TE Vfgh Erkenntnis 2019/6/11 V2/2019 (V2/2019-9)

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Veröffentlicht am 11.06.2019
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Index

90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z1, Art139 Abs4
StVO 1960 §44 Abs1
GeschwindigkeitsbeschränkungsV der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 25.09.2012 betr eine 80 km/h-Beschränkung auf der B165
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Feststellung der Gesetzwidrigkeit von Teilen einer Geschwindigkeitsbeschränkungsverordnung einer Salzburger Bezirkshauptmannschaft mangels ordnungsgemäßer Kundmachung; keine Aufstellung eines Verkehrszeichens bei der Einmündung in die der Geschwindigkeitsbeschränkung unterliegende Bundesstraße

Spruch

I. 1.   Folgende Bestimmungen im Abschnitt "A. Geschwindigkeitsbeschränkungen" der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 25. September 2012, Z 30608-632/1/1-2012, waren gesetzwidrig:

? In §2 die Wortfolge "Auf der B 165 ist von StrKm 6,315 bis StrKm 6,970 in beiden Fahrtrichtungen das Überschreiten einer Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h verboten." und

? in §11 lita die Wortfolge

"  durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z10 a StVO (Geschwindigkeitsbeschränkung 80 km/h) bei StrKm 6,315

  durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z11 StVO (Ende aller Beschränkungen) bei StrKm 6,970".

2.   Die Salzburger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

II. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Salzburg,

"im Abschnitt 'Verkehrsbeschränkungen – Geschwindigkeitsbeschränkungen und Überholverbote' Unterabschnitt 'A. Geschwindigkeitsbeschränkungen' der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 25.09.2012, Zahl 30608-632/1/1-2012, im §2 die Wortfolge 'in beiden Fahrtrichtungen' und

in §11 lita die Wortfolge

'• durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z10 a StVO (Geschwindigkeitsbeschränkung 80 km/h) bei StrKm 6,315

• durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z11 StVO (Ende aller Beschränkungen) bei StrKm 6,970'

als gesetzwidrig aufzuheben.

Eventualantrag 1:

Das Landesverwaltungsgericht Salzburg stellt den

Antrag,

im Abschnitt 'Verkehrsbeschränkungen – Geschwindigkeitsbeschränkungen und Überholverbote' Unterabschnitt 'A. Geschwindigkeitsbeschränkungen' der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 25.09.2012, Zahl 30608-632/1/1-2012, den §2 und in §11 lita die Wortfolge

'• durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z10 a StVO (Geschwindigkeitsbeschränkung 80 km/h) bei StrKm 6,315

• durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z11 StVO (Ende aller Beschränkungen) bei StrKm 6,970'

sowie in §11 litb die Wortfolge

'• durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z10 a StVO (Geschwindigkeitsbeschränkung 80 km/h) bei StrKm 6,970,

• durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z11 StVO (Ende von Überholverboten und Geschwindigkeitsbeschränkungen) bei StrKm 6,315,'

als gesetzwidrig aufzuheben.

Eventualantrag 2 und 3:

Sollte die Bezirkshauptmannschaft Zell am See den unten dargelegten Kundmachungsmangel zwischenzeitlich behoben haben, wird der Antrag gestellt, festzustellen, dass die im Hauptantrag oder im Eventualantrag 1 dargelegten Teile der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 25.09.2012, Zahl 30608-632/1/1-2012, gesetzwidrig waren." (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original)

II. Rechtslage

1. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 25. September 2012, Z 30608-632/1/1-2012, lautet – auszugsweise – wie folgt:

"Die Bezirkshauptmannschaft Zell am See erlässt gemäß §94b Abs1 litb iVm §43 Abs1 litb Ziffer 1 und 2 StVO 1960 idgF in Verbindung mit den einschlägigen Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr über Bodenmarkierungen (Bodenmarkierungsverordnung), BGBl Nr 848/1995 idgF nachstehende

VERORDNUNG

B 165, km 0,0 bis km 32,400

Ortsgebietserklärung:

[…]

Verkehrsbeschränkungen – Geschwindigkeitsbeschränkungen und Überholverbote

A. Geschwindigkeitsbeschränkungen:

§1: […]

§2: Auf der B 165 ist von StrKm 6,315 bis StrKm 6,970 in beiden Fahrtrichtungen das Überschreiten einer Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h verboten.

