Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.
Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Kläger 1. H***** V*****, 2. A***** V*****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen den Beklagten T***** S*****, vertreten durch Mag. Ernst Michael Lang, Rechtsanwalt in Hohenems, wegen 6.747,62 EUR sA (Erstkläger) und 4.953,32 EUR sA (Zweitklägerin), über den Revisionsrekurs des Erstklägers gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 3. Jänner 2019, GZ 22 R 407/18h, 22 R 408/18f-31, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 31. Oktober 2018, GZ 15 C 251/18m-20, ergänzt durch den Beschluss vom 21. November 2018, GZ 15 C 251/18m-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Der Antrag auf mündliche Revisionsrekursverhandlung wird zurückgewiesen.
2. Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
2.1. Die Zurückweisung der Klage des Erstklägers wird bestätigt, soweit der Erstkläger sein Begehren auf vertragliche Ansprüche stützt.
2.2. Im Übrigen werden die Beschlüsse der Vorinstanzen dahin abgeändert, dass die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit hinsichtlich der Ansprüche des Erstklägers verworfen wird.
3. Der Antrag des Erstklägers auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 267 AEUV vor dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zurückgewiesen.
4. Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Kläger begehren vom beklagten Schweizer Rechtsanwalt und Notar zusammen 11.700,94 EUR. Die Kläger hätten aufgrund der Vermittlungstätigkeit eines in Österreich tätigen Vermittlers einen Goldsparplan abgeschlossen und Geld überwiesen. Der Goldsparplan sei mit Wissen des Beklagten damit beworben worden, dass die Edelmetallbestände durch den Beklagten als unabhängigen Prüfer jährlich kontrolliert würden. Tatsächlich habe es sich um einen Anlegerbetrug gehandelt. Zur internationalen Zuständigkeit des Erstgerichts stützten sich die Kläger auf Art 5 Nr 3 sowie Art 15 und 16 LGVÜ 2007.
Der Beklagte erhob ua die Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit. Der Handlungsort des angeblich unrechtmäßigen Ausstellens von Prüfberichten durch ihn sei in der Schweiz gelegen.
Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler und örtlicher Unzuständigkeit zurück.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung im Hinblick auf den Erstkläger, erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs mangels einhelliger höchstgerichtlicher Judikatur für zulässig und behielt sich die Entscheidung über den Rekurs der Zweitklägerin und über den Rekurs beider Kläger gegen einen Ergänzungsbeschluss und die Kostenentscheidung vor. Die Kläger machten den Beklagten nicht für den Anlagebetrug verantwortlich, da sie behaupteten, dass die von ihnen auf das Konto bei einer Salzburger Bank überwiesenen Gelder erst nachträglich veruntreut worden seien, welches deliktische Verhalten aber nicht dem Beklagten vorwerfbar sei. Nur ein Anlagebetrug könne aber zu einem Gerichtsstand in Österreich an dem Ort führen, an dem es zur Schädigung durch betrügerisches Abziehen des Anlagekapitals gekommen sei. Beim Konto der Anlageberatungsgesellschaft bei der Salzburger Bank handle es sich lediglich um das Konto, von dem aus die Anlage getätigt werden sollte, nicht hingegen um das Anlagekonto, also jenes, auf dem sich die angelegten Gelder bzw die anzulegenden Edelmetallbestände befinden oder befinden sollten. Es fehle somit an der internationalen und örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichts.
In seinem dagegen erhobenen Revisionsrekurs beantragt der Erstkläger, die internationale und örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts festzustellen; in eventu beantragt er die Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen sowie die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Vorabentscheidung.
Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch teilweise berechtigt.
1. Revisionsrekursverhandlung
Der Erstkläger beantragt die Anberaumung einer mündlichen Revisionsrekursverhandlung. Gemäß § 526 Abs 1 ZPO ist jedoch über Rekurse ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung durch Beschluss zu entscheiden (RS0044000). Den Parteien steht diesbezüglich kein Antragsrecht zu (RS0044000 [T4]). Der Antrag des Erstklägers ist daher zurückzuweisen.
2. Ordinationsantrag
Der behauptete Verfahrensmangel, den das Rechtsmittel in der Nichtvorlage des eventualiter gestellten Ordinationsantrags durch das Rekursgericht erblickt, besteht nicht. Eine Ordination iSd § 28 JN kann nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind. Vor rechtskräftiger Erledigung der im Prozess erhobenen Einrede der örtlichen Unzuständigkeit kommt daher eine Ordination nicht in Frage (RS0046450; RS0108569 [T2]), weshalb ein gestellter Eventualantrag auch (noch) nicht vorzulegen ist (vgl auch 8 Ob 23/19v).
