TE Vwgh Erkenntnis 2019/7/2 Ro 2019/08/0011

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Veröffentlicht am 02.07.2019
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

AlVG 1977 §12 Abs6
AlVG 1977 §12 Abs6 lita
AlVG 1977 §26 Abs3
ASVG §471f
ASVG §5 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Arbeitsmarktservice Linz in 4021 Linz, Bulgariplatz 17-19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. März 2019, Zl. L511 2214955- 1/3E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Weiterbildungsgeld (mitbeteiligte Partei: A W in L, vertreten durch Dr. Elfgund Abel-Frischenschlager, Rechtsanwältin in 4020 Linz, Marienstraße 13/2), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht ausgesprochen, dass der Anspruch der Mitbeteiligten auf Weiterbildungsgeld vom 1.

bis 30. September 2017 nicht gemäß § 26 Abs. 7 iVm § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und sie nicht gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Weiterbildungsgeldes von EUR 741,50 verpflichtet werde.

2 Die Mitbeteiligte habe vom 1. Oktober 2016 bis 30. September 2017 Weiterbildungsgeld (zuletzt in Höhe von EUR 29,66 täglich) bezogen. Während des Bezugs habe sie unterschiedliche geringfügige Beschäftigungen ausgeübt und dies dem revisionswerbenden Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) auch bekannt gegeben. Am 21. August 2017 habe sie dem AMS bekannt gegeben, dass sie ein (zum damaligen Zeitpunkt) zweites geringfügiges Dienstverhältnis in Aussicht habe und dabei die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten werde. Sie habe vom AMS die Auskunft erhalten, dass dadurch der Anspruch auf den Leistungsbezug für den ganzen Monat wegfallen könne. 3 Am 29. August 2017 habe die Mitbeteiligte dem AMS gemeldet, dass sie vom 7. bis 11. September 2017 im Rahmen des A. Festivals arbeiten werde. Sie habe um eine Unterbrechung des Bezugs des Weiterbildungsgeldes ersucht.

4 Durch eine Überlagerungsmeldung des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger vom 8. November 2018 sei dem AMS bekannt geworden, dass die Mitbeteiligte im September 2017 auf Grund der Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze der Vollversicherung unterlegen sei. Im Datensystem des Hauptverbandes seien für September 2017 Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit bei S. vom 1. bis 30. September (EUR 150,--), am 5. September (EUR 25,98) sowie vom 7. bis 11. September beim A. Festival (EUR 310,21) gespeichert gewesen. Laut Lohnzettel vom September 2017 seien für die Zeit vom 7. bis 11. September 2017 EUR 361,29 ausbezahlt worden. 5 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es sei unabhängig vom erzielten Entgelt zu beurteilen, "ob die beiden geringfügigen Dienstverhältnisse dem Ausbildungszweck auf Grund mangelnder Verfügbarkeit für die Weiterbildung entgegenstanden" seien. Es sei nicht ersichtlich, "inwiefern ein im Wesentlichen über ein Wochenende gehendes, für sich genommen geringfügiges Dienstverhältnis die Verfügbarkeit für die Weiterbildung beeinträchtigt haben könnte. "Das ganzmonatige Dienstverhältnis betrug nur EUR 150,00, was selbst wenn man einen geringen Stundenlohn von EUR 8,00 pro Stunde zugrunde legt, nur einen Stundenaufwand von ca. 18 Stunden im Monat ausmacht". Trotz Überschreitens der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze sei die Verfügbarkeit für die Weiterbildung gegeben gewesen, weshalb der Widerruf und damit auch die Rückforderung rechtswidrig sei. 6 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei, weil "keine Judikatur zur Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze im Rahmen der Weiterbildung bei Zusammentreffen von nicht unmittelbar der Ausbildung dienenden geringfügigen Dienstverhältnissen" bestehe.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die ordentliche Revision. Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Das AMS bringt zur Zulässigkeit der Revision und zu ihrer

Begründung vor, es habe seine (erstinstanzliche) Entscheidung nicht auf das Bestehen einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung, sondern auf § 12 Abs. 6 lit. a und § 26 Abs. 3 AlVG gestützt. Das vom Bundesverwaltungsgericht zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. April 2014, 2013/08/0049, sei nicht anwendbar, weil es dort um die Absolvierung eines der Weiterbildung dienenden, kein Dienstverhältnis darstellenden Praktikums gegangen sei. 10 Die Mitbeteiligte hat in ihrer Revisionsbeantwortung ua vorgebracht, sie habe bisher nicht darauf hingewiesen, dass es sich bei ihrer laufenden geringfügigen Tätigkeit bei S. um ein verpflichtendes Berufspraktikum im Rahmen der Absolvierung eines Studiums an der Fachhochschule für Sport-, Kultur-Veranstaltungsmanagement VZ in Kufstein gehandelt habe. Auch die Tätigkeit beim A. Festival habe der Berufspraxis und somit ihrer Ausbildung gedient.

11 Gemäß § 26 Abs. 3 AlVG gebührt bei Vorliegen einer Beschäftigung oder einer selbständigen Erwerbstätigkeit kein Weiterbildungsgeld, es sei denn, dass § 12 Abs. 6 lit. a, b, c, d, e oder g (Geringfügigkeit) zutrifft.

