TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/23 W256 2152496-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.04.2019
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Entscheidungsdatum

23.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W256 2152493-2/5E

W256 2152497-2/5E

W256 2152496-2/5E

W256 2152494-2/5E

W256 2178608-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX , geboren am XXXX , 3. XXXX , geboren am XXXX , 4. XXXX , geboren am XXXX und 5. XXXX , geboren am XXXX , alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. November 2018, Zl. 1. 1093970204-151724352, 2. 1093972100-151724379, 3.

1093973108-151724395, 4. 1093974508-151724409, 5.

1171487108-171190743 zu Recht:

A) Den Beschwerden wird stattgegeben, und den Beschwerdeführern

gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG (jeweils) nicht

zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführer, afghanische Staatsangehörige, stellten am 9. November 2015 bzw. im Fall des Fünftbeschwerdeführers am 9. Oktober 2017, jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer.

Im Zuge der am 8. November 2015 erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes führte die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen aus, ihr Vater habe sie mit einem alten reichen Mann verheiraten wollen, weshalb sie aus Afghanistan in den Iran geflohen sei. Im Iran hätten die Kinder nicht die Schule besuchen können.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde am 7. März 2017 von der belangten Behörde unter Beiziehung eines männlichen Dolmetschers befragt. Dabei wiederholte die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen ihr bisher erstattetes Vorbringen, wonach sie mit der ihr drohenden Zwangsverheiratung durch ihren Vater nicht einverstanden gewesen und deshalb viel geschlagen worden sei.

Mit den Bescheiden vom 16. März 2017 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihnen dagegen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III).

Aufgrund der gegen Spruchpunkt I. erhobenen Beschwerden wurden diese Bescheide hinsichtlich Spruchpunkt I. mit den Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Mai 2018 infolge Verletzung der Bestimmung des § 20 AsylG und damit verbunden aufgrund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und zur Erlassung neuer Bescheide an die belangte Behörde zurückverwiesen. Dabei wurde die belangte Behörde auch aufgefordert, sich u.a. mit der in der Beschwerde dargestellten "westlichen" aktuellen Lebensweise der Zweitbeschwerdeführerin und einer damit allfällig verbundenen asylrelevanten Verfolgung auseinanderzusetzen.

Daraufhin wurde u.a. auch die Zweitbeschwerdeführerin am 25. September 2018 erstmals durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Dabei legte sie u.a. eine nicht unterschriebene Mitteilung der Diakonie Flüchtlingsdienst XXXX an die Kinder und Jugendhilfe bei Verdacht der Kindeswohlgefährdung vor. Darin wird ausgeführt, dass die Zweitbeschwerdeführerin ihrer Schulpflicht oft nicht nachkomme, weil - laut ihren eigenen Angaben - ihr Vater gewalttätig sei und sie ihre Mutter beschützen wolle. Die Erstbeschwerdeführerin legte im Zuge ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde neben diversen Integrationsunterlagen, eine an die Erstbeschwerdeführerin gerichtete Mitteilung des Gewaltschutzzentrums XXXX vom 6. Dezember 2017 vor. Darin wird der Erstbeschwerdeführerin mitgeteilt, dass die Polizei am 5. Dezember 2017 ein zweiwöchiges Betretungsverbot gegen ihren Ehemann verhängt habe und sie die Möglichkeit habe, beim Bezirksgericht XXXX ein Kontaktverbot zu erwirken. Ebenso wurde eine Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft XXXX vom 18. Dezember 2017, XXXX , wonach das gegen den Ehemann der Erstbeschwerdeführerin wegen fortgesetzter Gewaltausübung eingeleitete Strafverfahren infolge berechtigter Entschlagung der Aussage der Zeuginnen eingestellt wurde sowie u.a. ein Kopie der ersten Seite des Beschlusses des Bezirksgerichts XXXX , wonach das Land Niederösterreich zum Kollisionskurator für die minderjährigen Zweit-bis Fünftbeschwerdeführer zur Prüfung von Ansprüchen gegen ihren Vater aufgrund der von der Staatsanwaltschaft verfolgten Straftat zu XXXX bestellt wurde.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab. Begründend führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich - aus, dass insgesamt keine asylrechtlich relevante Verfolgung glaubhaft gemacht werden habe können.

