TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/24 W210 2189233-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.04.2019
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Entscheidungsdatum

24.04.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W210 2189233-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anke SEMBACHER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Rae Mag. Josef Phillip BISCHOF und Mag. Andreas LEPSCHI, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.08.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 05.06.2016 (damals als Minderjähriger) gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der Beschwerdeführer wurde am 06.06.2016 von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu zu seiner Identität, seiner Reiseroute, seinem Fluchtgrund und einer allfälligen Rückkehrgefährdung befragt. Hier gab er als Geburtsdatum den XXXX an. Als Fluchtgrund führte er eine Bedrohung durch die Taliban an.

3. Aufgrund seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA, belangte Behörde) gehegter Zweifel an der behaupteten Minderjährigkeit des Beschwerdeführers wurde ein Sachverständigengutachten, datierend auf den 21.08.2016, zur Bestimmung des Knochenalters des Beschwerdeführers eingeholt, dieses ergab als "fiktives" Geburtsdatum des Beschwerdeführers (ursprünglich) den XXXX .

4. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom 01.12.2016 wurde der Magistrat der Stadt XXXX mit der Obsorge des Beschwerdeführers betraut.

5. In weiterer Folge wurde der beauftragte medizinische Sachverständige seitens des BFA um Überarbeitung des erstatteten Gutachtens vom 21.08.2016 ersucht, da im Gutachten eine Abweichung des Mindestalters des Beschwerdeführers zwischen Befund und Endbeurteilung aufgefallen sei.

6. Das (überarbeitete) Sachverständigengutachten zur Bestimmung des Alters des Beschwerdeführers, datierend auf den 22.12.2016, ergab - unter Zugrundelegung des höchstmöglichen Mindestalters des Beschwerdeführers - als "fiktives" Geburtsdatum des Beschwerdeführers nunmehr den XXXX und somit die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Antragstellung. Das Ergebnis dieses Gutachtens wurde dem weiteren verwaltungsbehördlichen Verfahren zu Grunde gelegt.

7. Der (damals minderjährige) Beschwerdeführer wurde am 30.03.2017 vor dem BFA im Beisein seines gesetzlichen Vertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und allfälligen Rückkehrbefürchtungen einvernommen. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass sein Vater bei den Arbaki (Hilfspolizei) gearbeitet habe und deswegen von den Taliban nach Erhalt eines Drohbriefs getötet worden sei. Danach sei sein älterer Bruder von den Taliban zur Zusammenarbeit aufgefordert worden. Sein Bruder habe den Entschluss gefasst, wegzugehen und sei seither verschollen. Danach habe der Beschwerdeführer beschlossen, nun auch "hierher" zu kommen. Die anderen Dorfbewohner hätten dem Beschwerdeführer gesagt, dass er nach dem Tod seines Vaters und der Ausreise seines Bruders auch von den Taliban erschossen werden würde; auch hätte der Beschwerdeführer selbst einen Drohbrief von den Taliban erhalten.

Dem gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers wurden aktuelle Länderinformationen zu Afghanistan übergeben.

8. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

9. Mit Schreiben vom 06.03.2018 erhob der (mittlerweile volljährige) Beschwerdeführer, vertreten durch den ausgewiesenen Rechtsvertreter, vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Das BFA legte die Beschwerde und den Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und verzichtete unter einem auf die Teilnahme an einer Beschwerdeverhandlung.

10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.08.2018 in Anwesenheit des ausgewiesenen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers, eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu und einer Vertrauensperson des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer zu seinen Beweggründen hinsichtlich der Ausreise aus Afghanistan und allfälligen Rückkehrbefürchtungen befragt wurde.

11. Am 06.09.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein.

12. Dem Beschwerdeführer wurden Aktualisierungen des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation zu Afghanistan bis einschließlich 26.03.2019, die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 sowie die EASO Country-Guidance zu Afghanistan aus Juni 2018 (Auszüge zum subsidiären Schutz und zur innerstaatlichen Schutzalternative) mit der Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt. Unter einem wurde der Beschwerdeführer auf die Möglichkeit hingewiesen, die Anberaumung einer weiteren mündlichen Verhandlung zu beantragen, andernfalls dies als Verzicht auf eine weitere Verhandlung gewertet werde.

