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L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag SteiermarkNorm
BauG Stmk 1995 §41 Abs3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie Hofrätin Dr. Bayjones und Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber, BA, über die Revision des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 17. Juli 2017, LVwG 50.24- 3856/2014-3, betreffend Aufhebung eines Beseitigungsauftrages (mitbeteiligte Partei: Mag. M S in G, vertreten durch die Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in 8010 Graz, Hilmgasse 10; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Kostenersatzbegehren des Revisionswerbers wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 27. August 2009 wurde Miteigentümern eines näher genannten Grundstücks in Graz, unter anderem der mitbeteiligten Partei, aufgetragen, die beim auf diesem Grundstück befindlichen Gebäude ausgeführten (näher beschriebenen) Maßnahmen an den hofseitigen Balkonen im ersten und zweiten Obergeschoss, welche über das Maß der Baubewilligung vom 27. Oktober 2005 hinausgingen, binnen zwei Wochen ab Rechtskraft des Bescheides zu entfernen. 2 Der von der mitbeteiligten Partei gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom 23. April 2014 teilweise Folge gegeben und der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides durch Neuformulierung des auf § 41 Abs. 3 Steiermärkisches Baugesetz 1995 (Stmk. BauG) gestützten Auftrages dahin abgeändert, dass der beim in Rede stehenden Gebäude im ersten Obergeschoss ausgeführte Balkonvorbau, bestehend aus einer ca. 3,2 m langen, 2,3 m breiten metallenen Rahmenkonstruktion inkl. Verglasung mit Plexiglas in Form eines Halbtonnendaches, binnen vier Wochen ab Rechtskraft des Bescheides zu beseitigen sei.
3 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) und teilte diesem in weiterer Folge mit E-Mail vom 10. Dezember 2014 mit, dass ein entsprechender Baubewilligungsantrag für den Wind- und Wetterschutz am Balkon bei der Baubehörde eingebracht worden sei.
4 Am 12. Juli 2017 übermittelte die mitbeteiligte Partei die ihr mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 10. November 2015 erteilte Baubewilligung für die "Errichtung einer Wetterschutzkonstruktion am hofseitigen Balkon (1. Obergeschoß)". Der Erteilung dieser Baubewilligung waren zunächst ein negatives Gutachten der Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission (ASVK) vom 28. Jänner 2015 (weil die Planung nicht der Bestimmung des § 7 Abs. 2 Grazer Altstadterhaltungsgesetz 2008 entspreche) und - nach Einreichung geänderter Pläne - ein positives Gutachten der ASVK vom 4. September 2015 vorausgegangen.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des LVwG vom 17. Juli 2017 wurde der Beschwerde der mitbeteiligten Partei stattgegeben und der Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Granz vom 23. April 2014 ersatzlos behoben. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt. 6 Begründend führte das LVwG aus, es habe die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zu berücksichtigen (Verweis auf VwGH 8.6.2011, 2009/06/0208). Da für die ursprünglich vorschriftswidrige bauliche Maßnahme, die den Gegenstand des bekämpften Beseitigungsauftrages bilde, mit Bescheid vom 10. November 2015 die Baubewilligung erteilt worden sei, bestehe, im Hinblick auf die aktuelle Sach- und Rechtslage, keine Veranlassung, den angefochtenen Beseitigungsauftrag aufrecht zu erhalten.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Amtsrevision des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
8 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung vom 11. Juni 2019, in der sie die Einstellung des Revisionsverfahrens begehrte. Unter Beilage eines Angebotes eines Unternehmens betreffend die Demontage einer vorhandenen Terrassenverglasung vom 3. Juni 2019 brachte sie vor, dass die Balkonverglasung im ersten Obergeschoß am 12. Juni 2019 entfernt werde. Die Verpflichtung aus dem Beseitigungsauftrag vom 23. April 2014 sei damit erfüllt - und zwar ungeachtet der Baubewilligung vom 10. November 2015, welche sie nach wie vor konsumieren könne.
9 Mit ergänzendem Schriftsatz vom 18. Juni 2019 legte die mitbeteiligte Partei Fotos vor, die ihren Balkon beträfen und am 13. Juni 2019 aufgenommen worden seien. Auf diesen Fotos sei ersichtlich, dass die gänzliche Entfernung des im Beseitigungsauftrag vom 23. April 2014 beschriebenen Balkonverbaus vollzogen sei. Sie wiederholte den Antrag, das Revisionsverfahren einzustellen.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Nach Ausführungen zur Legitimation des Revisionswerbers zur Erhebung der Revision wird in der Amtsrevision zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, es gehe im Kern um die Ermittlungspflichten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren und die vom LVwG vorgenommene Würdigung der aktenkundigen Tatsachen, die als unhaltbar zu qualifizieren seien. Das LVwG sei dabei von den in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dargelegten Leitlinien abgewichen. Es stelle eine grobe Fehleinschätzung dar, dass mit der erteilten Baubewilligung vom 10. November 2015 der tatsächlich errichtete Bestand genehmigt worden sei. Schon ein Vergleich der Fotos des Bestands mit den genehmigten Plandarstellungen bzw. ein Blick auf die letztendlich genehmigten Plandarstellungen, in der der Bestand gelb eingezeichnet sei, gebe zweifellos Aufschluss darüber, dass der Bestand nicht auch nur teilweise mit dieser Baubewilligung konsentiert sein könnte. Die beiden Varianten unterschieden sich massiv in Form, Größe, Konstruktion, Materialität und Farbe. Dass diese Unterschiede auch rechtlich erheblich seien, bewiesen die jeweiligen Beurteilungen durch die ASVK. Vom LVwG sei der Akt des Baubewilligungsverfahrens nicht angefordert und eingesehen worden, es sei keine mündliche Verhandlung durchgeführt und auch sonst kein Kontakt mit dem Revisionswerber hergestellt worden. Vielmehr habe sich das LVwG damit begnügt, den von der mitbeteiligten Partei vorgelegten Baubewilligungsbescheid als ausreichenden Beweis für die nachträgliche Konsenserteilung zu akzeptieren.
