TE OGH 2019/7/5 4Ob12/19x

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Veröffentlicht am 05.07.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin Univ.-Prof. Dr. M***** E*****, vertreten durch Dr. Bernhard Tonninger und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die Beklagte Medizinische Universität *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 41.200 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 2.000 EUR), über die außerordentliche Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. November 2018, GZ 4 R 91/18h-27, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist Rechtsträgerin einer Krankenanstalt, deren Angebot die Diagnose und Behandlung immunologischer Erkrankungen umfasst.

Die Beklagte, eine medizinische Universität, betreibt seit 1967 ein Institut für Immunologie (in der Folge: Institut). Dieses ist eine organisatorische Subeinheit des Zentrums für Physiologie und Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie, einer eigenen Organisationseinheit im Organisationsplan; es ist seit 1995 Ausbildungsstätte für den Facharzt für Immunologie.

Das Institut führt immunologische Befundungen für behandelnde Ärzte und Krankenanstalten durch; Diagnosevorschläge erstellt es nicht. Anlässlich der Befundung gewonnene Daten werden für die weiterführende Forschung verwendet. Das Institut hat keinen direkten Kontakt zu den Patienten; es hält Rücksprache mit den Ärzten, die die Proben zur Befundung einsenden. Informationen über weiterführende Behandlungen erhalten die Patienten von den behandelnden Ärzten. Seine Leistungen sind gemäß den entsprechenden Vereinbarungen mit den Sozialversicherungsträgern sozialversicherungsrechtlich erstattungsfähig. Das Institut hat keine Bewilligung als Labor, Ambulatorium oder Krankenanstalt nach dem Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (KAKuG) bzw dem Wiener Krankenanstaltengesetz 1987 (Wr KAG).

Die Klägerin begehrt, der Beklagten die Unterlassung zu gebieten, in ihrem Institut immundiagnostische Analysen und/oder immunologische Untersuchungen anzubieten und/oder durchzuführen, ohne über eine ausreichende krankenanstaltenrechtliche Bewilligung gemäß Wr KAG zu verfügen, insbesondere in ihrem Institut immundiagnostische Analysen und/oder immunologische Untersuchungen gegenüber Sozialversicherten auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers anzubieten und/oder durchzuführen, ohne dass sie für das von ihr betriebene Institut über eine Bewilligung als selbstständiges Ambulatorium gemäß § 5 Abs 2 Wr KAG verfügt. Damit verstoße die Beklagte gegen § 1 UWG (Rechtsbruch). Weiters machte die Klägerin einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot des § 2 UWG geltend, der jedoch (aufgrund rechtskräftiger Abweisung des diesbezüglichen Unterlassungsanspruchs durch das Berufungsgericht) nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist.

Die Beklagte bestreitet die Rechtswidrigkeit ihres Handelns; sie führe Untersuchungen und Befundungen seit Jahrzehnten unbeanstandet durch. Sie agiere ohne direkten Patientenkontakt ausschließlich als „Befundungsdienstleister“ für die medizinischen Behandler und nutze sämtliche gewonnenen Informationen wissenschaftlich. Anhand näher dargelegter universitätsrechtlicher Erwägungen handle sie nicht im klinischen, sondern im vorklinischen Bereich, sodass es sich beim Institut um kein nach Krankenanstaltenrecht bewilligungspflichtiges Ambulatorium, sondern um eine Forschungseinrichtung auf Grundlage des Universitätsgesetzes 2002 (UG) handle. Diese Rechtsauffassung sei zumindest vertretbar. Überdies sei der Vertragsabschluss mit Sozialversicherungsträgern bloßer Nebeneffekt einer anderen (öffentlichen) Zwecken dienenden Maßnahme, nämlich der Wissenschaft und Forschung für die Allgemeinheit im Sinne des UG, und somit lauterkeitsrechtlich nicht relevant.

