TE Vwgh Beschluss 2019/7/15 Ra 2019/08/0107

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Veröffentlicht am 15.07.2019
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §41a
ASVG §41a Abs2
ASVG §42
ASVG §68 Abs1
AVG §68 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der F GmbH in G, vertreten durch Dr. Maria Christina Kolar-Syrmas, Dr. Armin Karisch und Mag. Vinzenz Fröhlich, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Sackstraße 15/I, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Mai 2019, Zl. I404 2007176-2/28E, betreffend Beiträge nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorarlberger Gebietskrankenkasse), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 4 Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 10. September 2014, 2013/08/0120, betreffend Beitragsnachverrechnung, sowie die hg. Zurückweisungsbeschlüsse vom 8. März 2019, Ra 2019/08/0028, und vom 3. April 2019, Ra 2019/08/0038, betreffend die Pflichtversicherung von "Dialogern" (Anwerbern von Personen als Spender oder Unterstützer) verwiesen.

5 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht die revisionswerbende Partei verpflichtet, für die 31 näher genannten DienstnehmerInnen, deren (Voll)Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG und nach § 1 Abs. 1 lit. a AlVG rechtskräftig festgestellt worden sei, für den Zeitraum August 2002 bis Dezember 2006 an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse allgemeine Beiträge, sonstige Beiträge und Umlagen von EUR 18.198,89 sowie Verzugszinsen von EUR 9.616,66 zu entrichten. Die Revisionswerberin habe die genannten Dienstnehmer bei der Vorarlberger Gebietskrankenkasse (der belangten Behörde) als freie Dienstnehmer iSd § 4 Abs. 4 ASVG statt als abhängige Beschäftigte iSd § 4 Abs. 2 ASVG gemeldet. 6 Die steiermärkische Gebietskrankenkasse habe bei der Revisionswerberin am 30. August 2007 eine GPLA-Prüfung (gemeinsame Prüfung lohnabhängiger Abgaben) durchgeführt. Dabei seien auch die Daten der genannten 31 in die Zuständigkeit der belangten Behörde fallenden, in Vorarlberg wohnenden Dienstnehmer "in die GPLA-Software eingepflegt" und elektronisch "die Prüffalldaten Sozialversicherung" für den Einzugsbereich der belangten Behörde eingefordert worden. Es könne nicht mehr festgestellt werden, wann die Revisionswerberin über die GPLA-Prüfung verständigt worden sei oder wann ihr zu einem früheren Zeitpunkt "zum Zweck der Feststellung getroffene Maßnahmen des Versicherungsträgers" zur Kenntnis gebracht worden seien. Die Fehlermeldung bei der Anmeldung von Frau Nina L. vom 20. Juni 2006 bei der Wiener Gebietskrankenkasse (aus der allenfalls auf die Durchführung einer Beitragsprüfung geschlossen werden könnte) sei keine Maßnahme des Versicherungsträgers zur Feststellung der Beitragsschuld. 7 Am 27. April 2011 habe die belangte Behörde an die revisionswerbende Partei eine Beitragsvorschreibung übermittelt. Daraufhin habe diese am 12. Mai 2011 einen Bescheid betreffend die Pflichtversicherung der genannten Dienstnehmer beantragt. Die belangte Behörde habe weitere Ermittlungen durchgeführt und mit Bescheid vom 17. Jänner 2014 die Pflichtversicherung der genannten Dienstnehmer festgestellt. Sie habe am 22. Jänner 2014 den erstinstanzlichen Bescheid über die Beitragsnachverrechnung erlassen.

8 Die Revisionswerberin (bzw. deren derzeitige oder frühere Geschäftsführer) habe (zur Frage des Verschuldens an dem Meldeverstoß) trotz mehrfacher Aufforderung nicht dargelegt, wann und zu welcher konkreten Fragestellung sie eine Auskunft der steiermärkischen Gebietskrankenkasse eingeholt habe. Es sei lediglich vorgebracht worden, "dass in Absprache mit der GKK eine Lösung erarbeitet worden sei", ohne Näheres darzulegen. In diesem Zusammenhang seien Beweisanträge zum Vorbringen "Verhalten der handelnden Personen hinsichtlich Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Sorgfaltsverletzung" bzw. zum "Gegenstand der Informationsgestaltung für versichernde Arbeitgeber, damit aus den gegebenen Informationen beurteilt werden könne, ob ein Arbeitgeber bei gehöriger Sorgfalt annehmen konnte, ob ein "Fundraiser" (Spendenwerber) ein freier Dienstnehmer sei oder nicht", als unzulässige Erkundungsbeweise zurückgewiesen worden. 9 Für die Feststellungsverjährung komme gemäß § 68 Abs. 1 dritter Satz ASVG die fünfjährige Frist zur Anwendung, weil der Dienstgeber unrichtige Angaben gemacht habe, die er bei gehöriger Sorgfalt hätte erkennen müssen. Ihn treffe eine Erkundigungspflicht, wenn er seine - objektiv unrichtige - Rechtsauffassung z.B. über seine Eigenschaft als Dienstgeber zum Zeitpunkt der Unterlassung der Meldung nicht etwa auf höchstgerichtliche Rechtsprechung oder - bei Fehlen einer solchen -