§§2a – 10: […]

§11: Die in den §1 bis 10 dieses Abschnittes enthaltenen Verkehrsbeschränkungen werden durch nachstehende Verkehrszeichen und Maßnahmen kundgemacht:

a. In Fahrtrichtung Wald im Pinzgau (Gerlos Passhöhe)

?    […]

?    durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z10 a StVO (Geschwindigkeitsbeschränkung 80 km/h) bei StrKm 6,315

?    durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z11 StVO (Ende aller Beschränkungen) bei StrKm 6,970

?    […]

b. In Fahrtrichtung Zell am See:

?    […]

?    durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z10 a StVO (Geschwindigkeitsbeschränkung 80 km/h) bei StrKm 6,970,

?    durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z11 StVO (Ende von Überholverboten und Geschwindigkeitsbeschränkungen) bei StrKm 6,315,

?    […]

[…]

Für die Bezirkshauptmannschaft:

[…]" (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original)

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960) lauten – auszugsweise – wie folgt:

"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise

(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung

a) […]

b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,

1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen zu erlassen,

2. den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, insbesondere bestimmte Gruppen von der Benützung einer Straße oder eines Straßenteiles auszuschließen oder sie auf besonders bezeichnete Straßenteile zu verweisen;

c) – d) […]

(1a) – (11) […]

§44. Kundmachung der Verordnungen

(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. Parteien im Sinne des §8 AVG ist die Einsicht in einen solchen Aktenvermerk und die Abschriftnahme zu gestatten. Als Straßenverkehrszeichen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen die Vorschriftszeichen sowie die Hinweiszeichen 'Autobahn', 'Ende der Autobahn', 'Autostraße', 'Ende der Autostraße', 'Einbahnstraße', 'Ortstafel', 'Ortsende', 'Internationaler Hauptverkehrsweg', 'Straße mit Vorrang', 'Straße ohne Vorrang', 'Straße für Omnibusse' und 'Fahrstreifen für Omnibusse' in Betracht. Als Bodenmarkierungen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen Markierungen, die ein Verbot oder Gebot bedeuten, wie etwa Sperrlinien, Haltelinien vor Kreuzungen, Richtungspfeile, Sperrflächen, Zickzacklinien, Schutzwegmarkierungen oder Radfahrerüberfahrtmarkierungen in Betracht.

(1a)-(5) […]

[…]

§51. Allgemeines über Vorschriftszeichen

(1) Die Vorschriftszeichen sind vor der Stelle, für die sie gelten, anzubringen. Gilt die Vorschrift für eine längere Straßenstrecke, so ist das Ende der Strecke durch ein gleiches Zeichen, unter dem eine Zusatztafel mit der Aufschrift 'ENDE' anzubringen ist, kenntlich zu machen, sofern sich aus den Bestimmungen des §52 nichts anderes ergibt. Innerhalb dieser Strecke ist das Zeichen zu wiederholen, wenn es die Verkehrssicherheit erfordert. Gilt ein Überholverbot oder eine Geschwindigkeitsbeschränkung für eine Straßenstrecke von mehr als 1 km, so ist bei den betreffenden Vorschriftszeichen die Länge der Strecke mit einer Zusatztafel nach §54 Abs5 litb anzugeben, wenn es die Verkehrssicherheit erfordert; dies gilt für allfällige Wiederholungszeichen sinngemäß.

(2) – (4) […]

(5) Mündet in einen Straßenabschnitt, für den durch Vorschriftszeichen Verkehrsbeschränkungen kundgemacht sind, eine andere Straße ein, so können diese Beschränkungen auch schon auf der einmündenden Straße durch die betreffenden Vorschriftszeichen mit einer Zusatztafel mit Pfeilen angezeigt werden. Solche Zeichen sind im Ortsgebiet höchstens 20 m und auf Freilandstraßen höchstens 50 m vor der Einmündung anzubringen.

§52. Die Vorschriftszeichen

Die Vorschriftszeichen sind

a) Verbots- oder Beschränkungszeichen,

b) – c) […]

a) Verbots- oder Beschränkungszeichen

1. – 9d. […]

10a. 'GESCHWINDIGKEITSBESCHRÄNKUNG (ERLAUBTE HÖCHSTGESCHWINDIGKEIT)'

[Zeichen]

       Dieses Zeichen zeigt an, dass das Überschreiten der Fahrgeschwindigkeit, die als Stundenkilometeranzahl im Zeichen angegeben ist, ab dem Standort des Zeichens verboten ist. Ob und in welcher Entfernung es vor schienengleichen Eisenbahnübergängen anzubringen ist, ergibt sich aus den eisenbahnrechtlichen Vorschriften.