13. Die daraufhin eingebrachte Stellungnahme vom 16.04.2019 verwies auf die Stellungnahme vom 06.09.2018, die Sicherheitslage in Kunduz und brachte vor, dass keine innerstaatliche Fluchtalternative vorliege.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA und den hg. Akt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, durch Einsicht in die in das Verfahren eingebrachten Länderberichte sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, seinem Leben und einer Rückkehr nach Afghanistan:

Der (im Entscheidungszeitpunkt) volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und der Volksgruppe der Paschtunen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Er wurde am 16.07.1999 geboren. Seine Muttersprache ist Paschtu. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Kunduz, Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren. Er ist dort im Verband seiner afghanischen Familie - das sind seine Eltern, sein älterer Bruder und seine zwei älteren Schwestern - aufgewachsen. Er lebte an keinem anderen Ort in Afghanistan. Der Beschwerdeführer besuchte in Kunduz fünf Jahre die Grundschule. Er hat weder eine Berufsausbildung noch Berufserfahrung.

In Afghanistan, Kunduz, leben jedenfalls noch die Mutter und die beiden Schwestern des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer hat einmal im Monat Kontakt mit seinen Familienangehörigen in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan im Frühjahr 2016 und reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 05.06.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Seither hielt er sich durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer bezieht in Österreich Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er besuchte einen Werte- und Orientierungskurs, Basisbildungskurse sowie Deutschkurse und erlangte Sprachzertifikate bis zum Niveau A2. Er konnte im Rahmen der mündlichen Verhandlung Fragen zu seinem Tagesablauf einigermaßen gut auf Deutsch beantworten. Er nimmt seit Mai 2018 an Kursen im Rahmen des Projekts "POLE Position - Perspektive, Orientierung, Lernen, Entwicklung für AsylwerberInnen" teil, um seinen Pflichtschulabschluss nachzuholen. In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer Fußball in einem Park. Er legte Unterstützungsschreiben vor, die allesamt ein positives Bild vom Charakter des Beschwerdeführers zeichnen.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten oder Familienangehörige. Er hat eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin; es besehen weder ein gemeinsamer Wohnsitz noch sonstige Anhaltspunkte für eine Lebensgemeinschaft mit seiner Freundin. Der Beschwerdeführer ist auch nicht verlobt.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohenden Krankheit, nimmt keine Medikamente und benötigt keine medizinische Behandlung.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Bedrohung oder Verfolgung, sei es durch staatliche Organe oder durch Private, aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) zu erwarten hat.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers - Afghanistan:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter Kurzinformation vom 26.03.2019 - LIB 26.03.2019, S.16). Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 26.03.2019, S.59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S.59). Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt

23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 60).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S.62). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S.70).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S.63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S.63.).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 26.03.2019, S. 346 f.).

Zur Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers - Kunduz:

Kunduz liegt 337 km nördlich von Kabul und grenzt an die Provinzen Takhar im Osten, Baghlan im Süden, Balkh im Westen und Tadschikistan im Norden. Die Provinz hat folgende Distrikte: Imam Sahib/Emamsaheb, Dasht-e-Archi, Qala-e-Zal, Chahar Dara/Chardarah, Ali Abad/Aliabad, Khan Abad/Khanabad und Kunduz; die Hauptstadt ist Kunduz-Stadt. Vor zwei Jahren wurden in der Provinz drei neue Distrikte gegründet:

Atqash, Gultapa, Gulbad. Die Provinzhauptstadt Kunduz-Stadt ist etwa 250 km von Kabul entfernt (LIB 26.03.2019, S. 170).

Als strategischer Korridor wird Kunduz als bedeutende Provinz in Nordafghanistan erachtet - Sher Khan Bandar, die Hafenstadt am Fluss Pandsch, an der Grenze zu Tadschikistan, ist beispielsweise von militärischer und wirtschaftlicher Bedeutung (LIB 26.03.2019, S. 170 f.).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.049.249 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Usbeken, Tadschiken, Turkmenen, Hazara und Paschai (LIB 26.03.2019, S. 171).

Strategisch wichtig ist die Stadt Kunduz nicht nur für Afghanistan, denn Kunduz war bis zum Einmarsch der US-Amerikaner im Jahr 2001 die letzte Hochburg der Taliban. Wer die Stadt kontrolliert, dem steht der Weg nach Nordafghanistan offen. Kunduz liegt an einer wichtigen Straße, die Kabul mit den angrenzenden nördlichen Provinzen verbindet. Kunduz-Stadt ist eine der größten Städte Afghanistans und war lange Zeit ein strategisch wichtiges Transportzentrum für den Norden des Landes. Kunduz ist durch eine Autobahn mit Kabul im Süden, Mazar-e Sharif im Westen, sowie Tadschikistan im Norden verbunden. Die Regierung plant u.a. die Turkmenistan-Afghanistan-Tadschikistan-Eisenbahnlinie, die Andkhoy, Sheberghan, Mazar-e- Sharif, Kunduz und Sher Khan Bandar verbinden und als Anbindung an China über Tadschikistan dienen soll (LIB 26.03.2019, S. 171).

Um Ordnung und Normalität in die Stadt Kunduz zu bringen, hat die Kommunalverwaltung im Februar 2018 eine Massenaufräum-Aktion gestartet. Ebenso wurden weitere Projekte implementiert: im Rahmen dieser werden Landstraßen und Wege gewartet, vier neue Parks errichtet - die insbesondere von Frauen und Kindern genutzt werden sollen, etc. Diese Projekte führten zusätzlich zur Schaffung von 550 Jobs - auch für Frauen. Das Erscheinungsbild der Stadt hat sich u.a. aufgrund der Errichtung von Straßenbeleuchtung verbessert (LIB 26.03.2019, S. 171).

In Kunduz gibt es zahlreiche Unternehmen, die verschiedene Produkte wie Fruchtsäfte, Klopapier, Taschentücher und Sojabohnen produzieren. Die Sicherheitslage hatte mit Stand März 2017 jedoch negative Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wachstum in der Provinz. In der Provinz wird ein Projekt im Wert von 9.5 Mio. USD für den Ausbau der ANA Infrastruktur (Infrastruktur der Afghan National Army) implementiert. Kunduz gehörte im November 2017 zu den Opium-freien Provinzen Afghanistans (LIB 26.03.2019, S. 171).

Kunduz zählt zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans, in der Aufständische aktiv sind. In den Jahren 2015 und 2016 fiel Kunduz-Stadt jeweils einmal an Taliban-Aufständische; die

Stadt konnte in beiden Fällen von den afghanischen Streitkräften zurückerobert werden. Das deutsche Militär hat einen großen Stützpunkt in der Provinz Kunduz. Während des Jahres 2017 sank die Anzahl der zivilen Opfer in Folge von Bodenoffensiven u.a. in der Provinz Kunduz; ein Grund dafür war ein Rückgang von Militäroffensiven in von Zivilist/innen bewohnten Zentren durch die Konfliktparteien. Im Februar 2018 berichteten einige Quellen, die Sicherheitslage in der Provinzhauptstadt Kunduz hätte sich sehr verbessert; den Einwohnern in Kunduz-Stadt sei es aufgrund der Beleuchtung zahlreicher Straßen möglich, auch nachts in der Stadt zu bleiben (LIB 26.03.2019, S. 172).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 225 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 377 zivile Opfer (93 getötete Zivilisten und 284 Verletzte) in der Provinz Kunduz registriert. Hauptursache waren Bodenangriffe, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 41% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Aufgrund von Terrorbekämpfungsoperationen in der Provinz sind zahlreiche Familien nach Kunduz-Stadt vertrieben worden (LIB 2603.2019, S. 172 f.).

Nach dem US-amerikanischen Luftangriff auf das Médecins Sans Frontières (MSF)-Krankenhaus im Jahr 2015 wurde im Juli 2017 wieder eine Klinik von MSF in Kunduz-Stadt eröffnet (LIB 26.03.2019, S. 173).

Kunduz zählt - neben den Provinzen Uruzgan und Helmand - mit Stand Jänner 2018 zu den drei Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen (LIB 26.03.2019, S. 17 und 70). In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden regelmäßig Luftangriffe durchgeführt; dabei werden Aufständische - u.a. tadschikische Kämpfer - und manchmal auch Talibankommandanten getötet. Manchmal werden Talibankämpfer verhaftet. In der Provinz kommt es zu Zusammenstößen zwischen den Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 26.03.2019, S. 173).

Talibankämpfer, insbesondere Mitglieder der "Red Unit", einer Taliban-Einheit, die in zunehmendem Ausmaß Regierungsstützpunkte angreift, sind in der Provinz Kunduz aktiv. Einige Distrikte, wie Atqash, Gultapa und Gulbad, sind unter Kontrolle der Taliban. Auch in Teilen der Distrikte Dasht-e-Archi und Chardarah sind Talibankämpfer zum Berichtszeitpunkt aktiv. Am 20.8.2018 entführten die Taliban 170 Passagiere dreier Busse, die über die Takhar-Kunduz-Autobahn auf der Reise nach Kabul waren (LIB 26.03.2019, S. 47).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden IS-bezogene Sicherheitsvorfälle registriert, während zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 keine sicherheitsrelevanten Ereignisse mit Bezug auf den IS gemeldet wurden (LIB 26.03.2019, S. 173).

Zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S. 102). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 26.03.2019, S. 103). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 26.03.2019, S.258). In Mazar-e Sharif gibt es zudem einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103 und 261). Der Flughafen befindet sich 9 km östlich der Stadt (EASO Country Guidance, Seite 102).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 103 f.). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit (LIB 26.03.2019, S. 36).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 26.03.2019, S. 104).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 26.03.2019, S. 105).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Zur Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (LIB 26.03.2019, S. 139). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt (LIB 26.03.2019, S. 261) und ein militärischer in Shindand (LIB 26.03.2019, S. 139). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 26.03.2019, S.139).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen Afghanistans gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (LIB 26.03.2019, S. 140). Es gibt interne Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 26.03.2019, S. 142).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 26.03.2019, S. 140).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 140 f.).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 26.03.2019, S. 141). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) zählt Herat neben den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar und Uruzgan zu den Provinzen Afghanistans, in welchen bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen stattfanden (LIB 26.03.2019, S. 16).

Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.03.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi von der Zerstörung und Beschädigung von Häusern infolge starker Regenfällen betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der Herat (und die Provinz Badghis) am meisten betroffen war und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren) sie es weiterhin sind. In den beiden Provinzen wurden am 13.09.2018 ca. 266.000 IDPs (afghanische Binnenflüchtlinge) vertrieben; davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 26.03.2019, S. 12).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien, 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 26.03.2019, S. 354, UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, Seite 19 und 20).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus dem Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 26.03.2019, S. 366).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 26.03.2019, S. 367 f.)

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Das Norwegian Refugee Council (NRC) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 26.03.2019, S. 369 f.). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 26.03.2019, S. 370).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 26.03.2019, S. 370 f.).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 26.03.2019, S. 370 f.).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken (LIB 26.03.2019, S. 314). Pashtunen sind somit die größte Ethnie Afghanistans (LIB 26.03.2019, S. 319). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 26.03.2019, S. 315).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (LIB 26.03.2019, S. 315 f.).

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 26.03.2019, S. 304 f.).

1.3. Zur Rekrutierung durch die Taliban:

Im Februar 2016 trat das Gesetz über das Verbot der Rekrutierung von Kindern im Militär in Kraft. Berichten zufolge rekrutieren die ANDSF und andere regierungsfreundliche Milizen in limitierten Fällen Kinder; die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen benutzen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke (LIB 26.03.2019, S. 342).

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden. Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren weiterhin Kinder, um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen zu verwenden, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln sowie als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung (UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, S. 59 f.)

Das Konfliktschema in Afghanistan hat sich seit der Übergangsperiode 2014 verändert, die Taliban konzentrieren sich seither auf den Aufbau einer professionelleren militärischen Organisation. Das hat Folgen für die Rekrutierung, sowohl im Hinblick auf das Profil der rekrutierten Personen, als auch im Hinblick auf ihre Ausbildung. Religion und die Idee des Dschihad spielen bei der Rekrutierung weiterhin eine bedeutsame Rolle, ebenso die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Es sind Fälle von Zwangsrekrutierung dokumentiert, sie bilden allerdings die Ausnahme. Die Rekrutierung durch die Taliban ist nicht durch Zwang, Drohungen und Gewalt gekennzeichnet (Landinfo-Bericht zur Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017, S. 3).

Die Veränderungen des Konfliktschemas wirken sich auf die Rekrutierungsstrategien der Taliban aus, sowohl im Hinblick auf das Profil der rekrutierten Personen als auch auf die Ausbildung der Rekruten. Das Profil hat sich insofern verändert, als es sich nun um Personal handelt, das im direkten Konflikt mit dem Feind stehen wird. Das lässt vermuten, dass die Taliban sich aktiver als bisher bemühen, Personal mit militärischem Hintergrund und/oder militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Da nun ein stärkerer Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrung gelegt wird, ist auch das wahrscheinliche Durchschnittsalter der Rekruten gestiegen (Landinfo-Bericht zur Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017, S. 8). Die Rekrutierung für die Streitkräfte erfolgt über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen (Landinfo-Bericht zur Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017, S. 12).