Das Erstgericht gab der Klage vollinhaltlich statt. Das von der Beklagten betriebene Institut sei unter Zugrundelegung des weiten Begriffs „Behandlung“ als selbstständiges Ambulatorium zu qualifizieren. Unter „Behandlung“ sei auch die Feststellung und Überwachung des Gesundheitszustands des Patienten nur mittelbar an den von anderswo übermittelten Präparaten zu verstehen. Die Beklagte verfüge für ihr Institut über keine Bewilligung gemäß Wr KAG. Eine Ausnahme nach dem UG komme nicht in Betracht. Lediglich für nicht erstattungsfähige Leistungen benötige die Beklagte keine Bewilligung nach dem Wr KAG. Es liege daher ein Verstoß gegen § 1 UWG vor. Die Spürbarkeit ergebe sich aus den Umsatzeinbrüchen der Klägerin und der Tatsache, dass nur zwei Laboratorien in Wien, die in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stünden, nämlich die Streitteile, derartige Leistungen anböten. Überdies sei der Werbeauftritt der Beklagten irreführend.

Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Bei isolierter Betrachtung der krankenanstaltenrechtlichen Bestimmungen mögen gute Gründe für ein Bejahen der Bewilligungspflicht im Sinne des Klagsstandpunkts bestehen. Eine ausnahmsweise abweichende Beurteilung aufgrund universitätsrechtlicher Bestimmungen im Sinne des Beklagtenstandpunkts erscheine aber nicht ausgeschlossen. Der vorliegende Fall weise die Besonderheit auf, dass die Beklagte nicht etwa erst zeitnah zur Klagsführung mit ihrem beanstandeten Verhalten (Betreiben eines bewilligungspflichtigen Ambulatoriums) begonnen habe, vielmehr übe sie diese Tätigkeit in Hinblick auf ihre seit 1999 zu den Sozialversicherungsträgern bestehenden Vertragsbeziehungen seit nahezu zwei Jahrzehnten aus, dies für sämtliche involvierten Kreise (einschließlich sowohl der Klägerin als auch den zuständigen Behörden) in aller Offenheit und ohne jegliches Indiz auf einschlägige Verheimlichungsversuche. Sie sei auch Ausbildungsstätte für den Facharzt für Immunologie. Die Klägerin habe erst seit dem Jahr 2016 empfindliche Geschäftseinbußen erlitten. Anhaltspunkte, wonach die Beklagte ihre inkriminierte Tätigkeit auch qualitativ geändert hätte, also ein ursprünglich erlaubtes Agieren erst seit dem Jahr 2016 bewilligungspflichtig geworden wäre, bestünden allerdings nicht. Vielmehr resultiere der Geschäftsrückgang schlicht auf der geänderten Vertragsabschlusspraxis seitens der Sozialversicherungsträger, nämlich dem Umstand, dass der Klägerin seit Anfang April 2016 nur noch die Stellung eines Wahlarztes zukomme, was eine verstärkte Inanspruchnahme der mit unverändertem Kassenvertrag ausgestatteten Beklagten erkläre. Jenen Behörden, denen die Wahrung der krankenanstaltenrechtlichen Bestimmungen obliege, könne das gegenständliche Agieren der Beklagten auf dem Gebiet immunologischer Befundungen sowie der Umstand, dass sie hiefür keine krankenanstaltenrechtliche Bewilligung eingeholt habe, nicht verborgen geblieben sein. Aus diesem behördlichen Tolerieren ihrer Tätigkeit über einen Zeitraum von rund zwei Jahrzehnten dürfe die Beklagte ihren Rechtsstandpunkt somit als im Einklang mit der langjährigen Behördenpraxis stehend erachten. Schriftverkehr oder sonstige Kontakte mit Behörden, die der Beklagten Anlass für Zweifel an ihrer ausreichenden Befugnis geboten hätten, seien nicht hervorgekommen. Im Gegenteil, die Beklagte habe auf das Schreiben des Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr vom 30. 9. 1999 hingewiesen, das die „Durchführung der Untersuchungen im Rahmen des § 2 Abs 2 lit d UOG zur Kenntnis genommen“ habe. Demnach habe die oberste für universitätsrechtliche Belange zuständige Behörde seit jeher Kenntnis von der beanstandeten Tätigkeit und augenscheinlich bis dato keinen Anlass gefunden, weitere Bewilligungserfordernisse für rechtlich geboten zu erachten. Auch der Rechnungshof habe in seiner Gebarungsüberprüfung im Jahr 2002 keine Bedenken dahingehend gehegt, dass fragwürdige Einnahmen aus befugnisloser Quelle erzielt worden seien. Die Beklagte dürfe daher ihre beanstandeten immunologischen Befundungen aufgrund ihrer jahrzehntelangen unbeanstandeten Tätigkeit vor den Augen der maßgeblichen Behörden und somit kraft langjähriger Behördenpraxis für rechtskonform erachten. Ein Unterlassungsanspruch nach § 1 UWG scheide somit aus. Die inhaltliche Beurteilung, ob ein Befugnismangel vorliege, sowie bejahendenfalls, ob ein solcher zur sofortigen Einstellung der Befundungstätigkeit führe oder mittels nachträglicher Bewilligung einer Sanierung zugänglich sei, werde im verwaltungsbehördlichen Verfahren (das die Klägerin ohnehin schon mittels Sachverhaltsdarstellung vom 15. 1. 2018 angeregt habe) zu erfolgen haben. Schließlich verneinte das Berufungsgericht auch die vom Erstgericht bejahte Verletzung des Irreführungstatbestands im Zusammenhang des Internetauftritts der Beklagten.