12 Die Revision erweist sich aus den vorgebrachten Gründen als zulässig. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung können nicht nur solche des materiellen, sondern auch solche des Verfahrensrechts sein. Eine erhebliche Bedeutung kommt derartigen Fragen jedenfalls dann zu, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechts auf dem Spiel stehen (vgl. etwa VwGH 19.10.2016, Ra 2015/12/0041, mwN). Dies ist hier der Fall, hat das LVwG doch - wie ihm zutreffend vom Revisionswerber vorgeworfen wird - in grundsätzlicher Verkennung des Amtsermittlungsgrundsatzes jedwede Ermittlungstätigkeit hinsichtlich des von der mitbeteiligten vorgelegten Baubewilligungsbescheides vom 10. November 2015 und der Frage der Übereinstimmung des mit diesem Bescheid baubewilligten Projekts mit jenem Zustand, der dem Beseitigungsauftrag in der Fassung des Bescheides der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom 23. April 2014 zugrunde lag, unterlassen.
13 Eine während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erteilte baubehördliche Bewilligung, mit der jener Zustand genehmigt würde, der durch die Befolgung des baupolizeilichen Auftrages beseitigt werden soll, stellte grundsätzlich eine vom Verwaltungsgericht zu beachtende Änderung des Sachverhalts dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2017/06/0116). 14 Allerdings bestreitet der Revisionswerber im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Balkonverbau unter Verweis auf die Aktenlage die Übereinstimmung des mit Bescheid vom 10. November 2015 bewilligten Projekts mit jenem Zustand, der dem Beseitigungsauftrag in der Fassung des Bescheides der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom 23. April 2014 zugrunde lag, und er wirft dem LVwG gravierende Ermittlungsmängel vor.
15 Mangels näherer Feststellungen kann dem angefochtenen Erkenntnis nicht entnommen werden, weshalb das LVwG davon ausging, dass die den Gegenstand des Beseitigungsauftrages bildende vorschriftswidrige bauliche Maßnahme mit Bescheid vom 10. November 2015 konsentiert worden sei. Gegen diese Annahme sprechen auch der Umstand, dass das von der mitbeteiligten Partei zunächst eingereichte Projekt von der ASVK (unter anderem mit dem Hinweis "Bauabsicht bereits ausgeführt") negativ beurteilt worden war und erst in weiterer Folge die Baubewilligung für eine Wetterschutzkonstruktion nach Vorlage eines geänderten Projekts durch die mitbeteiligte Partei und einer (unter anderem mit der Anmerkung "Die derzeit konsenslos errichtete und das Erscheinungsbild störende Einhausung wird entfernt." erfolgten) positiven Beurteilung durch die ASVK erteilt wurde, sowie das auf die diesbezüglichen Pläne Bezug nehmende Vorbringen des Revisionswerbers, der dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beigezogen wurde.
16 Da nicht auszuschließen ist, dass ein vom LVwG rechtskonform durchgeführtes Ermittlungsverfahren die Nichtübereinstimmung des mit der Baubewilligung konsentierten Projekts mit dem dem Beseitigungsauftrag zugrunde gelegenen Bestand ergäben hätte, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. 17 Zum Vorbringen der mitbeteiligten Partei hinsichtlich der Gegenstandslosigkeit der Revision im Hinblick auf die im Juni 2019 erfolgte Beseitigung der vom seinerzeitigen Beseitigungsauftrag umfassten Balkonverglasung ist Folgendes auszuführen:
Nach der hg. Rechtsprechung treten die Wirkungen eines Beseitigungsauftrages auch durch seine Erfüllung nicht außer Kraft (VwGH 8.7.2004, 2004/07/0050). Durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, mit dem ein Beseitigungsauftrag aufgehoben worden war, treten daher die Wirkungen des Beseitigungsauftrages wieder in Kraft. Es kann daher nicht von der Gegenstandslosigkeit der Revision ausgegangen werden. 18 Ist, wie im vorliegenden Fall, eine Revisionserhebung nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG erfolgt, hat die revisionswerbende Partei gemäß § 47 Abs. 4 VwGG keinen Anspruch auf Aufwandersatz, weshalb ihr darauf gerichteter Antrag abzuweisen war.
Wien, am 4. Juli 2019
Schlagworte
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ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017060188.L00Im RIS seit
02.09.2019Zuletzt aktualisiert am
02.09.2019