Entscheidungsdatum
04.03.2019Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
W108 2176209-1/12E
W108 2176211-1/11E
W108 2166748-1/11E
W108 2166740-1/11E
W108 2166743-1/11E
W108 2166746-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART über die Beschwerde von 1. XXXX, geb.XXXX, 2. XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2017 1. Zl. 1101529200-160012050/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_02, 2. Zl. 1101530103-160011983/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_02, und über die Beschwerde von 3. XXXX, geb. XXXX, 4. XXXX, geb. XXXX, 5. XXXX, geb. XXXX, 6. XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Syrien, 5. und 6. vertreten durch 3. und 4., alle vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.07.2017, 3. Zl. 1088972802-151430944/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_01, 4. Zl. 1089082303-151431070/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_01, 5. Zl. 1089083006-151431169/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_01, 6. Zl. 1089082804-151431240/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_01, jeweils wegen Nichtzuerkennung des Asylstatus nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.05.2018 zu Recht:
A)
Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG sowie XXXX, XXXX, XXXXund XXXX gemäß § 34 Abs. 1 AsylG iVm 34 Abs. 2 AsylG der Status von Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX, XXXX,XXXX, XXXX, XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang, Sachverhalt und Vorbringen:
1. Verfahrensgegenständlich sind die Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (im Folgenden: Antrag bzw. Asylantrag und AsylG) des Drittbeschwerdeführers und seiner Ehefrau (Viertbeschwerdeführerin) und der gemeinsamen Kinder (Fünft- und Sechstbeschwerdeführer) vom XXXX sowie seiner Eltern (Erstbeschwerdeführerin und Zweitbeschwerdeführer) vom 04.01.2016.
Zu den Asylanträgen wurde folgendes Vorbringen erstattet:
Der Drittbeschwerdeführer legte seinen syrischen Reisepass vor, der in XXXX am XXXX bis XXXX verlängert wurde. Er habe in Syrien ein Elektrogerätegeschäft betrieben und sei mit seiner Familie, der Viertbeschwerdeführerin und den Fünft- und Sechstbeschwerdeführern, im Dezember 2014 legal, mit Dokumenten, aus Syrien ausgereist, weil im Ort XXXX (in der Folge: A.), wo er gelebt habe, das absolute Chaos geherrscht hätte, zumal sich dort Regimetruppen und Regimegegner mit schweren Waffen bekämpft hätten. In diesem Gebiet werde nach wie vor heftig gekämpft, was ein Risiko für ihn und seine Familie darstelle. Er habe Angst, mit seiner Familie dort zwischen die Fronten zu geraten und umgebracht zu werden. Wegen seit Geburt bestehender Hüftprobleme sei er untauglich und er habe deshalb seinen Militärdienst nicht geleistet. Im Krieg sei er bei Luftangriffen verletzt worden und in einem Krankenhaus der Gegner der Regierung behandelt worden. In A. hätten sich die Gegner der syrischen Regierung, die Mitglieder der Al-Nusra-Front, befunden. Die Ortschaft sei seitens der Regierung durch Luftangriffe bombardiert und zerstört worden. Auch sein Haus sei dadurch zerstört worden. Sein Bruder und seine Schwester seien nach Deutschland geflüchtet. Die Al-Nusra-Front habe verlangt, dass er mit ihnen arbeite. Da er dies ignoriert habe, sei er von ihnen entführt, festgenommen und zwei Tage eingesperrt worden. Männer aus A., die dort bei einem Gegner-Gericht gearbeitet hätten, hätten ihn im Zuge der Anhaltung gefragt, ob er für die Regierung arbeite. Er habe für die Al-Nusra-Front Elektroreparaturarbeiten durchführen müssen, widrigenfalls man ihn umgebracht hätte. Danach habe die Al-Nusra-Front ihn wieder entlassen, aber seinen Personalausweis behalten. Nach der Entlassung durch die Al-Nusra-Front habe er einen Schlepper zwecks Ausreise aus Syrien kontaktiert. Er hätte aber auch ins Militär des Regimes eintreten müssen, weil er sich in einer Ortschaft der Regimegegner befunden hätte. Deshalb gelte auch er für die Regierung als deren Gegner. Die Regierung habe geglaubt, dass er mit dem Gegner arbeite und dass er bewaffnet sei. Er wolle auf keiner Seite mitkämpfen und Menschen töten. Jeder Bewohner von A., der seinen Ausweis gezeigt hätte, sei von der Regierung festgenommen worden. Einen Einberufungsbefehl habe er nicht erhalten. Er habe nicht in Ortschaften der Regierung gehen können, da er sonst festgenommen worden wäre. Er sei in A. gemeldet. Der Schlepper habe am XXXX eine Verlustanzeige hinsichtlich seines Personalausweises eingebracht und die Neuausstellung beantragt. Er selbst hätte nicht zu den Regierungsbehörden gehen können, da er von der Regierung als Gegner angesehen werde. Die Ausreise aus Syrien sei mit Hilfe eines Schleppers erfolgt. Dieser habe ihnen gegen Geld geholfen, Syrien zu verlassen und habe alles organisiert. Sie seien legal ausgereist. Auf dem Weg zum Schlepper seien sie an einem Checkpoint bedroht worden, man habe auf sie geschossen, weil A. von den Gegnern regiert worden sei und die Regierung gedacht habe, sie würden den Gegnern angehören. A. sei von der Regierung umkreist. In der Folge habe der Schlepper bei jedem Checkpoint alles übernommen. Im Fall der Rückkehr fürchte er von Seiten der Regierung als Verräter angesehen zu werden, weil er geflüchtet sei. Auch seitens der Al-Nusra-Front würde er als Verräter angesehen werden. Von beiden Seiten würde er getötet werden.
Die Viertbeschwerdeführerin, die ihren syrischen Reisepass in Vorlage brachte, der in XXXX am XXXX mit Gültigkeit bis XXXX ausgestellt wurde, gab an, die Ortschaft A. werde von den Regierungsgegnern regiert und werde seit vier Jahren von der Regierung eingekreist. A. sei Ziel von Luftangriffen und der Zerstörung geworden. Ihr Mann habe trotz seiner Behinderung im Geschäft gearbeitet. Als ihr Haus in A. angegriffen worden sei, sei sie mit den Kindern für zwei Monate nachXXXX (in der Folge: B.) zu ihrem Onkel gegangen. In dieser Zeit sei ihr Ehemann bedroht worden. Er sei von der Regierung bedroht worden, weil er in einer regimefeindlichen Ortschaft gewohnt habe. Jeder, der sich in A. befinde, werde als Gegner der Regierung angesehen. Für ihren Ehemann sei es sehr schwierig gewesen, A. zu verlassen. Als sie mit den Kindern in B. gewesen sei, sei ihr Ehemann entführt, bedroht und gezwungen worden, für die Entführer zu arbeiten. Nach der Entführung hätten sie die Flucht organisiert. Eine Person aus A., welche jemanden gekannt habe, der für die Regierung gearbeitet habe, habe ihnen geholfen, aus Syrien zu flüchten. Nur weil sie Geld bezahlt hätten, hätten sie die Kontrollpunkte passieren können. Sie sei mit ihrem Mann und den Kindern am XXXX legal mit Dokumenten, mit dem Reisepass, aus Syrien ausgereist, aber sie hätten dafür Geld bezahlt. Ihr Ehemann sei von beiden Seiten bedroht worden. Alle Sunniten seien von der Regierung Assad bzw. den Alawiten/Schiiten bedroht. Sie sei insofern bedroht, als in ihrem Ausweis stehe, dass sie aus A. sei. Sie kehre nicht zurück, solange Assad an der Macht sei und solange die Regierungsgegner noch da seien.
