TE Vwgh Beschluss 2019/6/19 Ra 2018/01/0204

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Veröffentlicht am 19.06.2019
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
AsylG 2005 §35
AsylG 2005 §35 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revisionen 1. des I G, 2. der G G, vertreten durch E K, 3. der E K, 4. des G B, alle in I, alle vertreten durch Dr. Max Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts jeweils vom 20. März 2018,

1) L515 2128052-1/29E, 2) L515 2178288-1/3E, 3) L523 2134878-1/15E und 4) L523 2134875-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Erstrevisionswerber und die Drittrevisionswerberin sind Lebensgefährten, der Viertrevisionswerber ist der ledige Sohn der Drittrevisionswerberin aus erster Ehe. Nach illegaler Einreise stellten die Drittrevisionswerberin und ihr damals minderjähriger Sohn am 31. Mai 2015 sowie der Erstrevisionswerber am 5. Juni 2015 in Österreich jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 9. September 2017 wurde die Zweitrevisionswerberin, gemeinsame Tochter des Erstrevisionswerbers und der Drittrevisionswerberin, geboren. Die Zweitrevisionswerberin, vertreten durch die Drittrevisionswerberin stellte am 18. September 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Alle Revisionswerber sind georgische Staatsangehörige.

2 Mit Bescheiden vom 23. Mai 2016 betreffend den Erstrevisionswerber, vom 29. Juli 2016 betreffend die Drittrevisionswerberin und den Viertrevisionswerber sowie vom 10. Oktober 2017 betreffend die Zweitrevisionswerberin wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) jeweils die Anträge auf internationalen Schutz vollinhaltlich ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte jeweils fest, dass die Abschiebung nach Georgien zulässig sei, gewährte keine Frist zur freiwilligen Ausreise und erkannte den Beschwerden die aufschiebende Wirkung ab.

3 Beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) langten die dagegen von den Revisionswerbern erhobenen Beschwerden am 16. Juni 2016 (jene des Erstrevisionswerbers), am 30. November 2017 (jene der Zweitrevisionswerberin) sowie am 16. September 2016 (jene der Drittrevisionswerberin und des Viertrevisionswerbers), ein. 4 Die Verfahren des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin wurden in der Gerichtsabteilung L515 und die Verfahren der Drittrevisionswerberin und des Viertrevisionswerbers in der Gerichtsabteilung L523 "in enger Abstimmung und Kooperation" geführt, die von den Revisionswerbern erhobenen Beschwerden mit den angefochtenen, jeweils am 20. März 2018 erlassenen Erkenntnissen abgewiesen und jeweils ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorzubringenden Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

Zulässigkeitsvorbringen:

8 Die Revisionswerber bringen zur Zulässigkeit ihrer Revisionen vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur im vorliegenden Fall wesentlichen Rechtsfrage, ob Familienverfahren, die gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 zwar gesondert zu prüfen, aber unter einem zu führen seien, von unterschiedlichen Richtern entschieden werden dürften. 9 Überdies weiche das BVwG insofern von - nicht näher genannter - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, als die Verfahren als ein Familienverfahren aufgrund des Vorbringens der Drittrevisionswerberin von der Leiterin der Gerichtsabteilung L 523 geführt hätte werden müssen. Aufgrund der entgegen § 34 Abs. 4 AsylG 2005 getrennten Verfahrensführung werde "das BVwG den Anforderungen der ganzheitlichen Würdigung des Fluchtvorbringens der Revisionswerber nicht gerecht. Es mangle an einer ganzheitlichen Würdigung des individuellen Vorbringens der Revisionswerber sowie an einer Auseinandersetzung mit den aktuellen Länderberichten zu Georgien.

Vorliegen eines Familienverfahrens gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005

10 Der in § 34 AsylG 2005 verwendete Begriff des Familienangehörigen ist - anders als etwa bei der Anwendung des § 35 AsylG 2005 - im Sinne der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu verstehen (vgl. VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040 bis 0044, Rn. 14 mwN).

11 Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger unter anderem, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers ist. Für die Anwendung des § 34 AsylG 2005 ist es hinreichend, dass (und solange) zumindest ein Fall des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 gegeben ist.

12 Die Drittrevisionswerberin ist Mutter des zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen (und ledigen) Viertrevisionswerbers, der daher Familienangehöriger der Drittrevisionswerberin iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist. Die Drittrevisionswerberin und der Erstrevisionswerber wiederum sind die Eltern der am 9. September 2017 geborenen Zweitrevisionswerberin. Somit kommt dieser in Bezug auf ihre beiden Eltern und dem jeweiligen Elternteil in Bezug auf die minderjährige Zweitrevisionswerberin wechselseitig die Angehörigeneigenschaft gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu.

13 Vertreten durch die Drittrevisionswerberin stellte die Zweitrevisionswerberin am 18. September 2017 wie zuvor bereits die übrigen Revisionswerber einen Antrag auf internationalen Schutz, weshalb ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Bezug auf alle Revisionswerber vorlagen. Gemeinsame Verfahrensführung nach § 34 Abs. 5 AsylG 2005 14 Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde zwar die Anträge von Familienangehörigen gesondert zu prüfen; die Verfahren sind jedoch unter einem zu führen, und es erhalten unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.

