Index
L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Keine Gesetzwidrigkeit einer Gemeindeverordnung betreffend die Widmung eines Privatweges für den öffentlichen Verkehr als Gemeindestraße; Erteilung der erforderlichen Zustimmung der Eigentümer des Weges entgegen den Annahmen des PrüfungsbeschlussesSpruch
Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Oberperfuss vom 4.12.1987 betreffend die Entlassung der alten Wege aus dem Gutsbestand EZl. 294 II und 887 II KG. Oberperfuss, öffentliches Gut Wege, und die Übernahme der neuen Wege in EZl. 294 II und 887 II KG. Oberperfuss, kundgemacht durch Anschlag vom 7.12.1987 bis zum 12.1.1988 und vom 21.1.1988 bis zum 5.2.1988, wird, soweit sie den Weg at/38 betrifft, nicht als gesetzwidrig aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B5/95 ein Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrundeliegt:
Der Bürgermeister der Gemeinde Oberperfuss trug dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 21.5.1993 gemäß §4 Abs4 des Tiroler Straßengesetzes auf, "die unzulässige Behinderung des Gemeingebrauches des Gemeindeweges at/38 (nunmehr Gp. 2701) sofort zu beenden" und die - an einer näher bezeichneten Stelle - befindliche Tafel "Privatstraße - Durchfahrt verboten" binnen 14 Tagen ab Erhalt des Bescheides zu entfernen.
Mit Bescheid vom 27.6.1994 wies der Gemeinderat der Gemeinde Oberperfuss die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung ab. Die dagegen erhobene Vorstellung wurde mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 15.11.1994 als unbegründet abgewiesen.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die eingangs erwähnte Verfassungsgerichtshofbeschwerde.
Die Tiroler Landesregierung als belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, auf welche der Beschwerdeführer mit einer Äußerung repliziert hat.
Am 28.2.1996 beschloß der Verfassungsgerichtshof aus Anlaß der Beratung über die Beschwerde gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Oberperfuss vom 4.12.1987 betreffend die Entlassung der alten Wege aus dem Gutsbestand EZl. 294 II und 887 II KG. Oberperfuss, öffentliches Gut Wege, und die Übernahme der neuen Wege in EZl. 294 II und 887 II KG. Oberperfuss, kundgemacht durch Anschlag vom 7.12.1987 bis zum 12.1.1988 und vom 21.1.1988 bis zum 5.2.1988, soweit sie den Weg at/38 betrifft, zu prüfen.
3. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
3.1. §37 Tiroler Straßengesetz, LGBl. für Tirol Nr. 1/1951 idF LGBl. Nr. 10/1970, lautet wie folgt:
"§37. Straßenbehörde und Verwaltung.
(1) Die Gemeinde hat dafür zu sorgen, daß sämtliche Gemeindestraßen ordnungsmäßig in Stand gehalten und etwaige Verkehrshindernisse unverzüglich beseitigt werden. Bei Gefahr im Verzug hat sie die nötigen Vorkehrungen auf Kosten der Erhaltungspflichtigen zu treffen.
(2) Dem Gemeinderat sind insbesondere vorbehalten:
a)
die Entscheidung über die Öffentlichkeit einer Straße und die Zu- und Aberkennung der Eigenschaft als Gemeindestraße;
b)
die Widmung eines Privatweges für den öffentlichen Verkehr als Gemeindestraße, wenn der Eigentümer des Weges und die an demselben auf Grund des Privatrechtes Benützungsberechtigten zustimmen oder die Voraussetzungen der Enteignung vorliegen. In diesem Fall tritt der Beschluß erst mit Rechtskraft des Enteignungsbescheides in Kraft;
c)
die Beschlußfassung über die Herstellung einer neuen oder die gänzliche oder teilweise Auflassung einer bestehenden Gemeindestraße. Vor der Beschlußfassung ist eine örtliche Verhandlung durchzuführen;
d)
die Entscheidung über den Bestand, die Art und den Umfang sowie die Regelung neuer oder Änderung bestehender Straßenerhaltungsverpflichtungen;
e)
die Erlassung allgemeiner Anordnungen über die Benutzung und Erhaltung der Gemeindestraßen.
