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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AlVG 1977 §24 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des M S in P, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. April 2019, Zl. W228 2147679- 1/19E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Gmünd, 3950 Gmünd, Bahnhofstraße 33), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen zu ersetzen.
Begründung
1 Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2018, Ra 2017/08/0078, verwiesen.
2 Mit dem in Revision gezogenen Ersatzerkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde (im Folgenden: AMS) vom 14. November 2016, mit dem der Bezug der Notstandshilfe widerrufen und der Überbezug von EUR 14.572,48 zurückgefordert worden war, gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.
3 Der Notstandshilfe beziehende Revisionswerber habe am 30. September 2014 einen Antrag auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege einer nahen Angehörigen (seiner Mutter) nach § 18b ASVG gestellt. Die Selbstversicherung habe vom 1. September 2013 bis 30. September 2016 bestanden. Das AMS habe anlässlich der Niederschrift vom 30. August 2016 von der Selbstversicherung des Revisionswerbers (und seiner Tätigkeit zur Pflege seiner Mutter) Kenntnis erlangt.
4 Im verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom 1. September 2013 bis 31. Juli 2016 habe der Revisionswerber mit seiner Mutter, die Pflegegeld der Stufe 4 beziehe, im gemeinsamen Haushalt gelebt. Aus dem ärztlichen Gutachten nach dem Bundespflegegesetz vom 26. November 2015 ergebe sich ein für die Pflege der Mutter erforderlicher Aufwand von 193 Stunden monatlich. Das Hilfswerk Niederösterreich habe 44 Stunden, der Revisionswerber die restlichen 149 Stunden monatlich (5 Stunden täglich) erbracht. Die Aufnahme einer auf dem Arbeitsmarkt üblichen Beschäftigung mit geregelten wöchentlichen Arbeitszeiten im Ausmaß von zumindest 20 Stunden sei neben seinen Betreuungspflichten von fast 5 Stunden am Tag nicht möglich. Eine Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt iSd § 7 Abs. 7 AlVG sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht gegeben gewesen. Da die Voraussetzungen für den Bezug der Notstandshilfe nicht vorgelegen seien, sei sie gemäß § 24 Abs. 2 AlVG zu widerrufen und gemäß § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG in Anbetracht der Verschweigung der maßgeblichen Tatsache der Pflege der Mutter zurückzufordern.
5 Das Bundesverwaltungsgericht begründete nicht, weshalb es von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung Abstand genommen hat.
6 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.
8 Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Der Revisionswerber führt zur Zulässigkeit der Revision und zu ihrer Begründung aus, dass das Bundesverwaltungsgericht keine Feststellungen zur tatsächlichen Lagerung der erforderlichen Pflegezeiten der Mutter des Revisionswerbers und daraus aufbauend keine Feststellungen über konkret in den verbleibenden Tageszeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeiten für den Revisionswerber getroffen hat. Des Weiteren habe das Bundesverwaltungsgericht trotz des strittigen Sachverhalts die beantragte mündliche Verhandlung nicht durchgeführt.
10 Die Revision ist aus den genannten Gründen zulässig und berechtigt.
11 Im genannten Erkenntnis Ra 2017/08/0078 hat der Verwaltungsgerichtshof dem Bundesverwaltungsgericht u.a. folgende Rechtsauffassung überbunden:
"Erst wenn festgestellt werden kann, zu welchen Tageszeiten der Mitbeteiligte durch seine privaten Pflegetätigkeiten im verfahrensgegenständlichen Zeitraum konkret in Anspruch genommen wurde, kann - allenfalls unter Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Gebiet der Berufskunde - ermittelt werden, ob auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu den verbleibenden Zeiten noch Tätigkeiten im Ausmaß von zumindest 20 Wochenstunden, die dem Mitbeteiligten zumutbar sind, angeboten wurden. Nur in diesem Fall wäre die Voraussetzung der Verfügbarkeit iSd § 7 Abs. 3 Z 1 AlVG zu bejahen."
12 Das Bundesverwaltungsgericht hat die im genannten Erkenntnis für erforderlich gehaltenen Feststellungen nicht getroffen und von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen, obwohl die Voraussetzungen im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG dafür nicht vorgelegen sind.
13 Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
14 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.
Wien, am 15. Juli 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019080106.L00Im RIS seit
01.10.2019Zuletzt aktualisiert am
01.10.2019