TE Vfgh Erkenntnis 2019/6/11 E2887/2018 ua

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.06.2019
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten und Erlassung von Rückkehrentscheidungen betreffend afghanische Staatsangehörige; Unzumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative für eine Familie in Kabul mangels familiärer Unterstützung oder sozialer Anknüpfung

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird in diesem Umfang aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.270,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der minderjährigen Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerin, welche sich im Lebensalter von acht bis vierzehn Jahren befinden. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Afghanistans und stammen aus der Provinz Maidan Wardak. Nach ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellten die Beschwerdeführer am 3. Dezember 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Die Beschwerdeführer führten begründend aus, dass der Erstbeschwerdeführer wegen seiner Tätigkeit als Lehrer und Wahlhelfer von den Taliban bedroht worden sei. Nach Erhalt der letzten Drohung sei auf ihn geschossen worden. Die Zweitbeschwerdeführerin sei von ihrem Bruder bedroht worden. Außerdem seien sie und ihr Mann als Wahlhelfer tätig gewesen. Es sei zu einem Wahlbetrug gekommen. Es sei ihnen gedroht worden, dass ihre Familie umgebracht würde, sollten sie irgendjemandem davon erzählen. Überdies seien sie von Nomaden ausgeraubt worden, weil sie Hazara und Schiiten seien. Aus diesem Grund hätten die Beschwerdeführer die Flucht ergriffen.

2. Mit Bescheiden vom 30. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs 1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Zudem erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Beschwerdeführern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 und erließ gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-Verfahrensgesetz (im Folgenden: BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG). Ferner stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß §52 Abs9 FPG fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen fest.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 22. Juni 2018 als unbegründet ab.

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht führte betreffend die Asylabweisung begründend aus, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hätten eine konkrete individuelle Verfolgung angesichts der Bedrohung durch die Taliban und durch Nomaden sowie im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Wahlhelfer nicht glaubhaft dargetan. Ferner sei eine Verfolgung auf Grund einer etwaigen westlichen Orientierung der Zweitbeschwerdeführerin zu verneinen, da sich die von ihr in Österreich gepflegte Lebensweise von jener, die sie bereits in Afghanistan gelebt habe und welche ihr dort auch möglich gewesen sei, nicht wesentlich unterscheide. Selbiges gelte für die angebliche Abkehr vom Islam. Nach den Aussagen der Beschwerdeführer hätten sie sich nämlich schon in Afghanistan mit den religiösen Verhältnissen arrangiert. Eine ernsthafte Abwendung vom Glauben könne unter Berücksichtigung ihrer Aussagen und dem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung nicht erkannt werden.

3.2. In der Begründung der Entscheidung zur Frage der Zuerkennung des subsidiären Schutzes führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass den Beschwerdeführern eine Rückführung in deren Heimatregion Maidan Wardak auf Grund der dort vorherrschenden instabilen Sicherheitslage nicht zugemutet werden könne. Es bestehe jedoch die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt Kabul. Kabul sei über den Flughafen gut erreichbar und für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, vergleichsweise sicher. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien jung, gesund und arbeitsfähig, sodass eine grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Schon vor der Ausreise aus Afghanistan hätten sie ihre Existenz und den Lebensunterhalt durch ihre Tätigkeit als Lehrer bzw Fotograf sichern können. Es sei daher anzunehmen, dass sie in der Lage sein werden, sich und ihren Kindern ein ausreichendes Einkommen zu sichern und somit nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen. Unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse könne davon ausgegangen werden, dass sie auch ohne eine allfällige finanzielle Unterstützung durch ihre Familie im Stande sein würden, ein für ihren Lebensunterhalt ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Ferner könnten die Beschwerdeführer durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise das Auslangen finden.

Da sich die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer in der Obhut ihrer Eltern befinden würden und von diesen bestmöglich versorgt und behütet werden würden, sei eine Gefährdung, in eine existentielle Notlage zu geraten oder Opfer von Gewalttaten zu werden, nicht ersichtlich.

Aus den Länderfeststellungen gehe hervor, dass sich die Situation der Kinder in Afghanistan verbessert habe. Für die konkrete Rückkehrsituation der Minderjährigen sei maßgeblich, dass ihre Eltern bestrebt seien, ihnen eine Schulbildung und ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Es seien keine Umstände ersichtlich, dass den Kindern ein Schulbesuch in Kabul verwehrt sein könnte.

Eine Gefährdung des Lebens der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sei in einer relativ sicheren Gegend wie Kabul nicht ersichtlich. Die sich aus den Länderberichten ergebende erhöhte Gefahr für Kinder, Opfer von Kinderarbeit, Unterernährung und Missbrauch bzw getötet zu werden, würde vor allem Straßen- und Waisenkinder betreffen.