Insbesondere habe u.a. in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin eine westliche Orientierung nicht festgestellt werden können. Die Zweitbeschwerdeführerin besuche die polytechnische Schule. In ihrer Freizeit lerne die Zweitbeschwerdeführerin und treffe sie sich auch mit Freundinnen. Sie gehe gerne einkaufen, spazieren und schwimmen. Auch spiele sie Volleyball. In Zukunft wäre die Zweitbeschwerdeführerin eventuell gerne Krankenschwester, wobei sie nicht wisse, wie sie dieses Ziel erreichen könne. Aus einer von den Beschwerdeführern vorgelegten Mitteilung an die Kinder- und Jugendhilfe bei Verdacht der Kindeswohlgefährdung gehe hervor, dass die Zweitbeschwerdeführerin ihrer Schulpflicht nicht nachkomme. Dazu habe die Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen ihrer Befragung ausgeführt, sie würde deshalb in der Schule fehlen, weil sie ihrer Mutter bei Arztterminen helfen müsse. Aus dem vorgelegten Schreiben gehe aber hervor, dass der Vater der Zweitbeschwerdeführerin ihre Mutter, die Erstbeschwerdeführerin wiederholt geschlagen habe und die Zweitbeschwerdeführerin nicht in die Schule gegangen sei, um ihre Mutter zu schützen. Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin sei diesbezüglich bereits angezeigt worden und würden die Beschwerdeführer nunmehr im Frauenhaus leben. Das im Zuge der Befragung wiederholte Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin, ihr Vater habe ihr nur einmal eine Ohrfeige gegeben, könne mit dem - von der Erstbeschwerdeführerin im Rahmen ihrer Einvernahme vorgelegten - Beschluss des Bezirksgerichtes Josefstadt, XXXX , in welchem ein einjähriges Kontaktverbot ausgesprochen wurde, nicht in Einklang gebracht werden. Obwohl die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich alle Möglichkeiten und Unterstützung durch den Staat erhalten würde, habe die Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen der Befragung ausgeführt, dass sie wieder mit ihm zusammenziehen würde. Dies entspreche nicht einer selbstbestimmten und westlichen Lebensweise. Hinzu komme, dass die Zweitbeschwerdeführerin die Schule nur unregelmäßig besuche und im Übrigen keine Zukunftspläne habe. Die Zweitbeschwerdeführerin sei daher auch nicht als bildungsaffin zu bezeichnen. Einkäufe in Supermärkten, um Sachen des täglichen Lebens zu besorgen und Spaziergänge in der Öffentlichkeit würden für sich genommen, noch kein ausreichend tragfähiges Substrat für die Annahme eines "westlichen" Gesellschaftsbildes und eines freibestimmten Lebens darstellen. Auch der Umstand, dass eine Asylwerberin kein Kopftuch trage, sei für sich alleine kein ausschlaggebendes Motiv für eine "westliche Orientierung". Die Zweitbeschwerdeführerin habe bei der Einvernahme vor der belangten Behörde kein Kopftuch getragen. Die Erstbeschwerdeführerin habe hingegen angeführt, dass die Zweitbeschwerdeführerin manchmal ein Kopftuch trage und manchmal wieder nicht, weil sie selber nicht wisse, was sie wolle. Die Zweitbeschwerdeführerin habe daher insgesamt nicht den Eindruck erweckt, dass ihr eine westliche Orientierung immanent sei.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, mit welcher jeweils der Bescheid wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit angefochten wird. Dabei wird u.a. auf die westlich ausgeprägte Lebenseinstellung u. a. der Zweitbeschwerdeführerin hingewiesen. Die Zweitbeschwerdeführerin treffe sich in ihrer Freizeit mit Freundinnen, gehe shoppen und schwimmen. Zudem spiele sie Volleyball. Sie besuche in Österreich die Schule und sei auch gut integriert. Darüber hinaus sei die Zweitbeschwerdeführerin im Iran geboren und aufgewachsen und sei sie bislang nie in Afghanistan gewesen. Die Zweitbeschwerdeführerin sei daher wesentlich freier aufgewachsen, als ihr dies in Afghanistan möglich gewesen wäre.