Hinsichtlich des Fünftbeschwerdeführers wurde ein syrischer Reisepass, der in XXXX am XXXX mit Gültigkeit bis XXXX ausgestellt wurde, und hinsichtlich des Sechstbeschwerdeführers ein solcher, der in XXXX am XXXX mit Gültigkeit bis XXXX ausgestellt wurde, vorgelegt.
Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer legten ihre syrischen Reisepässe vor, die am XXXX mit Gültigkeit XXXX ausgestellt wurden, und gaben dazu an, sie hätten sich die Pässe selbst ausstellen lassen. Sie hätten Syrien wegen des Bürgerkrieges verlassen. Mit diesem Reisepass seien sie am XXXX gemeinsam legal mit dem Bus aus Syrien ausgereist. Zuvor seien bereits ihre Kinder aus Syrien geflüchtet. Sie hätten zwei Söhne und eine Tochter, der älteste Sohn sei in Österreich, die anderen zwei Kinder seien in Deutschland. Ihr gesamter Besitz sei zerstört worden. Jeden Tag flögen Flugzeuge mit Bomben über ihre Gegend. Der Zweitbeschwerdeführer sei seit 15 Jahren Pensionist, davor sei er Angestellter beim Militär als Offizier gewesen. Er sei in einer Fabrik des Militärs angestellt gewesen. Danach habe er seinem Sohn, dem Drittbeschwerdeführer, geholfen, elektronische Geräte zu reparieren. Bei der Revolution sei er zu Hause geblieben, er mische sich nicht ein. Anfangs hätte er noch dort weiterleben können, er habe auch seine Pension monatlich in Damaskus erhalten, mit der Zeit sei es ihnen nicht mehr erlaubt worden, nach Damaskus zu gehen. Aufgrund der Bombardierungen von A. hätten sie Syrien verlassen müssen. Die Situation in A. sei unerträglich und seine Frau stark traumatisiert gewesen. Sie hätten nichts zu essen gehabt, das sei die Waffe der Regierung gewesen. Sein Sohn, der Drittbeschwerdeführer, hätte Angst gehabt, weil die Leute die jungen Sunniten genommen hätten. Die Familie sei im Allgemeinen, aber nicht persönlich bedroht gewesen. Die Regierung habe die Sunniten beschimpft. Obwohl es so viele Sunniten in Syrien gebe, hätten diese es dort am Schlimmsten. Sunniten würden dort verfolgt. Er habe dem Land 32 Jahre lang gedient. Wenn er an einem Kontrollpunkt der Regierung gewesen sei und dem dortigen Soldaten gesagt habe, dass er ein Soldat wie er gewesen sei, habe dieser ihn ausgelacht und gesagt, er solle verschwinden. Dies, weil er eine andere Religion habe bzw. einer anderen Kategorie angehöre, die von der Regierung verfolgt werde. Die Regierung habe die Sunniten in A. liquidieren wollen und habe A. bombardiert und Soldaten geschickt, die geschossen hätten. Sie hätten Syrien legal mit dem Bus verlassen. Sie hätten eine Erlaubnis für das Verlassen Syriens gehabt. Ein Reisebüro habe die Ausreise organisiert. Wenn man Geld bezahle, habe man mit der Behörde keine Probleme. Als er sein Geld in Damaskus habe holen wollen, sei er manchmal weggeschickt worden. Als er gebettelt habe, hätte er zwar nach Damaskus dürfen, es sei aber gesagt worden, er dürfe nicht mehr zurück. Im Fall einer Rückkehr würde er inhaftiert werden, weil er Syrien verlassen habe, er würde nichts zu essen bekommen und dort nicht mehr leben können. Die Assad-Regierung sei eine schlimme Regierung. Es sei die Waffe der Regierung gewesen, sie ohne Essen zu lassen. Sie seien am Ende gewesen, sonst hätten sie das Land nicht verlassen. Als er in der Armee gewesen sei, sei er ein paar Tage inhaftiert gewesen, weil er zu spät zum Dienst gekommen sei. Jetzt sei er ein alter Mann, der sicher keine Probleme mache. Die Erstbeschwerdeführerin sagte aus, zunächst sei die Freie Syrische Armee (FSA) in A. gewesen, dann die Regierung. Die Regierung habe A. isoliert und belagert und habe ihren jungen Sohn rekrutieren wollen, daher sei er schon vorher ausgereist. Ihr Mann sei krank gewesen und die Jungen seien ins Gefängnis gesteckt worden. Sie hätten die Türen geschlossen und sich versteckt gehalten. Sie hätten probiert, das Geld ihres Mannes aus Damaskus zu holen, sie hätten gebettelt, um nach Damaskus zu dürfen. Nach den Bombardierungen hätten sie nicht mehr im Haus bleiben können. Ihr Sohn sei gekommen und habe gesagt, dass sie gehen müssten. Die Belagerung sei schlimm gewesen. Sie hätten kein Essen gehabt. Am Anfang hätten ihnen andere Leute geholfen und später sei die Armee gekommen und sie hätten von Ort zu Ort gehen und betteln müssen. Zum Glück hätten sie sich die Pässe ausstellen lassen können und seien geflohen.
2. Mit den nunmehr vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheiden wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) die Anträge der beschwerdeführenden Parteien hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (jeweils Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieser Bescheide wurde den beschwerdeführenden Parteien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen unter Spruchpunkt III. dieser Bescheide gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
In dem den Drittbeschwerdeführer betreffenden Bescheid ging die belangte Behörde davon aus, ihm drohe in Syrien keine aktuelle individuelle Verfolgungsgefahr. Der Drittbeschwerdeführer habe Syrien wegen der allgemein schlechten Lage, wegen des Bürgerkriegs und aus Sicherheitsgründen verlassen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Entführung durch die Al-Nusra-Front tatsächlich so stattgefunden habe, dass er zum Militär einberufen worden wäre und dass er Syrien aufgrund von Verfolgung wegen der Religion verlassen habe. Er habe den Militärdienst wegen Untauglichkeit nicht abgeleistet. Das Vorbringen zu der Entführung durch die Al-Nusra-Front sei aufgrund widersprüchlicher Angaben, auch im Verhältnis zu seiner Ehefrau, nicht glaubwürdig. Überdies habe er die Entführung bei der Erstbefragung nicht erwähnt und es sei der nachfolgende Verbleib von zwei Monaten in Syrien nicht nachvollziehbar. Eine Bedrohung durch die Regierung sei nicht anzunehmen, da er einen Auszug aus dem Familienregister, ausgestellt am XXXX, vorgelegt habe. Er hätte keine Dokumente ausgestellt erhalten, wenn er von Seiten der Regierung etwas zu befürchten gehabt hätte. Dass er aktuell zum Militärdienst hätte einberufen werden sollen, sei nicht hervorgekommen bzw. sei auch gar nicht behauptet worden. Dies sei auch aufgrund der Untauglichkeit nicht anzunehmen. Persönliche Nachteile aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit seien aus seinen Aussagen nicht hervorgegangen.