Ausschließlich gegen die Abweisung des Unterlassungsbegehrens im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Rechtsbruch wendet sich die außerordentliche Revision der Klägerin.

Die Revision ist in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Bei Beurteilung der lauterkeitsrechtlichen Vertretbarkeit einer Rechtsansicht durch den Obersten Gerichtshof sind zwei Prüfungsstufen zu unterscheiden: Schon auf der ersten – für die Beurteilung durch die Vorinstanzen nach § 1 UWG maßgebenden – Stufe geht es nur um die Frage nach einer vertretbaren Auslegung der Normen, um die Verwirklichung eines zurechenbaren Rechtsbruchs bejahen oder verneinen zu können. Auf der zweiten – für die zulässige Anfechtung eines Urteils beim Obersten Gerichtshof gemäß § 502 Abs 1 ZPO hinzutretenden – Stufe geht es sodann nicht um die Frage, ob das Berufungsgericht jene Vertretbarkeitsfrage richtig, sondern nur, ob es sie ohne eine krasse Fehlbeurteilung gelöst hat (RIS-Justiz RS0124004). Das Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof ist daher nicht schon bei divergenter Judikatur zweitinstanzlicher Gerichte (vgl RS0116241) oder bei Fehlen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur „richtigen“ Auslegung der angeblich übertretenen Norm zulässig, sondern nur dann, wenn das Gericht zweiter Instanz seinen Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Vertretbarkeitsfrage überschritten hat (RS0124004 [T2]; 4 Ob 116/16m).

2. Das Berufungsgericht hat aus den oben dargelegten Gründen die Rechtsansicht der Beklagten, sie sei aufgrund der Bestimmungen des UG berechtigt, die beanstandeten Tätigkeiten auszuüben, für vertretbar gehalten.

Die Revisionswerberin bestreitet dies im Wesentlichen mit den Argumenten, dass nach der Rechtsprechung des VwGH der Begriff „Behandlung“ weit zu verstehen sei, weshalb die Tätigkeit der Beklagten der Bewilligungspflicht nach Wr KAG unterliege und das formloses Dulden der Verwaltungsbehörden nicht zur Vertretbarkeit des Gesetzesverstoßes führe.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

2.1. Die von der Klägerin bezogene Rechtsprechung des VwGH zum weiten Behandlungsbegriff (2000/11/0201) erging zu einem privaten Ambulatorium und nicht zu einer universitären Einrichtung nach dem UG. Diese Rechtsprechung gibt daher keinen Hinweis darauf, ob die Tätigkeit der Beklagten im nicht-klinischen Bereich der Bewilligungspflicht nach dem Wr KAG unterliegt.

