TE OGH 2019/7/24 6Ob72/19k

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Veröffentlicht am 24.07.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Mag. J*****, vertreten durch Breitenecker Kolbitsch Vana Rechtsanwältinnen und Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei M*****, vertreten durch Dr. Marco Nademleinsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. Februar 2019, GZ 44 R 50/19g-23, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 27. Dezember 2018, GZ 97 C 21/18g-17, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs der beklagten Partei wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 695,64 EUR (darin enthalten 115,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens dritter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist das mit einer Unterhaltsklage verbundene Begehren der Klägerin und gefährdeten Partei (in der Folge: Klägerin) auf Bestimmung eines einstweiligen Unterhalts gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO in der Höhe von 3.000 EUR monatlich.

Die Parteien, die beide italienische Staatsbürger sind, schlossen am 5. 3. 2011 die Ehe, der zwei Töchter, geboren am 19. 7. 2011 und am 22. 6. 2016, entstammen. Der Beklagte übersiedelte 2009 nach Österreich, wo er beruflich tätig ist. Anlässlich dessen vereinbarte er bereits damals mit der Klägerin, dass diese nicht arbeiten, sondern sich um die zukünftigen Kinder kümmern solle. Die Klägerin übersiedelte kurz nach der Geburt der ersten Tochter nach W*****. Die Streitteile lebten ab August 2011 mit den gemeinsamen Töchtern und der Tochter der Klägerin aus deren erster Ehe in einer gemeinsamen Wohnung in W*****.

Am 22. 8. 2018 wurde die Klägerin von der Polizei aus der Ehewohnung weggewiesen; die vom Beklagten beantragte einstweilige Verfügung wurde – im Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz noch nicht rechtskräftig – abgewiesen. Seither besteht kein gemeinsamer Haushalt der Streitteile; die Klägerin wohnt in einer von ihr angemieteten Wohnung. Die gemeinsamen Töchter halten sich jeweils für drei Tage beim Beklagten und für drei Tage bei der Klägerin auf.

Der Beklagte arbeitet für die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte in W*****. Dort verdiente er in den zwölf Monaten vor Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung monatlich im Durchschnitt 9.063,91 EUR netto. Darüber hinaus bezahlt sein Dienstgeber das Schulgeld und die Kosten des Schulbusses für die ältere Tochter der Parteien, B*****, die die Vienna International School besucht. Das Schulgeld beträgt rund 17.000 EUR im Jahr, die Buskosten betragen jährlich 3.000 EUR.

Die Klägerin hat kein Einkommen und keinen Anspruch auf Sozialleistungen.

Das Erstgericht sprach der Klägerin einstweiligen Unterhalt in Höhe von 2.266 EUR monatlich unter Abweisung des Mehrbegehrens zu. Sie habe Anspruch auf 25 % des monatlich Nettoeinkommens des Beklagten von 9.063,91 EUR (33 % abzüglich jeweils vier Prozentpunkten für die beiden unterhaltsberechtigten Kinder).

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin teilweise Folge und verpflichtete den Beklagten zur Zahlung weiterer 314 EUR monatlich an die Klägerin.

Es ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob Leistungen des Dienstgebers zur Befriedigung der Bedürfnisse eines unterhaltsberechtigten Kindes in die Bemessungsgrundlage des geldunterhaltspflichtigen Ehegatten einzubeziehen seien.

Rechtlich führte es aus, im vorliegenden Fall, in dem die Streitteile italienische Staatsbürger und der deutschen Sprache nicht mächtig seien und der Beklagte bei einer internationalen Organisation arbeite, bestehe eine sachliche Rechtfertigung für den Besuch einer kostenpflichtigen internationalen Schule durch die Tochter.

Die vom Dienstgeber getragenen Schul- und Transportkosten stünden dem Beklagten zwar nicht zur freien Verfügung und minderten auch nicht dessen Bedürfnisse. Diese Kostenübernahme verringere aber den Aufwand, den der Beklagte ansonsten selbst als Sonderbedarf für seine Tochter zu tragen hätte, sodass die Kostenübernahme durch den Arbeitgeber einer Zuwendung (auch) an den Beklagten vergleichbar sei. Daher sei eine Einbeziehung von 75 % der dem Beklagten ersetzten Schul- und Transportkosten in die Unterhaltsbemessungsgrundlage gerechtfertigt. Dies führe zu einer Unterhaltsbemessungsgrundlage von 10.341 EUR; 25 % davon ergebe einen Unterhaltsanspruch von rund 2.580 EUR.

