Entscheidungsdatum
14.05.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W258 2182289-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Migrantinnenverein St. Marx, 1090 Wien, Pulverturmgasse 4/2/R01, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX :
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid
aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
Der männliche Beschwerdeführer (in Folge als "BF" bezeichnet) stellte am 29.10.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und gab in seiner Ersteinvernahme durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.10.2015 an, er habe in Frauenkleidung vor den Taliban tanzen müssen.
Am 31.05.2017 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien (in Folge auch kurz als "belangte Behörde" bezeichnet) unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin einvernommen. Der BF brachte ua vor, er habe vor Paschtunen in Frauenkleidern tanzen müssen, die ihn angefasst und geküsst hätten. Vergewaltigt hätten sie ihn aber nicht.
Mit Bescheid vom XXXX , dem BF am 07.12.2017 zugestellt, wies die belangte Behörde den Antrag des BF ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, sprach aus, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte die Frist für seine freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
Der BF erhob am 04.01.2018 gegen den abweisenden Spruchteil Beschwerde, in der er unter anderem die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht hat, die die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht zusammen mit dem Verwaltungsakt zur Entscheidung vorgelegt hat.
Beweise wurden aufgenommen durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der zu Punkt I. geschilderte Verfahrensgang steht fest.
Der BF hat nicht verlangt, seiner Vernehmung vor der belangten Behörde einen weiblichen Dolmetscher beizuziehen.
Die Einvernahme des BF durch die belangte Behörde wurde von ihr zur Begründung der mangelnden Glaubhaftigkeit der Fluchtgründe des BF herangezogen (Seiten 153 ff des angefochtenen Bescheides).
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus den genannten unbedenklichen Beweismitteln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
Gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen (§ 28 Abs 3 2. Satz VwGVG). Dies aber nur bei krassen Ermittlungsmängeln, nämlich ua dann, wenn die belangte Behörde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder den maßgeblichen Sachverhalt bloß ansatzweise ermittelt hat (vgl jüngst VwGH 31.1.2017, Ra 2016/03/0063).
Der belangten Behörde ist ein solcher krasser Ermittlungsmangel vorzuwerfen, den der BF in seiner - zulässigen - Beschwerde allgemein als Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht hat:
Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung [...] auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er von einem Organwalter [und Dolmetscher] desselben Geschlechts einzuvernehmen, sofern er nichts anderes verlangt (§ 20 Abs 1 1. Satz AsylG 2005; zum Dolmetscher siehe - mit detaillierter Begründung zum zu § 20 AsylG 2005 wortgleichen § 27 Abs 3 letzter Satz AsylG 1997 idF BGBl I Nr. 76/1997 - VwGH 3.12.2003, 2001/01/0402). Die Furcht vor einem drohenden Eingriff ist dabei ausreichend (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer Asyl- und Fremdenrecht (2016) § 20 AsylG 2005 K5).
Wird ein Asylwerber dennoch von einer Person eines anderen Geschlechts bzw. unter Beiziehung eines Dolmetschers eines anderen Geschlechts einvernommen, [...] wird [das] vielfach als krasser Ermittlungsmangel zu qualifizieren sein, der eine Behebung gemäß § 28 Abs 3 VwGVG rechtfertigt, sofern die beweiswürdigenden Erwägungen wesentlich auf der betreffenden Einvernahme aufbauen [...] (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer Asyl- und Fremdenrecht (2016) § 20 AsylG 2005 K3).
Der männliche BF hat mit seinem Vorbringen, er habe vor Paschtunen in Frauenkleidern tanzen müssen, die ihn angefasst und geküsst hätten, einen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung behauptet. Die Beiziehung eines weiblichen Dolmetschers hat der BF nicht verlangt. Die belangte Behörde hat zur Einvernahme des BF dennoch einen weiblichen Dolmetscher beigezogen und ihre beweiswürdigenden Erwägungen im Wesentlichen auf der betreffenden Einvernahme aufgebaut.
Die derart durchgeführte Einvernahme stellt einen völlig ungeeigneten Ermittlungsschritt dar, weil die wesentliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass der BF durch die Beiziehung eines Sachbearbeiters bzw Dolmetschers mit anderem Geschlecht Hemmschwellen aufgebaut und seine Erlebnisse über den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung nur zum Teil oder abgeschwächt wiedergegeben hat.
Die durch die belangte Behörde vorgenommene Einvernahme des BF ist daher nicht zum Nachweis der mangelnden Glaubhaftigkeit seines Vorbringens geeignet. Indem die belangte Behörde diese Einvernahme trotzdem zum Nachweis der mangelnden Glaubhaftigkeit des Vorbringens des BF verwendet hat, ist ihr ein krasser Ermittlungsmangel vorzuwerfen, der eine Behebung gemäß § 28 Abs 3 VwGVG rechtfertigt.
Trotz Vorliegens eines krassen Ermittlungsmangels hat das Verwaltungsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (§ 28 Abs 2 Z 2 VwGVG).
Der maßgebliche Sachverhalt steht nicht fest, weil der im Asylverfahren zentrale Ermittlungsschritt, die Einvernahme des Asylwerbers, mangelhaft war und zur Feststellung des wesentlichen Sachverhaltes nicht herangezogen werden kann. Der maßgebliche Sachverhalt kann daher erst durch die (neuerliche) Einvernahme des BF unter Beiziehung eines jeweils männlichen Sachbearbeiters und Dolmetschers sowie allenfalls durch die Vornahme weiterer, sich aus der neuen Einvernahme ergebenden, Ermittlungsschritte, wie Länderrecherchen, festgestellt werden. Diese faktische Neudurchführung des verwaltungsbehördlichen Verfahrens kann durch die belangte Behörde als (gerichtsnotorisch bekannte) Spezialbehörde rascher und kostengünstiger als durch das erkennende Gericht durchgeführt werden. § 28 Abs 2 Z 2 VwGVG steht somit einer Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde nicht entgegen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Die belangte Behörde wird im neuen Rechtsgang den BF unter Beiziehung eines jeweils männlichen Sachbearbeiters und Dolmetschers neuerlich zu vernehmen haben.
Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Nach Art 133 Abs 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Selbst dann liegt aber nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, wenn die gesetzliche Rechtslage eindeutig ist (vgl jüngst VwGH 3.7.2015, Ra 2015/03/0041). Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art 133 Abs 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art 133 Abs 9 B-VG).
Da die gesetzliche Rechtslage eindeutig ist bzw. durch die zitierte Rechtsprechung des VwGH geklärt ist, liegt keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W258.2182289.1.00Zuletzt aktualisiert am
29.07.2019