12 Gemäß § 12 Abs. 6 lit. a AlVG gilt als arbeitslos, wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt. 13 Gemäß § 5 Abs. 2 ASVG in der zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 125/2017 gilt ein Beschäftigungsverhältnis als geringfügig, wenn daraus im Kalendermonat kein höheres Entgelt als EUR 425,70 gebührt.

14 Gemäß § 471h Abs. 1 ASVG beginnt die Pflichtversicherung bei mehrfach geringfügig beschäftigten, die Geringfügigkeitsgrenze überschreitenden Personen in dem Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, und zwar rückwirkend mit jenem Tag, an dem in diesem Kalendermonat erstmalig eine geringfügige Beschäftigung aufgenommen worden ist.

15 Gemäß § 471h Abs. 2 ASVG endet die Pflichtversicherung bei mehrfach geringfügig beschäftigten Personen mit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem die Voraussetzungen hiefür wegfallen. 16 Den Feststellungen zufolge hat die Mitbeteiligte im September 2017 vom 1. bis 30. gegen ein Entgelt von EUR 150,--, sowie zusätzlich am 5. gegen ein Entgelt von EUR 35,98 und vom 7. bis 11. gegen ein Entgelt von EUR 361,29 unselbständige Erwerbstätigkeiten ausgeübt.

17 § 5 Abs. 2 ASVG stellt auf das in einem Kalendermonat insgesamt gebührende Entgelt ab (vgl. auch § 471f ASVG). Auf die zeitliche Lagerung der Tätigkeiten innerhalb des betreffenden Kalendermonats kommt es nicht an. Die Mitbeteiligte hat im September 2017 insgesamt ein Entgelt von EUR 547,27 erhalten, das die in § 5 Abs. 2 ASVG normierte Geringfügigkeitsgrenze von EUR 425,70 übersteigt.

18 Gemäß § 26 Abs. 3 AlVG gebührt bei Vorliegen einer Beschäftigung grundsätzlich kein Weiterbildungsgeld, es sei denn, dass § 12 Abs. 6 lit. a AlVG (Geringfügigkeit) zutrifft. 19 Die Geringfügigkeitsgrenzen des § 12 Abs. 6 AlVG enthalten ein vertyptes Verfügbarkeitskriterium: Das niedrige Entgelt indiziert eine nur geringe zeitliche Auslastung durch die Erwerbstätigkeit und damit das Vorliegen der Verfügbarkeit für den Zweck der Weiterbildung (VwGH 24.4.2014, 2013/08/0049, VwSlg 18832 A/2014).

20 Im Gegensatz zur Absolvierung eines der Weiterbildung dienenden, kein Dienstverhältnis darstellenden Praktikums, das Gegenstand des eben genannten Erkenntnisses war, steht eine sonstige Beschäftigung, die nicht der in Rede stehenden Weiterbildung dient, gemäß § 26 Abs. 3 AlVG der Gewährung von Weiterbildungsgeld grundsätzlich entgegen. Für die Beurteilung des Anspruchs auf Weiterbildungsgeld in einem solchen Fall ist also nur zu prüfen, ob das Verfügbarkeitskriterium des § 12 Abs. 6 lit. a AlVG zutrifft oder nicht. Es kommt nicht darauf an, ob die Mitbeteiligte in Anbetracht der von ihr tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden oder der sonstigen Umstände, wie z.B. der Lagerung der Arbeitszeit, tatsächlich für den Zweck der Weiterbildung verfügbar gewesen ist.

21 Auf dem Boden der derzeitigen Feststellungen hat die Mitbeteiligte für mehrere geringfügige (nicht dem Zweck der Weiterbildung dienende) Beschäftigungen im September 2017 insgesamt ein Entgelt von EUR 547,27 erhalten, das die in § 5 Abs. 2 ASVG normierte Geringfügigkeitsgrenze von EUR 425,70 übersteigt, weshalb ihr gemäß § 26 Abs. 3 AlVG für diesen Monat kein Weiterbildungsgeld gebührt.

22 Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesverwaltungsgericht betreffend den Widerruf des Weiterbildungsgeldes iSd § 26 Abs. 7 iVm § 24 AlVG zu ermitteln haben, ob - wie die Mitbeteiligte in der Revisionsbeantwortung behauptet hat und was das Bundesverwaltungsgericht in Ansehung seiner unzutreffenden Rechtsansicht nicht geprüft hat - die gegenständlichen Beschäftigungen als Berufspraxis der zur Rede stehenden Weiterbildung der Mitbeteiligten gedient haben (und es sich dabei nicht um Dienstverhältnisse, sondern um Ausbildungsverhältnisse (Praktika) gehandelt hat).

23 Gemäß § 26 Abs. 7 AlVG ist u.a. § 25 Abs. 1 AlVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Arbeitslosengeldes das Weiterbildungsgeld tritt und dass die Ersatzpflicht auch bei leichter Fahrlässigkeit eintritt.

24 Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes (Weiterbildungsgeldes) u.a. bei Widerruf einer Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

25 Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesverwaltungsgericht gegebenenfalls zu prüfen haben, ob zumindest eine dieser Rückforderungsvoraussetzungen vorgelegen ist.

26 Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 2. Juli 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RO2019080011.J00

Im RIS seit

01.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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