Die Mitglieder werden auf der Grundlage ihrer Beziehung, ihres Rufes und ihrer Position von den Kommandanten persönlich rekrutiert. Ohne Zustimmung der Familie, insbesondere des Familienoberhaupts, wird für gewöhnlich nicht rekrutiert. Diejenigen zwischen 15 und 18 Jahren, die den Taliban eingegliedert werden, werden vermutlich nur nach Einsatzfähigkeit und Qualifikationen beurteilt, d.h. man wird mobilisiert, wenn man als tauglich befunden wird Landinfo-Bericht zur Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017, S. 9 und 22 f.).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person und zum Leben des Beschwerdeführers sowie zu seiner Rückkehr nach Afghanistan:

Der im Spruch angeführte Name dient mangels Vorlage eines originalen Identitätsnachweises lediglich zur Identifizierung des Beschwerdeführers als Verfahrenspartei. Bei dem in der mündlichen Verhandlung als Tazkira des Beschwerdeführers vorgelegten Dokument handelt es sich um eine Kopie, deren Echtheit somit nicht überprüfbar ist. Der angeführte Name wurde auch schon von der belangten Behörde verwendet, was in der Beschwerde nicht beanstandet wird. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Beschwerdeführer, dass sein Vorname korrekterweise " XXXX " laute (BVwG-Akt, OZ 4, S. 4).

Das Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem vom BFA in Auftrag gegeben (überarbeiteten) Sachverständigengutachten (BFA-Akt, AS 119 ff.).

Die weiteren Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, sohin zu seiner Staatsangehörigkeit, Herkunftsprovinz, Muttersprache, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu seinem Familienstand, gründen auf den gleichlautenden und daher glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (BFA-Akt, AS 19 und 173 ff.; BVwG-Akt, OZ 4, S. 2, 5 und 6).

Die Feststellungen zur Schulbildung und (fehlenden) Berufsausbildung sowie Berufserfahrung des Beschwerdeführers in Afghanistan basieren auf dessen konsistenten Angaben im Verfahren (BFA-Akt, AS 19 und 175; BVwG-Akt, OZ 4, S. 4 und 6).

Dass der Beschwerdeführer - abgesehen von seiner Herkunftsprovinz Kunduz - sonst an keinem anderen Ort Afghanistans aufhältig war, ergibt sich aus der diesbezüglichen Aussage des Beschwerdeführers vor dem BFA (BFA-Akt, AS 179).

Die Feststellung, dass im Heimatdorf des Beschwerdeführers jedenfalls noch seine Mutter und seine beiden Schwestern leben, entspringt den diesbezüglich gleichlautenden Aussagen des Beschwerdeführers im Verfahren (BFA-Akt, AS 179; BVwG-Akt, OZ 4, S. 5).

Die Feststellung zum (ungefähren) Ausreisezeitpunkt des Beschwerdeführers aus Afghanistan ergibt sich aus dem Einreisedatum des Beschwerdeführers in Österreich in Zusammenschau mit der vom Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung angegebenen Aufenthaltsdauer in anderen Ländern seit seiner Ausreise aus Afghanistan (AS 25).

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich und zu dessen Deutschkenntnissen gründen auf den (auf Deutsch gemachten) Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (BVwG-Akt, OZ 4, S. 12) und den im Verfahren vorgelegten Integrationsunterlagen (BVwG-Akt, OZ 4, Beilagenkonvolut ./2). Dass der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung bezieht und nicht erwerbstätig ist, ergibt sich zudem aus den eigeholten Speicherauszügen der GVS-Datenbank.

Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer in Österreich Verwandte oder Familienangehörige hat, ergaben sich nicht.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin hat, gab dieser in der mündlichen Verhandlung selbst zu Protokoll BVwG-Akt, OZ 4, S. 6). Anhaltspunkte für eine Lebensgemeinschaft mit seiner Freundin ergaben sich nicht, zumal der Beschwerdeführer erklärte, dass seine Freundin in XXXX - und somit gemäß der ZMR-Auskunft in einer anderen Gemeinde als der Beschwerdeführer - wohne. Die Frage der erkennenden Richterin, ob er verlobt oder verheiratet sei, verneinte der Beschwerdeführer ebenfalls (BVwG-Akt, OZ 4, S. 6).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers gründen auf dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung (BVwG-Akt, OZ 4, S. 3).

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus der eingeholten Strafregisterauskunft.