Die belangte Behörde hat die Beschwerden samt den Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

zu den Beschwerdeführern

Die - im Spruch genannten - Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, Muslime in schiitischer Glaubensausrichtung und Angehörige der Volksgruppe der Hazara (angefochtener Bescheid - in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 25). Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer (angefochtener Bescheid - in Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin Seite 33 ff).

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde im Iran geboren (angefochtener Bescheid - in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 25).

Sie besucht in Österreich die polytechnische Schule, wobei sie zur Unterstützung ihrer Mutter mehrmals ihrer Schulpflicht nicht nachgekommen ist (angefochtener Bescheid - in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 125 ff und 133).

In ihrer Freizeit lernt die Zweitbeschwerdeführerin. Auch trifft sie sich mit ihren Freundinnen. Dabei geht sie gerne einkaufen, spazieren und auch schwimmen. Zudem spielt die Zweitbeschwerdeführerin mit ihren Freundinnen Volleyball (angefochtener Bescheid - in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 129).

Die Zweitbeschwerdeführerin möchte in der Zukunft eventuell Krankenschwester werden, wobei sie noch nicht konkret wisse, was sie dazu brauche (angefochtener Bescheid - Seite 129).

Sie kleidet sich entsprechend ihren eigenen Vorstellungen. Bei der Einvernahme vor der belangten Behörde hat sie kein Kopftuch getragen (angefochtener Bescheid - in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 131; siehe auch die Beweiswürdigung).

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten (u.a. Strafregisterauszug vom 16. April 2019).

zur allgemeinen Lage der Frauen in Afghanistan:

Die Lage der afghanischen Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet. In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was Großteils aus der Talibanzeit stammenden, unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist. Viel hat sich seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsgemäße Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach. Art. 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligungen oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte. Auch kann sich die konkrete Situation von Frauen je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (LIB, angefochtener Bescheid - in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 96ff).

zur Bildung und Berufstätigkeit:

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt. Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig. Dem afghanischen Statistikbüro zufolge gab es im Zeitraum 2016/17 in den landesweit 16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich (LIB, angefochtener Bescheid - in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 97).

Die Akzeptanz der Berufstätigkeit variiert je nach Region und ethnischer Zugehörigkeit. Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19 % (LIB, angefochtener Bescheid - in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 98).

In der zentralen Region tragen 52, 6 % der Frauen zum Haushalteinkommen bei, während es im Südwesten nur 12 % sind. Insgesamt sind 52,6 % von befragten Afghanen und Afghaninnen der Ansicht, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (LIB, angefochtener Bescheid - in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 98).

Dennoch sind sie einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie zB. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung. Auch sind Frauen oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen (LIB, angefochtener Bescheid - in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 98).

Die politische Partizipation hat sich rechtlich verankert und deutlich verbessert. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Leben außerhalb des Hauses weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (LIB, angefochtener Bescheid, in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 99ff).

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung:

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es aber oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in diesem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (LIB, angefochtener Bescheid, in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 100).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor ein Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie zB. Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen bekommen. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten, indem Ehen für die arrangiert werden (LIB, angefochtener Bescheid, in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 100).

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen. Es definiert 5 schwere Straftaten gegen Frauen wie zB. Vergewaltigung und Zwangsprostitution. Dem EVAW Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch wenn die Frauen keine Beschwerde einreichen. Das EVAW Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (LIB, angefochtener Bescheid, in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 100ff).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung und Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familien angewiesen, da die Familie oft für die häusliche Notlage (mit-)verantwortlich ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal in einem Frauenhaus untergekommen, ist es für sie schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien, noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Generell ist in Afghanistan das Prinzip des individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb der Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (LIB; angefochtener Bescheid, in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 101).

Gewalt gegen Frauen:

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu 90 % in der Familie statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung, über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien ausgetaucht werden) bzw. des baad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden) (LIB, angefochtener Bescheid, in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 104).

Reisefreiheit, Bewegungsfreiheit und Kleidungsvorschriften:

Es existieren gewisse Sicherheitsbedenken, wenn Frauen alleine reisen: Manchmal ist es der Vater, der seiner Tochter nicht erlaubt alleine zu reisen und manchmal ist es die Frau selbst, die nicht alleine reisen will. In vielen Firmen, öffentlichen Institutionen und NGOs ist die Meinung verbreitet, dass Frauen nicht alleine in Distrikte reisen sollten und es daher besser sei, einen Mann anzustellen. Doch hat sich die Situation wesentlich verbessert. So kann nach eigener Aussage eine NGO-Vertreterin selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten und lokalen Kleidungsvorschriften hält. (zB. das Tragen einer Burka) (LIB, angefochtener Bescheid, in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 103).