auf eine ständige Verwaltungsübung zu stützen vermag. Er müsse sich über die Vertretbarkeit seiner Rechtsauffassung bei der Behörde oder bei einem berufsmäßigen Parteienvertreter Gewissheit verschaffen. Dass ein Rechtsanwalt einen Mustervertrag erstellt habe, könne die Revisionswerberin nicht von ihrer Meldepflicht befreien, zumal die tatsächliche Abwicklung der Verträge von den vertraglichen Vorgaben abgewichen sei. Der Revisionswerberin sei es nicht gelungen, ihre Schuldlosigkeit an der Meldepflichtverletzung darzutun.

10 Die Beitragsprüfung vom 30. August 2007, die die steiermärkische Gebietskrankenkasse auch für die in die Zuständigkeit der belangten Behörde fallenden Dienstnehmer vorgenommen habe, stelle eine die Feststellungsverjährung iSd § 68 Abs. 1 ASVG unterbrechende Maßnahme dar. Die Verjährung sei unterbrochen geblieben, so lange ein Streit über die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen (hier: der Streit über die Pflichtversicherung mit den dazugehörigen Ermittlungen) angedauert habe. Die Beitragsvorschreibung vom 27. April 2011 habe die Verjährung ein weiteres Mal unterbrochen. Bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides über die Beitragsnachverrechnung am 22. Jänner 2014 seien bei Anwendung der fünfjährigen Verjährungsfrist die Beiträge für den Zeitraum August 2002 bis Dezember 2006 nicht verjährt und während des anhängigen Verwaltungsverfahrens sei die Verjährung nach § 68 Abs. 1 letzter Satz ASVG gehemmt gewesen.

11 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

12 Die Revisionswerberin erblickt entgegen diesem Ausspruch eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darin, dass das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Offizialmaxime verpflichtet gewesen wäre, Ermittlungen zum (mangelnden) Verschulden der revisionswerbenden Partei an der unrichtigen Meldung vorzunehmen. Es reiche nicht aus, die Ansicht zu vertreten, dass eine rechtswidrige Nichtmeldung das Verschulden indiziere. 13 Der Verwaltungsgerichtshof habe "bislang keine Äußerungen darüber getroffen, ob besondere Schwierigkeiten bei der versicherungsrechtlichen Qualifizierung von Dauerschuldverhältnissen (z.B. Outdoor-Tätigkeiten) bei der Frage der Beurteilung der Sorgfaltspflichten zu berücksichtigen sind". 14 Die Ansicht, die bloße Nichtbeanstandung durch die zuständigen Behörden würde grundsätzlich noch keine den Meldepflichtigen exkulpierende Verwaltungsübung darstellen, sei unrichtig. Den Meldepflichtigen treffe keine verschuldensunabhängige Erfolgshaftung für die richtige Gesetzeskenntnis betreffend die Zuordnung von Versicherungsverhältnissen.

15 Bei der gegenständlichen GPLA seien "nachweislich keinerlei nach außen gerichtete Amtshandlungen zur Feststellung der Versicherungspflicht der bei der VGKK angemeldeten Personen durchgeführt" worden. Die Einspielung von Daten in die Prüfsoftware (durch die steiermärkische Gebietskrankenkasse an die belangte Behörde) stelle eine nach innen gerichtete Verwaltungstätigkeit dar.

16 Schließlich habe das Bundesverwaltungsgericht die Beweisanträge der Revisionswerberin zu Unrecht als unzulässige Erkundungsbeweise zurückgewiesen.