3.3. Im Rahmen der nach Art8 Abs2 EMRK gebotenen Interessenabwägung legt das Bundesverwaltungsgericht dar, dass im Hinblick auf die Zeitspanne, in der sich die Beschwerdeführer in Österreich aufhalten würden, selbst unter Einbeziehung integrativer Merkmale wie Ablegung der Deutschprüfung A2, Besuchen von integrationsfördernden Veranstaltungen sowie eines Pflichtschulabschlusslehrganges, Teilnahme am kulturellen und gesellschaftlichen Gemeinschaftsleben, eine Aufenthaltsverfestigung noch nicht angenommen werden könne. Es sei daher davon auszugehen, dass die Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet nur ein geringes Gewicht hätten und gegenüber den öffentlichen Interessen an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung in den Hintergrund treten würden.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung behauptet sowie die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

4.1. Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Umstand, dass mit Kabul eine innerstaatliche Fluchtalternative tatsächlich nach den Länderfeststellungen für eine Familie mit drei minderjährigen Kindern nicht gegeben sei, nicht auseinandergesetzt habe.

Das Bundesverwaltungsgericht hätte es überdies in verfassungswidriger Weise unterlassen, Feststellungen zur westlichen Orientierung, zur Minderjährigkeit und zur Bildungsmöglichkeit für die Kinder zu treffen. Tatsächlich sei die Zweitbeschwerdeführerin in dem Maße westlich orientiert, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Asylstatus gegeben seien.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung jedoch abgesehen und auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses verwiesen.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet:

1.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBI. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

1.1.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

1.2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

1.2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

1.2.2. Im vorliegenden Fall traf das Bundesverwaltungsgericht, ua gestützt auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 folgende Länderfeststellungen:

"[…]

Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt werden. Insbesondere stellen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtssituation von Afghanen, die derzeit innerhalb des Landes vertrieben wurden, relevante Erwägungen dar, die bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative berücksichtigt werden müssen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig.

[…]"

1.2.3. Entgegen den Länderfeststellungen erachtete das Bundesverwaltungsgericht in der rechtlichen Beurteilung familiäre bzw soziale Anknüpfungspunkte im konkreten Neuansiedlungsgebiet als nicht erforderlich. Vielmehr kam das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, den Beschwerdeführern sei es ohne familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte im Neuansiedelungsgebiet zumutbar, sich in Kabul in Form einer innerstaatlichen Fluchtalternative niederzulassen. Diese Annahme begründete das Bundesverwaltungsgericht unter Hinweis auf die zitierten Länderberichte, insbesondere die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016. Die Beschwerdeführer stellten als verheiratetes Paar im berufsfähigen Alter ohne besonderen Schutzbedarf eine Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung durch die Familie oder eine ethnische Gruppe dar.

1.2.4. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt, dass es sich bei den Beschwerdeführern nicht um ein verheiratetes Paar, sondern um eine fünfköpfige Familie — bestehend aus einem verheirateten Elternpaar und drei minderjährigen Kindern — handelt. Die unsubstantiierte Schlussfolgerung, den Beschwerdeführern könne als Familie eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul auch ohne familiäre Unterstützung oder soziale Anknüpfung zugemutet werden, steht sohin im Widerspruch zu den Ausführungen in den Länderfeststellungen, wonach lediglich alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf die einzigen Ausnahmen von der Anforderung externer Unterstützung darstellen. Das Ergebnis der rechtlichen Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes findet daher keine Deckung in den Länderfeststellungen, weshalb das angefochtene Erkenntnis schon aus diesem Grund mit Willkür belastet ist (vgl VfGH 11.6.2018, E941-942/2018 ua).

1.3. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 (vgl auch §52 Abs2 FPG) ist eine Entscheidung nach dem AsylG 2005 mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden, wenn der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§8 Abs3a oder 9 Abs2 AsylG 2005 vorliegt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige. Gemäß §52 Abs9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß §46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Gemäß §55 Abs1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß §52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegen die genannten Voraussetzungen nicht länger vor. Da die Aufhebung des entsprechenden Spruchpunktes auf den Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung zurückwirkt, entbehren auch die Erlassung der Rückkehrentscheidungen, die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise ihrer Rechtsgrundlage; auch diese Spruchpunkte sind daher aufzuheben (vgl VfGH 22.9.2016, E1641/2016 mwN).

2. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit jeweils die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist. (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2.2. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifische verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen ist die Behandlung der Beschwerde abzulehnen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die Beschwerdeführer durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen Streitgenossenzuschlag in der Höhe von 25 %, zuzusprechen (vgl VfGH 19.6.2013, B125/2011; VfSlg 19.796/2013). In den zugesprochenen Kosten ist die Umsatzsteuer in Höhe von € 545,– enthalten:

Schlagworte

Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Entscheidungsbegründung, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E2887.2018

Zuletzt aktualisiert am

07.06.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten