TE Vfgh Erkenntnis 2019/6/11 E2094/2018 ua

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Veröffentlicht am 11.06.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §12a Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes von armenischen Staatsangehörigen; keine ausreichende individuelle Berücksichtigung des veränderten Gesundheitszustandes der Mutter zweier minderjähriger Kinder im Folgeantragsverfahren

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Der Beschluss wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3.008,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 7. Jänner 2016 gemeinsam mit ihrem Sohn, dem minderjährigen Zweitbeschwerdeführer (Geburtsjahr 2002), und ihrer Tochter, der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin (Geburtsjahr 2004), – und gemeinsam mit dem Ehegatten bzw Vater – Anträge auf Zuerkennung von internationalem Schutz.

2.       Jeweils mit Bescheid vom 13. Mai 2016 wurden die Anträge der Beschwerdeführer sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Weiters wurde gegen alle drei Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Armenien zulässig ist.

3.       Die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. Jänner 2018 abgewiesen und Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide jeweils hinsichtlich der spruchgemäßen Erledigung zu §55 AsylG 2005 ersatzlos behoben.

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellte in seinem Erkenntnis insbesondere fest, dass die Beschwerdeführer sowohl in Armenien als auch in Österreich vom Ehegatten bzw Vater erheblich misshandelt worden seien. Der Ehegatte bzw der Vater der Beschwerdeführer sei im Juni 2016 nach Armenien zurückgekehrt. Die Beschwerdeführer befürchteten, dass sie im Fall einer Rückkehr nach Armenien der Gefahr von Übergriffen des Ehegatten bzw des Vaters ausgesetzt seien. In Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass sie eine jüngere, nicht invalide, arbeitsfähige Frau mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat sowie Zugang zum armenischen Sozial- und Gesundheitssystem und einer – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherten Existenzgrundlage sei. Es könnten bezüglich der Erstbeschwerdeführerin keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise auf eine unzumutbare Verschlechterung der Krankheitszustände im Fall einer Überstellung nach Armenien belegt werden. Die Pflege, die Obsorge und der Unterhalt des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin seien durch die Erstbeschwerdeführerin gesichert und es bestünden gegenüber ihrem Vater Unterhaltsansprüche. Familienangehörige und Verwandte lebten nach wie vor im Herkunftsstaat, sie hätten keine weiteren Familienangehörige und Verwandte im Bundesgebiet.

3.2. In einer im Akt der Verwaltungsbehörde befindlichen gutachterlichen Stellungnahme vom 6. August 2017 einer in Bad Vöslau niedergelassenen Ärztin für Allgemeinmedizin (ÖÄK-Diplom für Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin) wird festgestellt, dass bezüglich der Erstbeschwerdeführerin traumatypische Symptome nicht beobachtbar seien. Es scheine eine Reaktion auf Belastung im Sinne einer Anpassungsstörung oder einer reaktiven Depression vorzuliegen, eine alte Posttraumatische Belastungsstörung in Teilremission auf Grund der Misshandlungen durch den Ehegatten sei nicht mit Sicherheit auszuschließen. Derzeit sei keine suizidale Einengung fassbar. Die Erstbeschwerdeführerin befinde sich seit April 2017 in psychotherapeutischer Behandlung; seit Juli 2016 hätten mehrere Abklärungsgespräche stattgefunden.

4.       Die Beschwerdeführer brachten am 20. März 2018 Folgeanträge auf internationalen Schutz ein.

4.1. Die Erstbeschwerdeführerin gab bei ihrer Erstbefragung im Zuge der Antragstellung an, dass sie seit zwei Jahren in psychotherapeutischer Behandlung sei. Sie werde wegen schwerer Depressionen behandelt und nehme (sowohl gegen die Depression als auch gegen starke Migräne) Medikamente. Sollte sie diese Medikamente nicht einnehmen oder nicht erhalten, sei sie suizidgefährdet. Sowohl der Zweitbeschwerdeführer als auch die Drittbeschwerdeführerin gaben bei der Erstbefragung im Zuge der Antragstellung an, dass sie derzeit bei einer Freundin ihrer Mutter wohnen würden, da sich die Erstbeschwerdeführerin in stationärer psychiatrischer Behandlung befinde und sich nicht um beide Kinder kümmern könne. Die Drittbeschwerdeführerin gab weiters an, dass es ihrer Mutter immer schlechter gehen würde.

4.2. Bei der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10. April 2018 gab die Erstbeschwerdeführerin insbesondere an, dass sie weitere Drohungen von ihrem Ehegatten bzw dem Kindesvater erhalte, der den Beschwerdeführern Gewalt androhe, wenn sie nach Armenien zurückkehren würden. Es gehe ihr sehr schlecht, sie sei psychisch sehr labil. Ihr sei es nach der letzten asylrechtlichen Entscheidung psychisch sehr schlecht gegangen, sie könne ihre Kinder nicht pflegen oder für sie kochen. Während des Aufenthaltes im Krankenhaus hätten sich Freundinnen um die Kinder gekümmert. Sie sei auch nach der Entlassung nicht fähig, den Haushalt zu führen. Die Freundinnen gingen einkaufen und kochten. Sie könne ohne Medikamente nicht klar denken, sie denke ständig an Selbstmord. Sie arbeite derzeit 1,5 Stunden pro Woche, sie würde jedoch gerne in ihren gelernten Berufen arbeiten, ca. 30 Stunden in der Woche. Der Zweitbeschwerdeführer gab bei der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10. April 2018 insbesondere an, dass seine Mutter wegen der Medikamente sehr müde sei und ihre Kräfte nicht ausreichen würden, um den Alltag zu bewältigen. Seine Mutter habe Freundinnen, welche das Essen vorbereiten würden. Seine Mutter habe Suizidgedanken, er habe Angst um sie. Die Drittbeschwerdeführerin gab bei der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10. April 2018 an, dass es ihrer Mutter psychisch schlecht gehe. Ihre Mutter könne weder für sich selbst noch für die Kinder sorgen. In Armenien werde sie es auch nicht können. Ihre Mutter müsse starke Medikamente einnehmen. Entweder liege ihre Mutter den ganzen Tag; wenn sie sitze, starre sie auf einen Punkt. Ihre Mutter sei nicht fähig, den Alltag zu meistern. Sie hätten in Armenien niemanden, dort würden sie auf sich allein gestellt sein.

4.3. Aus einem bei der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10. April 2018 vorgelegten ärztlichen Entlassungsbrief vom 23. März 2018 ergibt sich bezüglich der Erstbeschwerdeführerin, dass sie vom 14. März 2018 bis 23. März 2018 auf Grund "suizidaler Einengung bei depressiver Symptomatik bei psychosozialer Belastungssituation" stationär im Landesklinikum Neunkirchen in der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin aufgenommen war. Von psychopharmakologischer Seite werde stimmungsunterstützend mit einer "Aufdosierung von Medikamenten" behandelt, was die deutlich eingeschränkte Schlafqualität gebessert habe, wodurch die Erstbeschwerdeführerin seelisch stabilisiert hätte werden können. Eine akute Suizidalität sei in den Hintergrund getreten. Zum Zeitpunkt der Entlassung habe bei der Erstbeschwerdeführerin keine ernstliche oder erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung bestanden. Eine weitere psychotherapeutische Unterstützung solle dringend fortgeführt werden. Aus einem ebenfalls bei der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10. April 2018 vorgelegten ärztlichen Begleitschreiben vom 19. März 2018 der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin des Landesklinikums Neunkirchen ergibt sich, dass es bei der Erstbeschwerdeführerin im Zuge der "Asylbescheidablehnung" zu einer "Zunahme der depressiven Ideation mit reaktivierten Ängsten", den Gewalthandlungen des Ehegatten nach der Abschiebung ausgesetzt zu sein, gekommen wäre. Daraus würden auch konkrete suizidale Ideen erwachsen.

5.       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hob mit mündlich verkündetem Bescheid vom 10. April 2018 hinsichtlich aller drei Beschwerdeführer den faktischen Abschiebeschutz gemäß §12a Abs2 AsylG 2005 auf. Bezüglich der Erstbeschwerdeführerin wurde festgestellt, dass sie an keiner lebensbedrohenden Erkrankung leide und es seit Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. Jänner 2018 zu keiner maßgeblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes gekommen sei. Dies wurde damit begründet, dass die Erstbeschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Entlassung keine ernstliche oder erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung aufweise; sie sei bei prospektivem Denken und fehlenden Gefährdungselementen nach Hause entlassen worden. Für die Feststellung, dass es zu keiner Verschlechterung des Gesundheitszustandes kommen würde, sei ausschlaggebend, dass die Erstbeschwerdeführerin die Wochenarbeitszeit erhöhen möchte.

6.       Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18. April 2018 wurde hinsichtlich aller drei Beschwerdeführer ausgesprochen, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß §12a Abs2 AsylG 2005 iVm §22 Abs10 AsylG 2005 sowie §22 BFA-VG rechtmäßig ist.

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass gegen alle drei Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen worden sei und die Folgeanträge voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen seien, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten sei. Auch aus den nunmehr vorgelegten medizinischen Unterlagen sei ersichtlich, dass die Erstbeschwerdeführerin nach wie vor in psychotherapeutischer Behandlung sei und Medikamente einnehme. Eine entscheidungsmaßgebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes gehe damit nicht einher. Weiters lägen auch keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne höchstgerichtlicher Judikatur vor, bei welchen die Abschiebung die aus Art3 EMRK gewährleisteten Garantien verletzen würde.

7.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet, die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, für den Fall, dass sich der Verfassungsgerichtshof als nicht zuständig erachtet, und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sowie die Gewährung von Verfahrenshilfe im Umfang der Eingabegebühr beantragt wird.

Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Erstbeschwerdeführerin in besonders schlechter psychischer Verfassung (etwa zur Zeit eines stationären Aufenthaltes) nicht für die beiden minderjähren Kinder Sorge tragen könne. Sie könnten im Falle der Rückkehr nach Armenien nicht damit rechnen, dass die Erstbeschwerdeführerin ihren familiären Aufgaben nachkommen könne. Die Beschwerdeführer seien von der Abschiebung nach Armenien bedroht, obwohl die Fakten dafür sprechen würden, dass die Mutter für die Kinder derzeit nicht Sorge tragen könne und sohin das Wohl der Minderjährigen massiv gefährdet sei.

8.        Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und erklärt, dass unter Hinweis auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung von der Erstattung einer Äußerung Abstand genommen werde.

II.      Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1.        §12a Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017 lautet auszugsweise:

"Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen

§12a. (1) […]

(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§2 Abs1 Z23) gestellt und liegt kein Fall des Abs1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß §61 FPG, eine Ausweisung gemäß §66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß §67 FPG besteht,

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

[…]"

2.        §22 AsylG 2005, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 24/2016 lautet auszugsweise:

"Entscheidungen

§22. (1) […]

(10) Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß §12a Abs2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß §62 Abs2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß §62 Abs3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß §22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß §22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden."

3.       §22 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I 87/2012, idF BGBl I 68/2013 lautet:

"Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

§22. (1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§12a Abs2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. §20 gilt sinngemäß. §28 Abs3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß §12a Abs2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §52 FPG oder eine Ausweisung gemäß §66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß §12a Abs2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß §46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß §22 Abs10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."

III.    Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. §12a Abs2 Z2 AsylG 2005 verlangt eine Prognoseentscheidung über eine voraussichtliche Antragszurückweisung, die Sachentscheidung über den Folgeantrag selbst ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

3.2. §12a Abs2 Z3 AsylG 2005 sieht vor, dass vor Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes und damit vor der möglichen Effektuierung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme erneut eine Refoulement-Prüfung nach Art2 und Art3 EMRK sowie eine Interessenabwägung iSv Art8 EMRK vorzunehmen sind, wobei sich die Refoulement-Prüfung auf einen seit dem Entscheidungszeitpunkt des vorigen Verfahrens geänderten Sachverhalt zu beziehen hat (vgl zu den gesetzlichen Vorgaben des Verfahrens zur Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes und der Vereinbarkeit mit dem in Art130 und Art132 B-VG vorgesehenen System der Verwaltungsgerichtsbarkeit jüngst VfGH 10.10.2018, G186/2018 ua). Die von der Verwaltungsbehörde bzw vom Bundesverwaltungsgericht vorzunehmende (erneute) Refoulement-Prüfung hat dabei die Kriterien aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu beachten.

3.3. Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass außergewöhnliche Umstände im Sinne der höchstgerichtlichen Judikatur nicht vorliegen würden und eine entscheidungsmaßgebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Erstbeschwerdeführerin aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht ersichtlich sei.

3.4. Das Bundesverwaltungsgericht hat es insbesondere verabsäumt, die beginnend mit der Ersteinvernahme im Zuge der Antragstellung des Folgeantrages vorgebrachten Veränderungen des Gesundheitszustandes der Erstbeschwerdeführerin in seiner Entscheidung ausreichend zu berücksichtigen und – unter Bedachtnahme auf die gesetzlichen Vorgaben für die Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nach §22 BFA-VG – nachvollziehbar darzulegen, warum von keinem geänderten Sachverhalt auszugehen sei bzw warum eine Abschiebung nach Armenien unter Berücksichtigung der individuellen Situation der Beschwerdeführer im Heimatstaat anhand aktueller Länderinformationen zulässig ist (siehe zu den grundrechtlichen Anforderungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme in Fällen von erkrankten Personen das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 13. Dezember 2016 [GK], Fall Paposhvili, Appl 41738/10, Z183 ff.). Insbesondere hat sich das Bundesverwaltungsgericht nicht mit den Vorbringen auseinandergesetzt, dass die Erstbeschwerdeführerin auf Grund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr fähig zu sein scheint, ihren Alltag und den Alltag ihrer Kinder ohne fremde Hilfe im Bundesgebiet zu bewältigen, die Unterdrückung von Suizidgedanken nur unter Zuhilfenahme von Medikamenten möglich erscheint und mangelnde Hilfe durch ein bestehendes familiäres Netzwerk im Heimatstaat auf Grund des Gesundheitszustandes der Erstbeschwerdeführerin befürchtet wird.

Die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher mit Willkür behaftet und somit aufzuheben. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidungen betreffend den Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin durch (VfSlg 19.855/2014; VfGH 24.11.2016, E1085/2016 ua). Daher ist das Erkenntnis auch betreffend den Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin aufzuheben.

IV.      Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2.       Der Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 iVm §88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 501,40 enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch eine Rechtsanwältin vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag zuzusprechen. Ein Ersatz der Eingabegebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießen.

Schlagworte

Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Ausweisung, Refoulement-Verbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E2094.2018

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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