In Bezug auf die Viertbeschwerdeführerin und die Fünft- und Sechstbeschwerdeführer wurde von der belangten Behörde ausgeführt, sie hätte keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht. Den Angaben der Viertbeschwerdeführerin sei nicht im Ansatz zu entnehmen gewesen, dass sie konkreten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen wäre. Eine individuell gegen sie gerichtete persönliche Bedrohung habe sie nicht angegeben, sie habe lediglich angegeben, dass aus ihrem Ausweis hervorgehe, dass sie aus A., einer Ortschaft der Gegner, stamme und für Assad alle Sunniten Gegner wären.
In den Bescheiden betreffend die Erstbeschwerdeführerin und den Zweitbeschwerdeführer führte die belangte Behörde aus, sie hielten sich seit Jänner 2016 in Österreich auf, ihr Sohn, der Drittbeschwerdeführer, sei bereits im Jahr 2015 nach Österreich gereist und dieser sei subsidiär Schutzberechtigter. Sie hätten Syrien Ende 2015 wegen des Bürgerkrieges aufgrund der Bombardierungen und des Entzuges der Lebensgrundlage verlassen. Es hätte keine individuelle Bedrohung festgestellt werden können. Es seien keine persönlichen Probleme mit den Behörden oder der Regierung angegeben worden. Sie hätten angegeben, stets friedliche Leute gewesen zu sein, die jedem Konflikt aus dem Weg gegangen wären. Eine persönliche Bedrohung oder Verfolgung sei verneint worden, erwähnt sei jedoch worden, dass der junge Sohn der Gefahr einer Rekrutierung ausgesetzt gewesen wäre und der Gesundheitszustand des Zweitbeschwerdeführers und die zunehmenden Kriegsereignisse der Fluchtgrund gewesen wären. Sie hätten betteln müssen, um zu überleben, da dem Zweitbeschwerdeführer der Zugang zum Pensionsgeld oft verwehrt worden sei. Der Zweitbeschwerdeführer sei weder politisch aktiv gewesen noch hätte er an Kampfhandlungen, des im Frühjahr 2011 beginnenden Konflikts, teilgenommen. Als Reservist werde er nicht geführt, eine drohende Einberufung zum Militärdienst sei nicht vorgebracht worden und sei aufgrund seines Lebensalters auch nicht zu erwarten. Es mangle in Gesamtschau an in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Fluchtgründen. Aufgrund seiner schweren Diabetes würde er in Syrien ohne Medikamente in einen lebensbedrohenden Zustand geraten, da die medizinische Versorgung in Syrien keineswegs gegeben/gesichert sei.
3. Gegen Spruchpunkt I. der Bescheide (Versagung des Asylstatus) richten sich die fristgerecht eingebrachten Beschwerden der drittbis sechstbeschwerdeführenden Parteien sowie der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG.
Die Familie des Drittbeschwerdeführers sei sunnitischer Religion und arabischer Abstammung und habe in der Ortschaft A. gelebt, die von der Al-Nusra-Front eingenommen worden sei. Der Drittbeschwerdeführer sei gezwungen worden, Elektroarbeiten zu verrichten. Als ca. 31-jähriger Mann sei er bedroht, sowohl von der Al-Nusra-Front als auch von der Regierungsarmee zwangsrekrutiert zu werden, mit der Konsequenz, bei Verweigerung umgebracht zu werden bzw. sich bei Teilnahme an dem Krieg an Kriegsverbrechen beteiligen zu müssen. Im Jahr der Flucht der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers aus A. hätten dort Kämpfe zwischen der Regierung sowie Rebellengruppen stattgefunden, die intensive Bombardierungen und Kampfhandlungen mit zahlreichen zivilen Opfern zur Folge gehabt hätten. Es sei von der Regierung eine komplette Blockierung bezüglich sämtlicher Waren nach A. und der Nachbarstädte verordnet worden. Die Lage in A. sei aufgrund des anhaltenden Entzuges von Nahrung, Wasser, Benzin und medizinischer Versorgung und der konstanten Angriffe durch die Regierung äußerst prekär gewesen. A. habe sich Ende März 2017 einer Vereinbarung unterworfen und sei komplett entvölkert worden. Seit April 2017 sei A. zur Gänze unter der Kontrolle der Regierung und sei von seiner ursprünglichen Bevölkerung sowie den oppositionellen Kriegern komplett geleert worden. Frauen seien in Syrien allgemein Gewalt, Diskriminierung und starken Einschränkungen der Rechte ausgesetzt. Es sei davon auszugehen, dass die beschwerdeführenden Parteien insbesondere auch wegen ihrer Religionszugehörigkeit zu den Sunniten in Syrien bei einem als unvermeidlich zu qualifizierenden Kontakt mit syrischen Behördenorganen zumindest in Verdacht geraten würden, Oppositionelle zu sein bzw. einer anderen Konfliktpartei anzugehören.
4. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerden samt den bezughabenden Akten der Verwaltungsverfahren dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
5. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache der beschwerdeführenden Parteien eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher sich die beschwerdeführenden Parteien persönlich beteiligten.
Der Drittbeschwerdeführer sagte u.a. aus, im drohe trotz seiner körperlichen Beeinträchtigung die Einziehung in den Militärdienst. Es gebe Soldatenmangel. Drei ihm bekannte Männer ebenfalls aus A. seien trotz Untauglichkeit zum Militärdienst eingezogen worden. Man müsse beim Militär keine Waffe tragen, er könnte trotz seiner Behinderung etwa als Auto-Fahrer tätig sein. Weil er das Land verlassen habe, gelte er für die syrische Regierung als Landesverräter. Sein jüngerer Bruder habe einen Einberufungsbefehl erhalten, weswegen er aus Syrien geflüchtet sei. Er sei in Deutschland als Flüchtling anerkannt worden. Auch er habe ca. im Jahr 2013 einen Einberufungsbefehl erhalten. Ein Beamter der Behörde sei gekommen und habe mitgeteilt, dass er nach einer Woche oder einem Monat zum Militär müsse. Als er nicht bei der Behörde nicht erschienen sei, sei das Haus seiner Eltern zweimal gestürmt worden. Soldaten der syrischen Regierung hätten nach ihm gesucht. Er habe sich danach für ein Jahr, bis zu seiner Ausreise, versteckt. Er habe einen Schlepper bezahlt, damit er ihm einen Pass besorge, er selbst hätte nicht zur Behörde gehen können. Mit Schmiergeld könne man in Syrien alles bekommen. Bei der Ausreise sei er mit dem Schlepper gefahren, dieser habe den Offizieren Schmiergeld gezahlt und alles erledigt. Es seien Offiziere bei der Behörde bestochen worden. Deshalb habe er legal ausreisen können. Der Schlepper habe sogar das Auto des Offiziers benützt. Er habe die Dokumente nach Übernahme der Macht in A. durch die Al-Nusra-Front organisiert. Zuvor sei er von der Al-Nusra-Front entführt worden. Ca. zwei Monate danach habe er das Land verlassen. Nach der Freilassung durch die Al-Nusra-Front habe er zwei Monate Zeit gehabt, sich zu entscheiden, entweder für sie zu kämpfen oder von ihnen umgebracht zu werden. Bei der Entführung sei ein schwarzes Auto vorbeigefahren. Ihm sei das Gesicht verbunden worden. Sie seien zu einem Ort in den Bergen gefahren, dort sei er befragt worden. Er sei neben seiner Wohnung entführt worden. Das Haus, in dem er gelebt habe, sei zerstört worden, weswegen er mit seiner Frau und seinen Kindern in das Haus seines Onkels gezogen sei. Als er entführt worden sei, sei er alleine im Haus des Onkels gewesen. Jemand habe an die Tür geklopft und er sei dann hinausgegangen und sei entführt worden. Er sei für drei Tage angehalten worden. Wenn er vor der belangten Behörde angegeben habe, für zwei Tage festgehalten worden zu sein, geben er an, dass er für zwei Tage festgehalten und am dritten Tag freigelassen worden sei. Als die syrische Regierung noch in seinem Gebiet präsent gewesen sei, hätte er sich vor dieser versteckt. Nach einem Jahr, nach Übernahme des Ortes durch die Al-Nusra-Front, sei er wieder nach Hause zurückgekehrt. Ca. einen Monat später, als er wieder zu Hause gewesen sei, habe die syrische Regierung den Ort bombardiert und sein Haus sei zerstört worden. Deswegen sei er umgezogen. Er habe bei der Behörde nicht erwähnt, dass er zum Militär einberufen worden sei und dass das Haus gestürmt und nach ihm gesucht worden sei, weil die belangte Behörde ihn nicht genau befragt habe. Bei der Behörde sei er nur wegen seines Militärdienstes befragt worden. Er habe gesagt, dass er befreit sei.