Während früherer Regierungen (vor den Taliban) war das Tragen eines Chador bzw. Hijab nicht verpflichtend - eine Frau konnte auch ohne sie außer Haus gehen, ohne dabei mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. In der Stadt Mazar-e-Sharif wird das Tragen des Hijab heute nicht so streng gehandhabt wie in den umliegenden Gegenden. Andere Provinzen sind bei diesem Thema viel strenger. In Mazar-e-Sharif könnte es in Einzelfällen sogar möglich sein, ganz auf den Hijab zu verzichten, ohne behelligt zu werden. Garantie besteht darauf natürlich keine (LIB, angefochtener Bescheid, in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 103).

Frauen in Afghanistan ist es zwar nicht verboten Auto zu fahren, dennoch tun dies nur wenige. In unzähligen afghanischen Städten und Dörfern werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet (LIB, angefochtener Bescheid, in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Seite 103).

2. Beweiswürdigung:

zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer:

Die Feststellungen zu den Beschwerdeführern in Bezug auf ihren Familienstand, ihre Staatsangehörigkeit, ihre Herkunft, ihre Religion und ihre Volksgruppenzugehörigkeit ergeben sich aus ihren diesbezüglich gleichbleibenden Angaben im Verfahren und den insofern getroffenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid. Das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen - Angaben zu zweifeln und wurde diesbezüglich von den Beschwerdeführern in der Beschwerde auch nichts Gegenteiliges vorgebracht. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer (Name und Geburtsdatum) getroffen werden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person der Beschwerdeführer.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Erstbeschwerdeführerin ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer ergibt sich aus ihrer Strafunmündigkeit aufgrund ihres Alters.

Die Feststellungen zu den Freizeitaktivitäten der Zweitbeschwerdeführerin ergeben sich aus dem Vorbringen der Zweibeschwerdeführerin im Verfahren und den insofern im angefochtenen Bescheid dahingehend (wenn auch in der Beweiswürdigung) getroffenen Feststellungen (angefochtener Bescheid Seite 129). Das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Gründe an diesen - im Übrigen unbestrittenen - Feststellungen zu zweifeln.

Die Feststellungen zum Schulbesuch der Zweitbeschwerdeführerin ergeben sich aus dem Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren und den insofern im angefochtenen Bescheid dahingehend getroffenen Feststellungen (angefochtener Bescheid Seite 21). Dass die Zweitbeschwerdeführerin die Schule mehrmals nicht besucht hat, um ihre Mutter (aus welchen Gründen auch immer) zu unterstützen, ergibt sich aus den eigenen (wenn auch erneut in der Beweiswürdigung enthaltenen) Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid (Seite 130). Das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Gründe an diesen - im Übrigen unbestrittenen - Feststellungen zu zweifeln.

Die Feststellungen zu den Zukunftsplänen ergeben sich aus dem Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren und den insofern im angefochtenen Bescheid dahingehend (wenn auch in der Beweiswürdigung) getroffenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid, wonach sie eventuell Krankenschwester werden wolle, jedoch nicht konkret wisse, wie sie dieses Ziel erreichen könne (Seite 129). Das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Gründe an diesen - im Übrigen unbestrittenen - Feststellungen zu zweifeln.

Dass sich die Zweitbeschwerdeführerin entsprechend ihren eigenen Vorstellungen kleidet, ergibt sich aus den eigenen Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, wonach die Zweitbeschwerdeführerin bei der Befragung vor der belangten Behörde ohne Kopftuch bekleidet war und laut Angaben der Mutter der Zweitbeschwerdeführerin je nach Belieben ein Kopftuch trage oder eben nicht (Seite 131). Dass dies laut den Angaben der Mutter darauf zurückzuführen sei, dass sie nicht immer wisse, was sie (tragen) wolle, ändert nichts daran, dass sie sich frei nach ihrem Willen, wenn auch - ihrem jugendlichen Alter entsprechend - immer wechselhaft kleidet.

zu den Länderfeststellungen:

Die Feststellungen zur Lage in Afghanistan ergeben sich aus den im angefochtenen Bescheid enthaltenen Länderinformationen, konkret dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29. Juni 2018

(LIB).

Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal die Parteien diesbezüglich auch nichts Gegenteiliges vorgebracht haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

zur Zweitbeschwerdeführerin

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl. bspw. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. September 2016, Ra 2016/19/0074 u.v.a).

§ 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 2016, Ra 2016/18/0083).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017-0018, mwN). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren. Es sind daher konkrete Feststellungen zur Lebensweise der Asylwerberin im Entscheidungszeitpunkt zu treffen und ist ihr diesbezügliches Vorbringen einer Prüfung zu unterziehen (siehe dazu VwGH 28. Juni 2018, Ra 2017/19/0579).

Nach den eigenen Feststellungen der belangten Behörde besucht die im Iran geborene und aufgewachsene Zweitbeschwerdeführerin in Österreich eine polytechnische Schule und ist sie auch in ihrer Freizeit vielseitig aktiv. Demnach verbringt die Zweitbeschwerdeführerin ihren Alltag in Österreich derart, dass sie neben der Schule auch ihre Freundinnen trifft und zwar um mit ihnen "shoppen", spazieren, schwimmen oder sogar Volleyballspielen zu gehen. Dabei kleidet sich die Zweitbeschwerdeführerin ihren eigenen Vorstellungen entsprechend.

Nach den (vom erkennenden Gericht übernommenen) Feststellungen der belangten Behörde ist eine Teilnahme am öffentlichen Leben für Frauen in Afghanistan nach wie vor in rechtlicher, beruflicher, politischer oder sozialer Hinsicht mit Diskriminierungen, (sexuellen) Belästigungen, Gewalt und Drohungen verbunden. Hinzu kommt, dass kulturelle und gesellschaftliche Sitten sowie auch strenge Kleidervorschriften nach wie vor die Bewegungsfreiheit von Frauen und zwar auch in den Städten einschränken und überdies gerade für Frauen ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich bzw. gemeinhin unvorstellbar ist.

Schon diese in Afghanistan vorherrschenden Lebensbedingungen für Frauen können demnach mit der von der Zweitbeschwerdeführerin derzeit praktizierten selbstständigen Lebensweise in keiner Weise in Einklang gebracht werden.

Dass die Zweitbeschwerdeführerin ihre in Österreich gelebte Unabhängigkeit aufgeben und sich demgegenüber einem ihre Freiheiten einschränkenden (und ihr auch bislang unbekannten) Leben in Afghanistan unterwerfen würde, ist nicht zu erwarten. Vielmehr kann aus ihrem derzeitigen Lebensstil und auch ihren im Verfahren geäußerten Vorstellungen geschlossen werden, dass sich die Zweitbeschwerdeführerin ihrer Rechte und Freiheiten nicht nur bewusst, sondern diese für sich auch selbstverständlich in Anspruch nehmen will. So besteht für die Zweitbeschwerdeführerin beispielsweise kein Zweifel daran, dass sie später einen Beruf ausüben wird, wenngleich sie diesbezüglich - wohl auch ihrem jugendlichen Alter entsprechend - noch keine konkreten Angaben machen kann.

Dieser gewonnene Eindruck einer sich ihrer Rechte und Pflichten als Frau durchaus bewussten jungen Frau wird im Übrigen auch durch zahlreiche sonstige im angefochtenen Bescheid wiedergegebene (von der belangten Behörde jedoch nicht aufgegriffene) Äußerungen der Zweitbeschwerdeführerin bestätigt (z.B. angefochtener Bescheid Seite 20: "F: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland

zurückkehren können? VP: ... Es müsste dort Freiheit und Sicherheit

für mich herrschen."; Seite 22: "LA: Was würden Sie machen, wenn ihr Freund sie schlecht behandeln würde? VP: Ich würde Schluss machen. .... LA: Was ist der Unterschied zwischen Ihrem Alltag im Iran und Ihrem Alltag in Österreich? VP: Dort hatte ich keine Freiheit und keine Sicherheit. Hier habe ich beides."). Hinzu kommt, dass die Zweitbeschwerdeführerin - wie aus ihrer im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen, jedoch in diesem Punkt von der belangten Behörde nicht aufgegriffenen Einvernahme hervorgeht - bereits gut Deutsch spricht (angefochtener Bescheid Seite 22: "LA: Wie sieht Ihr Alltag in Österreich aus? Können Sie dies auf Deutsch schildern? VP: Ich stehe auf, gehe in die Schule. Wenn ich zurückkomme mache ich Hausaufgaben und schlafe. Auf Nachfrage, am Wochenende treffe ich manchmal meine Freunde, manchmal bleibe ich zu Hause und lerne.").

