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62 ArbeitsmarktverwaltungNorm
AlVG 1977 §12 Abs3 litaBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Arbeitsmarktservice St. Pölten in 3100 St. Pölten, Daniel Gran-Straße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Februar 2019, Zl. W218 2124549-1/8E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: M E in S), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des revisionswerbenden Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) vom 14. Jänner 2016, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 29. März 2016, mit dem das Arbeitslosengeld des Mitbeteiligten vom 18. August bis 3. September und vom 20. September bis 4. Dezember 2014 iHv EUR 2.658,87 widerrufen und zurückgefordert worden war, ersatzlos behoben.
2 Der Mitbeteiligte sei (beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger) ursprünglich als bei A. in der Zeit vom 18. August bis 4. Dezember 2014 vollversicherungspflichtig beschäftigter Dienstnehmer aufgeschienen.
3 Aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 ergebe sich, dass er von A. für die Zeit vom 13. November bis 4. Dezember 2014 (Brutto)Bezüge iHv EUR 284,69 erhalten habe (und daher iSd § 5 Abs. 2 ASVG geringfügig beschäftigt gewesen sei). Er sei in den oben genannten Zeiträumen (gemäß § 12 Abs. 6 lit. a AlVG) arbeitslos gewesen und habe zu Recht Arbeitslosengeld bezogen.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der er die kostenpflichtige Zurückweisung der Revision beantragt.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Das AMS führt zur Zulässigkeit der Revision aus, nach den
beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger geführten Versicherten-Daten habe der Mitbeteiligte als Arbeiter bei A. vom 18. August 2014 bis zum 4. Dezember 2014 Anspruch auf ein Entgelt von EUR 2.971,69 gehabt. Es habe sich um eine vollversicherungspflichtige Beschäftigung gehandelt, die Arbeitslosigkeit ausschließe. Der Einkommensteuerbescheid 2014 betreffend den Mitbeteiligten vom 26. März 2015 sei vor der gemeinsamen Prüfung lohnabhängiger Abgaben (GPLA) ergangen. Das Bundesverwaltungsgericht gehe von einer Bindung an diesen Einkommensteuerbescheid aus. Damit weiche es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach es ausschließlich auf den "Anspruchslohn" ankomme.
7 Die Revision ist zulässig, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Bindung an einen Einkommensteuerbescheid bei der Beurteilung der Geringfügigkeit eines Einkommens eines Beschäftigten iSd § 12 Abs. 6 lit a AlVG iVm § 5 Abs. 2 ASVG fehlt. Sie ist auch berechtigt. 8 Gemäß § 36a Abs. 1 und 2 AlVG kommt es für die Beurteilung des Vorliegens von Arbeitslosigkeit (§ 12 Abs. 6 lit. a bis e AlVG), des Anspruchs auf Familienzuschlag (§ 20 Abs. 2 und 5 AlVG) und für die Anrechnung auf die Notstandshilfe auf das Einkommen des Versicherten iSd § 2 Abs. 2 EStG 1988 an. 9 Der vorliegende Fall ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Notstandshilfe beanspruchende Mitbeteiligte - unbeschadet seiner lohnsteuerpflichtigen Einkünfte - gemäß § 41 Abs. 1 EStG 1988 veranlagt wurde, sodass es zu einem rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid vom 26. März 2015 betreffend seiner Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit im Jahre 2014 kam.
10 Strittig ist, ob die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung, ob der Mitbeteiligte im gegenständlichen Zeitraum arbeitslos war, an diesen rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid gebunden ist.