10b. […]

11. 'ENDE VON ÜBERHOLVERBOTEN UND GESCHWINDIGKEITSBEGRENZUNGEN'

[Zeichen]

       Dieses Zeichen zeigt das Ende von Überholverboten und Geschwindigkeitsbegrenzungen an, die für den betreffenden Straßenabschnitt durch Straßenverkehrszeichen kundgemacht worden sind.

[…]

[…]

§94b. Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde

(1) Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, sofern der Akt der Vollziehung nur für den betreffenden politischen Bezirk wirksam werden soll und sich nicht die Zuständigkeit der Gemeinde oder – im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist – der Landespolizeidirektion ergibt, die Bezirksverwaltungsbehörde

a) […]

b) für die Erlassung von Verordnungen und Bescheiden,

c) – h) […]

(2) […]"

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Beim Landesverwaltungsgericht Salzburg ist ein Verfahren über eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 20. Februar 2018 anhängig. Mit dem Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer im Verfahren vor dem antragstellenden Gericht zur Last gelegt, er habe am 10. August 2017, um 18:03 Uhr, in Hollersbach, auf der B 165, bei StrKm. 6,600, als Lenker eines Personenkraftwagens, die im angeführten Bereich, welcher außerhalb eines Ortsgebietes liegt, durch Straßenverkehrszeichen kundgemachte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 20 km/h überschritten. Die in Betracht kommende Messtoleranz sei bereits zu seinen Gunsten abgezogen worden. Es sei daher die Rechtsvorschrift des §52 lita Z10a StVO 1960 in Verbindung mit der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 25. September 2012, Z 30608-632/1/1-2012 verletzt worden, weshalb über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von € 50,– (im Fall der Uneinbringlichkeit 18 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.

Im Verfahren vor dem antragstellenden Gericht brachte der Beschwerdeführer ua vor, dass er die angelastete Geschwindigkeitsüberschreitung nicht begangen habe, weil im Bereich der B 165 bei StrKm. 6,600 in Richtung Bramberg keine 80 km/h-Beschränkung bestünde, weil beim Ausfahren aus dem Ortsgebiet (zB Grubing oder Hollersbach) keine solche Beschränkung ausgewiesen sei. Dies sei mit den übermittelten Fotos belegt worden. Mit Verlassen des Ortsteiles Grubing/Lämmerbichl bestehe auf dem Sonnbergweg eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 100 km/h und diese werde auch nach dem Auffahren auf die B 165 nicht beschränkt. Richtig sei zwar, dass auf der B 165 eine 80 km/h-Beschränkung aufgestellt sei, allerdings habe dieses Zeichen für den erst 100 m später auffahrenden Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht keine Bedeutung. Es liege daher ein Kundmachungsmangel vor, welcher sich beim Ausfahren aus dem Ortsgebiet Grubing oder Hollersbach aus der fehlenden Kundmachung der Geschwindigkeitsbeschränkung bei der Einmündung der Straße in die B 165 ergebe.

2. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg führte zur Präjudizialität der angefochtenen Verordnung aus, dass es §2 der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 25. September 2012, Z 30608-632/1/1-2012, im Beschwerdeverfahren als Rechtsgrundlage unmittelbar anzuwenden hätte.

Weiters stellte das Landesverwaltungsgericht Salzburg die Bedenken hinsichtlich der nicht ordnungsgemäßen Kundmachung der Verordnung – auszugsweise – wie folgt dar:

"V. Bedenken gegen die anzuwendende Bestimmung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 25.09.2012:

Gemäß §44 Abs1 StVO sind die in §43 Abs1 StVO bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts Anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO ist immanent, dass die bezüglichen Straßenverkehrszeichen dort anzubringen sind, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginnt und endet. Dies gilt auch für Einmündungen in einen Streckenabschnitt, auf dem eine Geschwindigkeitsbeschränkung gilt. Daher sieht der Gesetzgeber in §51 Abs5 StVO die Möglichkeit vor, die Beschränkungen schon vor der einmündenden Straße durch die betreffenden Vorschriftszeichen mit einer Zusatztafel mit Pfeilen anzuzeigen. Demnach hat eine ordnungsgemäße Kundmachung der Verordnung im Sinne des §44 Abs1 StVO am Beginn und am Ende des betreffenden Streckenabschnittes sowie bei jeder Einmündung in diesen zu erfolgen (vgl VfGH 24.09.2018, V30/2018).