Die Erstbeschwerdeführerin gab an, sie habe aus Angst vor der syrischen Regierung vor der belangten Behörde nicht angegeben, dass ihre Familie persönlich bedroht worden sei, der Drittbeschwerdeführer einberufen und gesucht worden sei und das Haus zweimal gestürmt worden sei. Man habe sogar Angst, ein Foto nach Syrien zu schicken, weil die Regierung alles überwache. Trotz dieser Umstände hätten sie legal ausreisen können, weil ihr jüngerer Sohn einen Militärdienstaufschub als Student gehabt hätte und ihr Ehemann ca. 30 Jahre Angestellter beim Militär gewesen sei, weshalb sie Mitleid mit ihnen gehabt hätten.
Der Zweitbeschwerdeführer sagte aus, ihnen drohe als Sunniten in Syrien Verfolgung. Als Sunniten hätten sie Nachteile. Sunniten würden in Syrien ermordet. Angehörige des Assad-Regimes seien Alaviten. In A. seien die Sunniten verfolgt worden. Viele seien ermordet worden. An der Grenze sei das nicht der Fall gewesen, deswegen habe er ohne Probleme ausreisen können. In A. sei er persönlich bedroht worden. Er habe immer nach Damaskus fahren müssen, damit er sein Gehalt erhalte, und dabei ca. 50 Kontrollposten passieren müssen. Bei jedem Kontrollposten sei er beschimpft worden, da er Sunnite sei. Einmal hätten die Soldaten sogar in die Luft geschossen, damit sie Angst vor ihnen bekommen. Sie hätten die Alaviten und die Christen in Ruhe gelassen. Nur weil er Sunnite sei, hätten sie ihn belästigt und beschimpft. Sie hätten sein Alter nicht respektiert. Beim Militär sei er als Ingenieur-Assistent der Kampf-Jet Abteilung tätig gewesen.
Die Viertbeschwerdeführerin gab an, sie sei nicht dabei gewesen, als ihr Ehemann von der Al-Nusra-Front entführt worden sei, sie sei bei ihren Schwiegereltern in B. gewesen. Diese hätten ihr Haus verlassen, nachdem dieses zweimal gestürmt worden sei. Nachdem ihr eigenes Haus ca. Anfang 2013 zerstört worden sei, hätte sie im Haus des Onkels ihres Ehemannes gelebt. Davor sei das Haus ihrer Schwiegereltern von den Beamten gestürmt worden. Sie habe ihre Dokumente selbst beantragt und dabei gesagt, ihr Ehemann sei vermisst.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. hinsichtlich der Lage in Syrien:
1.1.1. Politische Lage
In der Praxis unterhält die syrische Regierung noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten.
Zeitgleich zu Versuchen, eine Eindämmung der Kampfhandlungen auf nationaler oder regionaler Ebene zu erreichen, wurden in einigen Gebieten fragile lokale Waffenruhen zwischen der Regierung und bewaffneten oppositionellen Gruppen ausgehandelt, die Berichten zufolge zu einem Rückgang der Kämpfe auf lokaler Ebene geführt haben sollen. Solche lokalen Abkommen sind zunehmend von der teilweisen oder vollständigen Evakuierung von oppositionellen Kämpfern und Zivilpersonen aus diesen Gebieten begleitet, wobei die Evakuierung vor allem in von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrollierte Gebiete in den Provinzen Idlib und Aleppo erfolgt. Berichten zufolge haben diese Abkommen in mehreren Fällen zu Zwangsvertreibungen von Zivilpersonen geführt. Einige der Gebiete aus denen die Bevölkerung evakuiert wurde sind anschließend in Militärgebiete umgewandelt worden und die dort ursprünglich ansässige Bevölkerung darf nicht dorthin zurückkehren. Da die internationalen Bemühungen eine politische Lösung für Syrien zu finden noch keine Ergebnisse erzielt haben, dauert der Konflikt weiter an, was verheerende Folgen für die syrische Bevölkerung hat, einschließlich steigender ziviler Opfer, Massenvertreibungen innerhalb und außerhalb des Landes und einer humanitären Krise von bislang ungekanntem Ausmaß.
Seit Mitte 2016 sind in der Provinz Idlib und in der ländlichen Region um Aleppo Tausende von Menschen eingetroffen, die im Rahmen lokaler Abkommen zwischen der Regierung und bewaffneten oppositionellen Gruppen aus Gebieten evakuiert wurden, die von der Regierung belagert werden, einschließlich der Provinzen Damaskus (Tishreen, Qaboun und Barzeh), Damaskus-Umgebung (Darayya, Khan El-Shih, Moadamiyeh Ash-Sham, Qudsayya, Hameh, Madaya, Zabadani, Al-Tall und Wadi Barada), Aleppo (Ostteil der Stadt Aleppo) und Homs (Al-Wa'er). Im Fall des sogenannten "Vier-Städte-Abkommens" betrafen die Evakuierungen Zivilpersonen und Kämpfer aus den Städten Fu'ah und Kefraya (Provinz Idlib), die von bewaffneten oppositionellen Gruppen belagert werden. "Lokale Waffenruhen, einschließlich des Vier-Städte-Abkommens für Fu'ah, Kafraya, Madaya und Zabadani haben zu einem Ende der Belagerungen geführt. Einige Waffenruhen beinhalteten Evakuierungsabkommen, die zu Zwangsvertreibungen von Zivilpersonen geführt haben. Diese betrafen drei der "Vier Städte" sowie Barza, Qabun und Tishreen im Osten der Provinz Damaskus. Die Zivilpersonen haben ihre Wohnhäuser, Gemeinden oder Zufluchtsorte nicht freiwillig verlassen. Die meisten wurden nicht nach ihrer Meinung gefragt. Sie haben ihre Heimat verlassen, weil sie das Gefühl hatten, dass ihnen keine andere Wahl bleibt und Vergeltungsmaßnahmen drohen, falls sie bleiben". Solche Evakuierungen sind laut UNHCR als "Zwangsvertreibung" einzustufen. Zahlreiche dieser Gebiete wurden vor allem im Laufe der letzten beiden Jahre im Anschluss an eine militärische Belagerung und nach weitreichenden Zerstörungen durch Bombardierung vom syrischen Regime systematisch "evakuiert" und sind bereits Ziel neuer Bauprojekte. Vereinzelt ist es in Vororten von Damaskus (Daraya, Zabadani, Moadamiyeh) und in Ost-Aleppo bereits zur Ansiedlung ursprünglich nicht aus diesen Ortschaften stammender Familien gekommen. So wurden zum Beispiel im April 2017 im Rahmen eines "Evakuierungsabkommens" mehrere Tausend Bewohner der schiitischen Enklaven Fuah und Kafraya in die zuvor fast vollständig von ihrer ursprünglichen, mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung entleerten Damaszener Vororte Daraya und Zabadani umgesiedelt.