15 § 34 AsylG 2005 enthält sowohl verfahrensrechtliche als auch materiellrechtliche Anordnungen. Der Verwaltungsgerichtshof ist in seiner Rechtsprechung bislang nicht davon ausgegangen, dass in bestimmten Konstellationen bloß die für die Verfahrensführung maßgeblichen Bestimmungen des Familienverfahrens anzuwenden wären, nicht aber auch die auf die Stellung als Familienangehöriger Bezug nehmenden (und sich systematisch an derselben Stelle findenden) materiellrechtlichen Bestimmungen (vgl. VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040 bis 0044, Rn. 29, mwN).

Das in § 34 Abs. 4 AsylG 2005 normierte Gebot, die Verfahren von Familienmitgliedern "unter einem" zu führen, richtet sich nach dem Gesetzeswortlaut an die Behörde, während § 34 Abs. 5 AsylG 2005 festlegt, dass die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß auch für das Verfahren beim BVwG gelten, wodurch sichergestellt wird, dass die Verfahren von jenen Familienmitgliedern, die beim BVwG anhängig sind, auch gemeinsam entschieden werden (vgl. VwGH 15.11.2018, Ro 2018/19/0004, mwN). Dabei handelt es sich - wie in der zitierten Rechtsprechung angeführt - um eine für die Verfahrensführung maßgebliche Bestimmung des Familienverfahrens und somit um eine Verfahrensvorschrift (vgl. im Übrigen auch VwGH 17.11.2015, Ra 2015/03/0058, zur Verbindung von mehreren Verfahren nach § 39 Abs. 2 zweiter und dritter Satz sowie (damals) Abs. 2a (nunmehr: Abs. 2b) AVG).

16 Eine gemeinsame Führung der Verfahren von Familienmitgliedern hat jedoch nur dann zu erfolgen, wenn diese gleichzeitig beim BFA oder gleichzeitig im Beschwerdeverfahren beim BVwG anhängig sind (vgl. VwGH 15.11.2018, Ro 2018/19/0004). Dies war in Bezug auf die Beschwerdeverfahren aller Revisionswerber mit dem Einlangen der Beschwerde der Zweitrevisionswerberin am 30. November 2017 der Fall. 17 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits dargelegt, dass § 34 AsylG 2005 der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbem im Familienverband dient. Ziel dieser Vorschrift ist es, Familienangehörigen (iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005) den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen. Es erhalten alle Familienangehörigen einen eigenen Bescheid, mit dem über die Asylgewährung oder über die subsidiäre Schutzgewährung abgesprochen wird. Jener Schutzumfang, der das stärkste Recht gewährt, ist auf alle Familienangehörigen anzuwenden. Das gemeinsame Führen aller offener Verfahren beim BFA bzw. im Beschwerdeverfahren beim BVwG, sofern diese gleichzeitig jeweils dort anhängig sind, hat den Vorteil, dass möglichst zeitgleich über die Berechtigungen, die Österreich einer Familie gewährt, abgesprochen wird (vgl. wiederum VwGH 15.11.2018, Ro 2018/19/0004, mit Hinweis auf die jeweils dort auszugsweise wiedergegebenen Materialien zum Fremdenrechtspaket 2005, BGB1. I Nr. 100/2005, RV 952 BlgNR 22. GP, 54, bzw. Erläuterungen zu der Vorgängerregelung des § 10 Asylgesetz 1997 idF der Asy1G-Novelle 2003, RV 120 B1gNR 22. GP, 15; sowie mwN).

Relevanz der Verletzung der gemeinsamen Verfahrensführung gemäß § 34 Abs. 5 AsylG 2005

18 Mit dem Zulässigkeitsvorbringen, das BVwG habe die Verpflichtung zur gemeinsamen Führung sämtlicher beim BVwG anhängiger Beschwerdeverfahren der Revisionswerber als Familienangehörige (iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005) verletzt, weil die Verfahren von unterschiedlichen Richtern entschieden worden seien, machen die Revisionswerber einen Verfahrensmangel geltend. 19 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Zulässigkeit der Revision neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt (vgl. etwa zuletzt VwGH 15.4.2019, Ra 2019/01/0109, Rn. 11, mwN). 20 Über die Beschwerden der Revisionswerber wurde - wenn gleich von unterschiedlichen Entscheidungsorganen - vom BVwG gleichförmig entschieden, indem in der Sache keinem Revisionswerber ein Schutzstatus zugesprochen und damit dem Ziel der Vorschrift des § 34 Abs. 4 und 5 AsylG 2005, allen Familienangehörigen den gleichen Schutzstatus zu gewähren, entsprochen wurde. Insofern ist durch die gleichförmigen Entscheidungen in sämtlichen Beschwerdeverfahren der Revisionswerber auch die Aufrechterhaltung des Familienverbandes nicht gefährdet. Dem behaupteten Verfahrensmangel fehlt somit die für die Zulässigkeit der Revisionen notwendige Relevanz. Sonstiges

21 Soweit sich die Revisionswerber gegen die Beweiswürdigung wenden, genügt der Hinweis, dass sich nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP, 16) soll. Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa zuletzt VwGH 27.5.2019, Ra 2018/01/0302, mwN). Eine derart krasse Fehlbeurteilung des BVwG im Rahmen der Beweiswürdigung wird in den Revisionen nicht dargetan.

Ergebnis

22 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher in einem gemäß § 12Abs. 3 VwGG gebildeten Senat wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 19. Juni 2019

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018010204.L00

Im RIS seit

08.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

08.08.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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