11 Was die Berechnung des auf die Notstandshilfe anzurechnenden Einkommens (§ 36a Abs. 1 AlVG) betrifft, so ist die gesetzlich vorgesehene Vorgangsweise für Lohnsteuerpflichtige und für Personen, die "zur Einkommensteuer veranlagt werden" unterschiedlich geregelt. Während die erstgenannten Personen ihre Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit durch die Vorlage einer aktuellen Lohnbestätigung nachzuweisen haben, ist für den letztgenannten Personenkreis im Gesetz ein zweistufiges Verfahren vorgesehen. Bis zum Vorliegen eines Einkommensteuerbescheides hat die regionale Geschäftsstelle das vorläufige Einkommen anhand einer "monatlich im Nachhinein abzugebenden Erklärung des selbständig Erwerbstätigen und geeigneter Nachweise" festzustellen (§ 36a Abs. 5 Z 1 letzter Halbsatz AlVG); die endgültige Berechnung des Arbeitslosengeldes bzw. der Notstandshilfe erfolgt dann nach Vorliegen des Einkommensteuerbescheides für das betreffende Kalenderjahr des Leistungsbezuges (§ 36a Abs. 5 Z 1 erster Halbsatz AlVG), wobei für einen Überbezug eine erleichterte Rückforderungsmöglichkeit iSd § 25 Abs. 1 dritter Satz AlVG besteht. Ist derjenige, der ein anzurechnendes Einkommen aus nicht selbständiger Tätigkeit bezieht, für den fraglichen Zeitraum zur Einkommensteuer zu veranlagen, dann ist auf die Ermittlung der Notstandshilfe des Arbeitslosen nicht § 36a Abs. 5 Z 2 AlVG, sondern auch § 36a Abs. 5 Z 1 AlVG anzuwenden (VwGH 19.9.2007, 2006/08/0187 u.a.; 3.4.2019, Ra 2018/08/0216).
12 Diese Grundsätze können jedoch nicht auf die Beantwortung der Frage übertragen werden, ob ein Dienstnehmer iSd § 12 Abs. 3 lit. a AlVG in Ansehung eines die Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteigenden Entgelts gemäß § 12 Abs. 6 lit. a AlVG als arbeitslos gilt. Hier besteht nur bezüglich der Dienstnehmereigenschaft eine Bindung an allfällige rechtskräftige Bescheide der Abgabenbehörden betreffend die Bejahung der Lohnsteuerpflicht (§ 4 Abs. 2 ASVG; VwGH 13.11.2013, 2011/08/0165) bzw. an allfällige rechtskräftige Bescheide der Pensionsversicherungsträger betreffend die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung. Zudem besteht bezüglich der Entgeltshöhe eine Bindung an allfällige rechtskräftige (arbeitsgerichtliche) Urteile (§ 49 Abs. 6 ASVG), während eine sonstige Bindung, insbesondere an die beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger
geführten Versicherten-Daten oder an die Ergebnisse einer GPLA, dem Gesetz nicht entnommen werden kann (VwGH 22.07.2014, 2012/08/0136).
13 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff des Entgelts in § 12 Abs. 6 lit. a AlVG im Sinne des Entgeltbegriffes des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes zu verstehen. Dies legt nicht nur die ausdrückliche Bezugnahme auf § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG nahe, sondern entspricht auch dem bestehenden engen Konnex zwischen der Arbeitslosenversicherungspfli cht und der Krankenversicherungspflicht nach dem ASVG. Der in diesem Zusammenhang daher jedenfalls maßgebende § 49 Abs. 1 ASVG stellt auf den sogenannten Anspruchslohn ab, also auf jenen Lohn, auf den der einzelne Dienstnehmer Anspruch hat (VwGH 14.11.2012, 2011/08/0025; 29.9.2014, 2013/08/0241). Auch wenn ein unselbständig Erwerbstätiger daher für den fraglichen Zeitraum zur Einkommensteuer veranlagt wird, ist für die Beurteilung des Vorliegens von Arbeitslosigkeit iSd § 12 Abs. 6 lit. a AlVG der § 36a Abs. 5 Z 1 AlVG (Nachweis durch die Vorlage des Einkommensteuerbescheides) nicht anzuwenden.
14 Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht eine Bindung an den genannten rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid angenommen, statt nach den dargelegten Grundsätzen den Anspruchslohn des Mitbeteiligten zu ermitteln.
15 Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.
Wien, am 2. Juli 2019
Schlagworte
Entgelt Begriff AnspruchslohnEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019080068.L00Im RIS seit
01.10.2019Zuletzt aktualisiert am
01.10.2019