TE Vwgh Beschluss 2019/7/5 Ra 2019/01/0227

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Veröffentlicht am 05.07.2019
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

AVG §39 Abs2
B-VG Art133 Abs4
StbG 1985 §27 Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwRallg

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2019/01/0228

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revisionen 1. des Y A und 2. der A A, beide in W und vertreten durch Mag. Okan Ersoy, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Karlsplatz 3/2, gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts Wien jeweils vom 2. April 2019, Zlen. 1. VGW- 153/094/2037/2019-2 und 2. VGW-153/094/2034/2019-8, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

Angefochtene Erkenntnisse

1 Mit den angefochtenen Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtes Wien wurde in der Sache jeweils festgestellt, dass die Revisionswerber durch Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit jeweils spätestens mit Wirkung vom 18. Mai 2017 gemäß § 27 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG) die österreichische Staatsbürgerschaft verloren hätten (I.) Weiters wurde jeweils die Kostenentscheidung betreffend Ersatz von Barauslagen vorbehalten (II.) und die Revision für unzulässig erklärt (III.).

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht jeweils im Wesentlichen aus, die Revisionswerber seien Ehegatten und lebten seit 1981 bzw. 1971 in Österreich. Mit Bescheiden der Wiener Landesregierung jeweils vom 16. Juli 1996 sei den Revisionswerbern die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Die Revisionswerber seien sodann am 25. Juli 1996 aus dem türkischen Staatsverband entlassen worden.

3 Daraufhin hätten sich die Revisionswerber wieder um Verleihung der türkischen Staatsangehörigkeit bemüht, jedoch keinen Antrag auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft gestellt.

4 Im Verfahren hätten die Revisionswerber jeweils eine Entlassungsurkunde vom 17. April 2018 vorgelegt, in welcher bestätigt worden sei, dass den Revisionswerbern "gemäß § 25 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 5901 mit dem Beschluss des Innenministeriums vom 02.01.2018, Nr. 2018/2, die Genehmigung zur Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit erteilt" worden sei. Aufgrunddessen hätten die Revisionswerber "ab dem Ausstellungsdatum dieser Bescheinigung ihre türkische Staatangehörigkeit verloren".

5 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht jeweils aus, dass sich die Revisionswerber nach Entlassung aus dem türkischen Staatsverband am 25. Juli 1996 wieder um die türkische Staatsangehörigkeit bemüht hätten, ergebe sich aus einer Zusammenschau der (näher zitierten) türkischen Rechtslage und der Entlassungsurkunde vom 17. April 2018.

6 Das Vorbringen der Revisionswerber, wonach das türkische Generalkonsulat wegen administrativer Schwierigkeiten auf Grund zahlreicher aktueller Anfragen die ursprüngliche Entlassungsurkunde nicht aushändigen habe können und daher eine neue Urkunde erstellt habe, erscheine dem Verwaltungsgericht nicht schlüssig, zumal die Revisionswerber keine Beweise hinsichtlich etwaiger administrativer Probleme bei den türkischen Behörden vorgelegt hätten.

7 Das Vorbringen der Revisionswerber, gegen einen Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit sprächen die stets für die Einreise in die Türkei beantragten Visa, überzeuge nicht, zumal Inhaber eines österreichischen Passes jedenfall ein türkisches Visum bei Einreise in die Türkei benötigten. Die vorgelegte "Mavi Kart" (mit Ausstellungsdatum jeweils vom 25. April 2018) stelle keinen Beweis dar, dass die Revisionswerber die türkische Staatsangehörigkeit nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht wieder angenommen hätten.

8 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht nach Hinweis auf § 42 und § 27 Abs. 1 StbG im Wesentlichen aus, den getroffenen Feststellungen sei zu entnehmen, dass die Revisionswerber nach erstmaliger Entlassung aus dem türkischen Staatsverband zu einem unbekannten Zeitpunkt die türkische Staatsangehörigkeit wieder erworben hätten. Damit stehe fest, dass die Revisionswerber gemäß § 27 Abs. 1 StbG ex lege die österreichische Staatsbürgerschaft verloren hätten. Daran vermöge auch der neuerliche Austritt aus dem türkischen Staatsverband nichts zu ändern.

9 Sodann verwies das Verwaltungsgericht auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 12. März 2019, Tjebbes ua, C-221/17. Danach sei nunmehr auch beim Verlust einer Staatsbürgerschaft kraft Gesetzes eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen.