Wie sich aus dem Beschwerdevorbringen und dem auch ansonsten unbedenklichen Akteninhalt ergibt, befindet sich an der Einmündung auf die B165 vom Ortsteil Grubing kommend in Fahrtrichtung Wald im Pinzgau kein Verkehrszeichen gemäß §52 lita Z10a StVO mit einer Zusatztafel gemäß §51 Abs5 StVO und auch im unmittelbaren Anschluss auf der B165 kein Wiederholungszeichen, das auf die Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h hinweist. Damit ist – jedenfalls in Fahrtrichtung Wald im Pinzgau – von keiner ordnungsgemäßen Kundmachung des Tempolimits auszugehen.

VI. Zum Anfechtungsumfang:

Die Bezirkshauptmannschaft hat die Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h auf der B165 zwischen StrKm 6,315 und StrKm 6,970 im betreffenden §2 der Verordnung so formuliert, dass sie diese in einer Bestimmung für beide Fahrtrichtungen angeordnet und die Kundmachung in §11 geregelt hat (Verkehrszeichen und Standorte; lita: Fahrtrichtung Wald im Pinzgau, litb: Fahrtrichtung Zell am See). Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass bei einer Aufhebung der Wortfolge 'in beiden Richtungen' im §2 und der betreffenden Kundmachungsanordnung für die Fahrtrichtung Wald im Pinzgau die hier nicht anwendbare Beschränkung für die Fahrtrichtung Zell am See aufgrund der Kundmachungsanordnung, die ebenfalls Verordnungsqualität besitzt, in Verbindung mit dem verbleibenden Rest des §2 aufrecht bliebe.

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof die Auffassung vertritt, dass der verbleibende Rest des §2 in Verbindung mit der zugehörigen Kundmachungsanordnung nicht als Verordnung eines Tempolimits für die Gegenrichtung aufgefasst werden können, wird die Aufhebung des gesamten §2 der Geschwindigkeitsbeschränkungen und der betreffenden Kundmachungsanordnungen beantragt.

[…]" (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original)

3. Die verordnungserlassende Behörde legte die Akten betreffend die angefochtene Verordnung vor und erstattete mit Schreiben vom 19. Februar 2019 folgende – auszugsweise wiedergegebene – Äußerung:

"[…]

Nach den hieramts aufliegenden Unterlagen wurden für den gegenständlichen Streckenabschnitt der B165, Gerlos Straße, erstmals im Jahre 1978 verkehrsbeschränkende Maßnahmen verordnet. In der Verordnung mit der Zahl 4-40.045/2-1978 vom 30.10.1978 wurde auf einen Verkehrszeichen- und Bodenmarkierungsplan verwiesen; dieser Plan konnte jedoch auch nach intensiver Suche nicht aufgefunden werden.

Mit Datum 25.09.2012 wurde unter der ha. Zahl 30608-632/1/1-2012 die letztgültige Gesamtverordnung für die B165 - Gerlos Straße erlassen.

Im Abschnitt 'Verkehrsbeschränkungen – Geschwindigkeitsbeschränkung und Überholverbote – A. Geschwindigkeitsbeschränkungen – §2' wurde die Geschwindigkeit zwischen den Strkm. 6,315 bis 6,970 in beiden Fahrtrichtungen beschränkt, eine Wiederholung der Geschwindigkeitsbeschränkung im Bereich von einmündenden Straßen im Sinne des §51 Abs5 StVO wurde nicht vorgesehen.

Da durch den seinerzeitigen Sachbearbeiter kein Aktenvermerk hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens in Hinblick auf die Verordnungserlassung erstellt wurde, kann auch nicht mehr nachvollzogen werden, weshalb im Bereich der Rampen, welche in die B165 münden, keine Wiederholung der verkehrsbeschränkenden Maßnahmen im Sinne des §51 Abs5 StVO vorgesehen wurde.

Festgehalten wird, dass für die gesamte B165 eine neue Gesamtverordnung in Bearbeitung ist. In dieser Gesamtverordnung ist eine Wiederholung der verkehrsbeschränkenden Maßnahmen 'Geschwindigkeitsbeschränkung 80 km/h sowie Überholen verboten' bei Bezugspunkt 6,4 + 118 Meter vorgesehen. Der Entwurf der Verordnung sowie des Aktenvermerkes liegen bei.