3. Internationale Zuständigkeit
3.1. Der Revisionsrekurswerber erblickt eine Nichtigkeit iSd § 477 Abs 1 Z 4 ZPO darin, dass die Erstrichterin zunächst eine Rechtsansicht dahingehend geäußert habe, dass sie sich für international zuständig halte; die gegenteilige Entscheidung verstoße gegen das Überraschungsverbot. Daher hätten die Kläger kein Vorbringen zur internationalen Zuständigkeit erstatten können. Auch die Rechtsansicht, es sei nicht behauptet worden, das Salzburger Zahlungseingangskonto sei ein Anlagekonto, sei überraschend.
Das Rekursgericht hat sich mit diesem Einwand bereits auseinandergesetzt und ihn verworfen.
Nichtigkeiten, die im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufen sind, können im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042925).
3.2. Streiteinlassung des Beklagten
3.2.1. Der Revisionsrekurswerber behauptet eine Streiteinlassung des Beklagten, weil dieser zwar in seinem (ersten) Schriftsatz die Unzuständigkeitseinrede erhoben habe, jedoch erst nach der Stellung eines Antrags, somit nicht zum frühest möglichen Zeitpunkt.
3.2.2. Tatsächlich erhob der Beklagte die Einrede in seinem ersten Schriftsatz, wobei er darin zunächst andere Anträge stellte und erst danach einen Zurückweisungsantrag aufgrund mangelnder internationaler Zuständigkeit.
3.2.3. Die Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit ist nach Art 26 EuGVVO 2001 bzw LGVÜ 2007 dann verspätet, wenn sie erst nach Abgabe derjenigen Stellungnahme erhoben wird, die nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als das erste Verteidigungsvorbringen (Äußerung zur Sache) vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist (EuGH C-1/13, Cartier, Rn 36). Die Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit muss damit spätestens mit dem ersten Verteidigungsvorbringen nach innerstaatlichem Recht erhoben werden.
3.2.4. Im österreichischen Recht entspricht es aber ständiger Rechtsprechung, dass es nicht schadet, wenn die Unzuständigkeitseinrede etwa erst nach allgemeiner Bestreitung des Klagsvorbringens im selben Schriftsatz vorgebracht wird (RS0041516). Daher kann es auf die Reihung der Punkte in einem Schriftsatz nicht ankommen. Von einer Streiteinlassung des Beklagten kann hier somit nicht die Rede sein.
3.3. Internationale Zuständigkeit für vertragliche Ansprüche
3.3.1. Die Vorinstanzen sind in ihrer rechtlichen Beurteilung übereinstimmend davon ausgegangen, dass ausstrahlende Schutzwirkungen eines Vertrags zwischen Dritten den angesprochenen Gerichtsstand für sich allein nicht begründen können. Voraussetzung für die Anwendung des Verbrauchergerichtsstands sei eine vertragliche Beziehung zwischen den Streitteilen, wofür eine direkte Beziehung erforderlich sei (vgl 6 Ob 18/17s mwN).
3.3.2. Nach den Klagsangaben hat nie eine unmittelbare vertragliche Beziehung zwischen den Streitteilen bestanden. Im Revisionsrekurs wiederholt der Erstkläger lediglich seine Behauptung, er könne sich schon aufgrund der zu seinen Gunsten anzunehmenden Schutzwirkungen des Vertragsverhältnisses zwischen dem Beklagten und der Anlagegesellschaft auf den Verbrauchergerichtsstand berufen, weil der Prüfbericht von Anfang an dafür bestimmt gewesen sei, zur Anwerbung von Kunden verwendet zu werden.
3.3.3. Der Oberste Gerichtshof hat (zu Art 5 Nr 1 EuGVVO 2001) bereits wiederholt ausgesprochen (RS0117398; 7 Ob 291/02y mwN; jüngst 5 Ob 240/18g auch zu Art 15 LGVÜ 2007), dass der autonom auszulegende Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ nicht so verstanden werden kann, dass er für eine Situation gilt, in der keine von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung vorliegt, sodass Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nicht unter diese Zuständigkeitsbestimmung fallen. Ein Vertrag, der nur Schutzwirkungen zugunsten eines Dritten entfaltet, kann zur Annahme einer vertraglichen Beziehung in Ansehung des Dritten auch deshalb nicht genügen, weil – wie der EuGH bereits mehrfach betont hat – Spezialgerichtsstände als Ausnahme zur Allzuständigkeit des Wohnsitzstaats des Beklagten eng auszulegen sind (RS0128703; RS0112833).