1.1.2. Wehrdienst/Rekrutierung
Für männliche Syrer und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten. Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Wehrdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen.
Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht.
In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden.
Die syrische Armee hat durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es werden Rekrutierungsschreiben verschickt, wenn Männer das wehrfähige Alter erreichen. Männer, die sich außer Landes oder in Gebieten, die nicht von der Regierung kontrolliert werden, befinden, erhalten ihre Rekrutierungsschreiben häufig nicht. Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, welche das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden.
Männer werden jedoch auch auf der Straße an Checkpoints oder an anderen Orten rekrutiert. Es gibt auch Massenverhaftungen und Tür-zu-Tür-Kampagnen, um Wehrdienstverweigerern habhaft zu werden.
Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein.
Wehrdienstpflichtige Männer werden bei Hausdurchsuchungen, Razzien, an Checkpoints oder an der Grenze verhaftet und in den Militärdienst eingezogen. Bei Behördengängen, wie zum Beispiel der Registrierung einer Heirat, soll es auch zu Verhaftungen kommen. Gemäß den vom Finnish Immigration Service befragten Quellen werden Männer auf der Straße, an Universitäten und an Checkpoints eingezogen. Busse werden angehalten, um Männer im wehrdienstpflichtigen Alter zu suchen. Im privaten Sektor werden Firmen unter Druck gesetzt, ihre Arbeiter in den Militärdienst zu schicken. Das US Department of State weist darauf hin, dass an den Checkpoints der Regierung Männer allein aufgrund ihres wehrdienstpflichtigen Alters verhaftet werden. Viele verschwinden nach den Verhaftungen an Checkpoints. Auch die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien geht von zehntausenden Männern im wehrdienstpflichtigen Alter aus, die verschwunden sind.
Bei Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, verlangt das Regime, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten. Nach der Machtübernahme der Regierung in Aleppo fotografierte ein Reuters Mitarbeiter hunderte junge Männer, die zwangsrekrutiert wurden. Die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien berichtet, dass die syrischen Sicherheitskräfte nach der Eroberung von Aleppo über 5000 Männer in den Wehrdienst einzogen. Auch während der Evakuierung von Zivilisten in der Region von Aleppo sollen im Dezember 2016 Pro-Assad-Gruppen Männer und Jugendliche ab 16 Jahren zwangsrekrutiert haben. Zudem werden Häftlinge unter Druck gesetzt, entweder in Haft zu bleiben oder in die Armee einzutreten.
Gemäß Berichten werden Anwohner unter Druck gesetzt, sich den lokalen Milizen anzuschließen, obwohl der Beitritt zu den Verteidigungsmilizen freiwillig ist. Im Februar 2016 wurde auf einer Webseite der Opposition berichtet, dass in Deir al-Zur, einer Stadt im Osten Syriens, welche vom sogenannten "Islamischen Staat" belagert wurde, der zuständige General die Schaffung einer Selbstverteidigungsmiliz verkündete, und dass die syrischen Sicherheitsdienste alle Männer zwischen 15 und 60 Jahren verhaftet und eingezogen haben.
Bestechung als Mittel, um den Wehrdienst zu vermeiden, ist mittlerweile schwieriger geworden - zumindest wenn jemand keine großen Geldsummen zur Verfügung hat. Es gibt auch Männer im wehrpflichtigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt. Nach der Massenwanderung von Syrern im Jahr 2015 wurde das Wehrdienstalter erhöht, und mehr Männer wurden an Checkpoints rekrutiert, auch solche, die ihren Militärdienst bereits beendet hatten. Für junge Männer im Alter von 16 und 17 Jahren ist es schwer, einen Reisepass zu erhalten, oder sie erhalten nur einen Pass, der zwei Jahre gültig ist.
Gemäß dem Danish Immigration Service können Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren freiwillig der Armee beitreten. Aktivisten berichten über Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen sowohl in die syrische Armee wie auch in die paramilitärischen Selbstverteidigungseinheiten. Gemäß der Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien rekrutieren die Volkskomittees und Milizen der National Defence Forces Minderjährige und schicken sie ohne militärisches Training in den Kampf.
Auch das US Department of State geht davon aus, dass Regierungsmilizen Kinder ab 13 Jahren rekrutieren und dass die syrische Regierung Kinder zwischen sechs und 13 Jahren als Informanten einsetzt. In den ersten Jahren des Krieges waren die meisten Kinder, die von bewaffneten Gruppen rekrutiert wurden, im Alter zwischen 15 und 17 Jahren. Seit 2014 rekrutieren alle Gruppen immer jüngere Kinder; einige sollen bereits mit sieben Jahren rekrutiert worden sein.
Das Höchstalter für den Militärdienst betrug zuvor 42 Jahre, wurde jedoch inzwischen erhöht, wobei es hierzu keine offizielle Regelung und daher auch kein offizielles Höchstalter mehr gibt. Sowohl der Danish Immigration Service wie auch der Finnish Immigration Service beschreiben, dass Männer, die älter als 42 Jahre sind, eingezogen werden: Kontaktpersonen des Danish Immigration Service gehen davon aus, dass vor allem technische Experten, die älter als 42 Jahre sind, eingezogen werden und dass Reservisten im Alter von 52 oder sogar 54 Jahren rekrutiert werden. Der Finnish Immigration Service wurde von einer Kontaktperson darüber informiert, dass Männer je nach Region und Umständen auch im Alter zwischen 50 und 60 Jahren Militärdienst leisten müssen. Ein syrischer Journalist sagte, dass auch Männer mit 47 oder 48 Jahren in den Militärdienst eingezogen werden.
Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden mittels Brief, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert. Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person, sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde.