2.2. Zu den Feststellungen hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers:

Voranzustellen ist, dass es Aufgabe des Asylwerbers ist, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559). Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens - niederschriftlichen Einvernahmen - unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen, oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650; vgl. auch Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/83/EG - StatusRL, ABl. L Nr. 304, 12, sowie Putzer, Leitfaden Asylrecht2, [2011], Rz 31). Kann ein Beschwerdeführer sein Vorbringen nicht durch Bescheinigungsmittel untermauern, ist es umso wichtiger, sein Vorbringen gleichbleibend, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen jedenfalls für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007). Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357).

Im vorliegenden Verfahren hat der Beschwerdeführer zunächst in seiner Erstbefragung und sodann in einer ausführlichen Einvernahme vor dem BFA Gelegenheit gehabt, seine Fluchtgründe umfassend darzulegen. Aus dem Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA geht hervor, dass die belangte Behörde Rückfragen tätigte und dem Beschwerdeführer Gelegenheit gab, sein Vorbringen zu konkretisieren. Die erkennende Richterin konnte zudem im Zuge der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer gewinnen und sich von der Glaubwürdigkeit seines Vorbringens ein eigenes Bild machen. Der Beschwerdeführer hatte somit ausreichend Zeit und Gelegenheit, seine Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel und geeignete Nachweise zur Untermauerung seines Vorbringens vorzulegen. Er wurden mehrmals zur umfassenden und detaillierten Schilderung seiner Fluchtgründe aufgefordert sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt.

Die erkennende Richterin berücksichtigt zudem, dass der Beschwerdeführer gemäß dem Ergebnis der Altersfeststellung im Zeitpunkt seines Antrags auf internationalen Schutz, seiner Erstbefragung und seiner Einvernahme vor dem BFA (mündiger) Minderjähriger war. Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen bedarf es einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen (vgl. etwa VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020, 16.04.2002, 2000/20/0200 und 14.12.2006, 2006/01/0362). Die Dichte dieses Vorbringens darf nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden (vgl. dazu auch die UNHCR-Richtlinien zum Internationalen Schutz Nr.

8 - Asylanträge von Kindern vom 22.12.2009, Rz 4). Im Zeitpunkt der

Beschwerdeerhebung und seiner Einvernahme im Rahme der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht war der Beschwerdeführer jedoch bereits volljährig.

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist unter diesen Gesichtspunkten zu würdigen und ist hierzu Folgendes auszuführen:

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist im gesamten Verfahren auf eine behauptete Bedrohung des Beschwerdeführers durch die Taliban gerichtet. Nachdem sein Vater aufgrund dessen angeblicher Arbeit bei der afghanischen Hilfspolizei (Arbaki) von den Taliban getötet worden sei, seien der Beschwerdeführer und sein älterer Bruder von den Taliban zur Zusammenarbeit aufgefordert worden. Sein Bruder habe danach Afghanistan verlassen und sei seither verschollen. Dem Beschwerdeführer drohe nun auch eine Verfolgung durch die Taliban.

Auch wenn der Beschwerdeführer den Kern seines Fluchtvorbringens sowohl im verwaltungsbehördlichen Verfahren als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht dem Grunde nach konsistent erstattet hat, ist es ihm dennoch nicht gelungen, eine nachvollziehbare und plausible Sachverhaltsdarstellung hinsichtlich dieses Sachverhalts glaubhaft zu machen.