3.3.4. Soweit das Klagebegehren auf vertragliche Ansprüche gestützt wurde, ist der klagszurückweisende Beschluss des Rekursgerichts im Zusammenhang mit dem Erstkläger daher zu bestätigen.
3.4. Internationale Zuständigkeit für deliktische Ansprüche
3.4.1. Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst in der Entscheidung 5 Ob 240/18g, die gleichartige Ansprüche eines österreichischen Anlegers gegen den auch hier Beklagten zum Gegenstand hatte, unter ausführlicher Darlegung der Rechtsprechung des EuGH (Rs C-375/13, Kolassa; C-12/15, Universal Music; C-304/17, Löber ua), der Literatur und der höchstgerichtlichen Entscheidungen (insbesondere 3 Ob 185/18d, 4 Ob 185/18m und 2 Ob 183/18b) die Grundsätze der Ermittlung des Deliktsgerichtsstands zusammengefasst (vgl auch 9 Ob 8/19w; 8 Ob 23/19v; 8 Ob 30/19y). Die Gerichte am Wohnsitz des Anlegers sind für auf deliktische Ansprüche gestützte Klagen dann zuständig, wenn die anlage- und schadenstypisch beteiligten Konten bei Banken in Österreich gehalten wurden und darüber hinaus auch die sonst vorliegenden Umstände (insbesondere zB Erwerb in Österreich; Eingehen der Verpflichtung aufgrund von notifizierten Prospektangaben in Österreich) zur Zuweisung an österreichische Gerichte anstelle der Gerichte am Wohnsitz des Beklagten beitragen.
3.4.2. Auch der hier zu beurteilende Sachverhalt spricht für die Zuweisung der Zuständigkeit an österreichische Gerichte. Die Kläger sind (unstrittig) ihre schädigende Grundverpflichtung – wenn auch noch außerhalb des Verantwortungsbereichs des Beklagten – in Österreich eingegangen und die laufenden Zahlungsflüsse gingen von ihrem österreichischen Konto aus. Darüber hinaus wurde das Konto der Anlagegesellschaft, auf das die eingezogenen Ansparbeträge geflossen sind, im Sprengel des Erstgerichts geführt. Die Frage, ob von vornherein ein geplanter Betrugsfall vorlag oder eine nachträgliche Veruntreuungshandlung durch die Anlagegesellschaft stattgefunden hat, kann daher auf sich beruhen. In jedem Fall wäre der behauptete Erstschaden, nämlich der Verlust laufender Ansparbeträge, die von den Klägern weiter bezahlt wurden, auf einem anlagetypischen Konto in Österreich eingetreten. Dabei ist in einer Konstellation wie der vorliegenden der Erfolgsort am Wohnsitz der Kläger als Mittelpunkt ihres Vermögens zu lokalisieren.
3.4.3. Die nach der Rechtsprechung des EuGH zudem geforderte Vorhersehbarkeit eines Erfolgsorts in Österreich für den Beklagten ergibt sich aus den Klagsangaben, wonach der Beklagte wusste, dass die von ihm ausgestellten Bestätigungen dazu dienen sollten, österreichische Anleger zu werben.
3.4.4. Damit ist die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte nach den vom EuGH in der Rechtssache C-314/17, Löber, postulierten Voraussetzungen auch im vorliegenden Fall zu bejahen (vgl schon 5 Ob 240/18g; 8 Ob 30/19y; 9 Ob 8/19w).
3.4.5. Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind somit in Bezug auf die deliktischen Ansprüche des Erstklägers im Sinn einer Verwerfung der Unzuständigkeitseinrede abzuändern.
4. Von einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH kann aufgrund seiner bestehenden (oben zitierten) Rechtsprechung, anhand derer die hier zu behandelnde Zuständigkeitsfrage zweifelsfrei gelöst werden kann, abgesehen werden. Im Übrigen hat eine Prozesspartei keinen verfahrensrechtlichen Anspruch darauf, die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH zu beantragen. Ein solcher (gesetzlich) nicht vorgesehener Antrag ist daher zurückzuweisen (RS0058452).
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 3 ZPO. Das Rekursgericht hat die Entscheidung über die Kosten des Zwischenstreits über die internationale Zuständigkeit vorbehalten.
Textnummer
E125700European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00035.19D.0705.000Im RIS seit
02.08.2019Zuletzt aktualisiert am
19.07.2021