2.2. Es ist zwar richtig, dass ein bloß formloses Dulden durch Verwaltungsbehörden nicht dazu führt, dass ein (ansonsten) eindeutiger Gesetzesverstoß mit guten Gründen vertretbar im Sinn der Rechtsprechung zum Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch würde (RS0123433), allerdings ist hier kein eindeutiger Gesetzesverstoß gegeben. Die in der Revision genannte Bestimmung des § 29 UG idF BGBl I Nr 52/2018 betrifft ausdrücklich nur den klinischen Bereich der medizinischen Universitäten und erlaubt keinerlei Rückschluss auf ein Genehmigungserfordernis nach dem Wr KAG für die klagsgegenständlichen Tätigkeiten der Beklagten im vorklinischen Bereich. Im Gegenteil: § 29 Abs 6 UG normiert, dass die Universitäten bei der Erfüllung der dort genannten Aufgaben des nichtklinischen Bereichs, soweit sie der wissenschaftlichen Forschung dienen, nicht den Bestimmungen des KAKuG unterliegen. Im vorliegenden Fall haben die Tatsacheninstanzen festgestellt, dass die anlässlich der Befundungen von der Beklagten gewonnenen Daten für die weiterführende Forschung verwendet werden. Die genannte Bestimmung spricht daher nicht gegen die Vertretbarkeit der Annahme, die beanstandete Tätigkeit bedürfe keiner Bewilligung nach dem KAKuG bzw dem Wr KAG.

3.1. Das Berufungsgericht hat aber auch auf weitere Umstände hingewiesen, weshalb die Beklagte mit guten Gründen von der Rechtskonformität ihrer Tätigkeit ausgehen konnte. So ist die Beklagte Ausbildungsstätte für den Facharzt für Immunologie, als welche sie durch Bescheid des Bundesministeriums für Gesundheit und Konsumentenschutz aus dem Jahr 1996 anerkannt wurde. Die damals geltende Fassung des § 6a ÄrzteG bestimmte zu Ausbildungsstätten „Krankenanstalten einschließlich der Universitätskliniken und Universitätsinstitute sowie Untersuchungsanstalten der Bundesstaatlichen Gesundheitsverwaltung […]“, wobei die Anerkennung als Ausbildungsstätte für die Ausbildung zum Facharzt eines Sonderfaches zu erteilen war, wenn „die für die Ausbildung in Aussicht genommenen Abteilungen oder Organisationseinheiten über die erforderlichen krankenanstaltenrechtlichen Genehmigungen verfügen“. Laut den Materialien zur Novelle BGBl I 378/1996 (ErläutRV 150 BlgNR 20. GP 76; vgl aber davor schon VwGH 95/11/0301) sollte damit sichergestellt werden, dass die Behörde das Vorliegen der notwendigen krankenanstaltsrechtlichen Genehmigung zu prüfen hat.

3.2. Universitätskliniken und Institute sind nur solche im Bereich öffentlicher Krankenanstalten. § 6a Abs 1 ÄrzteG stand der in der positiven Erledigung zum Ausdruck kommenden Einschätzung der Behörde, die Beklagte bedürfe für ihr Institut keiner krankenanstaltsrechtlichen Bewilligung, daher nicht in unvertretbarer Weise entgegen. Damit bleibt maßgeblich, dass jedenfalls das Bundesministerium für Gesundheit trotz gesetzlicher Pflicht, das Vorliegen allenfalls erforderlicher krankenanstaltsrechtlicher Bewilligungen zu kontrollieren, keinen Grund erkannte, eine solche von der Beklagten zu verlangen. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe in vertretbarer Weise annehmen dürfen, ein universitäres Institut für Untersuchungen nur mittelbar am Menschen sei keine Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums, ist daher nicht unvertretbar.

3.3. Dasselbe ergibt sich aus dem vom Berufungsgericht zitierten Schreiben des Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr aus dem Jahr 1999 über die Kenntnisnahme der Durchführung der streitgegenständlichen Untersuchungen.

3.4. Zusammenfassend hat daher das Berufungsgericht die Frage der Vertretbarkeit der Auslegung im Sinne des Standpunkts der Beklagten ohne krasse Fehlbeurteilung gelöst.

Textnummer

E125707

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00012.19X.0705.000

Im RIS seit

05.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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