Gab der Beschwerdeführer in der Erstbefragung noch an, dass er von den Taliban zur Zusammenarbeit aufgefordert worden sei (BFA-Akt, AS 27), erwähnte er diesen Umstand in seiner Einvernahme vor dem BFA in freier Erzählung mit keinem Wort. Hier gab er - befragt nach dem fluchtauslösenden Moment - lediglich an, dass sein Bruder nach dem Tod des Vaters zur Zusammenarbeit aufgefordert worden sei. Sein Bruder sei daraufhin eines Nachts weggegangen. Nachdem sein Bruder weggewesen sei, habe der Beschwerdeführer zu sich gesagt "ich werde nun auch hierher kommen" und sei dann aufgebrochen (BFA-Akt, AS 181). Eine persönliche Bedrohung ist dieser Schilderung - entgegen den ursprünglichen Angaben des Beschwerdeführers in seiner Erstbefragung - nicht zu entnehmen. Die Frage, ob er noch weitere Fluchtgründe habe, verneinte er vor dem BFA ebenfalls explizit (BFA-Akt, AS 181). Selbst die konkrete Rückfrage, ob es - abgesehen von dem Drohbrief, den sein Vater erhalten hatte - noch weitere Vorfälle gegeben habe, verneinte der Beschwerdeführer. Er ergänzte, dass es vor dem Tod seines Vaters nichts gegeben habe und danach sein Bruder weggegangen sei. Ca. sechs Monate nach dem Tod seines Vaters sei auch er ausgereist (BFA-Akt, As 183). Eine persönliche Bedrohung seiner Person durch die Taliban führte er auch bei dieser Gelegenheit nicht ins Treffen. Erst über nochmaliges Nachfragen, ob der Beschwerdeführer persönlich bedroht worden sei, erklärte er sodann, dass die Taliban sowohl zu ihm als auch zu seinem Bruder gesagt hätten, dass sie für sie arbeiten sollten. Etwa drei Monate nach dem Tod des Vaters hätten die Taliban erneut einen Brief geschickt, in dem der Beschwerdeführer und sein Bruder zur Zusammenarbeit aufgefordert worden seien (BFA-Akt, AS 185). Den Vorhalt, weshalb er vorhin einen weiteren Vorfall negiert hätte, beantwortete der Beschwerdeführer jedoch wiederum bloß bezogen auf seinen Bruder und erklärte: "Mein Bruder ist nicht von alleine von zu Hause weggegangen, er ist bedroht worden." (BFA-Akt, AS 187). Hätte der Beschwerdeführer tatsächlich selbst eine Bedrohung durch die Taliban erfahren, wäre zu erwarten gewesen, dass er diesen Umstand bei jeder Gelegenheit in den Vordergrund stellt und seine Schilderung vor dem BFA nicht primär auf die Erlebnisse seines Vaters und seines Bruders stützt. Dass der Beschwerdeführer eine eigene Bedrohung bloß beiläufig und erst nach mehrmaligem Nachfragen erwähnt, ist nicht nachvollziehbar.

Zu unkonkret und unplausibel sind in diesem Zusammenhang auch die Angaben des Beschwerdeführers zu den angeblichen Drohbriefen der Taliban, deren Inhalte er bloß durch Dritte erfahren haben will. So will der Beschwerdeführer keinen der Drohbriefe selbst gelesen haben und erklärte dies stets damit, dass er die Taliban-Schrift nicht habe lesen können (BFA-Akt, AS 181 und 187). Dies überzeugt vor dem Hintergrund nicht, dass die Briefe nach eigenen Angaben in Paschtu - somit der Muttersprache des Beschwerdeführers - verfasst gewesen sein sollen (BFA-Akt, AS 181) und der Beschwerdeführer über eine fünfjährige Schulbildung verfügt. Dass die Briefe für den Beschwerdeführer deswegen unleserlich gewesen seien, weil sie handschriftlich verfasst gewesen seien und der Beschwerdeführer die Wörter in der Schule "schön geschrieben" und "auseinander platziert" habe (BFA-Akt, AS 183), erklärt nicht, dass er den Inhalt dieser angeblichen Briefe überhaupt nicht hat entziffern können. Auch konnte der Beschwerdeführer keinen der beiden Drohbriefe in Vorlage bringen. Vor dem BFA begründete er dies hinsichtlich des ersten, an seinen Vater gerichteten Drohbriefs, damit, dass sie diesen im Zuge der Eroberung ihrer Heimatprovinz verloren hätten (BFA-Akt, AS 181). Wo der zweite Drohbrief sei, wisse er auch nicht, damals sei er bei seinem Bruder gewesen, der ihn vielleicht mitgenommen habe (BFA-Akt, AS 187). Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab er betreffen den Verbleib beider Drohbriefe an, dass diese bei seinem Bruder gewesen seien. Er wisse nicht, was er damit gemacht habe, auf jeden Fall habe sein Bruder beide Briefe bei sich gehabt (BVwG-Akt, OZ 4, S. 8 und 10).