Die Regierung strebt eine Stärkung der Berichten zufolge angespannten personellen Kapazitäten ihrer Streitkräfte an und hat daher, wie aus Berichten hervorgeht, ihre Bemühungen um Einziehung und Mobilisierung von Reservisten in Gebieten unter ihrer Kontrolle intensiviert, einschließlich an mobilen und fest installierten Kontrollstellen, bei Angriffen und Durchsuchungen von Häusern und öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch Jungen im Teenageralter, die das Aussehen von 18-Jährigen hatten, wurden Berichten zufolge an Kontrollstellen festgenommen. Zahlreiche Männer im Wehrdienst- oder Reservistenalter vermeiden es Berichten zufolge, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, halten sich versteckt oder sind aus Angst vor Drangsalierung an Kontrollstellen und vor Einziehung außer Landes geflohen. Es stellt Berichten zufolge eine gängige Praxis dar, Wehrpflichtige und Reservisten nach begrenzter oder ganz ohne militärische Ausbildung an den Frontlinien einzusetzen. In von Regierungskräften von bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen zurückeroberten Gebieten wurden Männer im Wehrpflicht- oder Reservedienstalter in großer Zahl festgenommen und zwangsrekrutiert. Männer im wehrfähigen Alter können das Land nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros verlassen. Auch um zu heiraten oder in den Staatsdienst einzutreten brauchen sie eine Genehmigung. Der Pflichtwehrdienst wurde Berichten zufolge in vielen Fällen über die vorgesehenen Monate hinaus verlängert. Nach einer eventuellen Entlassung aus dem Pflichtwehrdienst folgt, wie berichtet wird, in der Regel eine automatische Aufnahme in die Reservistenliste. Angesichts des anhaltenden Konflikts und des steigenden Bedarfs an Rekruten werden Berichten zufolge Regeln und Rechtsvorschriften für den Militärdienst zunehmend willkürlich angewandt, insbesondere in Bezug auf Aufschub- und Ausnahmeverfahren. Zunehmend zieht die Regierung, wie berichtet wird, zuvor "geschützte" Personen wie Studenten, Beamte und Häftlinge zum Militärdienst ein.
Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit. Möglicherweise kommt es bei diesen Ausnahmen zum Wehrdienst derzeit jedoch auch zu Willkür. Durch den erhöhten Bedarf an Soldaten wird mittlerweile ebenso auf "geschützte" Gruppen wie Studierende, Beamte und Minderheiten zurückgegriffen.
Da es sich bei den Möglichkeiten zum Freikauf um "Kann-Bestimmungen" handelt, ist eine Befreiung in Krisenzeiten unwahrscheinlich.
Es wurden keine Berichte gefunden, nach denen Personen zum offiziellen Militärdienst einberufen wurden, die die einzigen Söhne der Familie sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass gesichert gesagt werden kann, dass es solche Fälle nicht gibt. Bei der Rekrutierung durch die syrische Armee herrscht mittlerweile durchaus eine gewisse Willkür. Außerdem kann sich jemand, selbst wenn er der einzige Sohn der Familie ist, als Freiwilliger beim Militär melden. Darüber hinaus existieren die NDF [National Defence Forces, eine im Jahr 2012 gegründete Pro-Regierungs-Miliz, die wiederum aus mehreren Milizgruppen besteht], deren Rekrutierungspolitik nicht gesetzlich geregelt ist. Gemäß einer Quelle ist davon auszugehen, dass die NDF jeden zwingen können, ihnen beizutreten, selbst dann, wenn die Person z.B. der einzige Sohn der Familie ist. Solche Fälle kommen jedoch laut unten angeführter Quelle jedoch nicht häufig vor.
Verschiedene Beobachter berichteten dem Danish Immigration Service, dass Freistellungen manchmal nicht mehr akzeptiert werden. Zudem sei die Freistellung vom Militärdienst auch gegen Bestechung schwieriger geworden. Gemäß dem Syrian Observer und Noah Bonsey von der International Crisis Group befürchten auch Männer, die vom Militärdienst befreit sind, eingezogen zu werden. Die Willkür hat vor allem in den Gebieten zugenommen, die von Milizen kontrolliert werden. Quellen des Finnish Immigration Service ist zu entnehmen, dass die Umsetzung der Freistellungen willkürlich ist. Die Freistellungsdokumente sind zwar vorzeigbar, können jedoch an einem Checkpoint zerrissen werden.
Entlassungen aus dem Militärdienst sind sehr selten geworden. Es gibt Männer in der Armee, die seit dem Beginn der Revolution 2011 in der Armee sind. Die Dauer des Militärdienstes hat sich verlängert, möglicherweise ist sie auch nicht mehr begrenzt. 2011 konnte der Wehrdienst noch um ein paar Monate verlängert werden, und danach wurde man entlassen. Mittlerweile ist Desertion häufig der einzige Ausweg.
Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden.
Wehrdienstentziehung
Gemäß den Informationen des UK Home Office ist in Artikel 68 festgehalten, dass Personen, die sich der Einberufung entziehen, in Friedenszeiten zwischen ein bis sechs Monate und in Kriegszeiten bis zu fünf Jahre inhaftiert werden. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Gemäß Artikel 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Deserteure, die militärisches Material mitgenommen haben und die in Kriegszeiten oder während des Kampfs desertierten oder bereits früher desertiert sind, werden mit 15 Jahren Haft bestraft. In Artikel 102 ist festgehalten, dass ein Deserteur, der im Angesicht des Feindes desertiert, mit lebenslanger Haft bestraft wird. Exekution ist entsprechend Artikel 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Artikel 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen. UNHCR erstellte eine inoffizielle Übersetzung ausgewählter Paragraphen des Military Penal Law, Legislative Decree No. 61/1950. Diese stimmen inhaltlich, jedoch bezüglich der Nummerierung nur teilweise mit den oben erwähnten Artikel überein. In der Übersetzung von UNHCR wird Wehrdienstentzug gemäß Artikel 98 und 99 bestraft. Gemäß UNHCR ist die Bestrafung von Desertion in Friedenszeiten im Artikel 100 geregelt und in Artikel 101 ist die Bestrafung bei Desertion in Kriegszeiten festgelegt. In den Artikeln 102 und 103 steht, dass das Überlaufen zum Feind und eine zusätzliche Verschwörung mit dem Feind mit dem Tod bestraft wird.
Bei der Umsetzung der Bestrafung herrscht Willkür. Es gab Amnestien der syrischen Regierung, um Deserteure und Wehrdienstverweigerer zu ermutigen, sich zum Dienst zu melden. Es ist jedoch nicht bekannt, ob Männer, die dieses Angebot in Anspruch nehmen, Konsequenzen erfahren oder nicht. Besonders aus dem Jahr 2012 gibt es Berichte von desertierten syrischen Soldaten, welche gezwungen wurden, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden.
Auf Desertion steht die Todesstrafe. Es ist jedoch nicht bekannt, wieweit die Todesstrafe wirklich angewendet wird. Ein Deserteur würde jedoch zumindest inhaftiert werden. Wenn ein Deserteur an einem Checkpoint rekrutiert wird, kann er direkt zum Dienst - auch an die Front - oder ins Gefängnis geschickt werden. Die Konsequenzen für Desertion hängen vom Bedarf an der Front und von der Position und dem Rang des Deserteurs ab. Für ‚desertierte', vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen.
Wenn ein Wehrdienstverweigerer von den Behörden aufgegriffen würde, würde er verhaftet und überprüft werden. Anschließend könnte die Person zum Dienst in der Armee geschickt werden. Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster.