Die belangte Behörde verneint eine auf Selbständigkeit ausgerichtete Lebensweise der Zweitbeschwerdeführerin deshalb, weil diese keine Zukunftspläne habe und auch die Schule nur unregelmäßig besuche. Entscheidend gegen eine westliche Orientierung der Zweitbeschwerdeführerin spreche nach Ansicht der belangten Behörde aber der Umstand, dass die Zweitbeschwerdeführerin trotz des vom Bezirksgericht XXXX verhängten einjährigen Kontaktverbotes wieder zu ihrem Vater zurückkehren wolle.

Dazu ist festzuhalten, dass die Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren - wie von der belangten Behörde sogar selbst festgestellt wurde - sehr wohl einen Berufswunsch, wenn auch nur vage, angeführt hat. Dass die Zweitbeschwerdeführerin keine Zukunftspläne habe, kann dementsprechend nicht nachvollzogen werden. Auch das Fernbleiben der Zweitbeschwerdeführerin von der Schule wurde von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid allein darauf zurückgeführt, dass die Zweitbeschwerdeführerin glaube, ihre Mutter (aus welchen Gründen auch immer) unterstützen zu müssen. Hinweise darauf, dass die Zweitbeschwerdeführerin nicht lernen wolle und deshalb nicht in die Schule gehe, finden sich im angefochtenen Bescheid und auch ansonsten im Verfahren hingegen nicht. Die Annahme der belangten Behörde, die Zweitbeschwerdeführerin sei nicht "bildungsaffin", kann daher mit dem Akteninhalt und auch den eigenen Feststellungen der belangten Behörde insgesamt nicht in Einklang und damit auch nicht nachvollzogen werden.

Ebenso wenig kann allein in dem Umstand, dass die Zweitbeschwerdeführerin als Tochter an einem Kontakt zu ihrem Vater festhalten und sich von diesem nicht (los)lösen möchte, auf eine fehlende Selbstbestimmtheit der Zweitbeschwerdeführerin geschlossen werden. Dass ein Kind aufgrund der besonderen Verbundenheit zu seinen Eltern ungeachtet etwaiger Geschehnisse den Kontakt zu seinen Eltern weiterhin aufrechterhalten möchte, kann jedenfalls nicht als ungewöhnlich und für sich allein betrachtet auch nicht als mit den westlichen Werten in Widerspruch stehend angesehen werden. Lediglich der Ordnung halber ist davon unabhängig festzuhalten, dass - entgegen den Ausführungen der belangten Behörde - den vorgelegten Akten, vor allem aber dem im angefochtenen Bescheid zitierten Beschluss des Bezirksgerichts XXXX , kein gegen den Vater verhängtes einjähriges Kontaktverbot zu entnehmen ist.

Die von der belangten Behörde vorgetragenen Bedenken vermögen daher insgesamt den ansonsten aufgezeigten selbstbestimmten Lebensstil der Zweitbeschwerdeführerin nicht zu entkräften.

Wie festgestellt und auch bereits dargestellt wurde, ist eine solche selbstbestimmte Lebensweise einer Frau mit ständigen Bedrohungen in Afghanistan verbunden und insofern in ihrer Gesamtheit zweifellos als von asylrelevanter Intensität zu beurteilen (vgl. dazu auch das Urteil des EGMR, Case N. gegen Schweden, vom 20. Juli 2010, Application Nr. 23505/09, wonach für Frauen, welche sich nicht in die ihnen von der Gesellschaft, der Tradition und dem Rechtssystem zugewiesene Geschlechterrolle einfügen, eine besondere Gefahr misshandelt zu werden, besteht). Die demgegenüber stehende (einzig denkbare) Alternative der Unterdrückung dieser Lebensweise kann aus asylrechtlicher Sicht nicht gefordert werden, bzw. wäre eine solche den eigenen Prinzipien widerstrebende Anpassung - wie oben ausgeführt - ohnedies einer Verfolgung in asylrechtlicher Intensität gleichzusetzen (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Juli 2011, Zl. 2008/19/0994).

