lage des BF samt weitwändigen Ausführungen wiederholt.

1.9. Nach Durchführung des fortgesetzten Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 29.05.2017 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 20.01.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG erneut ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 29.05.2018 (Spruchpunkt III.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Eine asylrelevante Verfolgung habe der BF völlig vage, unkonkret und unsubstantiiert vorgebracht und somit nicht glaubhaft gemacht.

Subsidiärer Schutz wurde ihm mit folgender Begründung zuerkannt:

"[...] so steht für die Behörde doch fest, dass sich Afghanistan in einer schwierigen Phase befindet und daher eine Prüfung unter Zugrundelegung des Zumutbarkeitskalküls geboten ist. Für die Bewertung, ob die Lebensgrundlage nicht mehr gegeben ist, setzt das hiefür aus der Lehre und Judikatur entwickelte "Zumutbarkeitskalkül" voraus, dass Sie im in Frage kommenden Gebiet in eine ausweglose Lage geraten. Sowohl Ihre Ausführungen, wie auch die Berücksichtigung individueller Faktoren (Minderjährigkeit, keine Anknüpfungspunkte zu einem Familiennetzwerk, sprachliche Barriere aufgrund Ihres iranischen Dialektes) und die Lageentwicklung in Afghanistan lassen die Behörde zum Befinden kommen, dass in Ihrem Falle die Kriterien für eine ausweglose Lage derzeit noch vorliegen, Ihnen somit objektiv gesehen die Lebensgrundlage in Ihrem Herkunfts- und Heimatsstaate entzogen ist. [...]"

1.10. Gegen diesen Bescheid richtet sich das mit Schreiben seiner damaligen Vertreterin vom 27.06.2017 fristgerecht eingebrachte Rechtsmittel der Beschwerde, mit dem Spruchpunkt I. wegen "Verletzung von Verfahrensvorschriften" sowie wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes angefochten wurde.

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen das Vorbringen des BF im Verfahren zusammengefasst wiederholt und die Beweiswürdigung der Erstbehörde kritisiert. Weiters folgten Rechtsausführungen etwa zur Fragetechnik gegenüber minderjährigen Personen, die zudem zum Zeitpunkt der angegebenen Ereignisse noch Kleinkinder waren, sowie zur Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (hier jener der Familie wegen Blutfehde), unter Zitierung aus diversen Berichten und Judikaten.

1.11. Das BVwG führte am 13.05.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF persönlich in Begleitung seines gewillkürten Vertreters erschien. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Dari. Aufgrund meines fast lebenslangen Aufenthaltes im Iran spreche ich auch Farsi.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?

D: Dari.

RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF: Nein.

RI: Laut Akt hatten Sie doch psychische Probleme?

BF: Ja, ich war einige Male in psychotherapeutischer Behandlung und nahm Schlaftabletten, weil ich nicht schlafen konnte. Seit mehr als einem Jahr habe ich keine Probleme mehr.

[...]

Der BF hat bisher keine Bescheinigungsmittel zu seiner Identität oder zu seinem Fluchtvorbringen vorgelegt und legt auch heute keine vor.

Bezüglich seiner Integration und Gesundheit hat er mehrere Bescheinigungsmittel vorgelegt.

Heute legt er keine Bescheinigungsmittel vor.

BF (teilweise in Deutsch): Ich habe zuhause einige Bestätigungen, die habe ich leider nicht mitgenommen. Ich habe über das AMS einige Kurse besucht und je halbjährliche Ausbildungen für Trockenbau und Maler absolviert. Ich habe für Firmen als Maler gearbeitet, zuletzt bis vor zwei Monaten bei einer Firma, von der ich aber weggegangen bin, da sie Zahlungen meist spät geleistet hat. Ich habe Deutschprüfungen A1 und A2 absolviert und bin in eine sechsmonatige Schule (ALEA) gegangen, wo wir in Deutsch, Englisch, Mathematik, Sport, IT unterrichtet wurden.

[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Ja.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Ich bin Hazara.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Ich bin schiitischer Moslem.

RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: Nein.

RI: Sind Sie verlobt, oder beabsichtigen Sie, in nächster Zeit zu heiraten?

BF: Nein.

RI: Haben Sie Kinder?

BF: Nein.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat (Iran) eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF: Ich habe im Iran zwei Jahre eine private afghanische Schule besucht. Weil ich keinen Ausweis hatte, durfte ich die Schule nicht weiter besuchen. Dann habe ich als Installateur gearbeitet.

RI: Wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?

BF: Als ich klein war, mein Onkel väterlicherseits, und dann ich selbst und mein jüngerer Bruder.

RI: Geben Sie bitte soweit wie möglich chronologisch an, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

BF: Als ich vier Jahre war, gingen wir in den Iran und nicht mehr zurück.

RI: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

BF: Mein Onkel und seine Familie leben im Iran und andere Verwandte leben auch dort, in Afghanistan habe ich keine Verwandten.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern? Haben Sie in Österreich wichtige Kontaktpersonen, und wie heißen diese?