Das gleiche Ergebnis erzielte das Rekursgericht, indem es ausführte, der Beklagte müsse aufgrund der zur Anwendung kommenden „Luxusgrenze“ nicht den vollen (gemeint: sich nach der Prozentmethode ergebenden) Geldunterhalt für seine Kinder leisten und auch die Schul- und Transportkosten für die Tochter B***** nicht zahlen. Aufgrund der gleichteiligen Betreuung der Kinder erwüchsen ihm auch nicht die vollen Verpflegungskosten. Es sei daher gerechtfertigt, für seine Sorgepflichten gegenüber den Kindern nicht einen Abzug von jeweils 4 Prozentpunkten, sondern nur einen Abzug von insgesamt 4,5 Prozentpunkten (also 2,25 Prozentpunkten für jedes unterhaltsberechtigte Kind) vorzunehmen. Dies führe zu einem Unterhaltsanspruch der Klägerin von 28,5 % der Bemessungsgrundlage. Auch diese Überlegung (gemeint offenbar: Ausmessung des Unterhalts mit 28,5 % von 9.063,91 EUR = rund 2.580 EUR) führe zu einer teilweisen Stattgebung des Unterhaltsmehrbegehrens.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Beklagten, mit dem er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses anstrebt.

Die Klägerin beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch berechtigt.

1. Vorauszuschicken ist, dass die Vorinstanzen den hier zu beurteilenden Unterhaltsanspruch zutreffend nach österreichischem Recht beurteilten (Art 15 EuUVO iVm Art 3 Abs 1 HUP 2007).

2.1. Zu dem als Unterhaltsbemessungsgrundlage dienenden Einkommen des Unterhaltspflichtigen zählen alle tatsächlich erzielten Einnahmen des Unterhaltspflichtigen in Geld oder geldwerten Leistungen, über die er verfügen kann (RS0107262 [T21, T29]; RS0013386 [T9]) oder die zumindest seine Bedürfnisse verringern (Ferrari in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar5 § 94 ABGB Rz 39). Dazu zählen auch Sachbezüge (RS0013386 [T20] = 10 ObS 429/02i; 1 Ob 143/02i; vgl RS0003799 [T4, T14]).

2.2. Ausgenommen von der Unterhaltsbemessungsgrundlage sind jedoch solche Einnahmen, die der Abgeltung von effektiven Auslagen dienen (RIS-Justiz RS0107262 [T9]).

Gewährte Zulagen und Zuschüsse sind nur soweit, als sie dem Ausgleich eines tatsächlichen Mehraufwands dienen, bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht zu berücksichtigen; soweit sie einen versteckten Gehaltsbestandteil darstellen, weil sie mehr als den Ersatz des dem Unterhaltspflichtigen tatsächlich entstandenen Mehraufwands enthalten, ist der übersteigende Teil in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen (7 Ob 35/14v; 2 Ob 15/09h mwN; vgl RS0110703).

3.1. Im vorliegenden Fall zahlt der Dienstgeber des Beklagten das Schulgeld und die Fahrtkosten der Tochter B*****. Er trägt daher nach den Feststellungen die konkret für diese Leistungen anfallenden Entgelte. Bereits daraus ergibt sich, dass die dafür vom Dienstgeber aufgewendeten Beträge dem Beklagten nicht zur Verfügung stehen und auch nicht als verdeckte Gehaltsbestandteile zu qualifizieren sind.

Nach der dargestellten Rechtsprechung besteht daher keine Grundlage dafür, die vom Arbeitgeber des Beklagten gezahlten Schul- und Transportkosten in die Unterhaltsbemessungsgrundlage des Beklagten einzubeziehen.

3.2. Auf die Frage, ob der Beklagte gegenüber seiner Tochter zur Deckung der Privatschulkosten als Sonderbedarf verpflichtet wäre, wenn die hier festgestellte Kostentragung durch seinen Dienstgeber nicht bestünde, kommt es für die Beurteilung der Unterhaltsbemessungsgrundlage im vorliegenden Fall nicht an.

4.1. Nach ständiger Rechtsprechung wird der Bemessung des Unterhaltsanspruchs des einkommenslosen Ehegatten gemäß § 94 ABGB als Orientierungshilfe (vgl RS0047419 [T1]) ein Anteil von 33 % des Nettoeinkommens des anderen Ehegatten zugrunde gelegt (RS0012492; RS0009547). Dieser Prozentsatz ist bei einer konkurrierenden Sorgepflicht für Kinder um etwa 4 Prozentpunkte pro Kind zu verringern (RS0009547; RS0012492 [T3, T18]), sofern nicht atypische tatsächliche Verhältnisse vorliegen, die ein Abweichen von diesen Prozentsätzen im Einzelfall erforderlich machen (vgl RS0047419 [T22, T26]; RS0012492 [T19] = 8 Ob 115/16v).

4.2. Im vorliegenden Fall geht die Klägerin
– auch in ihrem Revisionsrekurs – nicht davon aus, dass die konkurrierenden Sorgepflichten für die zwei Kinder nur einen geringeren Abzug rechtfertigen würden. Die Ausmessung des Anspruchs der Klägerin auf einstweiligen Unterhalt gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO mit 25 % des durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens des Beklagten entspricht vielmehr ihrem eigenen Antragsvorbringen.

5. Es war daher die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 402 Abs 4, 78 EO iVm §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E125754

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00072.19K.0724.000

Im RIS seit

08.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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