Gemäß einer Quelle des Finnish Immigration Service hängt die Bestrafung von der Position und dem Rang des Deserteurs wie auch vom Bedarf an der Front ab. Auch im Bericht des Danish Immigration Service weist eine befragte Person darauf hin, dass die Bestrafung vom Profil, von der Herkunftsregion oder vom Beziehungsnetz der betroffenen Person abhängen kann. Komme der Verdacht auf, dass Kontakte zur Opposition bestehen, würden die Untersuchungen und die Folter intensiviert. Bei Wehrdienstentzug droht je nach Profil und Umständen sofortiger Einzug in den Militärdienst, Einzug an die Front oder Haft und Folter. Desertion wird mit Haft, Verschwinden-Lassen, Verfahren vor Militärgerichten, lebenslanger Haft, Todesstrafe oder Exekution bestraft. Häuser, Läden und Besitz von Deserteuren werden vom Regime geplündert, angezündet und zerstört. Es kann auch vorkommen, dass aufgegriffene Deserteure direkt an die Front geschickt werden.
Bereits 2011 wurden Dutzende syrische Deserteure exekutiert, da sie sich den Aufständischen anschließen wollten. Human Rights Watch berichtete 2012, dass syrische Armeeangehörige erschossen, gefoltert, geschlagen oder inhaftiert werden, wenn sie Befehle nicht befolgen. Die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien und das Syrian Human Rights Committee berichteten 2013 über Exekutionen von desertierten Soldaten, über Verhaftungen von Familienangehörigen von Deserteuren und über willkürliche Verhaftungen von Personen, die sich nicht ausweisen können und aus umkämpften Gebieten geflohen sind. Regierungstruppen zerstörten die Häuser, Höfe und Geschäfte von verdächtigen Regierungsgegnern. Dieses willkürliche Vorgehen gegen Deserteure und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, wird auch in neueren Berichten bestätigt. Das Immigration and Refugee Board of Canada ging aufgrund verschiedener Quellen im August 2014 davon aus, dass Personen, die sich dem Militärdienst entziehen, verhaftet oder zwangsrekrutiert werden. Ein Aktivist meint, dass insbesondere hochrangige Offiziere, die desertiert sind, als Verräter gesehen werden, ihnen droht Haft und Folter.
Im Bericht des Finnish Immigration Service vom August 2016 wird darauf hingewiesen, dass Deserteuren die Todesstrafe droht. Ein europäischer Diplomat ist zwar nicht sicher, ob die Todesstrafe umgesetzt wird, er berichtet jedoch, dass es als Abschreckungsmaßnahme zu Massenexekutionen von Deserteuren gekommen ist. Gemäß einer anderen Quelle werden Deserteure inhaftiert und gefoltert, einige würden auch an die Front geschickt.
Seit 2011 hat der syrische Präsident al-Assad für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstentzieher und Deserteure eine Serie von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden. Am 17. Februar 2016 veröffentlichte der Präsident das Gesetzesdekret Nr. 8, mit dem Deserteure innerhalb und außerhalb von Syrien sowie Wehrdienstentzieher und Reservisten eine Amnestie erhalten. Weder über die Umsetzung dieser Dekrete noch darüber, wie viele Wehrdienstentzieher seit 2011 in den Genuss dieser Amnestien kamen, liegen Informationen und genaue Zahlen vor. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert. Ihrer Ansicht nach profitierten nicht die vorgeblich angesprochenen Personengruppen von ihnen. Bei Rückkehrern aus dem Ausland werden Berichten zufolge regelmäßig die Aufzeichnungen zu ihrem Militärdienst überprüft.
1.1.3. Opposition/Zuschreibung einer oppositionellen Gesinnung
Bestimmte Personen werden aufgrund ihrer politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen oder ihnen wird auf andere Weise Schaden zugefügt. Aber die Konfliktparteien wenden Berichten zufolge breitere Auslegungen an, wen sie als der gegnerischen Seite zugehörig betrachten. Diese basieren z.B. auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt.
Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts in Syrien ist der Umstand, dass - auch - die syrische Regierung als Konfliktpartei oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellt. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit.
Personen, die tatsächlich oder vermeintlich regierungsfeindliche Ansichten haben
Einwohner Syriens, die tatsächlich oder vermeintlich regierungskritische politische Ansichten im weitesten Sinne haben, sind als Personen anzusehen, die gefährdet sind durch die Regierung verfolgt zu werden. Es liegen schon seit längerem Berichte darüber vor, dass die syrische Regierung politischen Dissens durch Einschüchterung, Überwachung und Inhaftierung von politischen Aktivisten, Journalisten, Schriftstellern und Intellektuellen unterdrückt. Auf die im März 2011 aufkommenden Protestbewegungen und die sich anschließenden bewaffneten Aufstände, reagierten die Regierung und regierungsfreundliche Kräfte, wie aus Berichten hervorgeht, mit massiver Unterdrückung und Gewalt. Die Regierung wendet, wie berichtet wird, bei der Beurteilung von politischem Dissens sehr breite Kriterien an: jegliche Kritik, Opposition oder sogar unzureichende Loyalität der Regierung gegenüber, wie auch immer ausgedrückt - friedlich oder gewalttätig, organisiert oder spontan, im Rahmen einer politischen Partei, bewaffneten Gruppe oder individuell, virtuell im Internet oder im bewaffneten Konflikt - führte Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen. Es wurde berichtet, dass zahlreiche Protestteilnehmer, Aktivisten, Wehrdienstentzieher, Deserteure, Laienjournalisten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Ärzte und andere Personen, denen regierungsfeindliche Haltungen zugeschrieben wurden, willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert oder anderen Misshandlungen ausgesetzt, oder Opfer von extralegalen oder Massenhinrichtungen wurden. Gegen zahlreiche Personen wurden Berichten zufolge Strafverfahren gemäß dem Terrorbekämpfungsgesetz (Gesetz Nr. 19 vom 2. Juli 2012) durchgeführt. Das Gesetz sieht schwere Strafen - von langjährigen Haftstrafen bis hin zur Todesstrafe - für Personen vor, bei denen festgestellt wird, dass sie "terroristische" Handlungen begangen haben. "Terrorismus" ist vage und mit sehr weiten Begriffen in den Gesetzen definiert, die viel Raum für Strafverfolgung wegen zahlreicher unterschiedlicher Aktivitäten bieten, einschließlich Teilnahme an Protesten, Äußerungen in sozialen Medien, Bereitstellung humanitärer Hilfsdienste, Schmuggeln von Arzneimitteln und Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen. Berichten ist zu entnehmen, dass die meisten Häftlinge nie förmlich angeklagt werden. Gegen tausende Zivilisten wurden Berichten zufolge von Strafgerichten, dem Antiterrorismus-Gericht in Damaskus und militärischen Feldgerichten Strafverfahren durchgeführt, die gegen die internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren verstoßen. In der Regel gingen den Verfahren monatelange Untersuchungshaft in Einrichtungen der Sicherheitsdienste und erzwungene Geständnisse voraus. Es wird berichtet, dass die Strafen für jene Personen, die vor Gericht gestellt und verurteilt wurden, auch dann hart sind, wenn die fraglichen Aktivitäten selbst friedlich waren. Wie aus Berichten hervorgeht, überwacht die Regierung Korrespondenz, Online-Aktivitäten und politische Zusammenkünfte. Die Regierung hört Berichten zufolge mit Hilfe von entsprechender Ausrüstung Gespräche ab, installiert Spysoftware auf den Computern von Aktivisten, blockiert Textnachrichten und ortet Mobil- und Satellitentelefone. Aus Berichten geht hervor, dass die Online-Überwachung zu willkürlichen Verhaftungen, incommunicado Haft, Folter und Tötungen von zahlreichen politischen Dissidenten, Aktivisten, Laienjournalisten und anderen Personen geführt hat. Zahllose Personen wurden Berichten zufolge inhaftiert, nachdem sie über soziale Medien Fotos oder Videos, die regierungskritische Proteste oder Aufstände unterstützen, weitergeleitet, positiv bewertet oder kommentiert hatten. Wie berichtet wird, hackt die seit April 2011 bestehende so genannte Syrische Elektronische Armee mit stillschweigender Zustimmung der Regierung Websites und Seiten sozialer Medien von oppositionellen Gruppen, von bestimmten westlichen Medien und Menschenrechtsorganisationen und blockiert sie oder überflutet sie mit regierungsfreundlichen Inhalten. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden nach Ausbruch der regierungskritischen Proteste im März 2011 Syrer, die im Ausland an solchen Protesten teilnahmen, durch Mitarbeiter syrischer Botschaften und durch andere Personen, die mutmaßlich im Auftrag der syrischen Regierung handelten, kontrolliert, eingeschüchtert und teilweise körperlich angegriffen. Berichten zufolge wurden die in Syrien gebliebenen Angehörigen von syrischen Staatsangehörigen, die sich an Protesten oder damit verbundenen Aktivitäten im Ausland beteiligt hatten, Befragungen unterzogen, durch telefonische Anrufe, E-Mails und Facebook-Nachrichten bedroht, sie wurden verhaftet, misshandelt oder sogar getötet. In Deutschland wurden vier Mitarbeiter der syrischen Botschaft, die mutmaßlich Aktivitäten syrischer Oppositionsmitglieder überwachten, ausgewiesen. Wie berichtet wird, befürchten im Exil lebende Syrer von Landsleuten, die aus eigener Initiative oder als Informanten im Auftrag der syrischen Regierung handeln, überwacht, bedroht oder in sozialen Medien als "regierungsfeindlich" dargestellt zu werden.