BF: Ich habe mehrere Freunde, mit denen ich gerne meine Freizeit verbringe und auch manchmal am Abend fortgehe.

BF nennt mehrere Freunde namentlich.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF: Ich verstehe ca. 50 %, vielleicht auch mehr.

RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und auf Deutsch beantwortet hat.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF: Ich gehe mit Freunden Spazieren, ich spiele Fußball mit Freunden. Früher habe ich auch Fitness gemacht, dann habe ich zu arbeiten begonnen, und dann hatte ich keine Zeit mehr dafür. Einmal habe ich bei einem Projekt mitgewirkt, bei dem für Obdachlose in einem Kunstprojekt ein Bett hergestellt wurde.

BF zeigt dieses Bett auf seinem Handy.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF: Nein. Einmal habe ich wegen Schwarzfahrens eine Strafe bezahlt, da ich nicht wusste, dass ich meine Jahreskarte hätte nachbringen können. Einmal zu Beginn meines Aufenthaltes hier hatten wir Streit in der Unterkunft. Ein anderer Bewohner hat mich mit dem Messer verletzt, ich war eine Woche im Spital und wurde operiert. Vor Gericht wurde ich freigesprochen, der andere wurde verurteilt.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF: Ganz wenig. Ca. alle zwei bis drei Monate telefoniere ich mit meinem Bruder.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.

Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht, oder wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen, das Ihnen wichtig erscheint?

BF: Ja, ich habe alles gesagt und es stimmt. Nur die Namen meines Vaters und meines Onkels in der Einvernahmeniederschrift wurden vertauscht.

RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF: Ich kann nicht nach Afghanistan zurückkehren. Sie wissen, die Sicherheitslage in Afghanistan ist schlecht. Ich kenne mich dort nicht aus und habe dort niemanden.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens des BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

RI folgt BFV Kopien dieser Erkenntnisquellen aus und gibt ihm die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben des BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.

Seitens der Parteien erfolgt keine Stellungnahme und es wird auch keine Frist für eine schriftliche Stellungnahme beantragt.

RI befragt BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.

RI befragt BFV, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.

RI befragt BF, ob er D gut verstanden habe; dies wird bejaht. [...]"

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).

Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 30.01.2015 und der Einvernahmen vor dem BFA am 14.07.2016 und im fortgesetzten Verfahren am 08.05.2017, den aufgehobenen Bescheid vom 19.07.2016 sowie die Beschwerdegegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid (vom 29.05.2017) vom 15.07.2016

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 523 bis 598)

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 13.05.2019

* Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

? Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie zur medizinischen Versorgung (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 26.03.2019) sowie

? Auszug aus einer Auskunft der SFH-Länderanalsyse vom 05.04.2017 zum Thema: "Afghanistan: Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung"

Der BF hat keinerlei Beweismittel oder sonstige Belege für sein Fluchtvorbringen vorgelegt.

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Die nachfolgenden Feststellungen gründen sich auf die unter Punkt 2. erwähnten Beweismittel.

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari, er spricht aufgrund seines fast lebenslangen Aufenthaltes im Iran auch Farsi.

3.1.2. Der BF hat den Iran wegen der dortigen schwierigen Lebensbedingungen für afghanische Staatsangehörige und wegen der Gefahr der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan (aus dem seine Eltern stammen) verlassen.

3.1.3. Der BF ist ein tüchtiger junger Mann in einer schwierigen Lebenssituation. Er verlor mit vier Jahren seine Eltern und ging mit seinem Onkel und seinem Bruder in den Iran, wo er illegal aufhältig war. Als 15-Jähriger kam er alleine nach Österreich und hatte zunächst gesundheitliche (psychische) Probleme, die er sodann anscheinend in den Griff bekam. Inzwischen ist er volljährig geworden, kann Integrationserfolge verzeichnen und wird - wie er schon gezeigt hat - voraussichtlich in der Lage sein, sein Leben in Österreich zu meistern und für seinen Unterhalt selbst zu sorgen.

3.2. Zu den Fluchtgründen:

3.2.1. Der BF ist nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft. Er war nicht politisch aktiv und hatte auch sonst keine über das Antragsvorbringen hinausgehenden Probleme in seinem Herkunftsstaat.

3.2.2. Der BF hat sein Vorbringen, dass er in Gefahr wäre, in Afghanistan wegen der Feindschaft seines Großvaters und seines Vaters zu anderen Personen oder aus anderen Gründen verfolgt zu werden, nicht glaubhaft gemacht, und konnten somit asylrelevante Gründe des BF für das Verlassen seines Heimatstaates nicht glaubhaft gemacht werden. Es konnte vom BF auch nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.

3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren zusätzlich eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", zuletzt aktualisiert am 26.03.2019, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

[...]

2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), [...]

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei zwölf Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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