10 Zu dieser führte das Verwaltungsgericht jeweils aus, es erkenne keinen Umstand, der gegen die neuerliche Beantragung der österreichischen Staatsbürgerschaft bzw. eines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) spreche. Da die Revisionswerber seit 1981 bzw. 1971 in Österreich lebten, käme für sie überdies ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen den Gründen nach dem Asylgesetz in Betracht. Letztlich sei auf die Vollzugspraxis hinzuweisen, wonach die Wiederannahme der türkischen Staatsangehörigkeit für ehemalige türkische Staatsangehörige einfach möglich sei. Würden die Revisionswerber die türkische Staatsangehörigkeit wieder annehmen, so fielen sie unter das Assoziationsabkommen EWG-Türkei und hätten ein Aufenthaltsrecht in Österreich.

11 Somit würden die Revisionswerber trotz Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft keine beruflichen oder familiären Nachteile erfahren, zumal es Möglichkeiten gebe, weiterhin in Österreich aufhältig zu sein. Auch erkenne das Verwaltungsgericht nicht, dass die Revisionswerber nach Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft ihre familiären Bindungen nicht mehr aufrecht erhalten könnten, zumal die Gattin des Erstrevisionswerbers (die Zweitrevisionswerberin) in Österreich und die Eltern und Geschwister des Erstrevisionswerbers in der Türkei lebten bzw. der Gatte der Zweitrevisionswerberin (der Erstrevisionswerber) und zwei ihrer Geschwister in Österreich und zwei weitere Geschwister in der Türkei lebten.

12 Gegen diese Erkenntnisse richten sich jeweils die Revision des Erstrevisionswerbers bzw. der Zweitrevisionswerberin. Zulässigkeit

13 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 16 Die Revisionen bringen (übereinstimmend) in der alleine maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung vor, die angefochtenen Erkenntnisse seien grob fehlerhaft und führten zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis. So sei die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, das Vorbringen der Revisionswerber, wonach für die Einreise in die Türkei stets Visa beantragt worden seien, überzeuge nicht, zumal der Inhaber eines österreichischen Passes jedenfalls ein türkisches Visum benötige, grob fehlerhaft erfolgt, da entgegen der Feststellung des Verwaltungsgerichtes Inhaber von österreichischen Pässen nicht jedenfalls ein türkisches Visum benötigten. Inhaber einer "Mavi Kart" (blaue Karte) seien mit einem österreichischen Pass zur visumsfreien Einreise in die Türkei berechtigt. Es gebe keine Rechtsprechung, ob der wiederholte Erwerb von Visa bei der Einreise in die Türkei der Würdigung als Beweis für die Nichtannahme der türkischen Staatsbürgerschaft entgegenstehe. 17 Mit diesem Vorbringen wird eine (nach Auffassung der Revisionen) grob fehlerhafte Beweiswürdigung im Rahmen der Beurteilung nach § 27 StbG behauptet.

18 Zu § 27 Abs. 1 StbG hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass in Bezug auf ausländisches Recht der Grundsatz "iura novit curia" nicht gilt, sodass dieses in einem - grundsätzlich amtswegigen - Ermittlungsverfahren festzustellen ist, wobei aber auch hier die Mitwirkung der Beteiligten erforderlich ist, soweit eine Mitwirkungspflicht der Partei besteht (vgl. VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0042, mwN; vgl. zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in ähnlichen Konstellationen VwGH 10.7.2018, Ra 2018/01/0094, mwN). 19 Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0050, mwN).

20 Dieses Vertretbarkeitskalkül ist vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu sehen, wonach der Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nicht dazu berufen ist, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten. Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0040, mwN). 21 In den vorliegenden Rechtssachen zeigt das Zulässigkeitsvorbringen nicht auf, dass das Verwaltungsgericht in diesem Sinne die vom Verwaltungsgerichtshof zu § 27 Abs. 1 StbG aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hätte:

22 So stützt sich das Verwaltungsgericht in beiden Rechtssachen tragend auf die jeweils von den türkischen Behörden ausgestellte Entlassungsurkunde vom 17. April 2018, nach der die Revisionswerber (so die wörtlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes) "ab dem Ausstellungsdatum dieser Bescheinigung ihre türkische Staatsangehörigkeit verloren" hätten. Angesichts dieser beweiswürdigenden Überlegungen kann mit dem Zulässigkeitsvorbringen der Revisionen keine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles dargetan werden.

Ergebnis

23 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.

Wien, am 5. Juli 2019

Schlagworte

Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019010227.L00

Im RIS seit

30.09.2019

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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