(Arabische) Sunniten werden im Allgemeinen und insbesondere, wenn sie aus Gebieten stammen, die bekanntermaßen mit der Opposition sympathisieren oder unter der de facto Kontrolle bewaffneter oppositioneller Gruppen stehen, als regierungsfeindlich wahrgenommen. Aus diesem Grund waren ihre Wohngebiete von Beschießungen, Artilleriefeuer und Militärangriffen betroffen und von der Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Grundbedarfsgütern abgeschnitten. Darüber hinaus wurden Sunniten von Streitkräften der Regierung aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit sunnitischen Islamisten oder Salafisten bzw. ganz allgemein bewaffneten oppositionellen Gruppen willkürlich verhaftet, in Isolationshaft genommen, gefoltert und auf andere Weisen misshandelt sowie extralegal und standrechtlich hingerichtet. Der unabhängigen UN-Untersuchungskommission zufolge besteht "in von der Regierung kontrollierten Gebieten für sunnitische Männer aus Unruhegebieten das größte Risiko, an Kontrollstellen oder bei Hausdurchsuchungen inhaftiert zu werden, da sie als wahrscheinliche Sympathisanten oder Unterstützer von oppositionellen bewaffneten Gruppen gelten. Diese Gemeinschaft ist insbesondere in Hinblick auf Zwangsverschleppung, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen während Inhaftierungen gefährdet.
Berichten ist zu entnehmen, dass Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, in denen es zu Protesten der Bevölkerung kam und/oder in denen bewaffnete oppositionelle Gruppen in Erscheinung treten oder (zeitweise) die Kontrolle übernommen haben, im Allgemeinen mit der Opposition in Verbindung gebracht werden und daher von der Regierung als regierungsfeindlich angesehen werden. Es gehört Berichten zufolge zu einer umfassenden Politik, Zivilisten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, ihrer Anwesenheit in einem Gebiet oder ihrer Herkunft aus einem Gebiet, das als regierungsfeindlich und/oder als Unterstützer oppositioneller bewaffneter Gruppen betrachtet wird, ins Visier zu nehmen. Der Herkunftsort kann einen Faktor darstellen, wie mit dessen Bewohnern umgegangen wird - besonders bei Gebieten, die vormals von Aufständischen gehalten wurden oder sich noch unter deren Kontrolle befinden.
Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben. Die Familienangehörigen (beispielsweise Ehegatten, Kinder, Geschwister, Eltern und auch entferntere Verwandt) von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern und Wehrdienstentziehern und anderen Personen wurden Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise - einschließlich unter Anwendung sexueller Gewalt - misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet. Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die für einen Regierungsgegner gehalten wird, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder, um Vergeltung zu üben für die Aktivitäten bzw. den Loyalitätsbruch der gesuchten Person oder um Informationen über ihren Aufenthaltsort zu gewinnen und/oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu gestehen. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden weibliche Verwandte verhaftet und als "Tauschobjekte" für Gefangenenaustausch mit regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen verwendet. Darüber hinaus liegen Berichte vor, dass sogar Nachbarn, Kollegen und Freunde verfolgt wurden.
Aus Angst, selbst inhaftiert und misshandelt zu werden, sehen Familienmitglieder, wie Berichten zu entnehmen ist, häufig davon ab, nach dem Aufenthaltsort von verhafteten Familienmitgliedern zu forschen oder sich über die Verhaftung zu beklagen. Wie aus Berichten hervorgeht, sehen sie sich stattdessen gezwungen, korrupten Staatsbediensteten Schmiergelder zu bezahlen, um Informationen über den Aufenthaltsort eines inhaftierten Angehörigen zu erhalten, seine Verlagerung von einer Haftanstalt des Sicherheitsdienstes in die zentrale Haftanstalt zu veranlassen oder für seine Freilassung zu sorgen - dabei besteht für sie keine Erfolgsgarantie. Amnestien durch den Präsidenten haben, wie berichtet wird, auch Richtern die Möglichkeit eröffnet, Bestechungsgelder von Familien entgegen zu nehmen, die die Freilassung eines inhaftierten Familienmitglieds erreichen möchten. In besonders schwerwiegenden Fällen wurden Berichten zufolge ganze Familien von Oppositionsmitgliedern oder Überläufern verhaftet oder extralegal hingerichtet, beispielsweise bei Hausdurchsuchungen.
Aufgrund verfügbarer Herkunftslandinformationen reicht allein der Verdacht, dass eine Person regierungskritische Ansichten hat oder mit einer Person in Verbindung steht, die solche Ansichten hat, für die Verfolgung aus.
Wehrdienstverweigerer, Deserteure und ihre Familienangehörigen
Den vorliegenden Quellen zufolge können Angehörige von gesuchten Personen, inklusive Wehrdienstentziehern, bei ihrer Rückkehr verhaftet werden, etwa um die gesuchten Personen unter Druck zu setzen, ihre Aktivitäten einzustellen oder sich den syrischen Behörden zu stellen.
Die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien und das Syrian Human Rights Committee berichteten 2013 über Exekutionen von desertierten Soldaten, über Verhaftungen von Familienangehörigen von Deserteuren und über willkürliche Verhaftungen von Personen, die sich nicht ausweisen können und aus umkämpften Gebieten g