(3) Die auf Grund des Abs2 lita und c gefaßten Beschlüsse des Gemeinderates bedürfen, soweit sie Straßen betreffen, die bis zur Gemeindegrenze führen und dort Anschluß an eine andere öffentliche Straße haben, zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung der Landesregierung. Diese Genehmigung darf nur versagt werden, wenn durch den Beschluß des Gemeinderates überörtliche Verkehrsinteressen wesentlich beeinträchtigt werden. Dieser Genehmigungsvorbehalt gilt nicht für die vom Gemeinderat der Stadt Innsbruck gefaßten Beschlüsse."
Am 1. April 1989 trat das Tiroler Straßengesetz, LGBl. für Tirol Nr. 1/1951, außer Kraft. Gleichzeitig trat das Tiroler Straßengesetz, LGBl. für Tirol Nr. 13/1989, in Kraft (§84 leg.cit.).
3.2. Die Kundmachung der Verordnung des Gemeinderates Oberperfuss vom 4.2.1987 betreffend einzelne Wege - der in Prüfung gezogene Verordnungsteil ist hervorgehoben - lautet wie folgt:
"Der Gemeinderat hat in seiner Sitzung vom 4.12.1987 beschlossen, die alten Wege aus dem Gutsbestand EZl. 294 II und 887 II KG. Oberperfuss, öffentliches Gut Wege zu entlassen und dafür die neuen Wege in EZl. 294 II und 887 II KG. Oberperfuss zu übernehmen:
Alte Wege Gp.: ...
Neue Wege Abfindungen at/ : 1, 2, 3, 4, ...
...
36, 37, 38, 39, 40, 41, ...
...
Der Gemeinderat behält sich vor, im Sinne des §37 und der §§42 ff des Tiroler Landesstraßengesetzes, Landesgesetzblatt Nr. 1/1951 in der Fassung der Novelle, Landesgesetzblatt Nr. 10/1970 eine andere Regelung nach Abschluß der Zusammenlegung herbeizuführen."
4.1. Im Prüfungsbeschluß hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Verordnung, soweit sie das Grundstück at/38 betrifft, nicht gesetzmäßig zustande gekommen sei. Es schien dem Verfassungsgerichtshof, daß die gemäß §37 Abs2 litb des Tiroler Straßengesetzes, LGBl. für Tirol Nr. 1/1951, als Voraussetzung für die Widmung eines Privatweges für den öffentlichen Verkehr als Gemeindestraße erforderliche Zustimmung der Eigentümer des Weges nicht erteilt worden sei.
4.2. Bei der Fassung des Einleitungsbeschlusses ging der Gerichtshof vorläufig davon aus, daß die in Prüfung gezogene Verordnung, soweit sie das Abfindungsgrundstück at/38 betrifft, von der belangten Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendet wurde und daß auch er sie bei der Beurteilung der vorliegenden Beschwerde insoweit anzuwenden hätte.
5.1. Im Verordnungsprüfungsverfahren hat der Bürgermeister der Gemeinde Oberperfuss eine Äußerung erstattet, auf die jedoch, da nicht vom verordnungserlassenden Organ, dem Gemeinderat, abgegeben, nicht weiter einzugehen ist.
5.2. Die Tiroler Landesregierung hat eine Reihe von Unterlagen vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der sie dem Bedenken des Verfassungsgerichtshofes entgegentritt. In ihrer Äußerung wird insbesondere ausgeführt:
"Mit Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz, IIIb2-1375/1, vom 26.09.1967, wurde gemäß §3 Abs1 des Flurverfassungslandesgesetzes, LGBl. Nr. 32/1952, die Zusammenlegung der landwirtschaftlichen Grundstücke der KG. Oberperfuß eingeleitet und aus der Gesamtheit der Grundbesitzer der einbezogenen Grundstücke die Grundbesitzergemeinschaft der Zusammenlegung Oberperfuß gebildet. Mit Kundmachung vom 06.06.1968, IIIb2-107/13, wurde festgestellt, daß der Einleitungsbescheid am 13.03.1968 rechtskräftig geworden ist. Die Grundbesitzergemeinschaft ist gemäß §8 des Flurverfassungslandesgesetzes, LGBl. Nr. 32/1952, eine Körperschaft öffentlichen Rechtes. An ihrem rechtlichen Weiterbestand hat sich weder durch das Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1969 (TFLG 1969), LGBl. Nr. 34/1969, noch durch das Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1978 (TFLG 1978), LGBl. Nr. 54/1978, etwas geändert. Es ist lediglich anstelle der Bezeichnung 'Grundbesitzergemeinschaft' die Bezeichnung 'Zusammenlegungsgemeinschaft' getreten.