Ferner stimmen die zeitlichen Angaben des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit den behaupteten Vorfällen in Afghanistan und seiner Ausreise in sich nicht überein. Gemäß seinen Angaben vor dem BFA ist der Beschwerdeführer (erst) rund sechs Monate nach dem Tod seines Vaters ausgereist (BFA-Akt, AS 183). In der mündlichen Verhandlung erklärte er, eine Woche nach seinem Bruder die Flucht ergriffen zu habe (BVwG-Akt, OZ 4, S. 10). Da der Beschwerdeführer aber in der mündlichen Verhandlung zugleich angegeben hat, dass sein Bruder das Heimatdorf eine Woche nach Erhalt des zweiten Drohbriefs verlassen habe (BVwG-Akt, OZ 4, S. 9) und der Drohbrief drei Monate nach der Tötung des Vaters übermittelt worden sein soll (BFA-Akt, AS 187; BVwG-Akt, OZ 4, S. 9), weichen die Zeitangaben des Beschwerdeführers hinsichtlich seines Ausreisezeitpunkt aus Afghanistan bzw. hinsichtlich des Tötungszeitpunktes seines Vaters im Ergebnis - selbst unter Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer angegebenen Reiseroute und Reisedauer von seinem Heimatdorf bis zur pakistanischen Grenze (BVwG-Akt, OZ, 4, S. 10 f.) - um mindestens zwei Monate voneinander ab. Es wird auch hierbei nicht übersehen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Einvernahme vor dem BFA noch minderjährig war, dennoch ist davon auszugehen, dass der damals mündige Minderjährige in der Lage war, korrekte Zeitangaben zu machen. Dieser Umstand erklärt die aufgekommenen Widersprüche somit nicht.

Die Schilderungen des Beschwerdeführers erscheinen schon alleine aus diesen Gründen wenig glaubhaft.

Darüber hinaus stimmt die behauptete Vorgehensweise der Taliban, welche den Beschwerdeführer mittels einer Drohung zur Zusammenarbeit aufgefordert haben sollen, nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten in Afghanistan überein. In den ins Verfahren eingeführten Länderberichten - insbesondere im Landinfo-Bericht "Rekrutierung durch die Taliban" - wird ausgeführt, dass Fälle von Zwangsrekrutierung zwar dokumentiert sind, diese allerdings die Ausnahme bilden; die Rekrutierung durch die Taliban ist nicht durch Zwang, Drohungen und Gewalt gekennzeichnet. Zur Rekrutierung von Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren wird in diesem Bericht zudem festgehalten, dass "diejenigen, die den Taliban eingegliedert werden, (...) vermutlich nur nach Einsatzfähigkeit und Qualifikationen beurteilt werden, d.h. man wird mobilisiert, wenn man als tauglich befunden wird.". Der Beschwerdeführer besuchte fünf Jahre die Schule, verfügt über keine Berufsausbildung und keine Berufserfahrung, fällt also eindeutig nicht unter diese Gruppen. Diesem Dokument ist zudem zu entnehmen, dass die Taliban nunmehr verstärkt Personal mit militärischem Hintergrund und/oder militärischen Fähigkeiten rekrutieren, da sie sich auf den Aufbau einer professionelleren militärischen Organisation konzentrieren. Dass der Beschwerdeführer über verwertbare militärische Kenntnisse oder Beziehungen zu den Taliban verfügen würde, ist im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer entspricht somit nicht der Zielgruppe einer Rekrutierung durch die Taliban (vgl. dazu die auf diesem Bericht basierenden Feststellungen unter II.1.3). Dass die Taliban den Beschwerdeführer vor diesem Hintergrund dennoch zu einer Zusammenarbeit hätten auffordern sollen, nur um Vergeltung für die angebliche Tätigkeit seines Vaters bei den Arbaki zu erzielen, scheint nicht schlüssig.

Auch ist in diesem Zusammenhang zu bemerken, dass die Behauptung des Beschwerdeführers, die angebliche Tätigkeit seines Vaters für die afghanische Hilfspolizei durch eine Zusammenarbeit mit den Taliban ausgleichen zu müssen, nicht plausibel ist. Anders als die Situation etwa gelagert wäre, wenn der Vater des Beschwerdeführers unauffindbar und daher für die Taliban nicht mehr greifbar wäre, hätten die Taliban nach der Ermordung des Vaters keinen Grund mehr, auf dessen Söhne zurückzugreifen, um seine Tätigkeit zu bestrafen. Selbst im Falle einer Wahrunterstellung dieses Vorbringens wäre eine Bedrohung des Beschwerdeführers durch die Taliban aufgrund der Tätigkeit seines Vaters für den Staat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu gewärtigen. Zudem gab der Beschwerdeführer selbst an, nie persönlich von den Taliban angesprochen worden zu sein (BFA-Akt, AS 189).

Letztlich stellte sich auch die Schilderung des Beschwerdeführers, dass sein

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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