17 Zu diesen Vorbringen ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach es für die Beurteilung der Frage, ob und inwieweit Feststellungsverjährung gemäß § 68 Abs. 1 ASVG eingetreten ist, auf die jeweils anzuwendende Verjährungsfrist ankommt. Deren Dauer hängt vom Verschulden des Meldepflichtigen an der Meldepflichtverletzung ab. Die rechtswidrige Nichtmeldung indiziert dieses Verschulden. Es liegt am Meldepflichtigen darzutun, aus welchem besonderen Grund ihn ausnahmsweise kein Verschulden an der Meldepflichtverletzung trifft. Bei der Beurteilung der Frage, ob die revisionswerbende Partei als Dienstgeber gemäß § 68 Abs. 1 dritter Satz ASVG die Unrichtigkeit ihrer Angaben bei gehöriger Sorgfalt hätte erkennen müssen, ist davon auszugehen, dass sich ein Meldepflichtiger alle zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtung notwendigen Kenntnisse verschaffen muss und den Mangel im Falle einer darauf zurückzuführenden Meldepflichtverletzung als Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt zu vertreten hat. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass ein Meldepflichtiger, der nicht über die genannten Kenntnisse verfügt, nicht schon deshalb im Sinne des § 68 Abs. 1 dritter Satz ASVG exkulpiert ist, weil er sich mit der strittigen Frage ohnedies, wenn auch nur auf Grund seiner eingeschränkten Kenntnisse, auseinandergesetzt hat und dementsprechend vorgegangen ist. Ihn trifft vielmehr eine Erkundigungspflicht, sofern er seine - objektiv unrichtige - Rechtsauffassung z.B. über seine Eigenschaft als Dienstgeber zum Zeitpunkt der Unterlassung der Meldung nicht etwa auf höchstgerichtliche (und erst später geänderte) Rechtsprechung oder - bei Fehlen einer solchen - auf eine ständige Verwaltungsübung zu stützen vermag. Die bloße "Nichtbeanstandung" beitragsfreier Zahlungen in der Vergangenheit stellt noch keine Verwaltungsübung dar, auf die ein Meldepflichtiger vertrauen dürfte. Insbesondere geht die Erkundigungspflicht dahin, sich über die Vertretbarkeit seiner Rechtauffassung bei der Behörde und/oder einer zur berufungsmäßigen Parteienvertretung befugten Person oder Stelle Gewissheit zu verschaffen und sich bei dabei zu Tage tretenden widersprüchlichen Rechtsauffassungen mit Gewissenhaftigkeit mit dem Für und Wider eingehend auseinanderzusetzen. Die Erstellung eines Mustervertrages durch einen Rechtsanwalt, der das von der revisionswerbende Partei rechtlich gewünschte Ergebnis zeitigen soll und der von dem abweicht, wie die Beschäftigungsverhältnisse tatsächlich gelebt worden sind (vgl. den die revisionswerbende Partei betreffenden Beschluss VwGH 8.3.2019, Ra 2019/08/0028), stellt keine solche Erkundigung dar. Die revisionswerbende Partei hat nicht geltend gemacht, sich bei einer geeigneten Stelle erkundigt zu haben. Auch sonst sind keine Umstände erkennbar, die die Vornahme der falschen Meldung entschuldigen könnten. Es ist daher von einer Verlängerung der Verjährungsfrist auf fünf Jahre auszugehen (vgl. das die revisionswerbende Partei betreffende Erkenntnis VwGH 10.9.2014, 2013/08/0120).

18 Insbesondere eine Beitragsprüfung iSd §§ 41a und 42 ASVG durch ausgewiesene Bedienstete des Versicherungsträgers (GPLA) stellt eine nach außen hin in Erscheinung tretende und den Beitragsschuldner zur Kenntnis gebrachte Maßnahme dar, die im Sinne des § 68 Abs. 1 ASVG die Verjährung unterbricht (VwGH 15.10.2014, 2012/08/0220). Dabei kommt es weder darauf an, ob der Beitragsschuldner bekannt war, welche konkreten Dienstverhältnisse (gegenständlich zu Dienstnehmern, die in Vorarlberg wohnhaft waren) einer näheren Prüfung unterzogen werden, noch darauf, ob der prüfende Versicherungsträger für alle geprüften Dienstverhältnisse zuständig ist (vgl. zur Prüfung bei Zuständigkeit mehrerer Krankenversicherungsträger für einen Dienstgeber § 41a Abs. 2 ASVG) noch darauf, ob der Beitragsschuldner vom internen Informationsaustausch der Versicherungsträger (Einspielung von Daten) Kenntnis erhält. 19 Was schließlich die vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesenen Beweisanträge betrifft, so ist dessen Auffassung, es habe sich um Erkundungsbeweise gehandelt, jedenfalls nicht unvertretbar, zumal die revisionswerbende Partei auch in der Revision nicht darzulegen vermag, welche konkreten, für den Verfahrensausgang relevanten Sachverhalte durch die beantragten Beweismittel hätten erwiesen werden sollen.

20 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 15. Juli 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019080107.L00

Im RIS seit

01.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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