Das GSt. 105/8 in EZ 689 GB Oberperfuß ist in das Zusammenlegungsgebiet Oberperfuß einbezogen. Die Tatsache der Einbeziehung ist im Grundbuch unter A 2 LNR 1a dieser Einlage angemerkt. Das Gst. 105/8 stellt in der Natur eine Wegfläche dar. Es gehört nach dem derzeitigen bücherlichen Stand neun Miteigentümern, die diese Wegfläche als Zufahrt zu ihrem Baugrundstück benützen. Als Parteien im Zusammenlegungsverfahren haben sie das Recht, alle von der Zusammenlegungsgemeinschaft gebauten bzw. verbesserten Anlagen (Wege) zu benützen. Sie haben aber gleichzeitig auch die Pflicht, hiefür Grund aufzubringen und sich an den Kosten zu beteiligen (§17 Abs2 TFLG 1978). Diesen gesetzlichen Forderungen entsprechend wurde das Gst. 105/8 zur Grundaufbringung für das Wegenetz herangezogen und anläßlich der Neueinteilung mit Bescheid über die vorläufige Übernahme vom 14.04.1976, IIIb2-ZH-210/87, als Teil der Grundabfindung at/38 (Weg) der Zusammenlegungsgemeinschaft ins außerbücherliche Eigentum übergeben. Der Neueinteilung lag der Plan der Abteilung IIId3 vom 06.04.1976, GZl. IIId3-1023/711, zugrunde.
Die Zusammenlegungsgemeinschaft hat in erster Linie die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Sie ist aufzulösen, wenn sie ihre Aufgaben erfüllt hat (§7 Abs1 und 2 TFLG 1978). Die Zuweisung der Wegflächen durch die Anordnung der vorläufigen Übernahme in das außerbücherliche Eigentum stellt daher nur eine Übergangssituation dar. Über deren weiteres Schicksal für die Zeit nach Abschluß des Verfahrens ist spätestens im Zusammenlegungsplan zu entscheiden. Nach §23 Abs5 TFLG 1978 sind die umgestalteten oder neu errichteten gemeinsamen Anlagen, soweit sie nicht von der Gemeinde übernommen werden, den für die Zeit nach der Auflösung der Zusammenlegungsgemeinschaft nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zu bildenden Körperschaften zuzuteilen. Daraus folgt, daß in erster Linie die der Zusammenlegungsgemeinschaft vorläufig übertragenen Wege von der Gemeinde zu übernehmen sind und erst dann, wenn die Gemeinde die Übernahme nicht vornimmt, die Wege anderen zu bildenden Körperschaften zuzuteilen sind.
Der Niederschrift vom 15.04.1986, Zl. IIId3-1023/2118, betreffend die Übernahme der GA-Wege ins öffentliche Gut durch die Gemeinde ist eindeutig zu entnehmen, daß eine Zustimmung des Ausschusses der Zusammenlegungsgemeinschaft zur Widmung als Gemeindestraße vorliegt. Der Ausschuß war einverstanden, daß die 'GA-Wege' mit einigen Ausnahmen, zu denen der Weg at/38 nicht gehört, ins öffentliche Gut durch die Gemeinde übernommen werden. Zu den 'GA-Wegen' gehört auch der Weg at/38, da dieser, wie aus dem Übersichtsplan ersichtlich, der Erschließung mehrerer Grundabfindungen dient."
5.3. Eine Anfrage des Verfassungsgerichtshofes, ob der Weg at/38 zu denen zähle, für welche die Zustimmung des Ausschusses zur Übernahme durch die Gemeinde abgelehnt wurde, beantwortete der Obmann der Zusammenlegungsgemeinschaft Oberperfuss wie folgt:
"Mit Beschluß vom 15.4.1986 hat der Ausschuß der Zusammenlegung Oberperfuss unter Obmann J G beschlossen, daß die GA-Wege, mit Ausnahme einiger weniger, in das öffentliche Gut durch die Gemeinde übernommen werden sollen. Die entsprechende Niederschrift IIId3-1023/2118 liegt Ihnen vor.