[…]"

4. Mit Schreiben vom 3. April 2019 übermittelte die verordnungserlassende Behörde den Verordnungstext der neuerlassenen Gesamtverordnung vom 18. März 2019, Z 30606-632/1/26-2019, sowie einen Kundmachungsvermerk der Straßenmeisterei Pinzgau vom 3. April 2019.

5. Die Salzburger Landesregierung und der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem antragstellenden Gericht haben von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrags

1.1.  Der Verfassungsgerichtshof vertritt in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung zu Art89 Abs1 B-VG seit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (vgl zB VfSlg 12.382/1990, 16.875/2003, 19.058/2010, 19.072/2010, 19.230/2010 uva.; vgl auch VfGH 18.9.2015, V96/2015, sowie die Rechtsprechung zu nicht ordnungsgemäß kundgemachten Gesetzen VfSlg 16.152/2001, 16.848/2003 und die darin zitierte Vorjudikatur). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B-VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich.

1.2. Die Kundmachung der angefochtenen Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 25. September 2012, Z 30608-632/1/1-2012, erfolgte durch die Aufstellung von Verkehrszeichen gemäß §52 lita Z10a bzw Z11 StVO 1960. Dadurch erlangte die angefochtene Verordnung ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist (vgl VfSlg 19.072/2010, 19.230/2010 uva.; vgl auch VfGH 18.9.2015, V96/2015).

1.3. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Verordnungsprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).

Im vorliegenden Fall erweist sich der gestellte Hauptantrag, mit dem die Aufhebung der Wortfolge "in beiden Fahrtrichtungen" in §2 des Abschnittes A. der Verordnung sowie der Wortfolgen "durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z10 a StVO (Geschwindigkeitsbeschränkung 80 km/h) bei StrKm 6,315" und "durch Anbringung des Verkehrszeichens gem. §52 lita Z11 StVO (Ende aller Beschränkungen) bei StrKm 6,970" in §11 lita des Abschnittes A. der Verordnung beantragt wird, als zu eng gefasst, weil dadurch der Aufhebungsumfang so abgesteckt wird, dass die angenommene Gesetzwidrigkeit durch die Aufhebung nicht beseitigt würde. Der zu eng gefasste Hauptantrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

Da der Beschwerdeführer im Anlassfall wegen Überschreitung der in §2 der Verordnung vom 25. September 2012, Z 30608-632/1/1-2012, vorgeschriebenen Geschwindigkeitsbeschränkung bestraft wurde, ist diese Bestimmung im Beschwerdefall präjudiziell. Soweit das Landesverwaltungsgericht Salzburg daher in eventu die Aufhebung (Feststellung der Gesetzwidrigkeit) des gesamten §2 des Abschnittes A. der Verordnung und der sich auf diese Geschwindigkeitsbeschränkung beziehenden Kundmachungsbestimmungen in §11 lita des Abschnittes A. der Verordnung beantragt, erweist sich der Antrag, da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, als zulässig.

Im Übrigen erweist sich der Eventualantrag jedoch als zu weit gefasst, weil die darin angefochtene Bestimmung des §11 litb des Abschnittes A. der Verordnung – welche ua die Kundmachung der Geschwindigkeitsbeschränkung in die nicht tatgegenständliche Fahrtrichtung Zell am See anordnet – im Anlassfall offenbar keine Voraussetzung für die Entscheidung des antragstellenden Gerichtes bildet. Der Eventualantrag ist daher, soweit er sich auf §11 litb des Abschnittes A. der Verordnung bezieht, ebenfalls zurückzuweisen.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Soweit der Antrag zulässig ist, ist er begründet.

2.3. Die vorgenommene Kundmachung der Verordnung vom 25. September 2012 entspricht nicht den Anforderungen des §44 Abs1 StVO 1960:

Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind die in §43 StVO 1960 bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft (vgl VfSlg 18.710/2009, 19.409/2011, 19.410/2011).

2.4. Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO 1960 ist immanent, dass die bezüglichen Straßenverkehrszeichen dort angebracht sind, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginnt und endet (vgl VfGH 14.3.2018, V114/2017).

