TE OGH 2019/7/23 9ObA76/19w

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Veröffentlicht am 23.07.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl und Herbert Bauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Dr. H. Burmann em – Dr. P. Wallnöfer – Mag. E. Suitner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Hosp, Hegen, Rechtsanwältepartnerschaft in Salzburg, wegen 1.033,20 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. März 2019, GZ 110 Ra 1/19m-16, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. Oktober 2018, GZ 42 Cga 53/18t-12, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 335,64 EUR (darin 55,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten vom 3. 7. 2017 bis 2. 3. 2018 als LKW-Fahrer beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für Handelsarbeiter (kurz: KollV) anwendbar.

Der Unternehmensgegenstand der Beklagten ist der Großhandel mit Sanitär-, Heizungs-, Klima- und Lüftungsanlagen. Ihre Gewerbeberechtigung lautet auf „Handelsgewerbe (mit Ausnahme der bewilligungspflichtigen gebundenen Handelsgewerbe) und Handelsagenten gemäß § 124 Z 10 GewO, Handelsgewerbe gemäß § 103 Abs 1 lit b) Z 25 GewO 1973, eingeschränkt auf den Großhandel mit Heizungs- und sanitären Einrichtungen sowie Klima- und Lüftungsanlagen“. Nur etwa 5 % der von der Beklagten vertriebenen Produkte bestehen aus Metall.

Im Betrieb der Beklagten sind unter Ausschluss der Lehrlinge mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt.

Der Kläger begehrt von der Beklagten 1.033,20 EUR sA an Erschwerniszulage für die Monate November 2017 bis Februar 2018. Mit dieser im Anhang 1 der Lohnordnung des KollV festgelegten Erschwerniszulage solle die körperliche Anstrengung des Be- und Abladens abgegolten werden. Der Großhandel mit sanitärem Bedarf sei dabei vergleichbar dem Großhandel mit Eisen- und Metallwaren.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass der KollV die Erschwerniszulage
– soweit hier relevant – nur für Handelsarbeiter vorsehe, die in Unternehmen beschäftigt seien, die im Großhandel mit Eisen und Eisenwaren, Metall und Metallwaren, Röhren und Fittings tätig seien. Dies treffe auf die Beklagte nicht zu. Im Großhandel mit sanitärem Bedarf würden überwiegend in Kartons bzw Kleingebinden gut verpackte Waren transportiert werden, weshalb die Erschwernis beim Be- und Entladen dieser Waren jener im Eisengroßhandel nicht vergleichbar sei.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab. Schon aufgrund des Wortlauts des KollV sei davon auszugehen, dass eine Erschwerniszulage nur Handelsarbeitern im Großhandel mit Eisen und Eisenwaren, Metall und Metallwaren, Röhren und Fittings gebühre. Mit der Erschwerniszulage sollten die regelmäßig dort vorkommenden besonderen körperlichen Belastungen abgegolten werden. Unternehmensgegenstand der Beklagten sei jedoch ein anderer.

In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig (RS0042819; RS0109942); sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Nach ständiger Rechtsprechung ist der normative Teil eines Kollektivvertrags nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB, also nach der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und der Absicht des Normgebers auszulegen (RS0008782, RS0008807 ua). In erster Linie ist der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089). Den Kollektivvertragsparteien darf dabei grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, sodass bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RS0008828, RS0008897). Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RS0010088).

2. Der Oberste Gerichtshof erachtet die Begründung des Berufungsgerichts, die diese Auslegungsgrundsätze berücksichtigt hat, als zutreffend (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Zusammenfassend und in Erwiderung der Revision des Klägers ist Folgendes festzuhalten:

3. Nach den hier maßgeblichen Bestimmungen des Kollektivvertrags der Handelsarbeiter sowohl idF 1. 1. 2017 Anhang 1 Lohnordnung A. Allgemeiner Teil Z 3 lit b) als auch idF 1. 1. 2018 Anhang 1 Lohnordnung B. Zulagen Z 1 lit a) steht nicht allen Handelsarbeitern, sondern – soweit hier relevant – nur jenen eine Erschwerniszulage zu, die im Großhandel mit Eisen und Eisenwaren, Metallen und Metallwaren, Röhren und Fittings tätig sind, sofern sie in Betrieben beschäftigt sind, die ausschließlich der Lehrlinge über 20 Arbeitnehmer beschäftigen. Davon ausgenommen sind Kraftwagenlenker, welche beim Be- und Abladen des Fahrzeugs nicht mitarbeiten, sowie Wächter und Arbeiter, die mit Reinigungsarbeiten beschäftigt sind.

4.1. Das erstinstanzliche Vorbringen des Klägers, seine Tätigkeit bei der Beklagten im Sanitärgroßhandel sei jener im Eisen- und Metallgroßhandel vergleichbar, impliziert, dass auch der Kläger einräumt, nicht ausdrücklich unter den besonderen Erschwerniszulagentatbestand des KollV zu fallen, jedoch meint, es wäre unsachlich, ihm die Erschwerniszulage nicht zu gewähren. Es wird nun nicht verkannt, dass im Einzelfall auch Tätigkeiten in anderen Branchen als jenen im Eisen- und Metallgroßhandel mit besonderen Erschwernissen verbunden sein können. Kollektivverträge beruhen aber als Instrumente der kollektiven Rechtsetzung typischerweise nicht auf Einzelfall-, sondern auf Durchschnittsbetrachtungen. Wenn der Kollektivvertrag im vorliegenden Fall einer typischen Durchschnittsbetrachtung folgend die Erschwerniszulage auf Handelsarbeiter im Eisen- und Metallgroßhandel beschränkt, so kann darin keine Verletzung des „Sachlichkeitsgebotes“ und des daraus resultierenden Gestaltungsspielraums der Kollektivvertragsparteien erblickt werden (8 ObA 19/06m mwN ua).

Gerade die im Eisen- und Metallgroßhandel von einem Arbeiter zu leistenden Arbeiten (mit Ausnahme jener, die der KollV selbst vorsieht) erfolgen überwiegend unter Umständen, die im Vergleich mit den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis darstellen (Machart, Kollektivvertrag für Handelsarbeiter [2018], 135; vgl § 68 Abs 5 EStG).

4.2. Der nunmehrigen Argumentation des Revisionswerbers, hinsichtlich des Anspruchs auf Erschwerniszulage sei auf die jeweilige Fachverbandszugehörigkeit des Unternehmens in der Wirtschaftskammer Österreich abzustellen und nicht auf den jeweiligen Unternehmensgegenstand, geht am – für die Auslegung entscheidenden – Wortlaut des KollV vorbei. Dies bestätigen auch andere Bestimmungen des KollV, wonach auch Arbeitern im „Handel mit Baumaterialien“ (Lohnordnung A Z 3 lit a) des KollV idF 1. 1. 2017) und Arbeitern im „Schrotthandel und Handel mit Altmetallen“ (Lohnordnung A Z 3 lit a) des KollV idF 1. 1. 2017 bzw Lohnordnung B Z 1 lit b) des KollV idF 1. 1. 2018) eine Erschwerniszulage gebührt. Hätten die Kollektivvertragsparteien beabsichtigt, die Zuerkennung der Erschwerniszulage bloß von einer bestimmten Fachverbandszugehörigkeit in der Wirtschaftskammer Österreich abhängig zu machen, wäre dies zum Ausdruck gebracht worden.

Der Revision des Klägers war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E125752

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00076.19W.0723.000

Im RIS seit

08.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

14.05.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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