Zum Zeitpunkt des Beschlusses lagen dem Ausschuß die Unterlagen der Abteilung IIId3 beim Amt d. Tiroler Landesregierung für die vorläufige Übernahme (Lageplan u. Abfindungsberechnung) vor. In diesen Unterlagen sind Wege, die der Zusammenlegung übergeben wurden und die künftig in das öffentliche Gut übernommen werden sollten mit 'at' bezeichnet. So auch der Weg at/38.
Bei einer Wegausschußsitzung in der Gemeinde Oberperfuss in Anwesenheit des Bürgermeisters F W, der auch im Zusammenlegungsausschuß vertreten war, wurden vom Operationsleiter OR. Dipl.Ing. H, Abt. IIId3 die künftigen Privatwege explizit angeführt. Der Weg at/38 scheint dabei nicht auf.
Es ist dahingehend nichts bekannt, daß der Ausschuß die Übernahme des Wegs at/38 in das öffentliche Gut abgelehnt hätte."
6. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
6.1. Die Anlaßbeschwerde ist zulässig. Der Verfassungsgerichtshof wird daher über sie meritorisch zu entscheiden haben. Hiebei hätte er u.a. die in Prüfung gezogene Verordnung, soweit sie den Weg at/38 betrifft, anzuwenden. Sie ist daher insoweit präjudiziell.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.
6.2. Das Verordnungsprüfungsverfahren hat ergeben, daß die Prämisse des im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenkens weggefallen ist:
Dem Gerichtshof schien es, daß die vom §37 Abs2 litb des Tiroler Straßengesetzes geforderte Zustimmung der Eigentümer des Weges at/38 als Voraussetzung für dessen Widmung für den öffentlichen Verkehr als Gemeindestraße nicht erteilt worden sein dürfte.
Wie sich aus der von der Tiroler Landesregierung vorgelegten Niederschrift vom 15.4.1986, ZIIId3-1023/2118, betreffend eine Sitzung des Ausschusses der Zusammenlegungsgemeinschaft ergibt, erklärte sich in dieser der Ausschuß - die Zusammenlegungsgemeinschaft ist außerbücherliche Eigentümerin der in das Zusammenlegungsverfahren Oberperfuss einbezogenen Grundstücke und damit auch des Weges at/38 - zur Übernahme der Wege "mit Ausnahme einiger, weniger, welche im Privat- oder Gemeinschaftseigentum bleiben sollen," ins öffentliche Gut durch die Gemeinde einverstanden.
In Beantwortung einer Anfrage des Verfassungsgerichtshofes hat der Obmann der Zusammenlegungsgemeinschaft Oberperfuss, der an der Sitzung vom 15.4.1986 teilgenommen hat, erklärt, daß damals der Weg at/38 nicht als von der Übernahme ins öffentliche Gut ausgenommener Privatweg geführt wurde und mitgeteilt, ihm sei nicht bekannt, daß der Ausschuß die Übernahme des Weges at/38 in das öffentliche Gut abgelehnt hätte.
Der Beschwerdeführer im Anlaßverfahren, der dort das Fehlen der Zustimmung zur Übernahme des Weges at/38 ins öffentliche Gut behauptet hatte und dem die Äußerung der Tiroler Landesregierung und der Schriftsatz des Obmannes der Zusammenlegungsgemeinschaft Oberperfuss zur Kenntnis gebracht wurden, hat diese unwidersprochen gelassen.
Der Verfassungsgerichtshof nimmt es daher als erwiesen an, daß entgegen seiner Annahme im Prüfungsbeschluß die Zustimmung der Zusammenlegungsgemeinschaft Oberperfuss, der außerbücherlichen Eigentümerin des Weges at/38, zu dessen Übernahme ins öffentliche Gut durch die insoweit in Prüfung gezogene Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Oberperfuss vom 4.12.1987 in einer dem Gesetz entsprechenden Weise erteilt worden ist.
Die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung war daher nicht als gesetzwidrig aufzuheben.
7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
Verordnungserlassung, Widmung (einer Straße), Straßenverwaltung, Öffentlicherklärung (einer Straße), Zustimmung (bei Verordnungserlassung)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:V51.1996Dokumentnummer
JFT_10038791_96V00051_00