2.5. Das gilt auch für Einmündungen in einen Streckenabschnitt, auf dem eine Geschwindigkeitsbeschränkung gilt. Daher sieht §51 Abs5 StVO 1960 die Möglichkeit vor, die Beschränkungen schon auf der einmündenden Straße durch die betreffenden Vorschriftszeichen mit einer Zusatztafel mit Pfeilen anzuzeigen. Demnach hat eine ordnungsgemäße Kundmachung der Verordnung iSd §44 Abs1 StVO 1960 am Beginn und am Ende des betroffenen Streckenabschnitts sowie bei jeder Einmündung in den betroffenen Streckenabschnitt zu erfolgen (vgl VfGH 24.9.2018, V30/2018).

2.6. Eine Kundmachung, die nicht an allen Örtlichkeiten dem Gesetz entspricht, ist mangelhaft. Eine auf diese Weise kundgemachte Verordnung ist zwar existent, jedoch bis zur Behebung des Mangels mit Gesetzwidrigkeit behaftet (vgl VfSlg  5824/1968, 6346/1970).

2.7. Wie sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus dem vom Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren vor der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vorgelegten – und von der verordnungserlassenden Behörde unbestritten gebliebenen – Bildmaterial ergibt, befindet sich an der Einmündung bei StrKm. 6,4 keine Ausschilderung der Geschwindigkeitsbeschränkung.

Dadurch, dass an der Einmündung aus Grubing bzw Hollersbach kommend in die B 165 bei StrKm. 6,4 kein Verkehrsschild auf die Geschwindigkeitsbeschränkung hinweist, ist die angefochtene Verordnung nicht ordnungsgemäß kundgemacht.

2.8. Eine Anwendung des Art139 Abs3 Z3 B-VG scheidet schon deswegen aus, weil die Verordnung verschiedene, voneinander unabhängige Tatbestände enthält. Es ist daher nicht die gesamte Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, weil der Kundmachungsmangel der Verkehrsbeschränkung keine unmittelbare Auswirkung auf die Verbindlichkeit der anderen, in der Verordnung enthaltenen und kundgemachten Verkehrsbeschränkungen bzw Anordnungen hat (vgl VfGH 14.3.2018, V114/2017).

Der festgestellte Kundmachungsmangel betrifft ausschließlich die – (im Ausgangsverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Salzburg) präjudiziellen und – im Spruch genannten Teile der zitierten Verordnung. Da die unter II.1. wiedergegebene Verordnung ua weitere Regelungen über Vorschriftszeichen beinhaltet, die auf andere Weise, wie etwa durch anders gestaltete Verkehrszeichen an anderen, näher bezeichneten Orten kundzumachen sind, kommt eine Aufhebung der ganzen Verordnung gemäß Art139 Abs3 Z3 B-VG im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht (vgl VfSlg 19.127/2010, 19.128/2010; VfGH 14.3.2018, V114/2017).

2.9. Mit Verordnung vom 18. März 2019, Z30606-632/1/26-2019, hat die Bezirkshauptmannschaft Zell am See nunmehr eine neue Verordnung betreffend eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf der B165 erlassen. Die neue Verordnung wurde bereits kundgemacht und ist bereits in Kraft getreten. Da mit der Kundmachung der neuen Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 18. März 2019 der angefochtenen Verordnung vom 25. September 2012 derogiert wurde, ist die angefochtene Verordnung mit dem Inkrafttreten der neuen Verordnung außer Kraft getreten.

2.10. Der Verfassungsgerichtshof hat daher gemäß Art139 Abs4 B-VG festzustellen, dass die angefochtene Verordnung vom 25. September 2012 in ihrem zulässigerweise angefochtenen Teil gesetzwidrig war (vgl VfSlg 12.160/1989).

V. Ergebnis

1. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 25. September 2012, Z 30608-632/1/1-2012, war in §2 des Abschnittes A. und in §11 lita des Abschnittes A., soweit sich §11 lita auf die – im Spruch zitierte – Anordnung zur Kundmachung der Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h auf der B 165 im Bereich von StrKm. 6,315 bis StrKm. 6,970 bezieht, gesetzwidrig.

2. Der Hauptantrag ist als unzulässig zurückzuweisen.

3. Der Eventualantrag ist, soweit sich dieser auf die Aufhebung von Teilen des §11 litb des Abschnittes A. der Verordnung bezieht, als unzulässig zurückzuweisen.

4. Die Verpflichtung der Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 liti Salzburger Landes-Verlautbarungsgesetz.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Straßenverkehrszeichen, Verordnung Kundmachung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, Geltungsbereich (örtlicher) einer Verordnung, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:V2.2019

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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