Dabei wird nicht verkannt, dass die (oben beschriebenen) drohenden Übergriffe keinen Eingriff von staatlicher Seite darstellen. Andererseits ist es der Zentralregierung auch nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Bevölkerungsgruppe der afghanischen Frauen Sorge zu tragen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind jedenfalls staatliche Akteure aller drei Gewalten - wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt - häufig nicht in der Lage oder auf Grund konservativer Wertvorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen.

Ausgehend von den die Zweitbeschwerdeführerin drohenden Konsequenzen und der fehlenden Schutzgewährung durch die staatlichen Behörden kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Zweitbeschwerdeführerin ein Ausweichen in einen anderen Landesteil Afghanistans möglich wäre, zumal sie im gesamten Staatsgebiet Afghanistans im Wesentlichen der gleichen - oben beschriebenen - Situation ausgesetzt wäre.

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, war der Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 aus diesem Grund den Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Zweitbeschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

zur Erstbeschwerdeführerin:

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 ist auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist u.a. Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat.

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin und damit ihre Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005. Damit war der Erstbeschwerdeführerin, bei der auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt, der Status einer Asylberechtigten im Familienverfahren zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Eine Auseinandersetzung mit den eigenen Fluchtgründen der Erstbeschwerdeführerin war daher nicht erforderlich (siehe dazu ausdrücklich den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. April 2018, Ra 2017/01/0418).

zu den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern:

Bei den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführen handelt es sich um die minderjährigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin, welcher - wie oben dargelegt - der Status einer Asylberechtigten im Familienverfahren zuerkannt wurde.

Gemäß § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 sind die Bestimmungen dieses Abschnittes nicht anzuwenden auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind.

Da die Bestimmung des § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 im Falle von minderjährigen Familienangehörigen nicht zur Anwendung gelangt, war insofern auch den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern, bei denen keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegen, der Status von Asylberechtigten gemäß § 34 AsylG 2005 zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche maßgebliche Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz jedenfalls vor dem 15. November 2015 gestellt wurde (siehe dazu auch § 34 Abs. 4 AsylG 2005, wonach Familienangehörige unter den Voraussetzungen des Abs. 2 und 3 den gleichen Schutzumfang erhalten); die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 finden daher gemäß § 75 Abs. 24 leg.cit. im vorliegenden Fall in Bezug auf den Fünftbeschwerdeführer keine Anwendung.

Eine Auseinandersetzung mit den eigenen Fluchtgründen der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer war daher nicht erforderlich (siehe dazu ausdrücklich den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. April 2018, Ra 2017/01/0418).

zur mündlichen Verhandlung:

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde unstrittig und damit geklärt ist. Das Bundesverwaltungsgericht ist (insb. hinsichtlich der westlichen Orientiertheit der Zweitbeschwerdeführerin) von Tatsachen ausgegangen, die bereits im Bescheid auf unbedenkliche Weise festgestellt, und von den Beschwerdeführern bestätigt bzw. nicht bestritten worden sind. Allein diese Tatsachen hat das Bundesverwaltungsgericht seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt (siehe dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Mai 2014, 2014/20/0017 und -0018).

Bei der Beurteilung, ob die Zweitbeschwerdeführerin angesichts ihrer (festgestellten) Lebensweise derart "westlich" bzw. selbstbestimmt orientiert ist, dass ihr nach der (festgestellten) Lage in Afghanistan Verfolgung droht, handelt es sich jedenfalls nicht um ein Tatsachenelement, sondern allein um eine aus diesen Feststellungen gezogene Schlussfolgerung und damit um eine reine Rechtsfrage.

Dem Bundesverwaltungsgericht lag sohin kein Beschwerdevorbringen vor, das mit den Beschwerdeführern mündlich zu erörtern gewesen wäre, zumal ohnedies im Sinne der Beschwerdeführer entschieden wurde.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Weder mangelt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die oben angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; diese ist auch nicht uneinheitlich. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage liegen nicht vor.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W256.2152496.2.00

Zuletzt aktualisiert am

29.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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